Der Topos des Sehens hat im Rahmen der Philosophie eine lange und abwechslungsreiche Geschichte hinter sich. Dabei ist dieser historische Prozess durch eine sich wandelnde positive oder negative Deutung des Sehens selbst gekennzeichnet.
Die griechischen Philosophen schufen die Vorstellung des Sehens durch eine Zerlegung in Sehstrahlen, die vom Auge ausgehen und das anvisierte Ziel treffen. Von Euklid, also gegen Ende des vierten Jahrhunderts vor Christus bis zum zehnten Jahrhundert nach der Zeitenwende ist dieses Paradigma des Sehstrahls für das Verständnis des Sehens ausschlaggebend gewesen. Aus diesem gedanklichen Umfeld geht auch die Konzeption Platons hervor, auf die in dieser Arbeit näher eingegangen werden soll. Konkret sollen Platons Vorstellungen anhand des Sonnen- und Liniengleichnisses aus der Politeia und den entsprechenden Ausführungen in seinem Spätwerk Timaios veranschaulicht werden.
Da die Erkenntnis und die Einsicht von den Sinnen unabhängig sein soll und damit nicht in Phänomenen oder Erscheinungen gefunden werden kann, die immer abhängig vom wahrnehmenden Subjekt sind, muss es neben der „Dingwelt“ etwas von der Wahrnehmung des Subjekts Ausgeschlossenes geben, dem Platon einen höheren Wahrheitsgehalt zumessen kann. Diese zweite Welt firmiert als das „Reich der Ideen“. Platon ist infolgedessen der Begründer eines philosophischen Intellektualismus, der in einem Dualismus von Schauen und Sehen gipfelt. Schauen wird dabei als ein metaphorisches Sehen verstanden, als ein Sehen des Sehens.
Auf der anderen Seite hält Platon an dem in der griechischen Philosophie üblichen Primat des Sehsinns vor dem Hören fest. Er steht damit in einem Gegensatz zur hebräischen Tradition, die dem Gehorsam und dem Vernehmen des Wortes einen Vorzug gibt. Im Timaios betont Platon den vornehmen Charakter der Augen und er zeigt auf, in welch engem Zusammenhang Philosophieren und Sehen stünden. Das Sehen entfaltet sich bei Platon demzufolge zwischen übertragenem und begrifflichem Wortgebrauch.
Es wird an diesen einführenden Passagen sogleich deutlich, dass die Geschichte des Sehens bereits bei Platon eine Kritik des Sehens einschließt. Beides ist nicht isoliert voneinander zu betrachten. Die Leitfrage der Arbeit ist es daher, herauszuarbeiten, wie Platons Sehtheorie genau beschaffen ist und welche Bedeutung sie in seinem Werk einnimmt.
Inhaltsverzeichnis
- I. Einleitung und Hinführung zum Thema
- I.1 Die Verortung Platons in einer Kritik des Sehens
- II. Sehen und Erkennen in Platons Sonnen- und Liniengleichnis
- III. Das Auge als edler Sinn in Platons Timaios
- IV. Fazit - Platons Philosophie im Spannungsfeld von Sehen und Denken.
Zielsetzung und Themenschwerpunkte
Die Arbeit befasst sich mit Platons Begriff des Sehens und dessen Bedeutung in seiner Philosophie. Ziel ist es, Platons Vorstellungen vom Sehen im Kontext seiner Kritik am Sehvermögen darzulegen und zu analysieren, wie sich das Sehen im Spannungsfeld von sinnlicher Wahrnehmung und intelligibler Erkenntnis einordnet. Dabei stehen Platons Sonnen- und Liniengleichnis aus der Politeia und seine Ausführungen im Timaios im Mittelpunkt.
- Die Verortung Platons in der Geschichte der Kritik des Sehens
- Die Bedeutung des Sehens in Platons Sonnen- und Liniengleichnis
- Das Auge als edler Sinn in Platons Timaios
- Das Verhältnis von Sehen und Denken in Platons Philosophie
- Platons Konzept der "Ideenwelt" und deren Beziehung zur sinnlichen Welt
Zusammenfassung der Kapitel
I. Einleitung und Hinführung zum Thema
Die Einleitung gibt einen Überblick über die Geschichte des Sehens in der Philosophie, insbesondere die Bedeutung des Sehstrahlmodells in der antiken Philosophie. Sie erläutert die Bedeutung von Platons Werk für die Entwicklung der Kritik des Sehens und stellt die zentralen Thesen der Arbeit vor.
II. Sehen und Erkennen in Platons Sonnen- und Liniengleichnis
Dieses Kapitel analysiert Platons Sonnen- und Liniengleichnis, wobei die Funktion dieser Gleichnisse zur Darstellung der Idee des Guten hervorgehoben wird. Es wird die Beziehung zwischen der sinnlichen Welt und der Welt der Ideen sowie der Weg zur Erkenntnis der Ideen erläutert. Der Zusammenhang zwischen Sehvermögen und geistiger Erkenntnis im Kontext des Sonnengleichnisses wird beleuchtet.
III. Das Auge als edler Sinn in Platons Timaios
Dieses Kapitel untersucht Platons Ausführungen im Timaios, insbesondere seine Bewertung des Auges als edler Sinn. Es wird die besondere Stellung des Sehens in Platons Philosophie und seine Bedeutung für das Philosophieren beleuchtet.
Schlüsselwörter
Platon, Sehen, Kritik des Sehens, Sonnen- und Liniengleichnis, Timaios, Idee des Guten, sinnliche Welt, intelligible Welt, Erkenntnis, Schauen, Denken, Philosophie, dualistische Sichtweise, Sehstrahlmodell.
- Arbeit zitieren
- Tobias Thiel (Autor:in), 2007, Platons Begriff des Sehens, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/76612