Eine medienökonomische Analyse der Auswirkungen von IPTV


Diplomarbeit, 2007

92 Seiten, Note: 1,3


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1 Problemstellung

2 Auswirkungen von IPTV auf die Programmvielfalt
2.1 Einfluss unbegrenzter Übertragungsmöglichkeiten auf die Vielfalt
2.2 Einfluss der Finanzierungsform auf die Vielfalt
2.3 Zwischenfazit

3 Auswirkungen von IPTV auf die Programmqualität
3.1 Einfluss der Finanzierungsform auf die Qualität
3.2 Einfluss unbegrenzter Übertragungsmöglichkeiten auf die Qualität
3.3 Zwischenfazit

4 Einfluss des öffentlich-rechtlichen Rundfunks auf das private IPTV-Angebot

5 Fazit

6 Anhang

7 Literaturverzeichnis

Problemstellung

„Nix bliev wie et wor“ (Kölsches Grundgesetz)

Im Laufe der letzten 50 Jahre hat der technologische Fortschritt beständig neue Möglichkeiten hervorgebracht, um Fernsehinhalte zu den Zuschauern zu transportieren. Zum terrestrischen Fernsehempfang über die Hausantenne kam die Übertragung via Kabel und Satellit hinzu. Seit einigen Jahren ist es nun auch möglich, Programme über das Internet zu versenden, womit sich für die Fernsehanbieter ein vierter Übertragungsweg eröffnet. Dieser vierte Weg weist einige Charakteristika auf, durch die er sich von den bisher genutzten Pfaden unterscheidet. So gehören Sorgen bezüglich begrenzter Übertragungskapazitäten der Vergangenheit an.

Welche Implikationen die neue Übertragungsmöglichkeit genannt „IPTV“ für die tatsächliche Programmvielfalt (definiert als Anzahl unterschiedlicher Programmangebote) hat, darüber scheiden sich die Geister. Während zum Beispiel Thomas Langheinrich, Präsident der Landesanstalt für Kommunikation Baden-Württemberg, mit einer ähnlichen Vielfalt wie bei den anderen Übertragungswegen rechnet (vgl. Langheinrich 2006, S. 4), erwartet Jeffrey Hart vom Political Science Department der Indiana University eine viel größere Angebotsvielfalt, „not unlike the greater diversity of audio offerings that occured with the transition from LP records to digital compact discs“ (Hart 2004, S. 214).

Ähnlich widersprüchlich sind auch die Einschätzungen bezüglich des Einflusses auf die Programmqualität (definiert als Investitionen in das Programmbudget beziehungsweise als Programmkosten). So rechnet Eli Noam vom Columbia Institute for Tele-Information ausschließlich mit „high-cost content“ (Noam 2004, S. 241). Dem gegenüber glaubt David Waterman vom Department of Telecommunications der Indiana University an einen „dichotomous mix of niche-oriented, but relatively cheap Internet-original fare on the one side, and mass appeal, relatively expensive multi-market syndicated programming, on the other“ (Waterman 2001, S. 21).

Ziel dieser Arbeit ist daher, die Auswirkungen des neuen Übertragungswegs auf die Vielfalt und Qualität des Fernsehangebots mit Hilfe von Modellen der Programmwahl zu klären. Insbesondere soll auch untersucht werden, wie die durch IPTV hervorgerufenen Veränderungen in der Fernsehlandschaft die volkswirtschaftliche Wohlfahrt beeinflussen und ob sich daraus Anreize für die Gesellschaft ergeben, den neuen Verbreitungsweg zu fördern.

2 Auswirkungen von IPTV auf die Programmvielfalt

Die Programmvielfalt beziehungsweise die Anzahl unterschiedlicher Programmangebote spielt in vielen Modellen zur Analyse der Fernsehlandschaft eine wichtige Rolle, da sie als Maßstab dafür dient, wie gut den Präferenzen der Zuschauer durch ein marktmäßiges Fernsehangebot entsprochen wird und damit auch, welchen Nutzen sie daraus ziehen. Gleichzeitig ist die Programmauswahl eine zentrale Entscheidungsvariable für die Fernsehsender, mit der sie ihre Einnahmen zu maximieren versuchen.

Eine häufig geäußerte Befürchtung ist, dass der Marktmechanismus Programme benachteiligt, „die von einer im Vergleich zu den Opportunitätskosten zu kleinen Gruppe nachgefragt werden, d.h. kommerzielles Fernsehen diskriminiert von Minderheiten nachgefragte Meinungen“ (Schellhaaß 1994, S. 1). Da das Bundesverfassungsgericht im Rundfunkbereich aber eine Meinungsvielfalt fordert, die sich an den Interessen und Werten aller Bevölkerungsgruppen orientiert, setzen hier Begründungsmuster für die Einrichtung eines öffentlich-rechtlichen Rundfunks an, der die Unzulänglichkeiten der kommerziellen Programmanbieter ausgleichen soll. Kapitel 4 geht näher darauf ein, ob diese Forderung im Zeitalter von IPTV noch ihre Berechtigung hat.

Zunächst soll die Frage beantwortet werden, was IPTV überhaupt ist, um anhand dieser Definition die maßgeblichen Charakteristika herausarbeiten zu können, die den neuen Übertragungsweg von den alten Wegen unterscheiden und um eine Auswahl bezüglich der zu untersuchenden Modelle treffen zu können.

Langheinrich definiert Internet-Protokoll-Fernsehen (IPTV) als „digitale Übertragung von Fernsehprogrammen und Filmen über ein digitales Datennetz (...), bei der das Internetprotokoll IP verwendet wird“ (Langheinrich 2006, S. 1). IP-basiertes Fernsehen kann demnach über das Internet übertragen werden, aber auch über alle anderen Netze, das heißt, es ist auch „IPTV via Satellit“, „IPTV via Kabel“ oder „IPTV via Terrestrik“ möglich. Wer in der heutigen Diskussion über IPTV spricht, meint in der Regel aber die Übertragung über einen (breitbandigen) Internet-Anschluss (z.B. DSL, ADSL2+, VDSL). Beim „IPTV via Internet“ lassen sich zwei Grundformen unterscheiden: Das IPTV im weiteren Sinne und das IPTV im engeren Sinne.

IPTV im weiteren Sinne, häufig auch „Internet TV“ genannt, bezeichnet das Abspielen von einzeln aufrufbaren Fernsehsendungen oder ganzen Sendern über das Internet auf einem PC mit Hilfe einer Technologie, die Video-Streaming genannt wird (vgl. Noll 2004a, S. 4). Unter Streaming versteht man eine „technique for transferring data processed as a steady and continuous stream, allowing the client browser to start displaying the data before the entire file has been transmitted.” (Einav 2004, S. 215 - 216). Die Fernsehinhalte müssen also nicht wie beim klassischen Download komplett auf dem Computer gespeichert werden, bevor die Wiedergabe starten kann, was je nach Datenumfang mehrere Stunden in Anspruch nehmen kann. Während das Anschauen von heruntergeladenen Bewegtbildern also längerer Planung bedarf und die Nutzung eines solchen Services somit eher einem Besuch in der Videothek gleichkommt, ist beim Streaming „the viewing experience (...) more like that of television. Once viewed, the content does not remain on the viewer’s computer“ (ebenda). Streaming Video stellt also das Internet-Äquivalent zur herkömmlichen Fernseh-Technologie dar.

Um Streaming-Angebote nutzen zu können, benötigt der Zuschauer einen geeigneten Mediaplayer wie den Windows Media Player von Microsoft oder den QuickTime Player von Apple, der in der Regel als kostenloser Download zur Verfügung steht. Zudem sollte der Internet-Zugang des Nutzers eine Bandbreite von mindestens 300 Kilobit pro Sekunde (Kbit/s oder Kbps) haben, doch es gilt: Je höher die Bandbreite, desto höher ist auch die Bildqualität der Streaming Videos (vgl. Schildhauer 2003, S. 281 – 282).

Man unterscheidet weiterhin zwischen Live-Streaming, bei dem der Benutzer die Inhalte zeitgleich mit der Erstellung erhält und dem On-demand-Streaming, bei dem der Zuschauer archivierte Sendungen abrufen kann (vgl. ebenda). Üblicherweise zählen Video-on-Demand-Dienste nicht als Rundfunk, so dass dieser Aspekt des IPTV in manchen Definitionen ausgeblendet wird (siehe zum Beispiel Loebbecke et al 2003, S. 5). Der Abruf von Fernsehinhalten gemäß den individuellen Bedürfnissen stellt aber gerade eine besondere Stärke des IPTV dar. So müssen Video-on-Demand-Anbieter nicht mehr einen Film auf mehreren Kanälen zeitversetzt für eine große Anzahl an potentiellen Zuschauern ausstrahlen, um ihnen mehr Freiheit bezüglich des Startzeitpunktes zu gewähren. Stattdessen kann der Film individuell übertragen werden, so dass der Zuschauer auch zurückspulen und anhalten kann (vgl. Langheinrich 2006, S. 3). Video-on-demand-Angebote sind also mit IPTV einerseits für die Veranstalter leichter realisierbar und andererseits auch für die Zuschauer bequemer nutzbar. Erste Angebote wie das On-Demand-Portal „Maxdome“ der ProSiebenSat.1 Media AG sind über Werbespots im konventionellen Fernsehen (Slogan: „Alles zu meiner Zeit“) bereits bemüht, Kunden für ihr Internet-Protokoll-Fernsehen zu gewinnen (vgl. http://www.maxdome.de).

Das einfache Internet TV hat allerdings mit zwei Problemen zu kämpfen: Zum einen verfügen Fernsehanbieter oft nur über lokal beschränkte Rechte zur Aufführung von Filmen und anderen Inhalten, doch Angebote im Internet sind weltweit zugänglich (vgl. Marsden 2004, S. 128). Aus diesem Grund bieten die meisten etablierten Fernsehsender auf ihren Web-Auftritten nur ein Sammelsurium an Streaming-Schnipseln an, anstatt ihr gesamtes Programm zu streamen (siehe zum Beispiel das Internet TV-Angebot des ZDF, http://www.zdf.de/ZDFmediathek). Die Kanäle, die sich in Gänze im Internet präsentieren, sind entsprechend dieser Logik auch die Sender, die ihr Programm größtenteils selbst herstellen und auf keine Copyright-Regelungen Rücksicht nehmen müssen, wie Shopping-Sender oder Regionalsender.

Zudem kann beim Internet TV keine Garantie für eine konstant hohe Bildqualität gegeben werden. Das Internet ist nämlich ein so genanntes paketvermittelndes Netz, in dem die zu übermittelnden Daten nicht durch einen permanenten, durchgehenden Kanal zum Empfänger gelangen. Stattdessen werden die Daten beim Sender in einzelne Pakete aufgeteilt, die dann einzeln durch das Netz geschickt werden (vgl. Noll 2004b, S. 25). „Like trucks on the road, the packets mix with all other traffic before meeting the other trucks in the fleet at the destination“ (Marsden 2004, S. 115). Dabei müssen die Pakete meist über mehrere verschiedene Netzwerke wandern, die in ihrer Gesamtheit das Internet ausmachen. „When packets hop from one network onto another, they can be delayed or even lost at the junction“ (Marsden 2004, S. 120). Da der Internet TV-Anbieter nicht alle Netzwerke auf dem Weg zum Zuschauer unter seiner Kontrolle hat, kann er auch keine konstant hohe Datenübertragungsrate garantieren. Der Zuschauer muss also gelegentliche „Ruckelbilder“ in Kauf nehmen (vgl. Marsden 2004, S. 131).

Eine Lösung für diese Probleme bietet das IPTV im engeren Sinne. Das Endgerät, auf dem sich der Zuschauer die Inhalte ansieht, ist hier nicht der PC, sondern der Fernseher. Die oben erwähnten Datenströme werden dabei über eine Set-Top-Box, die mit dem DSL-Modem verbunden ist, auf das TV-Gerät übertragen (vgl. Goldmedia: Fernsehen per Internet-Protokoll... 15.10.2006, http://www.goldmedia.com/uploads/media/ Pressemeldung2_IPTV_2010). Da die Inhalte verschlüsselt an die Set-Top-Box gesendet und erst dort wieder dekodiert werden, lässt sich vermeiden, dass die Filme und Sendungen außerhalb des vom Copyright bestimmten Verbreitungsgebiets gesehen werden können.

IPTV im engeren Sinne wird vor allem von Telekommunikationsunternehmen beziehungsweise Internet-Providern vorangetrieben, denn die Möglichkeit, Fernsehen über das Internet-Protokoll zu empfangen, dient ihnen als Verkaufsargument für ihre breitbandigen DSL-Leitungen. Beispielhaft ist hier das VDSL-Projekt der Telekom anzuführen. Sie investiert rund 3 Mrd. Euro in ein neues Glasfasernetz, das eine Bandbreite von rund 50 Megabit pro Sekunde (Mbit/s oder Mbps) bieten soll. Die Kunden können über dieses Netz nicht nur telefonieren und im Internet surfen sondern auch Video-on-Demand-Angebote und rund 100 IPTV-Kanäle nutzen (vgl. o.V.: Telekom: VDSL kommt, T-Mobile mit Datenflatrate. Golem. 02.02.2006, http://www.golem.de/0602/43107.html).

Der Zugang zum Programmangebot ist lediglich über das Netz des Internet-Providers (im Beispiel: Telekom) möglich. „Er ist ‚Gatekeeper’ für die Content-Anbieter und bestimmt, welche Inhalte auf seiner Plattform angeboten werden“ (Pixelpark 2005, S.7). In diesem „geschlossenen System“, das mehr einem privaten Kabelnetzwerk als dem öffentlichen Netzwerk Internet gleicht, kann sich der Nutzer auf eine konstant hohe Bildqualität, meist in der Qualitätsstufe High-definition television (HDTV), verlassen.

Deswegen werden in einigen Definitionen nur geschlossene Systeme als vollwertiges IPTV anerkannt (siehe zum Beispiel Langheinrich 2006, S. 2). Diesem Beispiel zu folgen und das IPTV im weiteren Sinne auszuklammern, wäre insbesondere im Hinblick auf die folgende Analyse aber nicht ratsam. Denn während man in den geschlossenen Systemen viele etablierte Fernsehsender in der Angebotspalette entdecken kann, finden sich im „offenen System“ Internet TV, in dem jeder seine Inhalte publizieren kann und das nicht von einem einzigen Provider beherrscht wird, auch etliche neue Spieler als Programmanbieter, die bisher mit Fernsehen noch gar nichts zu tun hatten. Zu erwähnen wäre hier beispielsweise die ArtVoice Gruppe aus München, die sich auf „Entwicklung, Herstellung, Vermietung und Verkauf sowie den Betrieb ip-basierter Fernsehsender“ (http://www.artvoice.de) spezialisiert hat. Zielgruppe sind Unternehmen, Verlage, Radiosender, Verbände, Parteien oder Privatpersonen, die ihren eigenen spezialisierten Sender aufbauen wollen. Nach eigenen Angaben hat die Gruppe bereits 230 IPTV-Sender aufgebaut, darunter Unternehmenssender wie Bayer-TV, Branchensender wie Medizin-TV.com, Spartensender wie Musical-TV.com oder Schulungssender wie Tanzschul-TV.com. Zudem begünstigen die oben angeführten Copyright-Restriktionen im Internet TV-Bereich die Entstehung neuartiger Formate, da traditionelle Inhalte mangels entsprechender Rechte oft nicht übertragen werden können. „Without reruns to fill the channel space, web-based distributors will have to finance new programs“ (Carter 2004, S. 154). Ignoriert man die offenen Systeme, ignoriert man einen großen Teil der neu entstehenden Programmvielfalt.

Zusammenfassend bezieht sich die nachfolgende Analyse also auf offene wie geschlossene Systeme sowie auf Live-Streaming- und On-Demand-Angebote.

Gemeinsam haben alle erwähnten Formen des IPTV, dass sich für die Zuschauer durch die Telefonleitung des Internetanschlusses ein Rückkanal ergibt, „that allows the viewer to send information all the way back to the intelligence in the program provider’s system“ (Katz 2004, S. 35). Dies hat große Auswirkungen auf die Distributionskapazitäten, also auf die Anzahl der Programme, auf welche die Zuschauer zurückgreifen können. Zwar haben bereits Kabel- und Satellitenübertragung die Zahl der angebotenen Kanäle drastisch erhöht, „but transmission capacity still is tiny compared to the collection of available programming“ (ebenda). Grund für diesen Kapazitätsmangel ist, dass die bisherigen Übertragungstechnologien alle Programmsignale an alle Zuschauer schicken „and then filter out the unwanted ones at the viewers’ premises“ (ebenda). Welches Programm gewollt und welches ungewollt ist, bestimmt der Zuschauer mit seiner Fernbedienung. Bei dieser „One-to-many“-Übertragungweise, die Terrestrik, Kabel und Satellit gemein ist, existiert also auch ein kurzer Rückkanal, der dem Zuschauer Interaktivität im Sinne einer Programmauswahl ermöglicht, aber er reicht nur bis zum Fernseher selbst, wie im oberen Teil der Abbildung 1 illustriert ist.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Beim IPTV existiert dagegen eine individuelle Verbindung zwischen Fernsehanbieter und Zuschauer („One-to-one“-Übertragung), was den Rückkanal verlängert (siehe Abbildung 1, unterer Teil). So können über IPTV praktisch beliebig viele Programme angeboten werden, da jeweils nur das Programm über die Leitung zum Konsumenten transportiert wird, das dieser gerade sieht (vgl. Langheinrich 2006, S. 3). Noll hat berechnet, wie viele Sender die Telefonleitungen aus Glasfaserkabel transportieren könnten und kam zu dem Schluss, dass genug Kapazität vorhanden ist „to carry 12.5 million compressed video programs at 4 Mbps each“ (Noll 2004b, S. 26).

Aus unbegrenzten Übertragungsmöglichkeiten auf unbegrenzte Programmvielfalt zu schließen, wäre aber zu kurz gegriffen. Denn es besteht ja auch die Möglichkeit, dass die Programmveranstalter die Übertragungsmöglichkeiten nicht nutzen, um viele unterschiedliche Programmangebote zu Tage zu fördern, sondern nur „more of the same“ bieten, also beispielsweise besonders erfolgreiche Programme, welche die breite Masse ansprechen, immer wieder duplizieren. Das würde den Nutzen, den die Konsumenten aus dem Fernsehangebot ziehen, nicht sonderlich erhöhen. Deshalb ist es notwendig, ein mathematisches Modell zu Rate zu ziehen, das den Einfluss unbegrenzter Übertragungsmöglichkeiten auf die Vielfalt genauer untersucht.

2.1 Einfluss unbegrenzter Übertragungsmöglichkeiten auf die Vielfalt

Eli Noam analysiert in seinem Paper „A public and private-choice model of broadcasting“ von 1987 (1988 überarbeitet) vorrangig den Zusammenhang zwischen institutioneller Struktur des Fernsehens und Programmvielfalt. Insbesondere geht es um den Vergleich der Programmwahl von kommerziellen, direkt von der Politik kontrollierten und unabhängigen öffentlich-rechtlichen Sendern, um die medienökonomische Berechtigung letztgenannter Konstruktion zu prüfen. Im Rahmen dieser Analyse zeigt Noam, wie sich die Aufhebung von Kapazitätsbeschränkungen auf die Programmwahl kommerzieller Anbieter auswirkt. Auf diesen Aspekt werde ich im Folgenden näher eingehen.

Noams Modell basiert auf der Public-Choice-Theory, die untersucht, wie sich politische Parteien positionieren, um die Anzahl ihrer Wähler zu maximieren. Noam überträgt diesen Ansatz auf das Fernsehen. Da er zunächst von werbefinanzierten Sendern ausgeht und annimmt, dass alle Zuschauer der Werbeindustrie gleich viel wert sind, ist das Kalkül durchaus vergleichbar. Statt Wähler zu maximieren, maximieren die Sender Zuschauer, was gleichzeitig ihre Werbeeinnahmen maximiert.

Der Einfachheit halber hat er ein geometrisches Modell konstruiert: Die Fernsehprogramme sind nach ihrem kulturellen Gehalt auf einer Achse von niedrigem kulturellen Niveau („low culture“) bis hin zu hohem kulturellen Niveau („high culture“) angeordnet. Der kulturelle Gehalt eines Programms ist hierbei nicht mit der Programmqualität gleichzusetzen. Noam definiert Qualität als „technische und künstlerische Leistung innerhalb eines gegebenen Niveaus“ (Noam 1988, S. 202), so dass Programme von niedrigem kulturellen Niveau auch von hoher Qualität sein können und Programme mit hohem kulturellen Niveau von niedriger Qualität.

Jedes Programmniveau lässt sich einem Teil des Fernsehpublikums in der Weise zuordnen, als dass dieses Programmniveau für diese Zuschauer die erste Wahl darstellt. So lassen sich Zuschauerpräferenzen und Programmniveaus verbinden. Noam nimmt an, dass die Geschmäcker ungleichmäßig in der Bevölkerung verteilt sind. Nur wenige Haushalte ziehen ein Programm mit besonders hohem kulturellen Niveau, beispielsweise eine philosophische Diskussionsrunde, allen anderen Programmen vor. Gleiches gilt für Programme mit besonders niedrigem kulturellen Niveau. „Die Primär-Präferenzen der Mehrzahl der Zuschauer liegen hingegen zwischen den beiden genannten Extremen“ (Noam 1988, S. 201). Die Programmpräferenzen folgen also einer Gaußschen Normalverteilung, wie sie in Abbildung 2 dargestellt ist.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Obwohl die Zuschauer ein bestimmtes Programmniveau vorziehen, sind sie auch bereit, Programme mit ähnlichem Niveau zu konsumieren, wobei diese Bereitschaft jedoch mit zunehmender Abweichung von der Erstpräferenz abnimmt. Im Modell wird dies dadurch umgesetzt, dass ein Programm mit dem Niveau P von Zuschauern im Umkreis B um P herum gesehen wird. In Abbildung 2 ist die Zuschauergruppe, die ein Anbieter mit dem Angebot von P erreichen kann, durch das Dreieck (P – B), (P + B) und X definiert.

Weiterhin nimmt Noam an, dass die Produktions- bzw. Beschaffungskosten eines Programms für alle Anbieter gleich hoch und vom Programmniveau unabhängig sind, das heißt, wir gehen von konstanten Programmkosten aus. Die Grenzkosten für die Belieferung eines zusätzlichen Haushalts mit dem Fernsehprogramm sind gleich Null.

Ein-Kanal-Fernsehen

Zunächst betrachte ich das Verhalten eines einzelnen kommerziellen Senders. Um seine Einnahmen zu maximieren, muss der Fernsehanbieter ein Programmniveau P1 wählen, welches die Zahl seiner Zuschauer, also das in Abbildung 2 bezeichnete Dreieck A, maximiert.

Die Fläche eines solchen Dreiecks beträgt (vgl. Paetec 1996, S.30):

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Die Höhe ist durch die Normalverteilung gegeben: Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten. Die Grundseite entspricht 2*B. Die Fläche des Dreiecks wird damit zu:

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Die Bedingung erster Ordnung lautet (Bedingung zweiter Ordnung: siehe Anhang S. I):

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Da der Ausdruck in den eckigen Klammern die Fläche des Dreiecks bezeichnet und diese nicht Null betragen kann, wenn der Fernsehanbieter beschließt in den Markt einzutreten und sich zu positionieren, muss Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthaltengelten. Der Fernsehanbieter wählt also ein mittleres Programmniveau, wie es in Abbildung 2 dargestellt ist.

Multikanal-Fernsehen

In einem nächsten Schritt senkt Noam die Markteintrittsschranken und lässt mehrere Sender zu. Die Senkung der Eintrittsschranken bezieht sich im IPTV in erster Linie auf die Aufhebung institutioneller Eintrittsbarrieren (vgl. Bauder 2002, S. 79), allen voran die Aufhebung der Kapazitätsbeschränkungen. Durch die Übertragung über das Internet-Protokoll müssen sich neue Sender nicht mehr mangels Verfügungsrechten über die Distributionsinfrastruktur um die Vergabe eines Übertragungskanals bei den Landesmedienanstalten bemühen. Auch die Lizenzierungserfordernisse für IPTV sind zumindest in Teilbereichen nicht ganz so hoch wie für das klassische Fernsehen. Denn Abrufdienste, also On-demand-Streaming-Angebote, gelten nicht als lizenzierungsbedürftiger Rundfunk, sondern fallen unter den Mediendienste-Staatsvertrag und sind damit zulassungs- und anmeldefrei (vgl. Mediendienste-Staatsvertrag, § 2 und § 4. Landesanstalt für Kommunikation Baden-Württemberg, http://www.lfk.de/gesetzeundrichtlinien/mediendienstestaatsvertrag/main.html).

Betrachten wir nun zunächst die Positionierung von zwei Sendern, X und Y, wie sie in Abbildung 3 veranschaulicht ist.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Der Anbieter Y wird sich neben den bereits existierenden Sender X genau so platzieren, dass seine Zuschauerzahl maximiert wird. Dabei kann es zu einer Überschneidung mit dem Zuschauerdreieck des Anbieters X kommen, so dass Publikum geteilt werden muss. Gegeben das Programmniveau des Anbieters X (Px), wählt der Anbieter Y sein Programmniveau Py demnach so, dass sein Dreieck Ay maximiert wird, abzüglich der Hälfte der Überschneidungsfläche S, denn dieses Publikum geht an den Sender X. Die Zielfunktion lautet also:

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Das Dreieck S berechnet sich analog zu dem Dreieck A:

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Die Berechnung von m erfolgt mit Hilfe des zweiten Strahlensatzes (vgl. Paetec 1996, S. 28). Wendet man den Satz auf die Dreiecke Ax und S an, erhält man für m:

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Für S folgt dann:

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Die Zielfunktion lautet dann:

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Diese Gleichung ist die Reaktionsfunktion Py = f (Px). Da der Anbieter Y durch die Platzierung seines Programms die Zuschauerzahl von Anbieter X reduziert, wird X seine eigene Position aber nicht beibehalten, sondern verändern. Daraus ergibt sich seine Reaktionsfunktion Px = g (Py). X und Y finden ihre gleichgewichtigen Positionen auf entgegen gesetzten Seiten neben dem Gipfel der Verteilung. Sie wählen also nicht das gleiche Programmniveau. Vielmehr wird „die rationale kommerzielle Politik die einer Differenzierung sein“ (Noam 1988, S. 208).

Kommen weitere Sender hinzu, wiederholt sich dieser Platzierungsprozess. Je mehr Anbieter im Markt sind, desto stärker schreitet die Differenzierung voran. Die Sender positionieren sich nicht nur nahe dem Gipfel, sondern weichen stärker an die Ränder der Verteilung aus, so dass auch weiter außen liegende Programmpräferenzen in zunehmenden Maße bedient werden. Diese verstärkte Berücksichtigung von Minderheitengeschmäckern im Programmspektrum - Richtung „high culture“ beziehungsweise „low culture“ nehmen die Zuschauerzahlen ab - ist auch im IPTV zu beobachten. Ein Beispiel stellt der Spartenkanal „Mozart 22“ dar, um Noams Kulturgehalt-Einstufung treu zu bleiben. Dieses ausgeprägte „high culture“-Angebot hatte das IPTV-Unternehmen „Morechannels“ anlässlich des 250. Geburtstags des Komponisten ins Leben gerufen. Der Kanal präsentierte das gesamte Opernbühnenwerk Mozarts, welches bei den Salzburger Festspielen 2006 zur Aufführung kam (vgl. o.V.: Mozartopern bald im Internet zu bewundern. Digitalfernsehen. 16.08.2006, http://www.digitalfernsehen.de/news/ news_druck_102493.html).

Gleichzeitig verringern sich die Abstände zwischen den gewählten Programmniveaus, das heißt, den Zuschauern werden bessere Substitutionsmöglichkeiten für ihre ersten Programmpräferenzen geboten. Die größte Programmauswahl wird sich in der Umgebung des mittleren Programmniveaus entwickeln, das die Mehrzahl der Zuschauer bevorzugt.

Auch die Bandbreite B der primären Zuschauerschaft eines Senders verkleinert sich, je mehr Anbieter hinzukommen, was auf eine zielgruppenspezifische Spezialisierung der Sender schließen lässt. Beispiele für ein solches „Narrowcasting“ finden sich im IPTV-Bereich zuhauf. So sind im geschlossenen IPTV-System der Telekom etliche Spartenkanäle wie Bibel.TV, History-Channel oder der Musiksender Mezzo TV verfügbar (vgl. http://www.t-home.de). Auch das Geschäftsmodell der bereits erwähnten ArtVoice Gruppe, die im offenen System agiert, gründet sich auf eine besonders starke Zielgruppenspezialisierung (vgl. http://www.artvoice.de).

Dass eine größere Senderanzahl technisch machbar ist, bedeutet aber nicht automatisch, dass diese zusätzlichen Fernsehsender auch wirtschaftlich realisierbar sind. „Grenzen für die Zahl der Rundfunksender existieren selbst ohne gesetzliche Eintrittsschranken und Knappheit des Spektrums“ (Noam 1988, S. 211).

Um dies zu verdeutlichen, ist ein Maß für die Programmvielfalt vonnöten. Eine mögliche Messlatte wäre die Angebotsbreite, also die Ausdehnung vom niedrigsten angebotenen Programmniveau (Pl) zum höchsten angebotenen Niveau (Pr). Formal: S = Pr – Pl. Die Angebotsbreite misst, inwieweit außen liegende Programmpräferenzen bedient werden. Sie erfasst allerdings nicht, ob dies auch bei zentral gelegenen Präferenzen der Fall ist. Dies lässt sich anhand von Abbildung 4 verdeutlichen.

Die Angebotsbreite ist hier relativ groß. Trotzdem wird ein beträchtlicher Teil des Fernsehpublikums, der durch die Flächen T1 und T2 repräsentiert wird, nicht mit seinem bevorzugten Programmniveau versorgt. Um diese Zuschauer zu erreichen, sind weitere Kanäle in der Mitte der Verteilung nötig, angedeutet durch die gestrichelten Dreiecke in Abbildung 4.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Zur Ermittlung der übergreifenden Präferenzbefriedigung muss die Gesamtfläche der Dreiecke zu der Gesamtfläche unter der Zuschauerverteilungs-Kurve in Beziehung gesetzt werden. Man muss also erfassen, wie viel Prozent der potentiellen Zuschauer wirklich fernsehen.

Basierend auf Gleichung (2) hat Noam die Präferenzbefriedigung, die durchschnittliche Zuschauerzahl pro Kanal und die Veränderung dieser beiden Größen bei einer Variation der Kanalanzahl für eine mittlere Bandbreite (B = 1.5) berechnet. Die Ergebnisse sind in Tabelle 1 abgebildet.

Tabelle 1 (vgl. Noam 1987, S. 177)

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Wie aus der Tabelle ersichtlich ist, nähert sich der marginale Beitrag, den weitere Kanäle zur Präferenzbefriedigung leisten, schnell Null an. Auch die Zuschauerzahlen und somit die Werbeeinahmen der Sender sinken ab, je mehr Anbieter hinzukommen. „Hence, a mere addition of channels will, beyond a point, increase program diversity only slightly while challenging the economic foundation of the channels“ (Noam 1987, S. 176).

Die Angebotsbreite vergrößert sich beim Hinzukommen weiterer Kanäle symmetrisch. So wie sie sich nach rechts in Richtung „high culture“ ausdehnt, wandert sie auch nach links zur „low culture“ und fügt Angebote mittleren Programmniveaus hinzu. „Therefore, it may take a good number of additional channels in a market system to reach an outlying point“ (Noam 1987, S. 177). Inwieweit es sich für die Sender wirtschaftlich lohnt, diese außen liegende Präferenzen zu bedienen, lässt sich durch Einbeziehung einer Kostenfunktion ermitteln. Sie ist in Abbildung 5 durch die horizontale Gerade C dargestellt. Die glockenförmige Kurve beschreibt die Werbeeinnahmen, die sich aus Multiplikation des Tausenderkontakt-Preises (t) mit der Zuschauerzahl (Dreieck A) ergeben. Formal: Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten. Die wirtschaftlich machbare Angebotsbreite ist dort zu finden, wo die Einnahmenkurve über der Kostenkurve liegt, also zwischen den Punkten Pl und Pr in Abbildung 5.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Der neue Übertragungsweg IPTV kann die Ausdehnung des wirtschaftlich realisierbaren Programmbereichs auf zweierlei Weise beeinflussen, zum einen über die Kosten, zum anderen über die Einnahmen.

Kosten

Wie hoch die Distributionskosten des Internet-Protokoll-Fernsehens im Vergleich zu denen der etablierten Übertragungswege Terrestrik, Satellit und Kabel sind, darüber scheiden sich die Geister. Einav meint, dass „streaming Internet television content is currently more expensive than delivering similar content by cable or satellite“ (Einav 2004, S. 221). Zusätzlich zu den Fixkosten, die IPTV-Anbieter für die Bereitstellung von Speicherplatz im Internet („hosting“) und die Umwandlung der Filmaufnahmen in ein passendes Streaming-Media-Format („encoding“) zahlen müssen, entstehen nämlich noch hohe variable Kosten für das Streamen und die dazu erforderlichen Bandbreiten. Bei Fernsehinhalten, die auf herkömmlichem Weg - also in der „One-to-many“-Manier von Terrestrik, Satellit und Kabel - übertragen werden, fallen die Distributionskosten pro Programm an, so dass durch einen zusätzlichen Zuschauer keine zusätzlichen Kosten entstehen. Im IPTV fallen die Kosten dagegen pro Stream und damit pro Zuschauer an, da die Daten an jeden Empfänger einzeln versandt werden müssen (so genanntes Unicasting). Das erfordert enorm hohe Bandbreiten auf Seiten des Senders. „The more people who view a program, the more expensive it gets for the content provider“ (ebenda).

Diese Argumentation mag zwar für die offenen Systeme gelten, nicht aber für geschlossene Systeme. Im Gegensatz zum Einzelstreaming des Internet TV wird beim IPTV im engeren Sinne nämlich das so genannte Multicasting genutzt. Dabei werden Daten, die für mehrere Empfänger bestimmt sind, zunächst gesammelt losgeschickt. Erst an den spätest möglichen Punkten im Netz verzweigt sich dieser Datenstrom wieder in verschiedene Einzelströme (vgl. Klußmann 2001, S. 671). Für eine Multicast-Übertragung benötigt der Sender so erheblich weniger Bandbreite als für das Unicasting. Insofern kann das Problem der pro Zuschauer steigenden Kosten in einem Teilbereich des IPTV vernachlässigt werden.

Manche Autoren meinen sogar, dass die Distributionskosten bei der Übertragung via Internet-Protokoll geringer sind als bei Terrestrik, Satellit und Kabel. Waterman verweist beispielsweise darauf, dass „capacity or ‘carriage’ constraints become very minor on the Internet“ (Waterman 2001, S. 7). Wegen der Knappheit im Sendespektrum würden alle etablierten Übertragungswege signifikante Transportkosten aufweisen. So erfordere zusätzlicher Kanal in einem Übertragungssystem via Kabel „a major investment, even with digital compression technologies“ (ebenda). Wenn erst einmal eine gewisse Anzahl an Sendern erreicht ist, sind die Kosten für einen zusätzlichen Sender prohibitiv hoch. Im IPTV - egal ob man nun offene oder geschlossene Systeme betrachtet - hat dagegen immer noch ein zusätzlicher Sender Platz, ohne dass es zu einer Kostenexplosion kommt. Insofern ist es durchaus gerechtfertigt, von sinkenden Distributionskosten zu sprechen, was ich in der folgenden Analyse auch tun werde. Die Kostenkurve in Abbildung 5 verschiebt sich also von C nach C´. Dies erweitert den wirtschaftlich machbaren Programmbereich.

Einnahmen

Nun zur Einnahme-Seite: Zusätzliche Programmangebote erhöhen die absolute Zuschauerzahl, da nun Zuschauergruppen erreicht werden, deren Präferenzen vorher nicht bedient wurden. Das verschiebt die Einnahmekurve nach oben. In Abbildung 5 ist dies durch die Kurve R2 dargestellt, welche die Einnahmen von zwei Sendern beschreibt. Andererseits müssen sich nun mehrere Sender diese Einnahmen teilen. Da die durchschnittliche Zuschauerzahl pro Sender mit einer Erhöhung der Programmangebote sinkt (siehe Tabelle 1), verringern sich auch die Einnahmen pro Sender. „Hence, the economically feasible range of program pitches may actually shrink in a multichannel environment, if the channels’ source of revenues is conventional“ (Noam 1988, S. 182).

Es ist daher nötig, neue Einkommensquellen aufzutun. Noam verweist in diesem Zusammenhang auf die Möglichkeit, dass die Fernsehsender sich ihr Programmangebot nicht wie bisher überwiegend durch die Werbeindustrie sondern durch die Zuschauer selbst entlohnen lassen (vgl. Noam 1988, S. 211). Im Gegensatz zu werbefinanzierten Free-TV-Anbietern sind Pay-TV-Anbieter nämlich in der Lage, die Stärke der Zuschauernachfrage für verschiedene Programmniveaus zu berücksichtigen. So können die Programmanbieter die Zahlungsbereitschaft von Zuschauern abschöpfen, die über dem Einheitspreis liegt, den die Werbeindustrie für dieses Publikum zu zahlen bereit ist und damit höhere Einnahmen erzielen.

Die Einkommenssteigerung, die durch direkte Bezahlsysteme möglich ist, wird in Abbildung 5 durch die Einnahmekurve R3 dargestellt. Wie dort zu sehen ist, dehnt sich der wirtschaftlich machbare Programmbereich aus. Mit Nutzergebührenfinanzierung ist aber keinesfalls sichergestellt, dass er sich symmetrisch in Richtung „low culture“ und „high culture“ ausbreitet. Wenn man beispielsweise annimmt, dass das Einkommen eines Zuschauers seine Zahlungsbereitschaft für Fernsehprogramme widerspiegelt und höhere Einkommen mit der Präferenz für „high culture“-Programme positiv korreliert sind, wird vor allem der Geschmack von höheren Einkommensgruppen durch die Kapazitätsausweitung bedient. Die Einnahmekurve R3 würde dann auf der rechten Seite höher über R1 liegen als auf der linken Seite und der wirtschaftlich machbare Programmbereich würde sich vor allem in Richtung „high culture“-Angebote ausdehnen, wie durch die gestrichelte Kurve in Abbildung 5 angedeutet ist (vgl. Noam 1987, S. 182).

Da die durch IPTV begünstigten Angebotsformen wie Video-on-Demand und zielgruppenspezifische Spartenkanäle besonders stark auf die individuellen Präferenzen der Zuschauer eingehen, sind sie prädestiniert für eine Finanzierung über Nutzergebühren. Beim Pay-TV ergibt sich allerdings das Problem, dass die Zuschauer „differ in their willingness-to-pay, and the selection of a profit maximizing price necessarily excludes some viewers from the audience of the pay services“ (Wildman / Owen 1992, S.130).

Waterman weist aber darauf hin, dass IPTV die Möglichkeiten zur Preisdiskriminierung verbessert. Die Idee der Preisdiskriminierung basiert darauf, von jedem Zuschauer genau den Preis zu verlangen, den er zu zahlen bereit ist, um die Einnahmen zu maximieren. Die individuelle Zahlungsbereitschaft eines Konsumenten einzuschätzen, ist normalerweise ein schwer zu bewältigendes Unterfangen. Durch die individuelle Verbindung zum Zuschauer mit Rückkanal zum Anbieter, die durch IPTV gegeben ist, fällt aber die Identifikation von „low value costumers“ und „high value costumers“ leichter, so dass „Web sites can also engage in so-called dynamic pricing, by which consumers are charged different prices according to their perceived willingness to pay, based on prior purchasing habits on the web, website visiting habits, or other information“ (Waterman 2001, S. 11).

Zudem sind die Transaktionskosten für Pay-per-view-Angebote im Internet sehr gering. Über Micropayment-Systeme wie Paypal (vgl. http://www.paypal.de) können selbst kleinste Beträge „be automatically charged to a user via credit card or similar means“ (ebenda). Andererseits könnte es aber auch sein, dass IPTV-Anbieter verstärkt dazu übergehen, Programmbündel zu verkaufen, denn es ist auch eine effizientere Bündelung mehrerer Produkte möglich. „On the Internet, tailor-made packages can be offered to different consumers depending on buyer profile data, and interactivity allows choice among more complex menus or package variations than other media can efficiently offer“ (Waterman 2001, S.12). Dieses Vorgehen hilft, die Vorteile der Preisdiskriminierung, also das Abschöpfen der Konsumentenrente, zu einem Einheitspreis zu realisieren (vgl. Wildman / Owen 1992, S. 132 - 133). Das On-Demand-Portal „Maxdome“ versucht sich derzeit an beiden Angebotsformen: Einerseits können Zuschauer Movie-, Comedy- oder Serien-Pakete abonnieren, andererseits sind einzelne Fernsehinhalte auch im Pay-per-view-Verfahren abrufbar (vgl. http://www.maxdome.de).

Häufig wird angeführt, dass die Leichtigkeit, mit der Internetnutzer Inhalte kopieren und an andere Personen weiterverbreiten können („peer-to-peer“-Transfer) die Finanzierung über Nutzergebühren untergraben könnte. Diese Gefahr ergibt sich aber in erster Linie beim Download. Die dem IPTV zugrunde liegende Streaming-Technologie erschwert es den Nutzern dagegen, die empfangenen Daten dauerhaft zu speichern (vgl. Carter 2004, S. 151). Katz führt zudem an, dass die Personalisierung der Fernsehinhalte, die im IPTV durch die Interaktion über den Rückkanal möglich wird, das Raubkopieren teurer und schwerer macht.

[...]

Ende der Leseprobe aus 92 Seiten

Details

Titel
Eine medienökonomische Analyse der Auswirkungen von IPTV
Hochschule
Universität zu Köln  (Wirtschafts- und Sozialwissenschaftliche Fakultät, Staatswissenschaftliches Seminar)
Note
1,3
Autor
Jahr
2007
Seiten
92
Katalognummer
V76348
ISBN (eBook)
9783638733700
ISBN (Buch)
9783638735346
Dateigröße
780 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Eine, Analyse, Auswirkungen, IPTV
Arbeit zitieren
Diplom-Volkswirtin Friederike Krieger (Autor:in), 2007, Eine medienökonomische Analyse der Auswirkungen von IPTV, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/76348

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