Das Sexualitätsdispositiv Michel Foucault´s unter dem Blickwinkel der Perversion


Hausarbeit, 2004

31 Seiten, Note: 1,0


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Historie

3. Das mit dem Sexualitätsdispositiv verwobene Spannungsverhältnis des Individuums

4. Die Bedeutung des sexuellen Geständnisses

5. Die Ohnmacht als Ausgangspunkt für Perversion

6. Analytik der Macht

7. Die Auswirkung instrumenteller Macht auf das Körpergefühl

8. Die Ohnmacht als Antwort auf Perversion

9. Die Rolle des S/M bzw. der S/M Foltertechniken

10. Resümee

11. Literaturliste

1. Einleitung

Häufig begegnet man als individueller Bestandteil der Gesellschaft dem Begriff der Perversion in sehr unterschiedlichen Lebensbereichen. Was verbirgt sich hinter dem Begriff der Perversion? Welche Faktoren von Machttechniken tragen zu der Dynamik innerhalb dieser spannungsgeladenen Pole von gesellschaftlicher Stigmatisierung und der Formierung von Lüsten und Begehren bei?

Im Folgenden soll auf das Bezeichnende ("Perversion") und das Bezeichnete (Die Frage nach der Perversion an sich / der Gegenstand an sich) und dem sich eröffnenden Spannungsfeld gedeutet werden, welches einer komplexen und verwobenen Textur aus vielen Faktoren seinen Schlund eröffnet. Die Fragestellung richtet sich an das Individuum „[innerhalb der] Pluralität der Raum-Zeit-Koordinaten, [in der] (…) isolierte Verhaltensweisen entstehen, die Räume zersplittert und die Augenblicke voneinander unabhängig werden“[1], also in den von unzähligen Diskursen unterschiedlicher Bereiche geschaffenen Räumen, welche sich aus dem komplexen Gewebe dynamischer Diskurse über die Sexualität herauskristallisiert haben. Der Perversionsbegriff wird aus unterschiedlichen Blickwinkeln unter dem Firmament des Sexualitätsdispositivs Michel Foucault´s beleuchtet und durchdrungen.

Was verbirgt sich hinter dem Signifikanten „Perversion“?

„Perversion“ als ein Bestandteil des konstruierten Begriffes der Sexualität, welche zugleich als das Intimste als auch Öffentlichste in einer Historie praktizierter und tradierter Machttechniken gehandhabt wird. Im Folgenden wird in einer historischen Skizze des sich im Laufe der Geschichte in immer vielfältigere Bestandteile auffächernden Musters einer konstruierten und diskursiv geregelten Sexualität gezeichnet. Daraus hervorgehend wird auf die in ein Spannungsfeld mündenden Dynamiken eingegangen, welche aus der sich steigernden Spirale aus Macht und Lust resultieren. In diesem sich eröffnenden brennenden Raum stellt die Technik der Beichte, des Geständnisses, ein zündendes Moment dar, mit welchem die komplexen Machtgefüge zwischen Individuen geformt und genährt werden.

Hier sei deutlich darauf hinzuweisen, dass sich Foucault der inneren Prozesse und Dynamiken eines Individuums nie explizit angenommen, sondern diese Machttechniken immer auf der abstrakt diskursiven Ebene beleuchtet hat.

Diese „Black Box“ wird von der Perspektive Erich Fromms zum Ohnmachtbegriff und aus der Sicht Norbert Elias` zum Begriff der Zwänge ausgehend aufgegriffen, und aus verschiedenen Perspektiven beleuchtet. Das bedeutet auch, dass der Perversionsbegriff aus unterschiedlichen Aspekten heraus durchdrungen wird, wobei der zu Foucault zu spannende Bogen nicht vernachlässigt wird. Dadurch wird aufgezeigt, dass dieser Begriff durchaus unterschiedliche Dimensionen und Welten berührt, die nicht auf die durch Diskurse erzeugte Perspektive begrenzt werden können.

Es wird unter anderem das Ohnmachtsgefühl im Zusammenhang interdependenter Zwänge untersucht, der Frage nach den Auswirkungen verübter Macht nachgegangen.

Unter Macht (…) ist zunächst zu verstehen: die Vielfältigkeit von Kraftverhältnissen, die ein Gebiet bevölkern und organisieren; das Spiel, das in unaufhörlichen Kämpfen und Auseinandersetzungen diese Kraftverhältnisse verwandelt, verstärkt, verkehrt; die Stützen, die diese Kraftverhältnisse aneinander finden, indem sie sich zu Systemen verketten - oder die Verschiebungen und Widersprüche, die sie gegeneinander isolieren; und schließlich die Strategien, in denen sie zur Wirkung gelangen und deren große Linien und institutionelle Kristallisierungen sich in den Staatsapparaten, in der Gesetzgebung und in den gesellschaftlichen Hegemonien verkörpern.[2]

Auf der Ebene interaktiven Handelns heißt das auch, „[dass] scheinbar so einfache Verhaltensweisen wie das Aufmerken auf die Gegenwart, der Bericht, das Wort, alle eine gewisse Dualität implizieren, und zwar eben diejenige, die allen sozialen Verhaltensweisen zugrunde liegt.“[3]

Was verbirgt sich also hinter der Dualität von sogenannten perversen Handlungen, hinter diesem vom Selbst isolierten Teil eines Individuums? Hier wird bewusst der Begriff „Selbst“ gewählt, da das Verständnis dieses Begriffes nicht mit dem Subjektbegriff kongruiert, nicht kongruieren darf!

2. Historie

Es stellt sich natürlich die Frage, „auf welchen Wegen und aus welchen Gründen (…) sich der Erkenntnisbereich organisiert, den man mit dem (…) Wort „Sexualität“ umschreibt“[4], welche Machttechniken und Institutionen an diesen Begriff gekoppelt sind, und wie es überhaupt zu einer Entstehung und Manifestation des Perversionsbegriffes kommt.

Foucault stellt sich hier explizit gegen die besonders von Freud vertretene „These von der repressiven Gewalt der Kultur, von ihrer Strenge, mit der sie die Einschränkung des individuellen Glücksstrebens zugunsten der Interessen des Kollektivs fordert“[5]

„Hinsichtlich der sozialen Dimension der Sexualität vertrat Sigmund Freud in Das Unbehagen in der Kultur (1930) die Ansicht, die Unterdrückung bzw. für eine geringe Anzahl von Privilegierten die Sublimierung von Sexualität sei ein Erfordernis der Zivilisation.“[6] Foucault zeichnet die Diskursivierung von Sex innerhalb der gesellschaftlichen Struktur als ein komplex gewobenes, mehrdimensionales Gitternetz, in welchem sich die Machttechniken durch alle Bereiche und Ebenen gesellschaftlichen Handelns in unterschiedliche Richtungen bewegen und hindurchziehen. „Sexualität ist daher nicht nur Ziel des gesellschaftlichen Macht- und Kräftespiels, sondern auch konkreter Effekt und Zwischen- oder Endprodukt dieses Prozesses. Foucault kritisiert in seiner Zurückweisung der Repressionshypothese das simple Unterdrückungs- und Befreiungsmodell“[7] und richtet den Fokus auf ein komplexes Gebilde produktiven Charakters, welches seine Konsistenz und Existenz in unzähligen Kontrollen und Gegenkontrollen erfährt. Foucault sieht in der Begrifflichkeit der Sexualität keinen natürlichen Zustand, sondern ein aus unzähligen Diskursen kreiertes Produkt, welches durch Techniken wie beispielsweise der juristischen Verurteilungen von Perversionen oder der spezifischen Pädagogik des Kindes aller „unfruchtbaren Lüste zugunsten einer genital zentrierten Sexualität“[8] beraubt wurde.

Im Folgenden werden zur Verdeutlichung und besserem Verständnis Diskurse skizziert, welche zu einer Internalisierung des Perversionsempfindens beigetragen haben.

Die Geschichte des Musters einer anständigen Sexualität läßt sich weit bis in die römische oder hellenistische Literatur nachvollziehen[9] und beginnt nicht erst, wie häufig angenommen wird, mit der Entstehung des Christentums.

Da eine ausführliche Zeichnung der historischen Formulierung von Sexualität den Rahmen dieser Arbeit sprengen würde, sei lediglich darauf verwiesen, dass bereits „ die heidnischen Philosophen in den Jahrhunderten vor und nach dem Tod Christi eine Sexualethik vorschlugen, die teilweise neu war, die aber große Ähnlichkeiten mit der christlichen Ethik aufwies“[10], welche „Treue und Fortpflanzung als die wichtigste oder vielleicht die einzige Rechtfertigung von sexuellen Akten [bestimmt]- die selbst unter diesen Bedingungen innerlich unrein bleiben.“[11] Und hier gelangt man zu einem sehr wichtigen Achsenpunkt, nämlich der Wahrheitspflicht im Christentum, die sich besonders in der Verhörtechnik der Beichte zeigt. Im Laufe der Jahrhunderte

ist das Geständnis neben den Ritualen der Probe, neben der Bürgschaft der Autorität der Überlieferung, neben den Zeugenaussagen, aber auch neben den gelehrten Verfahren der Beobachtung und Beweisführung im Abendland zu einer der höchstbewerteten Techniken der Wahrheitsproduktion geworden.[12]

Bis Ende des 18. Jahrhunderts bestimmten neben den gesellschaftlichen Verhaltens­codices „drei explizite Codes die sexuellen Praktiken (…): kanonisches Recht, christliche Pastoraltheorie und Zivilrecht.“[13]

Alle Lebensbereiche waren somit geregelt und in erlaubte und verbotene Handlungen eingeteilt. Diese komplexe verwobene Mischung aus gegenseitiger sozialer Kontrolle und autorisierter, in Wort (Gesetze, Bibel, medizinische Bücher etc.) und Bild (z.B. sakrale Kunst) festgehaltener Regeln und Diskursen drangen in die Intimsphäre des Individuums ein und durchzogen entsprechend alle Gesellschaftsschichten.

Als im 18. und 19. Jahrhundert die Zahl der Diskurse zu den peripheren Sexualitäten sprungartig in die Höhe schnellt, „kommt es innerhalb des Feldes der Sexualität zur Heraushebung einer spezifischen Dimension der „Widernatur“.“[14]

Sehr interessant ist hierzu die Betrachtung von Foucault genannter Machttechniken der Medizin und auch Pädagogik durch das Schaffen von Kontrollinstanzen.

Foucault nennt hier die Kontrolle der kindlichen Sexualität durch

Überwachungseinrichtungen und Fallen, die sie [die Kinder] zum Geständnis zwingen sollen, hat man unerschöpfliche, korrigierende Diskurse durchgesetzt und die Eltern und Erzieher alarmiert, indem man in ihnen den Verdacht erweckte, alle Kinder seien schuldig und mit ihnen alle Eltern und Erzieher, die sie nicht genug verdächtigten.[15]

Durch das Konkretisieren und Schaffen von peripheren Sexualitäten wie beispielsweise der Homosexualität oder der Sodomie hat sich die Inkorporation eines spürenden und empfindenden Bewusstseins hinsichtlich widernatürlichen Empfindens außerhalb der geregelten Ordnung entwickelt.

3. Das mit dem Sexualitätsdispositiv verwobene Spannungsverhältnis des Individuums

Foucault negiert die Technik des Ausschlussverfahrens abweichender Sexualitäten und betont die durch Spezifizierung sich manifestierenden Denk- und Verhaltensweisen.

Foucault beschreibt diesen Prozeß nicht als Begrenzung der Sexualität durch den Ausschluß von kreierten Sexualitäten, sondern bezeichnet diese Ausweitung durch die Diskursivierung von Sexualität als Durchdringungslinien, welche das Individuum durchziehen, die Spirale von Macht und Lust bedingen und in Bewegung setzen.

Aber hat eben diese Inkorporation spezifischer Sexualitäten in das Individuum nicht auch eine Bewertung dieser ausdifferenzierten Sexualitäten zur Folge, und resultiert nicht die sich dynamisierende Spirale aus Macht und Lust aus einem Ausschluß von Sexualitäten?

So kann doch erst eine Formung der Denkstruktur eines Individuums zu der Entwicklung einer inneren Kategorisierung von richtig und falsch führen. Das bedeutet letztendlich, dass das „was wir »Verstand« nennen, (…) unter anderem eine Selbstkontrollapparatur [ist], und ebenso [verhält es sich mit dem] »Gewissen«.“[16]

Denn erst durch das Benennen, Besprechen, Aneignen und Abspalten von Sexualitäten kann in einem Individuum ein Bewusstsein zu einer Unterscheidung einer „normalen“ und einer „abnormalen“ Sexualität heranreifen.

Der sexuell konnotierte Begriff der „Perversion“ als sich vollziehender und vollzogener Akt, welche mit aus unzähligen Diskursen hervorgebrachten Attributen behaftet wird. In diesem Spannungsverhältnis aus diskursiv geschaffenen Akten und bezeichnenden Worten - welche unweigerlich mit Gefühlen sowohl der Lust und der Ablehnung diesen Akten gegenüber behaftet sind - windet sich die Spirale aus Macht und Lust entglittener Gefühle und Gedanken in einer dem Chaos entrissenen Ordnung.

[...]


[1] Foucault, Michel: Erster Teil. Die psychologischen Dimensionen der Krankheit. Die Krankheit und ihre Entwicklung. In: Ders.: Psychologie und Geisteskrankheit. Frankfurt am Main 1968, hier S.34

[2] Foucault, Michel: Der Wille zum Wissen: Sexualität und Wahrheit. Erster Band. Frankfurt am Main, 1979,

hier S.113-114

[3] Foucault, Psychologie und Geisteskrankheit, S.41

[4] Foucault, Der Wille zum Wissen, S.7

[5] Lohmann, Hans-Martin: Der Kampf der Giganten: „Das Unbehagen in der Kultur“. In: Ders.: Freud zur Einführung. Hamburg 1986, hier S.88

[6] Kirchhofer, Anton: Historischer Kontext, historische Linien: Dir Repressionshypothese als Form der Problematisierung. Aspekte einer Genealogie der Repressionshypothese. In: Ders.: Strategie und Wahrheit. Zum Einsatz von Wissen über Leidenschaften und Geschlecht im Roman der englischen Empfindsamkeit. Köln 2004, hier Kapitel 7.2

[7] Grundmann, Roy: Queer Theory / Queer Studies: Ein enzyklopädischer Eintrag. In: Hrsg. v. Prof. Dr. Jens Eder und Prof. Dr. Hans J. Wulff. Medienwissenschaft/ Hamburg: Berichte und Papiere, Hamburg 2003

[8] Foucault, Der Wille zum Wissen, S.50

[9] vgl. beispielsweise: Foucault, Michel: Formen der Problematisierung. In: Ders.: Der Gebrauch der Lüste: Sexualität und Wahrheit. Zweiter Band. Frankfurt am Main, 1989, S.22ff und Moral und Selbstpraktik, hier S.36ff

[10] Foucault, Michel: Michel Foucault, Richard Sennett: Sexualität und Einsamkeit. In: Ders: Von der Freundschaft. Michel Foucault im Gespräch. Berlin, hier S.39

[11] Foucault, Von der Freundschaft, S.38

[12] Foucault, Der Wille zum Wissen, S.76

[13] Foucault, Der Wille zum Wissen, S. 51

[14] Foucault, Der Wille zum Wissen, S.53

[15] Foucault, Der Wille zum Wissen, S.57

[16] Elias, Norbert: Zum Begriff der Zwänge. Unterscheidung von vier Zwangsarten. In: Ders.: Studien über die Deutschen. Frankfurt am Main 1989, hier S.48

Ende der Leseprobe aus 31 Seiten

Details

Titel
Das Sexualitätsdispositiv Michel Foucault´s unter dem Blickwinkel der Perversion
Hochschule
Ludwig-Maximilians-Universität München  (Institut für deutsche Philologie)
Note
1,0
Autor
Jahr
2004
Seiten
31
Katalognummer
V76076
ISBN (eBook)
9783638804813
Dateigröße
405 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Sexualitätsdispositiv, Michel, Foucault´s, Blickwinkel, Perversion
Arbeit zitieren
Uta Winter (Autor:in), 2004, Das Sexualitätsdispositiv Michel Foucault´s unter dem Blickwinkel der Perversion, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/76076

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