Der Roman Felices días, Tío Sergio, der als erster Bestseller der puertoricanischen Autorin Magali García Ramis gilt , wurde im Jahr 1986 veröffentlicht und zählt heute zu den meist gelesenen Werken der zeitgenössischen hispano-karibischen Literatur.
García Ramis, die oft der „generación del 70“ und damit Autorinnen und Autoren wie Rosario Ferré oder Manuel Ramos Otero zugeordnet wird, konnte im freiwilligen U.S.-amerikanischen Exil aus der Distanz einen klaren Blick auf ihre Wurzeln und ihr Land gewinnen und bricht, wie auch die SchriftstellerInnen ihrer „Generation“, mit bislang festgesetzten Tabus. In zahlreichen ihrer Werke beschreibt die Autorin das Familienleben und die Entwicklung einer neuen femininen Identität . Wie auch in ihrer im Jahre 1971 erschienenen Kurzgeschichte Todos los domingos erzählt García Ramis in Felices días, Tío Sergio aus der Sicht eines heranwachsenden Mädchens der Mittelschicht von dessen Alltagsleben . Wenn auch von vielen Lesern als nostalgisches Werk betrachtet, handelt es sich hierbei, wie auch der an die danza von Juan Morel Campos angelehnte Titel vermuten lassen könnte, nicht um die Beschreibung eines unwiederbringlichen Idylls, sondern um den Versuch Geschichte in ihren unterschiedlichen Dimensionen zu erfassen, zu erhalten, gleichzeitig in Frage zu stellen und verschiedene Herangehensweisen an die puertoricanische Identitätsproblematik anzubieten.
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
2. Geschichtlicher Kontext und dessen Einfluss auf die Gesellschaft
3. Der Mikrokosmos von Lidias Familie: Der Versuch der Bewahrung konservativer, patriarchalischer spanischer Werte
4. Ein alternatives Identitätsmodell: Tío Sergios Versuch der Schaffung einer neuen Identität
5. Die zweite Alternative: Lidia Solís' Fortführung der durch Tío Sergio begonnenen Identitätsentwicklung
6. Schlussbetrachtung
7. Bibliografie
1. Einleitung
Der Roman Felices días, Tío Sergio, der als erster Bestseller der puertoricanischen Autorin Magali García Ramis gilt[1], wurde im Jahr 1986 veröffentlicht und zählt heute zu den meist gelesenen Werken der zeitgenössischen hispano-karibischen Literatur.[2]
García Ramis, die oft der „generación del 70“ und damit Autorinnen und Autoren wie Rosario Ferré oder Manuel Ramos Otero zugeordnet wird, konnte im freiwilligen U.S.-amerikanischen Exil aus der Distanz einen klaren Blick auf ihre Wurzeln und ihr Land gewinnen und bricht, wie auch die SchriftstellerInnen ihrer „Generation“, mit bislang festgesetzten Tabus. In zahlreichen ihrer Werke beschreibt die Autorin das Familienleben und die Entwicklung einer neuen femininen Identität[3]. Wie auch in ihrer im Jahre 1971 erschienenen Kurzgeschichte Todos los domingos erzählt García Ramis in Felices días, Tío Sergio aus der Sicht eines heranwachsenden Mädchens der Mittelschicht von dessen Alltagsleben[4]. Wenn auch von vielen Lesern als nostalgisches Werk betrachtet, handelt es sich hierbei, wie auch der an die danza von Juan Morel Campos angelehnte Titel vermuten lassen könnte, nicht um die Beschreibung eines unwiederbringlichen Idylls, sondern um den Versuch Geschichte in ihren unterschiedlichen Dimensionen zu erfassen, zu erhalten, gleichzeitig in Frage zu stellen und verschiedene Herangehensweisen an die puertoricanische Identitätsproblematik anzubieten.[5]
Die Journalistin und Schriftstellerin zeichnet mit teilweise ironischem Unterton ein kritisches Portrait der puertoricanischen Gesellschaft nach der Inbesitznahme des Landes durch die Nordamerikaner.
Aus der Retrospektive beschreibt die junge Protagonistin Lidia ihr Alltagsleben im puertoricanischen Santurce der fünfziger und sechziger Jahre. Sie lebt mit ihrer Familie, die fast ausschließlich aus weiblichen Familienmitgliedern besteht, weitgehend abgeschottet von möglichen Einflüssen und Eindrücken der Außenwelt. Ihr Leben ist bestimmt von Regeln und Tabus einer patriarchalischen Gesellschaft, die von den weiblichen Familienmitgliedern in Abwesenheit der Männer durchgesetzt werden. Mit der Rückkehr ihres Onkels Sergio aus dem nordamerikanischen Exil ändert sich Lidias Leben. Es eröffnen sich für sie neue Sichtweisen und Wahrheiten, die außerhalb des geschützten Raumes des Hauses, des Einflussbereiches ihrer Mutter und ihrer Tanten liegen[6], und damit über ihren bislang bekannten Horizont hinausgehen. Lidia begibt sich, stellvertretend für jedes einzelne Individuum[7] der puertoricanischen Gesellschaft, auf die Suche nach ihrer eigenen und damit auch der puertoricanischen Identität.
Wie nach einer Darlegung der historischen Umstände und der hiermit verbundenen Einflüsse auf die Gesellschaft und damit auch das Selbstbild der Puertoricaner gezeigt werden soll, stehen der Mikrokosmos von Lidias Familie, die Protagonistin selbst als auch ihr Onkel Sergio symbolisch für den Makrokosmos der puertoricanischen Gesellschaft[8] bzw. für unterschiedliche, konservative oder fortschrittliche, Ansätze Lösungen für die puertoricanische Identitätsproblematik zu schaffen, um die eigene Identität zu kämpfen, diese also zu verteidigen bzw. neu zu kreieren.
2. Geschichtlicher Kontext und dessen Einfluss auf die Gesellschaft
Veröffentlicht wurde Magalí García Ramis’ Werk in einem kritischen Moment der puertoricanischen Geschichte, nämlich zu Zeiten der Krise des Plans zur Wirtschaftsentwicklung.
Die 1950er Jahre, die Zeit, in der der Roman spielt, waren geprägt von großer Instabilität und bedeutenden politischen sowie gesellschaftlichen Veränderungen[9]. Nur etwas mehr als ein halbes Jahrhundert zuvor – im Jahr 1898 - war Puerto Rico, nachdem ihm 1897 von der spanischen Kolonialmacht weitreichende Autonomie zugestanden worden war, von dieser an die Nordamerikaner übergeben worden[10]. Zu diesem Zeitpunkt setzten die Puerto Ricaner große Hoffnungen in die Herrschaft der USA, die sie, ganz im Gegensatz zur europäischen Kolonialmacht, mit politischer Freiheit, wirtschaftlichem Fortschritt als auch der Durchsetzung einer gerechten, demokratischen Gesellschaftsordnung verbanden.[11] Die USA ihrerseits setzten sogleich alles daran Puerto Rico, das in „Porto Rico“ umbenannt wurde, zu amerikanisieren, den Bürgern, alles was an ihre spanische Geschichte erinnerte zu nehmen: Straßenschilder trugen fortan die Namen bedeutender U.S.-amerikanischer Persönlichkeiten, die offizielle Religion war nun der Protestantismus, die „Stars and Stripes“ mussten in jedem öffentlichen Gebäude aufgehängt werden und nordamerikanische Feiertage wurden begangen[12]. Dem Wunsch der Puertoricaner nach dem Status eines incorporated territory und damit der Aussicht auf spätere Eingliederung als gleichwertiger state der USA kamen die Nordamerikaner nicht nach und gewährten lediglich den Status eines unincorporated territory, der als der einer Kolonie zu werten war[13]. Die Puertoricaner konnten somit als „politische Waisen“ bezeichnet werden. Die Amerikaner machten keinen Hehl daraus, dass sie die puertoricanische Kultur für minderwertig[14] hielten, eine Ansicht die ebenfalls unter der puertoricanischen Bevölkerung weit verbreitet war. Die Amerikanisierung wurde weiter vorangetrieben, unter anderem, indem bis 1949 Englisch einzige Unterrichtssprache war, was die literarische Produktion hemmte und die kulturelle Ordnung maßgeblich beeinflusste.[15] Die Puerto Ricaner sollten durch und durch amerikanisiert werden, sie sollten U.S.-amerikanische Sitten und Gebräuche, ethisch-moralische Wertvorstellungen in sich aufsaugen und verinnerlichen[16] und somit ihre vorherige Identität auslöschen oder unterdrücken. Des Weiteren wurden wirtschaftliche Strukturen den Bedürfnissen des nordamerikanischen Marktes angepasst; so wurde z.B. bald Zucker statt Kaffee zum Hauptexportgut der Insel, was zum einen eine Abhängigkeit von den U.S.A. schuf, zum anderen schwere gesellschaftliche Konsequenzen nach sich zog, da die neue Wirtschaftpolitik und die mit ihr verbundene Modernisierung im Laufe der Jahre zur Verarmung der Kleinbauern und hacendados von bis zu mittlerer Größe führten[17].
In den 1930ern schließlich befand sich Puerto Rico in seiner bislang größten Krise, die Bevölkerung war verarmt und desillusioniert[18], wodurch es für Marín Muñoz des Partido Popular Democrático ein Leichtes war mit seinem Wahlspruch „Pan, Tierra y Liberdad“ viele Anhänger um sich zu scharen und 1948 zum ersten von den Puerto Ricanern gewählten Gouverneur zu werden.[19]
In dieser Krise hinterfragten die Puerto Ricaner wieder ihre Identität. Der aufgezwungene, arrogante Amerikanismus war keine Lösung und sie besannen sich, unter Ausblendung des afroamerikanischen Erbes, auf ihre spanischen Wurzeln zurück - der idealisierte jíbaro, der traditionell lebte und sein eigenes Land besaß, wurde Ausdruck der puertorriqueñidad.[20]
[...]
[1] Lesbia M. Cruz Alfonso.“Relaciones entra Autor, Narrador y Personaje en Felices Días, Tío Sergio“. Horizontes 46.91.(2004):98.
[2] Frances Negron-Muntaner.“La Familia de todos nosotros y algunos qque somos
Huerfanos: Una Entrevista con Magalí García Ramis”. Alba de América 11.20/21
(1993), 437.
[3] Ramón Luis Acevedo, Del Silencio al Estallido: Narrative femenina puertorriqueña:
Estudio. selección y notas (Río Piedras: Editorial Cultural, 1991), 116.
[4] Wolfgang Binder. “Nachwort” in Magali García Ramis: Onkel Sergio (Zürich:
Rotpunktverlag, 1996), 160.
[5] ebd.
[6] Myrna García-Calderón, „La Añoranza histórica en las obras de Magali García Ramis”. Explicación de textos literarios 23.2 (1994), 56.
[7] Juan G. Gelpí, “René Marqués y Magali García Ramis: Dos Acercamientos a la
Novela de Aprendizaje”. Revista de estdios hispánicos 17.18 (1991), 354.
[8] García-Calderón, „La Añoranza histórica en las obras de Magali García Ramis”, 57.
[9] Gelpí, “René Marqués y Magali García Ramis: Dos Acercamientos a la Novela de
Aprendizaje”, 353.
[10] Fraucke Gewecke (Hrsg.), Puerto Rico zwischen beiden Amerika: Konfliktive
Wirklichkeit im Spiegel der puertoricanischen Literatur (1898-1998) (Frankfurt a.M.:
Vervuert , 1998) 12.
[11] Fraucke Gewecke (Hrsg.), Puerto Rico zwischen beiden Amerika: Zu Politik,
Wirtschaft, Gesellschaft und Kultur eine Nation im territorialen Niemandsland (1898-1998) ) (Frankfurt a.M.: Vervuert , 1998) 27.
[12] María Julia Daraqui, Las Pesadillas de la Historia en la Narrativa puertorriqueña
(Caracas, Venezuela: Monte Avila Latinoamericana, 1990) 34.
[13] Gewecke (Hrsg.), Puerto Rico zwischen beiden Amerika: Zu Politik, Wirtschaft,
Gesellschaft und Kultur eine Nation im territorialen Niemandsland (1898-1998), 34.
[14] Gewecke (Hrsg.), Puerto Rico zwischen beiden Amerika: Zu Politik, Wirtschaft,
Gesellschaft und Kultur eine Nation im territorialen Niemandsland (1898-1998), 38.
[15] Daraqui, Las Pesadillas de la Historia en la Narrativa puertorriqueña, 35.
[16] Gewecke (Hrsg.), Puerto Rico zwischen beiden Amerika: Zu Politik, Wirtschaft,
Gesellschaft und Kultur eine Nation im territorialen Niemandsland (1898-1998), 36.
[17] ebd., 42.
[18] ebd., 51.
[19] Daraqui, Las Pesadillas de la Historia en la Narrativa puertorriqueña, 36.
[20] Gewecke (Hrsg.), Puerto Rico zwischen beiden Amerika: Zu Politik, Wirtschaft,
Gesellschaft und Kultur eine Nation im territorialen Niemandsland (1898-1998), 56.
- Arbeit zitieren
- Kathrin Herz (Autor:in), 2007, Versuche der Konstitution puertoricanischer Identität in Magali Garcia Ramis' "Felices Días, Tío Sergio", München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/75861
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