Auch wenn Gesellschaft durch das Zusammenwirken jeder neuen Handlung mit einer anderen in jedem Moment aufs neue erzeugt wird, so weisen soziale Effekte doch überraschend stabile Strukturregelmäßigkeiten des Handelns auf, die allein durch auf jede neue Situation rational angepasstes kalkuliertes Verhalten nicht erklärt werden können. Die soziale Realität muss also in gewissem Maße handlungsleitende Autorität besitzen, was streng genommen für das Handeln bedeuten kann, nur mehr lediglich der Ort zu sein, an dem sich Gesellschaft reproduziert. Das Soziale stellt nicht mehr nur Bedingungsfaktor von Handlungen, sondern eine eigenständige, emergente Einheit dar, die ihrerseits prägenden Einfluss auf die Handlungsebene besitzt. Das dieses Verständnis von Gesellschaft betonende Akteurmodell der Soziologie ist das des homo sociologicus. Dem homo sociologicus wird durch „die Tatsache, dass (...) in gegebenen Situationen mit regelmäßig wiederkehrendem Handeln gerechnet werden kann, [und] das Handeln für die Personen dadurch wechselseitig erwartbar und berechenbar ist“ (Münch 2002: 294), Handlungssicherheit vermittelt. Diese Tatsache ist gleichbedeutend mit einer stabilen sozialen Ordnung, welche in gewissem Licht auch als eine die individuelle Handlungsfreiheit einschränkende Quelle des Zwangs gesellschaftlicher Regeln und Institutionen gesehen werden kann. Auf jeden Fall jedoch lässt sich bis jetzt festhalten, dass kollektive Wirkungen individuelle Handlungen zur Basis haben, dass aber andererseits nicht völlig willkürlich und planlos ablaufendes oder lediglich zufällig aufeinander abgestimmtes Handeln eine minimal unabhängig existente Wirkung sozialer Tatbestände erfordert. Individuelles Handeln und Gesellschaft sind also zwar analytisch zu trennende, in der sozialen Realität aber zwei unauflösbar miteinander verschränkte Tatsachen, um mit Novalis bzw. Sigmund Freud zu sprechen:
„Jeder Mensch ist eine kleine Gesellschaft“, und „jede Gesellschaft ist ein umfangreicher Mensch“ (Schäfers 2002: 29).
Inhaltsverzeichnis
- die unauflösbare Verschränkung von Individuum und Gesellschaft
- der sozialphilosophisch bestimmte Naturzustand des Menschen
- der Zwangscharakter der sozialen Rolle bei Ralf Dahrendorf
- die Überwindung des positivistischen Dilemmas im Marxismus
- die idealistische Abhängigkeit vom Bewusstsein in der Wahrnehmung der Realität
- der anthropologisch bestimmte Naturzustand des Menschen
- die individuelle Autonomie in der normativen Lösung des Ordnungs-problems
- die Bedingungen individueller Handlungsfreiheit in der idealistischen Mikrosoziologie
- die Bedeutsamkeit der Harmonisierung von Individualität und Sozialität
Zielsetzung und Themenschwerpunkte
Der Essay analysiert die Beziehung zwischen Individuum und Gesellschaft unter dem Blickwinkel des Homo Sociologicus. Ziel ist es, die Frage nach dem Verhältnis von individueller Freiheit und Vergesellschaftung zu untersuchen, indem die verschiedenen Handlungstheorien und Akteurmodelle beleuchtet werden.
- Die unauflösliche Verschränkung von Individuum und Gesellschaft
- Der Zwangscharakter der sozialen Rolle
- Die Überwindung des positivistischen Dilemmas im Marxismus
- Die Bedingungen individueller Handlungsfreiheit
- Die Bedeutsamkeit der Harmonisierung von Individualität und Sozialität
Zusammenfassung der Kapitel
- Die unauflösbare Verschränkung von Individuum und Gesellschaft: Dieses Kapitel beleuchtet die Beziehung zwischen Individuum und Gesellschaft. Es wird argumentiert, dass individuelles Handeln immer im Kontext sozialer Interaktion stattfindet, was zu wechselseitigen Abhängigkeiten und der Notwendigkeit der Interdependenzbewältigung führt. Die Ergebnisse der Vergesellschaftungsprozesse werden als Produkt der Handlungen mehrerer Akteure beschrieben, denen kein eigenständiges Wesen zugestanden wird.
- Der sozialphilosophisch bestimmte Naturzustand des Menschen: Hier wird der Naturzustand des Menschen als ein Zustand der Freiheit von gesellschaftlichen Zwängen betrachtet. Dieses ökonomistische Modell sieht den Menschen als Einzelwesen, dessen Handlungsmotivation auf egozentrische Zielverfolgung reduziert ist. Die Frage nach dem Vertrauen in die allseitige Vereinbarung des Gesellschaftsvertrages bleibt eine logische Lücke.
Schlüsselwörter
Homo Sociologicus, Vergesellschaftung, individuelle Freiheit, Handlungstheorien, Akteurmodelle, soziale Rolle, Interdependenz, Naturzustand, Gesellschaftsvertrag.
- Arbeit zitieren
- Florian Schlotterbeck (Autor:in), 2005, Homo Sociologicus: Vergesellschaftung als Ende der individuellen Freiheit?, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/76904