Unser Sozialstaat hat viele Stärken. Eine der wichtigsten ist die Selbstverwaltung der Sozialversicherungen. Bereits bei der Gründung der Sozialversicherungen in den achtziger Jahren des 19. Jahrhunderts wurde die Selbstverwaltung als Organisationsprinzip festgelegt. Damals wie heute stand die Idee dahinter, durch eine dezentrale Verwaltung der Versicherungsträger die Verantwortung und Steuerung in die Hände derjenigen zu legen, die durch das umfangreiche Sicherungssystem geschützt werden sollen. Dies sind zum einen die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, die gegen die Wechselfälle des Lebens abgesichert werden und zum anderen die Arbeitgeber, die auf der Grundlage sozialen Friedens Planungssicherheit erhalten. Entsprechend wird die Sozialversicherung in der Bundesrepublik Deutschland nicht durch eine allgemeine staatliche oder kommunale Verwaltung ausgeführt, sondern von eigenständigen Verwaltungen mit besonderem Charakter und einer eigenen Rechtspersönlichkeit. Wesentliche Kennzeichen sind die Unabhängigkeit gegenüber staatlichen Behörden und die Einbindung der Beitragszahlerinnen und -zahler in den Verwaltungs- und Entscheidungsprozess. Das Organisationsprinzip der sozialen Selbstverwaltung beruht, wie auch die Mitbestimmung, die Vermögensbeteiligung der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer und die Tarifautonomie, auf dem Prinzip der sozialen Partnerschaft. Der demokratische Gedanke der „Regierung durch die Regierten“ bildet die Grundlage für die Einbeziehung von Arbeitnehmer- und Arbeitgebervertretern in die Verwaltungstätigkeit der Sozialversicherungsträger. Ihre Lebenserfahrungen und Verbindungen zu den verschiedenen Bevölkerungsgruppen sollen in die Entscheidungen über die soziale Sicherheit einfließen.
In der vorliegenden Arbeit wird das der Gesetzlichen Krankenversicherung immanente Ordnungsprinzip der Selbstverwaltung dargestellt. Nach einer geschichtlichen Einführung und Begriffsbestimmung wird die organrechtliche Organisation der Selbstverwaltung der Gesetzlichen Krankenkassen (GKV) in Aufbau, Zusammensetzung und Aufgabe insbesondere in der Innensicht der Versicherungsträger auf regionaler und überregionaler Ebene mit der neuen, zum 01.10.2005 geltenden Rechtslage, dargestellt.
Inhaltsverzeichnis
Abbildungsverzeichnis
1. Einleitung
2. Begriff der Selbstverwaltung
3. Die geschichtliche Entwicklung der Selbstverwaltung in der GKV
3.1. Hilfskassengesetz vom 07. April 1876
3.2. Die kaiserliche Botschaft von 1881
3.3. Krankenversicherungsgesetz von 1883 und seine Novelle aus 1892
3.4. Die Reichsversicherungsordnung (RVO)vom 19.11.1911
3.5. Drittes Reich
3.6. Regierungserklärung von Dr. K. Adenauer am 20. September 1949
3.7. Selbstverwaltungsgesetz vom 22. Februar 1951
3.8. Gesundheitsstrukturgesetz (GSG) vom 21. Dezember 1992
4. Bildung und Errichtung der Selbstverwaltung
4.1. Organisation der GKV
4.2. Organisation der Selbstverwaltung
4.2.1. Selbstverwaltungsorgane in der GKV
4.2.2. Zusammensetzung und Größe der Selbstverwaltungsorgane
4.3. Sozialversicherungswahlen
4.3.1. Wahlrecht
4.3.2. Wählbarkeit
4.3.3. Die Sozialwahl
4.4. Aufgaben des Verwaltungsrates
5. Das GKV-System als selbstverwaltete mittelbare Staatsverwaltung
5.1. Die gesetzlichen Krankenkassen
5.2. Arbeitsgemeinschaft der Spitzenverbände der Krankenkassen
5.3. Deutsche Verbindungsstelle Krankenversicherung-Ausland
5.4. Gemeinsamer Bundesausschuss
5.5. Medizinischer Dienst der Krankenkassen
6. Schlussbetrachtung
7. Literaturverzeichnis
Abbildungsverzeichnis
Abbildung 1; Kaiserliche Botschaft von 1881; Quelle unbekannt
Abbildung 2; Selbstverwaltungsorgane der Krankenversicherungsträger, eigene Darstellung
Abbildung 3; Zusammensetzung der Selbstverwaltungsorgane; eigene Darstellung
Abbildung 4; Bestimmung der Größe des Verwaltungsrates; Tabelle BVA
Abbildung 5; Sozialversicherungswahlen ab 1968 in Zahlen; eigene Darstellung
Abbildung 6; Wahlverfahren zur Selbstverwaltung / zu den Organen der GKV,
Abbildung 7; Höchstzahlverfahren d’Hondt, eigene Darstellung
1. Einleitung
Unser Sozialstaat hat viele Stärken. Eine der wichtigsten ist die Selbstverwaltung der Sozialversicherungen. Bereits bei der Gründung der Sozialversicherungen in den achtziger Jahren des 19. Jahrhunderts wurde die Selbstverwaltung als Organisationsprinzip festgelegt. Damals wie heute stand die Idee dahinter, durch eine dezentrale Verwaltung der Versicherungsträger die Verantwortung und Steuerung in die Hände derjenigen zu legen, die durch das umfangreiche Sicherungssystem geschützt werden sollen. Dies sind zum einen die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, die gegen die Wechselfälle des Lebens abgesichert werden und zum anderen die Arbeitgeber, die auf der Grundlage sozialen Friedens Planungssicherheit erhalten. Entsprechend wird die Sozialversicherung in der Bundesrepublik Deutschland nicht durch eine allgemeine staatliche oder kommunale Verwaltung ausgeführt, sondern von eigenständigen Verwaltungen mit besonderem Charakter und einer eigenen Rechtspersönlichkeit. Wesentliche Kennzeichen sind die Unabhängigkeit gegenüber staatlichen Behörden und die Einbindung der Beitragszahlerinnen und -zahler in den Verwaltungs- und Entscheidungsprozess. Das Organisationsprinzip der sozialen Selbstverwaltung beruht, wie auch die Mitbestimmung, die Vermögensbeteiligung der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer und die Tarifautonomie, auf dem Prinzip der sozialen Partnerschaft. Der demokratische Gedanke der „Regierung durch die Regierten“ bildet die Grundlage für die Einbeziehung von Arbeitnehmer- und Arbeitgebervertretern in die Verwaltungstätigkeit der Sozialversicherungsträger. Ihre Lebenserfahrungen und Verbindungen zu den verschiedenen Bevölkerungsgruppen sollen in die Entscheidungen über die soziale Sicherheit einfließen.[1]
In der vorliegenden Arbeit wird das der Gesetzlichen Krankenversicherung immanente Ordnungsprinzip der Selbstverwaltung dargestellt. Nach einer geschichtlichen Einführung und Begriffsbestimmung wird die organrechtliche Organisation der Selbstverwaltung der Gesetzlichen Krankenkassen (GKV) in Aufbau, Zusammensetzung und Aufgabe insbesondere in der Innensicht der Versicherungsträger auf regionaler und überregionaler Ebene mit der neuen, zum 01.10.2005 geltenden Rechtslage, dargestellt. Insbesondere wegen der dieses Jahr stattfindenden Sozialwahlen, aber auch wegen der eingetretenen und zum 01.10.2005 eintretenden Änderung der Selbstverwaltung in der GKV nimmt dieses Thema eine aktuelle Bedeutung ein. Danach wird ein Paradigmenwechsel vorgenommen. Sowohl die Organisation des GKV-Systems als selbstverwaltete mittelbare Staatsverwaltung, als auch die Aufgaben für die Bevölkerung werden, wenn auch nur kurz, angesprochen.
2. Begriff der Selbstverwaltung
Der Gedanke der Selbstverwaltung ist eng verknüpft mit dem Wunsch nach Selbstbestimmung des Einzelnen. Damit einher geht das allgemeine Streben nach politischer, menschlicher und sozialer Freiheit. Das sprachliche Pendant zur Selbstverwaltung bildet der Begriff der Verwaltung durch andere, also durch den Staat und seine Behörden. Nur wo es staatliche Verwaltung gibt, macht der Begriff Selbstverwaltung Sinn, nämlich als Gegenstück, mit dem bestimmte Bereiche ausgegrenzt und vor direktem staatlichen Zugriff geschützt werden. In Bezug auf die GKV kennzeichnet das Selbstverwaltungsprinzip vor allem die rechtliche Selbstständigkeit gegenüber der unmittelbaren Staatsverwaltung.[2]
Das Selbstverwaltungsprinzip stellt im rechtstechnischen Sinne die mittelbare Staatsverwaltung dar.[3]
Sofern die Gestaltung der Rechtsverhältnisse zwischen Versicherten und Krankenkasse zur Debatte steht, kann man von äußerer Selbstverwaltung sprechen. Hingegen kann der Bereich der Selbstorganisation (Organisation-, Finanz-, Personal- und Planungswesen) der inneren Selbstverwaltung zugeordnet werden.[4]
Das Ordnungsprinzip folgt verschiedenen Prinzipien:[5]
1.) dem Subsidiaritätsprinzip, wonach staatliche Gewalt soweit wie möglich durch kleine, bürgernahe Einheiten ausgeübt werden soll;
2.) dem Prinzip der Partizipation, d.h. der ehrenamtlichen Beteiligung der Versicherten und Arbeitgeber an der Selbstverwaltung in der GKV;
3.) Dem Prinzip der vertikalen Gewaltenteilung, d.h. der Aufteilung der Staatsgewalt nicht nur horizontal auf Parlament, Exekutive und Judikative, sondern auch auf verschiedene hierarchische Ebenen, die eine Machtbegrenzung bewirkt;
4.) Dem Prinzip des Pluralismus, das sich im Zusammenwirken von Arbeitgebern, Gewerkschaften und sonstigen Versichertenvereinigungen in der Selbstverwaltung der Krankenversicherung verwirklicht.
Das Sozialgesetzbuch enthält keine Definition des Begriffs Selbstverwaltung, umschreibt aber in § 29 ihre entscheidenden Kriterien:
1.) Rechtliche Selbständigkeit (Selbstverwaltung im Rechtssinne, Abs. 1)
2.) Mitwirkung der Betroffenen (ehrenamtliche Selbstverwaltung, Abs. 2 sowie § 40 Abs. 1 Satz 1)
3.) Ausgliederung aus der allgemeinen Staatsverwaltung und Einräumung selbständiger Entscheidungsbefugnisse in eigener Verantwortung (materielle Selbstverwaltung, Abs. 3).
Die Selbstverwaltung in der Sozialversicherung ist in ihrem Kernbestand verfassungsrechtlich durch Art. 87 Abs. 2 GG gedeckt. Das SG Stuttgart hat mit Beschluss vom 26.9.1986 - S 6A 165/85 - der Selbstverwaltung in der Sozialversicherung eine verfassungsrechtlich geschützte Garantie zugesprochen.[6]
3. Die geschichtliche Entwicklung der Selbstverwaltung in der GKV
Das Ziel der sozialen Sicherheit wird in den europäischen Staaten mit unterschiedlichen Organisationsformen der Sozialleistungsträger verfolgt. Die verschiedenen Wege, die zum gleichen Ziel führen, sind vor allem durch die geschichtliche Entwicklung in den jeweiligen Ländern bestimmt. So ist auch die Organisation der Gesetzlichen Krankenversicherung weniger rational als historisch bedingt.[7]
Es erfolgt ein kurzer historischer Überblick über die Entwicklung der Selbstverwaltung in der GKV.
3.1. Hilfskassengesetz vom 07. April 1876
Auch wenn den „eingetragenen Hülfskassen“ eine weitgehende Organisationsfreiheit zugestanden wurde; sie mussten eine Generalversammlung und einen Vorstand haben. Letzterer vertrat die Kasse nach Maßgabe der Statuten gerichtlich und außergerichtlich. Die Überwachungsfunktion über den Vorstand oblag grundsätzlich der Generalversammlung. Aufgrund der Konzeption der Hilfskassen als sehr kleine Einrichtungen, sowie der geringen Finanzausstattung wurden die Aufgaben ehrenamtlich in reiner Selbstverwaltung wahrgenommen. Diese gesetzgeberische Idee zur Krankenversicherungsselbstverwaltung sollte die Arbeiter zur „verantwortlichen Teilnahme an sozialen Reformen“ erziehen.[8]
3.2. Die kaiserliche Botschaft von 1881
Die Geburtsurkunde der gesetzlichen Krankenversicherung. Infolge der kaiserlichen Botschaft entstand eine Sozialgesetzgebung in Form einer öffentlich-rechtlichen Zwangsversicherung. Das System der Selbstverwaltung durch Arbeitnehmer und Arbeitgeber setzte sich aufgrund der guten Erfahrungen mit den Hilfskassen durch.[10][9]
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 1; Kaiserliche Botschaft von 1881; Quelle unbekannt
3.3. Krankenversicherungsgesetz von 1883 und seine Novelle aus 1892
Es wurde klargestellt, dass die Organe der Kassen Vorstand und Generalversammlung sind. Der Vorstand nahm die laufende Verwaltung nach Maßgabe der Statuten wahr. Er war ehernamtlich und unentgeltlich tätig; nur ein Auslagenersatz für Verdienstausfall war vorgesehen. Der Generalversammlung oblag die Aufsichtsfunktion.[11] Beiden Einrichtungen gehörten als Mitglieder die Versicherten bzw. Vertreter der Versicherten an. Die Arbeitgeber erhielten das Recht einer angemessenen Vertretung. Mehr als ein Drittel der Stimmen, was ihrem Beitragsaufkommen entsprach, hatten sie allerdings in keinem der beiden Selbstverwaltungsorgane.[12] Die Aufgaben der Selbstverwaltung konnten wegen ihres öffentlich-rechtlichen Charakters nicht an einen hauptamtlichen Geschäftsführer übertragen werden. Zulässig war nur eine jederzeit widerrufliche, gesondert kenntlich zu machende „Beauftragung“ eines Geschäftsführers. Die Hilfskonstruktion umging das Gebot der Selbstverwaltung und führte erst viele Jahre später in Folge zur Weiterentwicklung der rechtlichen Organisation der Krankenkassen.[13]
3.4. Die Reichsversicherungsordnung (RVO)vom 19.11.1911
Die RVO fasste in mehreren Büchern die Regelungen des Sozialversicherungssystems zusammen. In den Grundvorschriften waren über Verfassung und Verwaltung Regelungen enthalten. Damit hatten Krankenkassen, als Ausfluss des am 01.Januar 1900 in Kraft getretenen BGB, Rechtsfähigkeit erlangt. Sie erhielten die Stellung als Körperschaft öffentlichen Rechts und waren forthin selbständige juristische Person. Dadurch bedurften sie eine gesetzliche Vertretung – den Vorstand, der sie gerichtlich und außergerichtlich vertrat und im Innenverhältnis verwaltete. Daneben bestand ein zweites Selbstveraltungsorgan – der Ausschuss, dessen Aufgaben u.a. auch die autonome Rechtsetzung war. Gewählt wurden die Organe auf vier Jahre nach den Grundsätzen der Verhältniswahl. Die Selbstverwaltungsorgane setzten sich aus Vertretern der Versicherten und Arbeitgebern zusammen. Grundsätzlich erhielten die Arbeitgeber ein Drittel der Mandate entsprechend ihres Beitragsaufkommens. Bei Betriebskrankenkassen hatte der Arbeitgeber die Hälfte der Stimmen.[14]
[...]
[1] DGB; Soziale Selbstverwaltung – dabei sein, wenn entschieden wird; DGB; März 2004
[2] D. Leopold; Die Selbstverwaltung in der Sozialversicherung, Asgard-Verlag; 5. Auflage; S. 49
[3] D. Leopold; Die Selbstverwaltung in der Sozialversicherung, Asgard-Verlag; 5. Auflage; S. 55
[4] Ebd.; S. 53
[5] Ebd.; S. 53
[6] BMGS; Die Selbstverwaltung und ihre Aufgaben; http://www.bmgs.bund.de/deu/gra/ministerium/beauf/5060.cfm; Stand 25.04.2004
[7] Robert W. Seegmüller, Der hauptamtliche Vorstand der gesetzlichen Krankenversicherung, Erich Schmidt Verlag, S. 18
[8] Ebd.
[9] Abbildung der Kaiserlichen Botschaft von 1881; http://www.baua.de/dasa/arbeitswelt.pdf Stand 26.05.2005
[10] D. Leopold; Die Selbstverwaltung in der Sozialversicherung, Asgard-Verlag; 5. Auflage; S. 81/82
[11] Robert W. Seegmüller, Der hauptamtliche Vorstand der gesetzlichen Krankenversicherung, Erich Schmidt Verlag, S. 19/20
[12] D. Leopold; Die Selbstverwaltung in der Sozialversicherung, Asgard-Verlag; 5. Auflage; S. 55
[13] Robert W. Seegmüller, Der hauptamtliche Vorstand der gesetzlichen Krankenversicherung, Erich Schmidt Verlag, S. 19/20
[14] Vgl. D. Leopold; Die Selbstverwaltung in der Sozialversicherung, Asgard-Verlag; 5. Auflage; S. 85-87
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