Das gesamte Spektrum kompromissloser Religionsausübung in den USA reicht von quietistischen, sich von der restlichen Gesellschaft absondernden Gemeinschaften, über (vor allem) evangelikale Freikirchen und ihnen nahe stehenden, politischen Einfluss nehmenden Organisationen (wie z.B. der von Jerry Falwell gegründeten ‚Moral Majority’ ) bis hin zu extremistischen und rassistischen Gruppierungen. Gemeinsam ist allen jedoch eine fundamentalistische Auffassung von Religion , d.h. „ein spezifisches, religiöses Geschichtsbewusstsein [...], das auf besonderen metaphysischen und anthropologischen Annahmen fußt“ , die sich einer Hinterfragung kategorisch verweigern und den ausschließlichen Bezugspunkt allen spirituellen und weltlichen Denkens und Handelns des Gläubigen bilden.
Doch wie ist es nun zu erklären, dass in einem modernen, aufgeklärten, wissenschaftlich und politisch weltweit eine gewisse Vorreiter-Rolle einnehmenden Land wie den USA, das zudem gemeinhin mit Freiheit und Unabhängigkeit der dort lebenden Menschen assoziiert wird, ein beachtlicher Teil der Bevölkerung gerade diese Freiheit aufgibt, sich freiwillig persönlicher und sozialer Reglementierungen religiöser Art unterstellt und bereit ist, gegebenenfalls verbitterten Widerstand zu leisten gegen jene, die einen liberalen Lebensentwurf bevorzugen? Sind sie alle Fanatiker, berauscht von ihrem Glauben und blind vor Gotteseifer oder haben sie unter Umständen rationale Gründe, so zu handeln? Was sind die (inneren und äußeren) Bedingungen, die sie dazu bringen, nichts außer den eigenen Vorstellungen vom richtigen Weg zuzulassen und diesem unbeirrbar zu folgen?
Diesen Fragen soll im Folgenden, nach einem Blick über das religiös-kulturelle Terrain der USA (insbesondere das protestantische), nachgegangen werden. Hierbei werden vor allen Dingen Ansätze der rationalen Entscheidungstheorie (Rational Choice Theory) den methodischen Rahmen bilden.
Inhaltsverzeichnis
- Einleitung
- Die religiöse Landschaft der USA
- Stellenwert von Religion
- Konfessionszugehörigkeit
- Differenzierung protestantischer Glaubensgemeinschaften
- Aktivismus und Heilsgeschichte – Feine Unterschiede
- Die fundamentalistische Versuchung
- Amerika und die Säkularisierung
- Der religiöse Wettbewerb
- Liberale Kirchen und das Problem des free-ridings
- Wahrer Glaube als Lösung des free-rider Problems
- Die ökonomische Wissenstheorie
- Wissen als ökonomisches Gut
- Glaube als Folge rationaler Entscheidungen
- Normativ erzwungener Glaube
- Die Autokatalyse von Ausschlussnormen
- Stärkung durch Bedrohung
- Resümee
Zielsetzung und Themenschwerpunkte
Die Arbeit untersucht die Rolle und den Einfluss des Evangelikalismus in den USA, mit einem Schwerpunkt auf dem Phänomen des Fundamentalismus und dessen Auswirkungen auf die Gesellschaft. Dabei wird die These verfolgt, dass der Evangelikalismus in den USA eine spezifische Form des religiösen Aktivismus repräsentiert, die durch eine strikte Bibelauslegung und eine enge Verknüpfung von Glauben und politischem Handeln gekennzeichnet ist.
- Die religiöse Landschaft der USA: Stellenwert von Religion, Konfessionszugehörigkeit und Differenzierung protestantischer Glaubensgemeinschaften.
- Der Einfluss des Fundamentalismus auf die amerikanische Gesellschaft: Die Bedeutung von Bibelauslegung und die Verbindung von Glauben und politischem Handeln.
- Die Rolle des Evangelikalismus im Kontext des religiösen Wettbewerbs und die Herausforderungen der Säkularisierung.
- Die ökonomische Wissenstheorie und ihre Anwendung auf religiösen Glauben: Rationalität, Glaube und die Folgen normativer Zwänge.
- Die Auswirkungen des Fundamentalismus auf verschiedene Bereiche der amerikanischen Gesellschaft, wie z.B. Bildung, Politik und Kultur.
Zusammenfassung der Kapitel
Die Einleitung beleuchtet den Hintergrund und die Motivation der Arbeit durch die Analyse einer provokanten Aussage des Televangelisten Jerry Falwell nach den Terroranschlägen vom 11. September 2001.
Das zweite Kapitel beleuchtet die religiöse Landschaft der USA. Es betrachtet den Stellenwert von Religion in der amerikanischen Gesellschaft, die Konfessionszugehörigkeit der Bevölkerung und die Unterschiede zwischen verschiedenen protestantischen Glaubensgemeinschaften. Die Analyse fokussiert auch auf die Verbindung von Aktivismus und Heilsgeschichte innerhalb dieser Gruppen.
Das dritte Kapitel beschäftigt sich mit dem Phänomen des Fundamentalismus in den USA. Es untersucht den Einfluss der Säkularisierung auf die amerikanische Gesellschaft und die daraus resultierenden Herausforderungen für den religiösen Wettbewerb. Die Analyse konzentriert sich auf die Rolle des Evangelikalismus als Reaktion auf diese Herausforderungen, insbesondere auf die Problematik des "free-ridings" und die Suche nach Lösungen durch "wahren Glauben". In diesem Zusammenhang werden die ökonomische Wissenstheorie und ihre Anwendung auf den religiösen Glauben beleuchtet, wobei der Fokus auf die Rationalität von Glaubensentscheidungen, den normativen Zwang und die Autokatalyse von Ausschlussnormen liegt.
Schlüsselwörter
Der Text behandelt wichtige Themen wie Evangelikalismus, Fundamentalismus, Bibelauslegung, Säkularisierung, religiöser Wettbewerb, ökonomische Wissenstheorie, Glaube, Rationalität, normative Zwänge, Ausschlussnormen, amerikanische Gesellschaft und Politik.
- Quote paper
- Timo Klemm (Author), 2006, "A nation under God" - Die fundamentalistische Versuchung des Evangelikalismus in den USA, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/76516