Überholt und naiv oder von ungebrochener Aktualität? - Der „Baukasten zu einer Theorie der Medien“ von Hans Magnus Enzensberger 35 Jahre nach seiner Entstehung.


Hausarbeit, 2006

45 Seiten, Note: 1,0


Leseprobe


Inhalt

1. Einleitung

2. Der „Baukasten zu einer Theorie der Medien“:
Mobilisierende Kraft statt Bewußtseins-Industrie

3. Kommunikation statt Distribution
(Bertolt Brecht)

4. Technische Reproduzierbarkeit statt Aura
(Walter Benjamin)

5. Industrie statt Kultur
(Theodor W. Adorno)

6. Eine gewisse Nüchternheit –

Fazit und Kritik

Literaturverzeichnis

1. Einleitung

„Das offenbare Geheimnis der elektronischen Medien,

das entscheidende politische Moment, das bis heute

unterdrückt oder verstümmelt auf seine Stunde wartet,

ist ihre mobilisierende Kraft.“

(Enzensberger 1970: 160)

Will man den Zusammenhang zwischen neuen Medien, technischer Zivilisation und kulturellem Wandel untersuchen, ergibt sich eine Fülle von Fragestellungen.

Eine erste Frage wäre: Besteht denn überhaupt ein Zusammenhang zwischen neuen Medien und kulturellem Wandel oder sind es voneinander unabhängige Phänomene?

Geht man davon aus, dass eine Beziehung tatsächlich vorhanden ist, lässt sich nach unterschiedlichen Kausalzusammenhängen fragen: Bewirken neue Medien einen kulturellen Wandel oder bringt umgekehrt der kulturelle Wandel neue Medien hervor? Unter welchen Voraussetzungen fördern Medien kulturellen Wandel, wann verhindern sie ihn? Und selbst wenn die Medien den kulturellen Wandel nicht bewusst beeinflussen (können): Gibt es nicht mindestens eine zwangsläufige Prägung der Kultur durch das, was in und mit den Medien geschieht?

Als nächstes ließe sich fragen, ob der jeweils stattfindende kulturelle Wandel zu begrüßen oder zu bedauern ist. Den Kulturpessimismus auf die Spitze getrieben ist erst noch zu entscheiden, ob denn von einer „Zivilisation“[1]überhaupt die Rede sein kann.

In einem nächsten Schritt wäre es notwendig, sich der Technologie zu widmen und sich zu fragen: Werden die neuen Medien ihren Möglichkeiten entsprechend genutzt? Was sind die „neuen“ Möglichkeiten der neuen Medien? Oder gilt es zu akzeptieren, dass die technologischen Möglichkeiten niemals mit der faktischen Nutzung zusammenfinden werden?

Als Letztes in dem anzureißenden Spannungsbogen bleibt die Frage, wovon eigentlich die Prägekraft der Medien ausgeht – von den Medieninhalten oder von dem technischen Gerät? Und: Lässt sich das eine überhaupt getrennt vom anderen betrachten?

Es mag nun durchaus ungewöhnlich erscheinen, sich diesen Fragen mittels eines Textes zu nähern, der aus dem Jahr 1970 stammt. Aus mehreren Gründen ist der„Baukasten zu einer Theorie der Medien“[2]von Hans Magnus Enzensberger jedoch gerade geeignet, um sich der Trias von neuen Medien, technischer Zivilisation und kulturellem Wandel zu widmen. Zum Ersten denkt Enzensberger sehr konsequent alle drei Bereiche zusammen und formuliert eine starke Position, die Aspekte der Entwicklungsgeschichte der Medien exemplarisch verdeutlicht und zur Diskussion herausfordert; er thematisiert grundlegende Fragen der Kommunikationssoziologie bzw. der Medienwissenschaft. Zum Zweiten lassen sich ausgehend von diesem Text drei Klassiker aus dem Bereich der Kritischen Theorie (Bertolt Brecht, Walter Benjamin und Theodor W. Adorno) diskutieren, auf die Enzensberger Bezug nimmt und die sich ebenfalls und auf sehr unterschiedliche Art und Weise den Zusammenhängen von neuen Medien, technischer Zivilisation und kulturellem Wandel gewidmet haben. Wenn der Schwerpunkt dieser Arbeit auch vornehmlich darauf liegt, die Theorie desBaukastenszu rekonstruieren, so lässt sich durch das Gegeneinanderlesen der verschiedenen Autoren auch sehr gut zeigen, wie unterschiedlich sich die Eingangsfragen beantworten lassen und welche „blinden Flecken“ diesen Antworten jeweils zu Grunde liegen bzw. welche „blinden Flecken“ Folge der jeweiligen Antworten sind. Zum Dritten ist jedes Medium bei seiner Einführung ein „neues“, und insofern sind – wie die Darstellung zeigen wird – manche Prozesse und Mechanismen gleich, egal, ob es um den Buchdruck mit beweglichen Lettern, das Fernsehen oder das Internet geht. Deshalb lassen sich Enzensbergers Argumente und Anliegen auch auf später aufkommende Medien beziehen.

Im ersten Kapitel dieser Arbeit wird folglich die Argumentation imBaukastendargestellt und diskutiert. Die drei nächsten Kapitel diskutieren die jeweiligen Autoren, zu denen die stärksten Bezüge imBaukastenzu finden sind. Zu beachten ist, dass alle drei wirklich auf ihre Bezüge imBaukastenhin dargestellt werden. Trotzdem gilt der Anspruch, der jeweiligen Position des Autors gerecht zu werden. Da die Ansätze der einzelnen Autoren unterschiedlich komplex ausgearbeitet sind, musste unterschiedlich weit ausgeholt werden, um die jeweilige Position verständlich machen zu können.

Des Weiteren lassen sich an den Bezugnahmen Enzensbergers über Identifikation und Abgrenzung die Kernpunkte seiner eigenen Argumentation nochmals verdeutlichen. Gegenstand der Kritik in den einzelnen Kapiteln wird dann unter anderem auch sein, ob Enzensberger in seinen Bezugnahmen den Anliegen der anderen Autoren gerecht wird. Im abschließenden sechsten Kapitel wird dann – vor allem anhand späterer Äußerungen Enzensbergers – die Frage behandelt, was aus den damaligen Hoffnungen Enzensbergers geworden ist, welche Prognosen sich erfüllt und welche sich als falsch herausgestellt haben.

Wenn am Ende der Ansatz desBaukastensund seine auch heute noch vorhandene Fruchtbarkeit für die Analyse von neuen Medien, technischer Zivilisation und kulturellem Wandel deutlich geworden sind, ist das Ziel dieser Arbeit erreicht.

2. Der „Baukasten zu einer Theorie der Medien“: Mobilisierende Kraft statt Bewußtseins-Industrie

Wie der Titel schon sagt, bildet derBaukasteneine recht ungeordnete Ansammlung von Gedanken Enzensbergers zu den elektronischen Medien. Aus systematischen Gründen werden im Folgenden die 21 Bausteine in ihrer Struktur aufgelöst und zu neuen Themenblöcken – den übergeordneten Argumenten folgend – zusammengefügt.

Als Erstes ist die Frage zu beantworten, was nach Enzensberger die entscheidenden Kennzeichen der elektronischen Medien sind, die für ihn damals die „neuen“ Medien waren. Enzensberger stellt zwei entscheidende Merkmale fest. Das erste ist vor allem ein ästhetisches und kulturhistorisches: Er merkt an, dass die elektronischen Medien zum ersten Mal in der Kulturgeschichte nicht mehr Kunstwerke, sondern Programme schaffen (Enzensberger 1970: 184). Wurden bis dahin Bücher geschrieben, Bilder gemalt, Statuen geschaffen, die greifbar waren und einen bleibenden Wert als Gegenstand besaßen, so sind die Programme, die die elektronischen Medien liefern, „immateriell und beliebig reproduzierbar“ (ebd.: 167). Dadurch, dass sie „auf Reproduzierbarkeit hin angelegt“ (ebd.: 179) und „augenblicks- und nicht traditionell orientiert“ sind (ebd.: 167), stehen sie dem bürgerlichen Verständnis von Kultur konträr entgegen. Denn gerade der Zeitbegriff sieht im bürgerlichen Kulturverständnis völlig anders aus (vgl. ebd.: 167). Es wird im Folgenden noch darauf zurückzukommen sein, dass die politische Linke nach Auffassung Enzensbergers viel von diesem bürgerlichen Kulturverständnis übernommen und mit ihm eine Scheu vor dem Umgang mit den elektronischen Medien entwickelt hat.

Er attestiert des Weiteren den elektronischen Medien eine „egalitäre Struktur“ (ebd.: 167). Diese egalitäre Struktur ist das entscheidende Argument, auf dem Enzensberger seine gesellschaftlichen Forderungen zum Umgang mit den elektronischen Medien aufbaut. Enzensberger stellt fest, dass technische Errungenschaften wie zum Beispiel der Kopierer, aber auch Rundfunk-Medien einen viel einfacheren Zugang zu eigener Produktion von Medieninhalten verschaffen, als dies zum Beispiel zu Zeiten der Fall war, in denen es nur Druckereien gab, zu denen nicht jeder Zugang hatte (vgl. ebd.: 163). Die epochale Neuerung ist also: „Zum ersten Mal in der Geschichte machen die Medien die massenhafte Teilnahme an einem gesellschaftlichen und vergesellschafteten produktiven Prozeß möglich“ (ebd.: 160). Für die Produktion von Inhalten elektronischer Medien geht er noch einen Schritt weiter, um die Möglichkeit des vergesellschafteten Produktionsprozesses zu untermauern: Er stellt fest, dass bei den elektronischen Medien technisch kein Unterschied zwischen Sender und Empfänger besteht (vgl. ebd.: 160). Es ist technisch gesehen nur ein kleiner Schritt, aus einem Radioempfangsgerät ein Sendegerät zu machen. Somit sind Mediengeräte prinzipiell sowohl Konsumtions- wie auch Produktionsmittel (vgl. ebd.: 167). Die elektronischen Medien besitzen also beste Möglichkeiten, die Gesellschaft an Produktionsprozessen teilhaben zu lassen, wobei für Enzensberger der Idealzustand eine komplett vergesellschaftete Medienlandschaft wäre.

Nachdem die Struktur der Medien selbst geklärt ist, schließt sich folglich die Frage an: Warum findet dann – so Enzensberger – bei all diesen Möglichkeiten kein vergesellschafteter Produktionsprozess statt?

Die Antwort findet Enzensberger in der„Bewußtseins-Industrie“. Unter diesem Terminus fasst Enzensberger alle Medienschaffenden zusammen und sieht sie in erster Linie als Teil des kapitalistischen Systems (ebd.: 161). So findet sich in dieser Ansicht auch die Antwort auf die Frage, wer aus welchen Gründen eine eben beschriebene Art der Medienproduktion verhindert: Die „technische Differenzierung von Sender und Empfänger spiegelt die gesellschaftliche Arbeitsteilung zwischen Produzenten und Konsumenten wider, die in der Bewußtseins-Industrie eine besondere politische Zuspitzung erfährt“ (ebd.: 161). Gibt folglich die Medienindustrie ihr Sende-/Produktionsmonopol auf, ist das der Anfang von ihrem eigenen Ende, deswegen ist es ihr ein großes Interesse, möglichst wenig Wechselwirkung zwischen Sender und Empfänger zuzulassen (ebd.: 160).

Darüber hinaus attestiert er derBewußtseins-Industrie, „Schrittmacher der sozio-ökonomischen Entwicklung spätindustrieller Gesellschaften“ (ebd.: 159) zu sein. Es entsteht die paradoxe Situation, dass einerseits die Medien als Motor gesellschaftlicher Entwicklung anzusehen sind, andererseits jedoch gesellschaftliche Entwicklung verhindern, um ihre eigene Existenz zu sichern.

Noch ein weiterer scheinbarer Widerspruch lässt sich bei Enzensberger finden, der die Betrachtung jetzt mehr auf die inhaltliche Ebene lenkt. Einerseits kommt Enzensberger zu der Erkenntnis, „daß die Bourgeoisie [hier von ihm gleichgesetzt mit derBewußtseins-Industrie; J.B.] zwar über alle möglichen Mittel verfügt, um uns etwas mitzuteilen, daß sie jedoch nichts mehr zu sagen hat“ (ebd.: 178). Der fehlenden Motivation und Fähigkeit, dem Empfänger inhaltlich etwas Substantielles mitzuteilen, stehen die zahlreichen Mechanismen entgegen, die dieBewußtseins-Industrieaufzubieten hat, um das Publikum zum Einen an sich zu binden und zum Anderen daran zu hindern, gegen die Struktur des Mediensystems aufzubegehren.

DieBewußtseins-Industriesetzt mit ihren Programmen bei den zentralen Bedürfnissen der Menschen an. Es ist ein Trugschluss, so Enzensberger, zu behaupten, die Medien würden den Zuschauern Bedürfnisse einreden, die diese eigentlich gar nicht haben (vgl. ebd.: 171). Erst dadurch, dass sich die Medien der „Verfälschung und Ausbeutung ganz realer und legitimer Bedürfnisse“ (ebd.: 171) verschrieben haben, erklärt sich ihre Anziehungskraft. Den Medien geht es also darum, das Verschwinden eines Mangels durch den Konsum zu versprechen, was utopisch und auch nicht beabsichtigt ist. Ziel ist deshalb, die Wünsche des Publikums „einzufangen und sie ihrer Sprengkraft zu berauben“ (ebd.: 172). Der Wunsch nach Mündigkeit, heiler Welt, Selbstbestimmung usw. bindet das Publikum. Doch bleibt seine Erfüllung eine Illusion. Die Medien können den Bedürfnissen der Menschen gar nicht wirklich begegnen, da sie sich damit selbst überflüssig machen würden (vgl. ebd.: 173).

DieBewußtseins-Industrieist also der Dreh- und Angelpunkt, an dem sich die zentralen Probleme entzünden: Sie verhindert, dass die Medien so genutzt werden, wie es ihnen von der Technik her eigentlich gemäß ist. Sie macht die Menschen von sich abhängig, indem sie ihnen Befriedigung ihrer Wünsche verspricht, und sie lähmt die Menschen, indem sie dies Versprechen nicht einlöst.

Enzensberger betrachtet jedoch nicht nur die „gegnerische“ Seite, er analysiert auch die Schwächen der Position des eigenen Lagers, die eine Veränderung des Mediensystems behindern, und stößt dabei auf zwei entscheidende Probleme.

In der politischen Linken zu der Zeit, als Enzensberger denBaukastenverfasst, ist ein häufig eingesetzter Vorwurf gegenüber dem Mediensystem derjenige Manipulation der Menschen durch die Medien. Dieser Vorwurf lässt sich auch leicht mit den Argumenten stärken, die bei der Beschreibung des Umgangs des Mediensystems mit den Bedürfnissen der Menschen ausgeführt wurden.

Doch obwohl Enzensberger die Problematik erkennt und ähnlich einschätzt, tritt er dem Manipulationsvorwurf vehement entgegen und zeigt, dass er zu einer defensiven Unproduktivität führt. Die Manipulationsthese ist deswegen problematisch, weil sie ausschließlich anklagend den Medien vorwirft, dass sie die Menschen manipulierten. Sie bringt jedoch keine produktiven Gegenmaßnahmen hervor, was darauf schließen lässt, dass gar keine Gegenvorschläge vorhanden sind und man sich mit dem reinen Vorwurf selbst entlasten will. So hindert der Manipulationsvorwurf auch daran, eigene Konzepte und Lösungen auszuarbeiten. Die Perspektive muss für ihn jedoch über den Angriff auf Bestehendes hinausgehen (vgl. ebd.: 163 f.).

Zum Anderen sieht Enzensberger das Problem, dass auch in der politischen Linken vielfach noch „alte bürgerliche Ängste“ (ebd.: 164) gegenüber den „neuen“ Medien zu finden sind, Ängste wie die vor einer niveaulosen Populärkultur, die einen davon abhalten, die „neuen“ Medien im eigenen Sinne zu nutzen. Als Beispiel erwähnt er, wie bei den Studentenrevolten mit antiquierten Mitteln Flugblätter und Plakate erstellt wurden (vgl. ebd.: 165).

Der „offiziellen“ Abneigung gegenüber den elektronischen Medien steht auch in der Intellektuellen-Szene eine „private“ Faszination entgegen, das Neue zu entdecken. Wagt man jedoch Vorstöße auf diesem Neuland, macht man sich verdächtig, sich dem System anbiedern oder unterordnen zu wollen, und so ist die Besinnung auf die Hochkultur ein weiterer Hinderungsgrund, Veränderungen zu bewirken (vgl. ebd.: 165).

Enzensberger versucht, dem Begriff der „Manipulation“ seinen lähmenden Charakter zu nehmen. Er macht deutlich, dass „Manipulation“ im Wortsinne nichts anderes bedeutet als „zielbewußtes technisches Eingreifen in ein gegebenes Material“ (ebd.: 166). Dieses Eingreifen findet immer statt, wenn man mit Medien umgeht: Jede Kameraperspektive, jeder Schnitt, jedes Zitat ist eine bewusste „Manipulations“-Technik, ohne die man mit den Medien gar nicht umgehen könnte (vgl. ebd.: 184). Insofern ist der Begriff neutral zu sehen: „Die Frage ist daher nicht, ob die Medien manipuliert werden oder nicht, sondern wer sie manipuliert“ (ebd.: 166).

An dieser Stelle kann dann wieder darauf zurückgekommen werden, was am Anfang dieses Abschnitts schon angedeutet wurde: Wie sich nämlich Enzensberger eine den Medien entsprechende und der Gesellschaft dienliche „Manipulation“ vorstellt.

Bereits ausgeführt wurde, dass die technischen Voraussetzungen der Medien für Enzensberger eigentlich eine kollektive Struktur nach sich ziehen müssten. Nachdem dann dargestellt wurde, warum diese Struktur nicht existiert bzw. wer ihre Herausbildung verhindert, können darauf aufbauend die beiden zentralen Forderungen Enzensbergers genannt werden.

Völlig klar ist für Enzensberger, dass für einen Umgang mit den Medien, wie er ihnen eigentlich entspricht, die kapitalistischen Besitzverhältnisse aufgehoben werden müssen. Diese Forderung ist die logische Konsequenz aus dem vorher Beschriebenen: „Der Manipulation der Medien ist aber nicht durch alte oder neue Formen der Zensur zu begegnen, sondern nur durch direkte gesellschaftliche Kontrolle, das heißt durch die produktiv gewordenen Massen“ (ebd.: 166). „Kollektive Struktur der Medien“ meint also zuallererst die Aufhebung privatwirtschaftlicher Produktionsweisen. Private Produktions­weise lehnt Enzensberger jedoch auch ab, wenn es keine privat­wirtschaftlicheist. Diese „individuelle Bastelei“ (ebd.: 168) wird keine gesellschaftliche Relevanz haben, denn es ist für den Zuschauer „immer nur die schlechte und überholte Kopie dessen, was er ohnehin empfängt“ (ebd.: 169). Damit ziehe man außerdem den Spott der professionellen Medienproduzenten auf sich, dass man mit den Medien nicht recht umzugehen wisse. Auch Bürgerfernsehen und offene Kanäle finden Enzensbergers Zuspruch nicht, da sie nur als Randphänomene geduldet werden (vgl. ebd.). Es geht Enzensberger also darum, „die Isolation der einzelnen Teilnehmer am gesellschaftlichen Lern- und Produktionsprozeß aufzuheben“ (ebd.). Das zentrale Schlagwort lautet: „Selbstorganisation der Beteiligten“ (ebd.). Er wünscht sich „netzartige Kommunikationsmodelle“, die „auf dem Prinzip der Wechselwirkung aufgebaut sind“ (ebd.: 170). Und er fragt, warum die Menschen nicht mit Hilfe von Tonbandgeräten und Kameras, die sich schon zahlreich in den Händen der breiten Bevölkerung befinden, „aggressive Formen einer Öffentlichkeit herstellten, die ihre eigene wäre“ (ebd.).

Die zuletzt zitierte Formulierung zeigt nochmals deutlich, dass Enzensberger die Veränderung des Mediensystems vor allem über das seiner Ansicht nach revolutionäre Potenzial entwickeln möchte, das ihnen innewohnt. Schon zu Beginn seines Aufsatzes spricht er von „Entfesselung der emanzipatorischen Möglichkeiten“ (ebd.: 160).

Seine Zielvorstellung ist dann erreicht, wenn tatsächlich die breite Masse der Bevölkerung Anteil an der Produktion der Medien hat und sich diese nicht mehr in privater Hand befinden.

Zahlreiche Beispiele führt er im Verlaufe desBaukastensan, die deutlich machen sollen, welche „subversiven Möglichkeiten“ (ebd.: 173) in den elektronischen Medien verborgen liegen. Und er sagt, dass auch inhaltlich in einer vergesellschafteten Produktionsweise eine Bereicherung bestehe: Seine genannten Beispiele zeigen laut seiner Aussage an, „welche enormen politischen und kulturellen Energien in den gefesselten Massen verborgen sind, und mit welcher Phantasie diese Massen im Moment ihrer Befreiung alle Chancen der neuen Medien wahrzunehmen verstehen“ (ebd.: 174).

[...]


[1]Dem Wortsinn nach: der Schaffung mündiger Bürger.

[2]Im Folgenden abgekürzt alsBaukasten.

Ende der Leseprobe aus 45 Seiten

Details

Titel
Überholt und naiv oder von ungebrochener Aktualität? - Der „Baukasten zu einer Theorie der Medien“ von Hans Magnus Enzensberger 35 Jahre nach seiner Entstehung.
Hochschule
Westfälische Wilhelms-Universität Münster  (Institut für Soziologie)
Veranstaltung
Seminar: Neue Medien, technische Zivilisation und kultureller Wandel
Note
1,0
Autor
Jahr
2006
Seiten
45
Katalognummer
V76735
ISBN (eBook)
9783638812733
Dateigröße
606 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Aktualität, Theorie, Medien“, Hans, Magnus, Enzensberger, Jahre, Entstehung, Seminar, Neue, Medien, Zivilisation, Wandel
Arbeit zitieren
Joachim Bothe (Autor:in), 2006, Überholt und naiv oder von ungebrochener Aktualität? - Der „Baukasten zu einer Theorie der Medien“ von Hans Magnus Enzensberger 35 Jahre nach seiner Entstehung., München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/76735

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