Diese Kolloquiumsarbeit beschäftigt sich mit der Corporate Social Responsibility als Wettbewerbsfaktor. Klimawandel, Hunger und Armut, Arbeitslosigkeit, Ausbeutung – die Diskussion um die negativen Folgen des Kapitalismus ist in voller Fahrt. Entsprechend wird untersucht ob unternehmerische Gewinnerzielung bzw. deren Maximierung eine soziale Verantwortung für gesellschaftliche Folgen tatsächlich ausschließt.
Ausgangspunkt bildet eine Betrachtung der geschichtlichen Entstehung von Gewinnmaximierung und der sozialen Verantwortung sowie die daraus resultierenden Ansprüche an die heutige Wirtschaft. Sowohl sachlogisch als auch anhand von Studien wird im Anschluss dargestellt, dass eine Maximierung von Gewinnen ohne eine Berücksichtigung gesellschaftlicher Interessen höchst unwahrscheinlich ist und wie diese Erkenntnis im Ansatz der Corporate Social Responsibility strategisch umgesetzt wird. In einer Fallstudie werden darüberhinaus die positiven Erfahrungen des schweizer Lebensmittelkonzerns Nestlé mit einer gesellschaftlich nachhaltigen Strategie auf dem indischen Markt vorgestellt.
Es zeigt sich, dass Soziale Verantwortung und das Streben nach maximalen Gewinnen durchaus keinen Gegensatz darstellen. Vielmehr gewinnen immaterielle Vermögenswerte wie das Image einer Marke immer mehr Bedeutung für den Erfolg eines Unternehmens. Klassische Auffassungen, auf materielle, direkt quantifizierbare Vermögenswerte ausgelegt, müssen daher den neuen Gegebenheiten angepasst werden.
Inhaltsverzeichnis
Vorwort
Abkürzungsverzeichnis
1 Ausgangssituation
1.1 Das Prinzip der Gewinnmaximierung
1.1.1 Historische Entwicklung
1.1.2 Gewinnmaximierung als Sachzwang
1.1.3 Shareholder-Value und Moral Hazard
1.1.4 Angewandte Gewinnmaximierung in der Kritik
1.2 Soziale Verantwortung
1.2.1 Die Rawls'sche Gerechtigkeit
1.2.2 Anwendbarkeit von Gerechtigkeit auf das Wirtschaften
1.2.3 Die Soziale Verantwortung der Wirtschaftsbeteiligten
1.2.4 Gerechtigkeit und Globalisierung
2 Gewinnmaximierung durch Verantwortung
2.1 Corporate Governance als Voraussetzung für den Unternehmenserfolg
2.1.1 License To Operate & Corporate Citizenship
2.1.2 Intangible Assets
2.2 Neue Markt- und Produktpotentiale
2.3 Corporate Social Responsibility als Strategie
2.4 Die Korrelation zwischen Finanz- & Sozialperformance
3 Fallstudie: Nestle in Indien
4 Kritische Schlussbemerkungen
Literaturverzeichnis
Anhang: Präsentation
Abkürzungsverzeichnis
Vorwort
Sind Unternehmen die Wurzel allen Übels in der Welt? Klimawandel, Hunger und Armut, Arbeitslosigkeit, Ausbeutung - die Liste der Vorwürfe ist lang und die Diskussion um die negativen Folgen des Kapitalismus in voller Fahrt. Bedenken, wie die Fredmund Malik's zur Entwicklung eines „primitiv-vulgären Geldökonomismus", in dem „Geld, und nicht Kapital" das ist, „was Denken und Handeln dominiert" werfen die Frage nach den Ursachen auf.1 Schließt unternehmerische Gewinnerzielung bzw. deren Maximierung eine soziale Verantwortung für gesellschaftliche Folgen aus? Mit dieser Frage beschäftigt sich diese Arbeit.
Als Grundlage aller weiteren Betrachtungen schildert Kapitel 1 zunächst die Prinzipien der Gewinnmaximierung und der sozialen Verantwortung jeweils für sich. Dabei werden neben ihrer geschichtlichen Entstehung auch die daraus resultierenden Ansprüche an die heutige Wirtschaft dargelegt.
Inwieweit beide Prinzipien miteinander verknüpft sind legt Kapitel 2 dar. Sowohl sachlogisch als auch anhand von Studien wird gezeigt, dass eine Maximierung von Gewinnen ohne eine Berücksichtigung gesellschaftlicher Interessen höchst unwahrscheinlich ist. Auch die strategische Umsetzung dieser Erkenntnis in der sogenannten Corporate Social Responsibility wird hier beschrieben.
Kapitel 3 stellt in einer Fallstudie die positiven Erfahrungen des schweizer Lebensmittelkonzerns Nestle mit einer gesellschaftlich nachhaltigen Strategie auf dem indischen Marktvor.
Im Rahmen von kritischen Schlussbemerkungen richtet Kapitel 4 das Augenmerk auf die Implikationen dieser Zusammenhänge für die Wirtschaft und welche Risiken mit deren Nichtbeachtung verbunden sind.
1 Ausgangssituation
Zwei bedeutende Elemente heutiger wirtschaftswissenschaftlicher Diskussionen sind das Streben nach Gewinnmaximierung auf der einen Seite und die Mahnungen sozialer Verantwortung auf der anderen. Dem Anschein nach stehen diese im absoluten Gegensatz zueinander und sind häufig, dem allgemeinen Verständnis nach, kaum oder sogar überhaupt nicht miteinander vereinbar. Als Grundlage für die Beantwortung der Frage, inwieweit dies zutrifft, werden diese Ansätze zunächst einzeln betrachtet.
1.1 Das Prinzip der Gewinnmaximierung
Gewinnmaximierung, ein Prinzip das heutzutage jedem bekannt ist. In der Geiz-ist-geil-Generation scheint alles von einem Gedanken getrieben zu werden: „Wie und wo bekomme ich das Meiste für das Wenigste, und zwar schnell!" in der modernen Marktwirtschaft äußert sich diese Doktrin oft in augenscheinlicher Maßlosigkeit und moralisch fragwürdigen Methoden der Unternehmensführung. Im folgenden werden zunächst die Ursprünge diese Tendenzen betrachtet.
1.1.1 Historische Entwicklung
Die traditionelle vormoderne Gesellschaft war geprägt von Subsistenzwirtschaft, die auf die Befriedigung der unmittelbaren Lebensbedürfnisse der lokalen Lebensgemeinschaft (Familie, Sippe, Dorf) ausgerichtet war. Das Leben innerhalb dieser Gemeinschaften war eng miteinander verknüpft und Werte, Sitten und Normen des alltäglichen Lebens durchdrangen auch das Wirtschaftsleben. Ein Wirtschaften zum Zwecke der reinen Gewinnerzielung war damals somit schlicht undenkbar. Selbst im Spätmittelalter wurden die Ausdehnungen der wirtschaftlichen Aktivitäten institutionell (durch z.B. die Zunftordnung) gefesselt. Die einzige subsidiäre Aufgabe der lokalen Marktwirtschaft bestand in der Versorgung der sich zunehmend nicht mehr agraisch versorgenden Städte aus Produktionsüberschüssen.2
Durch den starken Einfluss des Katholizismus bildete sich bald eine Doppelmoral des weltlichen und religiösen Lebens. Demnach wurden den Menschen zwar die Befolgung der Gebote Gottes abverlangt, gleichzeitig aber auch ihre Fehlbarkeit zugestanden. Dies mündete bald im so genannten Ablasshandel. Durch diesen konnten „menschliche Verfehlungen" mit angemessenen Zahlungen an die Kirche aus ihrer Sicht ungeschehen gemacht und eine „Himmelfahrt des Sündigen" trotzdem sichergestellt werden. Ein gottgefälliges Denken und Handeln konnte somit ohne weiteres auf die Zeit nach dem eigenen Ableben verschoben werden. Die Bewegung des calvinistischen Protestantismus hingegen unterstellte den gleichsamen Gottesdienst im Diesseits, also die „religiöse Pflicht zu einer disziplinierten und zielstrebigen Lebensführung die der Mehrung von Gottes Rum dient". Diese Auffassung bildete die Basis für ein Umdenken im traditionellen Werteverständnis. War die maßlose Verfolgung rein geschäftlicher Interessen bisher durch die Gesellschaft verpönt so wurde der weltliche Erfolg nun als Meisterung einer „von Gott gestellten Aufgabe" und als „Zeichen der Erwählung" gedeutet.3
Der „Geldsegen" als „Gottes Gnadengewissheit" führte so zu einer normativen Enthemmung, die so in einem „rein an ökonomischen Tauschwerten orientiertem Handeln" und schließlich in der Rechtfertigung für das erwerbswirtschaftliche Prinzip mündete. In diesem wurde das Erwirtschaften von Gewinn zum charakteristischen Aspekt des Unternehmertums erhoben. Nach Milton Friedmann in 1970 und Gerd Habermann in 1993 sei es sogar die sittliche Pflicht des Unternehmers „seine Gewinne zu steigern".4
1.1.2 Gewinnmaximierung als Sachzwang
Gewinnorientierung wird nicht nur als Tugend des Unternehmers sondern auch als systembedingter Sachzwang interpretiert. Nach Erich Gutenberg gelingt es Betrieben in einer Marktwirtschaft nur „gerade die Güterarten und -mengen herzustellen, für die Bedarf besteht", wenn sie sich am erwerbswirtschaftlichen Prinzip orientieren. Der Gewinn des Unternehmens dient dabei als Indikator, ob die „Maßnahmen" des Unternehmers „richtig oder falsch gewesen sind". Gutenberg zieht daraus die Annahme, dass „volkswirtschaftlich die beste Versorgung mit Gütern und Diensten erreicht werde, wenn jedes Unternehmen versucht, auf die Dauer einen möglichst großen Gewinn auf das eingesetzte Kapital zu erzielen."5
Eine weiterer Sachzwang ergibt sich aus der schöpferische Zerstörung nach Schumpeter. Diese beschreibt die Verdrängung traditioneller Wirtschaftspraktiken durch innovative und effizientere Herangehensweisen. Alle an dem System der Marktwirtschaft freiwillig beteiligten unterwerfen sich daher dem Zwang dieses „Wettbewerbsmechanismus". Wer also nicht wettbewerbsfähig wirtschaftet, fällt der marktbereinigenden Wirkung der schöpferischen Zerstörung zum Opfer. Rein rational führt diese Betrachtung zu einer Reduzierung allen unternehmerischen Handelns auf Aktivitäten im Sinne der Wettbewerbsfähigkeit. Die Berücksichtigung betriebsfremder Interessen (z.B. die der Bürger) kann somit nur zu Lasten der Wettbewerbsfähigkeit gehen und ist demzufolge unternehmerisch zu vernachlässigen. Zu berücksichtigen sind hingegen die Interessen derjenigen, die über „verwertbares Kapital" verfügen, sei es Finanz-, Sach- oder Humankapital.6
1.1.3 Shareholder-Value und Moral Hazard
Die Ausrichtung der unternehmerischen Leitung im Sinne dieser Kapitalanleger gipfelt im Ansatz des Shareholder-Value. Dieses von Alfred Rappaport 1986 geprägte Prinzip beschreibt die Maximierung von Erträgen und der Eigenkapitalrentabilität als maßgebliches Aufgabe der Unternehmensleitung mit dem Ziel, den langfristigen Unternehmenswertzu maximieren.7
Trotz dieser langfristigen Ausrichtung wird das Shareholde-Value für die Anstrengungen vieler Unternehmen verantwortlich gemacht, kurzfristige Höchstrenditen aufKosten der Firmensubstanz zu verfolgen. Allerdings sind es die inkonsequente Umsetzung und Fehlinterpretation dieses Ansatzes, die häufig zu fragwürdigen Entscheidungen von Managern führen und dieses Konzept in Verruf bringen:
So argumentieren Manager z.B., die Haltefrist von Aktien habe sich „seit den 60er Jahren von sieben auf unter ein Jahr" verkürzt und ihnen bleibe so gar keine andere Wahl als sich kurzfristig zu orientieren. Dabei vernachlässigen sie aber, dass sich nicht die Haltefrist einzelner Anleger sondern die langfristige Zukunftseinschätzung des Wertpapiermarktes im Aktienkurs eines Unternehmens wiederspiegelt.8
Hinzu kommt ein Moral Hazard innerhalb der Prinzipal-Agent-Beziehung zwischen Unternehmen und Management. Demnach besteht die Gefahr, dass Manager aufgrund mangelnder Kontrollmöglichkeiten der Unternehmen die Maximierung eigener Interessen denen des Unternehmens vorziehen. Zum Beispiel besteht die Vergütung vieler Manager zu einem großen Anteil aus Aktienoptionen, die oft zum Ende ihrer Vertragslaufzeit fällig werden. Entgegen der Erwartung, dieses erzeuge eine engere Verknüpfung der Interessen der Manager mit denen der Anleger, verleiten diese Manager eher dazu, Aktienkurse bei Fälligkeit ihrer Optionen auf ein kurzfristiges Maximum zu heben.9
1.1.4 Angewandte Gewinnmaximierung in der Kritik
In der Praxis führt dies, wie bereits erwähnt, nicht selten zu fragwürdigen Entscheidungen. Deren schnelle Wirkung im Sinne von kurzfristig realisierbaren Gewinnsteigerungen geht dabei, dem breiten Empfinden nach, häufig zu Lasten ihrer sozialen Verträglichkeit. Große Konzerne und Finanzinstitute, die z.B. trotz Rekordgewinnen im großen Stil Arbeitskräfte freisetzen, geraten zunehmend in die Kritik. Die Argumentation der Vorstände, aufgrund der hohen Internationalisierung der Kapitalmärkte müssten sich Unternehmen intensiveren Branchenvergleichen stellen, wird dabei als überzogene Rechtfertigung abgetan.
Gewinnmaximierung als reinen Geschäftszweck haben sich insbesondere Hedgefonds zu eigen gemacht. Solche Private-Equity Gesellschaften erwerben Mehrheitsanteile an Unternehmen um diese über massive Umstrukturierung (und auch Fusionen mit anderen Unternehmen) in ihrer Schlagkräftigkeit und somit ihrem Wert zu steigern und gewinnbringend wieder zu veräußern. Sind die akquirierten Unternehmen bereits angeschlagen, so profitieren sie von Know-How-Transfers und Skaleneffekten der Hedgefonds und werden so in ihrem Fortbestehen gesichert.
Besonders aggressive Hedgefonds, sogenannte „Geierfonds", hingegen nehmen auch bereits profitable Unternehmen in ihr Visier mit dem Ziel, diese zu zerschlagen und in Teilstücken meistbietend zu veräußern. Dieses Verhalten führt zu massiver Kritik bis auf hohe politische Ebenen, auf denen Franz Müntefering den Vergleich mit Heuschreckenschwärmen10 prägte. So wird Unternehmen vorgeworfen, dass sie in zunehmendem Maße ihre soziale Verantwortung vernachlässigen. Im Sinne einer objektiven Bewertung dieses Vorwurfes, wird im Folgenden zunächst das Prinzip der sozialen Verantwortung untersucht
1.2 Soziale Verantwortung
Ursprung aller Überlegungen im Rahmen gesellschaftlicher Prinzipien, wie der sozialen Verantwortung, ist die Frage nach der inhaltlichen Bedeutung von Gerechtigkeit und Fairness. Ein allgemein angewendetes Ausgangsverständnis ist das von Rawls.
1.2.1 Die Rawls'sche Gerechtigkeit
Grundlage für die Rawls'sche Auffassung von Gerechtigkeit und Fairness ist die sogenannte ursprüngliche Position. In diesem hypothetischem Urzustand finden Individuen kooperativ zu „Regeln und Leitprinzipien, ohne eine genaue Vorstellung davon zu haben, wer sie letztendlich sein werden". Somit können Einflüsse subjektiver Egoismen ausgeschlossen werden. Die in diesem Zustand gefundenen Prinzipien bilden die Grundlage der Fairness einer sozialen Gemeinschaft, „die die Interessen, Ängste und Freiheiten eines jeden gleichermaßen" berücksichtigt.11
Hieraus leiten sich nach Rawls zwei Grundprinzipien der Gerechtigkeit ab:
Das Prinzip der Priorität der Freiheit wonach der „Freiheit der einzelnen Person Vorrang eingeräumt wird", wenn eine Ähnliche Freiheit für alle gilt.12
Das Prinzip der Chancengleichheit aller zur bestmöglichen Entwicklung und Nutzung ihrer Fähigkeiten in Verbindung mit dem Differenzprinzip wonach die in der Gesellschaft am schlechtesten Gestellten bevorzugt behandelt werden um so weniger Begabte vor dem existenziellen Ruin zu schützen. Dieses Prinzip widerspricht somit der Auffassung eines reinen Utilitarismus wonach die Maximierung des Gesamt- oder Durchschnittsnutzens (hier: -wohlstandes) im Vordergrund steht, ohne dabei die Situation Einzelner zu berücksichtigen.13
Desweiteren ist zu klären, für wen die in Rawls' ursprünglicher Position gefundenen Prinzipien in welchem Ausmaß gelten. Grundsätzlich ist dabei zwischen zwei Auffassungen zu unterscheiden:
Dem Umfassender Universalismus zufolge gelten die Normen von Gerechtigkeit und Fairness uneingeschränkt für alle Individuen gleichermaßen. Unterscheidungen nach Nationalität oder anderen Kriterien gelten hier nicht.14
Im Partikularismus werden Auffassungen von Fairness und Gerechtigkeit für Gruppen von Individuen in ideologisch, politische oder geologisch abgegrenzten Räumen einzeln definiert. Unterstellt wird dabei allerdings Gleichheit aller Räume einer Art.15
Sen erweitert diese Auffassungen um die Position der Pluralen Einbindung. Mit dieser trägt Sen einer pluralistischen Gesellschaft Rechnung. In einer solchen bilden sich Interessengemeinschaften über die Grenzen nationaler Gebilde hinweg, für die ein gleiches Werteverständnis gilt (z.B. Ärzte). Dennoch können diese Gruppen nicht die Allgemeinheit repräsentieren.16
Es wird schnell klar, dass der Begriff von Gerechtigkeit nie in vollem Umfang den Vorstellungen und Bedürfnissen aller entsprechen kann. Allein kulturelle Divergenzen begrenzen den Umfang allgemeingültiger Werte und Normen massiv. Es ist daher abzugrenzen, welche Auffassungsspheren durch die Umstände tangiert werden, welche im Hinblick auf Gerechtigkeit zu bewerten sind. Im folgenden werden die Implikationen der Rawls'schen Auffassung für die Wirtschaft dargestellt.
1.2.2 Anwendbarkeit von Gerechtigkeit auf das Wirtschaften
„Wirtschaften heißt Werte schaffen". Im Verständnis der oben beschriebenen Subsistenzwirtschaft der Vormoderne spiegelt der Wert eines Gutes den Grad seiner Tauglichkeit für menschliche Zwecke wieder. Menschliche Zwecke stehen hier für die Sicherung der menschlichen Lebensgrundlage, also der Grundbedürfnisse (Nahrung, Kleidung, Unterkunft und medizinische Versorgung). Diese sind eindeutig von einer umfassend universalistischer Bedeutung für alle Menschen dieser Welt. Die Schaffung dieser Werte findet im Zuge der planvollen Gestaltung durch den Menschen arbeitsteilig statt. In Verbindung mit Rawls' Gedanken der Fairness kann eine arbeitsteilig organisierte Gesellschaft somit nur eine Solidargemeinschaft sein, da z.B auch die, die nicht an der Herstellung von Nahrung beteiligt sind, auf diese trotzdem einen Anspruch im Sinne ihrer Grundbedürfnisse haben. Der gerechten Verteilung der so erwirtschafteten Sozialprodukte widmet sich wiederum Rawls'Differenzprinzip.17
Die Idealentwicklung einer solchen Gesellschaft beschreibt Keynes wie folgt: In ihr würde im Zuge zunehmender Deckung der (in ihrer Natur begrenzten) menschlichen Grundbedürfnisse das Wirtschaften zur Nebensache. Einer primären Beschäftigung mit bedeutsameren Dingen wie der geistigen, wissenschaftlichen und kulturellen Entwicklung würde so Platz gemacht. Eine solche Evolution des Wirtschaftens beruht aber auf der Lebenskunst des „Genug-haben-Könnens". Nur die Fähigkeit des Einzelnen, abzuschätzen zu können was ihm für ein gutes Leben genug ist, ermöglicht, den Austausch der bereits befriedigten Grundbedürfnisse mit weiteren (subjektiv als grenzenlos knapp empfundenen) Konsumbedürfnissen zu verhindern.18
Die Realität weicht hiervon bislang aber bedeutend ab. Paradoxerweise nimmt „mit dem Wirtschaftswachstum das Gefühl der Knappheit zu statt ab" was zu lokalen Überflüssen an Unwesentlichem, bei gleichzeitiger Verknappung wirklich lebensnotwendiger Dinge an anderer Stelle führt. Diese Modernisierung der Armut kann auf den Mangel an Gemeinsinn (und damit einer Bereitschaft zur Mäßigung) in einer anonymisierten und individualistischen Großgesellschaft zurückgeführt werden. Daraus folgt die Erkenntnis, dass den einzelnen an der Wirtschaft beteiligten Parteien unterschiedliche soziale Verantwortlichkeiten zufallen müssen.19
1.2.3 Die Soziale Verantwortung der Wirtschaftsbeteiligten
Vereinfachend werden im folgenden nur Bürger, Staat und Unternehmen als Wirtschaftsb eteiligte betrachtet.
Bürger: Wie bereits gezeigt geht Rawls' ursprüngliche Position von unvoreingenommen Individuen aus. Diese rein hypothetische Unterstellung weicht von der Realität allerdings erheblich ab. Jeder Bürger entwickelt abhängig von Elternhaus, Lebensweg oder subjektiven Bedürfnissen eigene Vorstellungen von Gerechtigkeit und Fairness, die mit denen anderer konkurrieren. Hinzu kommt, dass sich nicht ein jeder Bürger entsprechend dem kategorischen Imperativ Immanuel Kant's verhält. Dieser fordert: „Handle stets so, dass die Maxime deines Willens jederzeit zugleich als Prinzip einer allgemeinen Gesetzgebung gelten könne."20
Staat: Ein Zusammenschluss der Bürger in einem Staat als Vermittlungsinstanz in ihrem nationalen aber dort universalistischen Sinn der Rawls'schen Gerechtigkeit ist somit unumgänglich. Die Bundesrepublik Deutschland (BRD) ist ein demokratischer und sozialer Bundesstaat nach Art. 20, Abs. 1 Grundgesetz. Ein solcher, dem Gemeinwohl verpflichteter Staat, dient also dem Zweck „der gemeinsamen Lebensbewältigung, nämlich dem guten Leben aller." Dies entlässt aber den Bürger nicht aus seiner Verantwortung für sein eigenes Denken und Handeln. Es ist nicht die Aufgabe des Staates als Garant „persönlicher Ungestörtheit" oder reiner „Leistungsgewährung" für zwar fähige aber nicht willige Individuen zu dienen.21
In der BRD gilt zudem eine soziale Marktwirtschaft. In ihr obliegt dem Staat die Aufgabe im Sinne der Gerechtigkeit umverteilend in das Wirtschaftsleben einzugreifen, während sich die Wirtschaft am Markt orientiert. Der Staat bildet und erhält demnach die Rahmenbedingungen des Wirtschaftens. Unternehmen, als freiwillige Teilnehmer an der sozialen Marktwirtschaft, haben daher ihre Interessen den allgemeingültigen Werten und Normen der Gesellschaft, vertreten durch den Staat, unterzuordnen.22
Rückläufige Wahlbeteiligungen und Mitgliederzahlen der Parteien zeigen jedoch, dass das Vertrauen vieler Bürger in die Kompetenz der Politik, gesellschaftliche und soziale Probleme lösen zu können, in den letzten Jahren sehr stark nachgelassen hat. Als Folge fällt das Augenmerk verstärkt auf die Rolle der Unternehmen als mögliche Helfer in der Not.23
Unternehmen: Doch sind sich Unternehmen ihrer Rolle, auch jenseits staatlich gesetzten Grenzen bewusst? Zwar stehen nach dem Grundgesetz auch Unternehmen dieselben Grundfreiheiten eines normalen Bürgers zu, welche diese auch nur all zu gerne wahrnehmen. Nichtsdestoweniger bleiben sie Teil einer sozialen Gesellschaft. Als Großeigentümer von Kapital gilt auch für sie Art. 14, Abs. 2 Grundgesetz, wonach Eigentum verpflichtet und „zugleich dem Wohle der Allgemeinheit dienen" soll. Auf der Basis von Rawls' Differenzprinzip stehen Eigentümer von Kapital gegenüber dessen Nichteigentümern somit in einer solidarischen Pflicht.
1.2.4 Gerechtigkeit und Globalisierung
Problematisch gestaltet sich die Bestimmung sozialer Verantwortung von Unternehmen, die über nationale Grenzen hinweg operieren und im Wettbewerb stehen. Durch die deregulierende und liberalisierende Wirkung der Globalisierung treffen Unternehmen so auf divergierende partikularistisch abgegrenzte Auffassungen von Gerechtigkeit immer stärker aufeinander.
Der Wettbewerb überträgt sich so auf ganze Volkswirtschaften als Standorte für das Wirtschaften der Unternehmen. Dies führt dazu, dass sich jeder Staat „gezwungen sieht, den in seinem Wirtschaftsraum angesiedelten Unternehmen kurzfristige komparative Kostenvorteile durch günstigere Rahmenbedingungen zu bieten". Solche Vergünstigungen schlagen sich insbesondere im Bereich von „niedrigen Steuern, Sozialabgaben und Umweltauflagen" nieder. Staaten mit einer höheren Bereitschaft, ihre Rahmenbedingungen des Wirtschaftens im Sinne der Unternehmen zu mildern, zwingen über den Marktmechanismus aber auch alle weiteren Staaten mit abweichenden Rechtsund Gerechtigkeitsverständnissen nachzuziehen, „sofern sie Weltmarktanteile" (als Standort für hoch mobile transnationale Unternehmen) „sichern wollen".24
Es wird daher klar, dass einzelne Staaten als Vermittlungsinstanzen einer Rawls'schen Gerechtigkeit im Hinblick auf die pluralistischen Formen unternehmerischen Wirtschaftens nicht mehr ausreichen. Entsprechend sind Institutionen nötig, die einem globalen unternehmerischen Handeln Rechnung tragen. Diese sind nach Sen in dieser Form noch nicht vorhanden. Ihm zufolge können selbst weltweite Organisationen wie die Vereinten Nationen dieser Rolle nicht gerecht werden, da sie „vollkommen abhängig von den grundlegenden politischen und sozialen Organisationen" ihrer 192 Mitglieder sind.25
Dies ist allerdings eine sehr idealtypische Sichtweise. Von nationalen Organisationen entsprechend losgekoppelte und mit rechtsbegründenden sowie -durchsetzenden Kompetenzen ausgestattete Institutionen kann es nämlich bisher nicht geben, da eine dafür benötigte internationale rechtliche Grundlage gar nicht existiert.26
Zwar entspricht dieses System einer "globalen Politikgestaltung ohne globale Regierung", die vornehmlich von den internationalen Institutionen Weltbank, Internationaler Währungsfonds und Welthandelsorganisation gesteuert werden. Diese sind aber durchaus handlungs- und beschlussfähig. Zu hinterfragen ist nur in wessen Interesse sie handeln und beschließen. Betrachtet man die Struktur ihrer Mitglieder und deren Stimmrechte, so wird der konzentrierte Einfluss der größten Industrienationen sehr schnell deutlich. Mit einem totalen Umsturz dieser Strukturen hin zu einer globalen Gleichberechtigung ist mittelfristig jedoch nicht zu rechnen. Die Forderung von Stiglitz, nationalistisch partikularistische „Ideologien" zugunsten eines pluralistischen „Pragmatismus" zu überwinden ist daher zumindest aus einer globalen Angleichung der Einflussverhältnisse heraus ebenso unwahrscheinlich.27
Aufgrund ihrer pluralistischen Natur sowie ihren bereits dargestelltem Einflüssen zum einen auf die Träger internationaler Institutionen, den Staaten, und zum anderen auf ihr eigenes Handel „vor Ort", sind Unternehmen in der Lage, einen solchen Pragmatismus weitaus schneller zu etablieren. Ihre gesellschaftliche Bedeutung als „Ort" moralischer Entscheidungen gewinnt entsprechend an Bedeutung.28
Das folgende Kapitel beschreibt wie sich dieser Pragmatismus für Unternehmen darstellt und warum es nur in ihrem besten Interesse sein kann, diesem zu folgen.
[...]
1Vgl. Malik,F. (2005).
2 Vgl. Ulrich, P. (2001), S.132f.
3 Vgl. Ulrich, P. (2001), S.134f.
4 Vgl. Ulrich, P. (2001), S.136, S.400f.
5 Gutenberg, E. (1976), S. 464.
6 Vgl. Ulrich, P. (2001), S.148f.
7 Vgl. Rappaport, A. (1999), S. 39f.
8 Vgl. Rappaport, A. (2006), S.26ff.
9 Vgl. Rappaport, A. (2006), S.26. Zum Moral Hazard innerhalb der Principle-Agent Theorie vgl. Holmstrom, B. (1979), S. 74f.
10 Vgl. Müntefering, F. (2005), S. 18.
11 Vgl. Sen,A. (2001), Abs. 6.
12 Vgl. Sen,A. (2001), Abs. 7.
13 Vgl. Sen, A. (2001), Abs. 7 & Gesang, B. (1998), S. 7.
14 Vgl. Sen, A. (2001), Abs. 11.
15 Vgl. Sen, A. (2001), Abs. 12,17.
16 Vgl. Sen, A. (2001), Abs. 20ff.
17 Vgl. Ulrich, P. (2001), S. 203, 210f.
18 Vgl. Ulrich, P. (2001), S. 214f. & Keynes, J.M. (1963), S. 361.
19 Vgl. Ulrich, P. (2001), S. 220 & 286.
20 Vgl. Kant,I. (2004), S. 36.
21 Vgl. Schachtschneider, K.A. (2006), S. 46f. & Nolte, P. (2006), S. 19f.
22 Vgl. Schachtschneider, K.A. (2006), S. 49.
23 Vgl. Kirchhoff, K. R. (2006), S.13.
24 Vgl. Ulrich, P. (2001), S. 387.
25 Vgl. Sen, A. (2001), Abs. 16.
26 Vgl. Guichard, J. (2005), S. 340.
27 Vgl. Stiglitz (2002), S. 24f, 31, 36.
28 Vgl. Ulrich, P. (2001), S. 391.
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