Die pragmatischen Axiome der Kommunikationstheorie von P. Watzlawick in Darstellung und Kritik

Verifizier- oder Falsifizierbarkeit einer Theorie?


Hausarbeit, 2007

22 Seiten, Note: 1,7


Leseprobe

Gliederung

1. Einleitung
1.1 Chronologie der Systemtheorie und Kybernetik

2. Die Kommunikationstheorie und ihre Axiome

3. Der „Kritiker-Dreiklang“
3.1 Axiom I
3.2 Axiom II
3.3 Axiom III
3.4 Axiom IV
3.5 Axiom V

4. Verifikation oder Falsifikation einer Theorie
4.1 Verifizierbarkeit
4.2 Falsifizierbarkeit

5. Persönliche Bewertung und Kritik

6. Fazit

7. Quellen und Literaturverzeichnis

1. Einleitung

Die Semiotik besteht aus den Teilgebieten der Syntax, Semantik und Pragmatik, welche sich gegenseitig bedingen und deren Grenzen fließend ineinander übergehen.[1] „In many ways it is true to say that syntax is mathematical logic, semantics is philosophy or philosophy of science, and pragmatics is psychology, but these fields are not really all distinct” (George 1973, S. 38). Während die Syntax und Semantik relativ durchdringend erforscht sind, stellt die pragmatische Redundanz menschlicher Kommunikationsprozesse in vielerlei Hinsicht eine Ausnahme dar. Angefangen bei den genuinen Wurzeln einer derartigen Analyse in Systemen und sich hinziehend bis in unsere Gegenwart hat die Pragmatik nichts an ihrem Forschungs- und Diskussionsreiz verloren. Die pragmatische Theorie und ihre Axiome der Kommunikationswissenschaftler Paul Watzlawick[2], Janet H. Beavin und Don D. Jackson, publiziert 1969 in dem Werk „Menschliche Kommunikation. Formen, Störungen und Paradoxien“, werden in dieser Arbeit auf ihren Wahrheits- und Scheingehalt hin überprüft. Daran angelehnt werden die Methodologien der Verifizier- und Falsifizierbarkeit auf Watzlawicks Werk transferiert, mit dem Ziel, den realen Wahrheitsgehalt der Theorie und der Axiome herauszufiltern.[3] Um eine vollständige Beurteilung zu gewährleisten, bedarf es primär eines chronologischen Rückbezugs in die Anfänge der Systemtheorie und Kybernetik.[4]

1.1 Chronologie der Systemtheorie und Kybernetik

Die relevanten Anfänge der Systemtheorie und Kybernetik lassen sich auf Mitte des 20. Jahrhundert datieren. Systemtheorie wird dabei genuin mit dem österreichischen Biologen und Systemtheoretiker Ludwig von Bertalanffy in Verbin-dung gebracht. „Die erste Ausarbeitung einer allgemeinen Systemtheorie legte v. Bertalanffy 1937 im Philosophie-Seminar von Charles Morris an der Universität Chicago vor“ (Meister 1987, S. 5). Die Anfänge der Kybernetik werden im Konnex des Mathematikers Norbert Wiener gesehen. „Als endgültig etabliert darf die moderne Kybernetik spätestens seit 1948 angesehen werden, als Norbert Wiener ... sein grundlegendes Werk ´Cybernetics or Control and Communication in the Animal and the Machine´ veröffentlichte“ (Meister 1987, S. 5).

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

(Abb. 1: Webzugriffe auf Paul Watzlawick)

Quelle: Modifizierte Grafik in Anlehnung an Beats Biblionetz 2007, pass.

In Bezug auf die kognitive Beeinflussung Watzlawicks sind vor allem die Kybernetiker verantwortlich. Letztere beschäftigten sich bis zur Mitte des 20. Jahrhunderts nur mit basalen Analysen von beispielsweise Feedback-Mechanismen oder Definitionsbestimmungen[5]. Dieses allgemeine und lediglich richtungweisend orientierte kybernetische Gedankengut wurde 1951 durch die Psychiater Jürgen Ruesch und Gregory Bateson, beides enger Vertreter im Beziehungsnetz-werk Watzlawicks, revolutio-niert. Ihr 1951 gemeinsam publiziertes Werk „Com-munication. The Social Matrix of Psychiatry“ lieferte erste Impulse für Watzlawicks pragmatische Kommunikationstheorie (vgl. Meister 1987, S. 6).[6]

Watzlawick zählt heute summa summarum zu den bedeutendsten Kommuni-kationswissenschaftlern, Therapeuten und Autoren des 20. Jahrhunderts. Die Aktualität der Thematik sowie speziell das Interesse an der Person Watzlawicks, lassen sich anhand der folgenden Grafik sehr gut nachvollziehen (vgl. Abb. 1). Seine Publikationen im Bereich der radikalen Konstruktivismustheorie[7] verhalfen ihm speziell in Deutschland zu einem hohen Bekanntheitsgrad.

2. Die Kommunikationstheorie und ihre Axiome

In der Primärliteratur äußert Watzlawick, die drei Gebiete der Syntax, Semantik und Pragmatik zu behandeln, „... obwohl es [das Werk; Anm. d. Verf.] hauptsächlich die Pragmatik, d. h. die verhaltensmäßigen Wirkungen der Kommunikation, zum Thema hat“ (Watzlawick 2003, S. 23). Die von ihm entwickelte Kommunikations-theorie einer funktionierenden Kommunikation basiert im Kern auf fünf prag-matischen Axiomen, die in einem hypothetischen Kalkül zusammengefasst werden:

Axiom I: „Man kann nicht nicht kommunizieren“ (Watzla-wick 2003, S. 53).

Axiom II: „Jede Kommunikation hat einen Inhalts- und einen Beziehungsaspekt, derart, daß letzterer den ersteren bestimmt und daher eine Metakommuni- kation ist“ (Watzlawick 2003, S. 56).

Axiom III: „Die Natur einer Beziehung ist durch die Interpunktion der Kommunikationsabläufe seitens der Partner bedingt“ (Watzlawick 2003, S. 61).

Axiom IV: „Menschliche Kommunikation bedient sich digitaler und analoger Modalitäten. Digitale Kommuni- kationen haben eine komplexe und vielseitige logische Syntax, aber eine auf dem Gebiet der Beziehungen unzulängliche Semantik. Analoge Kommunikationen dagegen besitzen dieses semantische Potential, ermangeln aber die für eindeutige Kommunikationen erforderliche logische Syntax“ (Watzlawick 2003, S. 68).

Axiom V: „Zwischenmenschliche Kommunikationsabläufe sind entweder symmetrisch oder komplementär, je nachdem, ob die Beziehung zwischen den Partnern auf Gleichheit oder Unterschiedlichkeit beruht“ (Watzlawick 2003, S. 70).

Watzlawick formuliert sein Anliegen wie folgt: „Wir forschen nach Erscheinungen pragmatischer Redundanz; wir wissen, daß diese nicht einfache, statische Größen oder Eigenschaften sind, sondern dem mathematischen Begriff der Funktion analoge Strukturen; und wir erwarten, daß diese Strukturen die allgemeinen Merkmale von rückgekoppelten, zielstrebigen Systemen haben“ (Watzlawick 2003, S. 42). Mit den „Erscheinungen“ meint Watzlawick Beobachtungen, Experimente und Fallstudien, anhand derer er, im Sinne eines klassischen Behavioristen, seine Theorie stützen möchte.

3. Der „Kritiker-Dreiklang“

Die Publikation von „Menschliche Kommunikation. Formen, Störungen und Paradoxien“ hat eine unmittelbare Welle an Befürwortern aber auch Kritikern zur Folge gehabt. In Bezug auf letzteres haben sich drei Autoren besonders manifestiert, die in Bezug auf ihre Aussagen zu den pragmatischen Axiomen von Watzlawick hier analysiert werden. „Die Unzulänglichkeiten der ´Theorie´ hat ZIEGLER (1977, 1978), aus wissenschaftstheoretischer Sicht, SCHÜLEIN (1977) u. a. gesellschafts-kritisch und MEISTER (1987) textkritisch aufgewiesen“ (Girgensohn-Marchand 1992, S. 15).

3.1 Axiom I

Die primäre Schwäche des Axioms I beruht auf der watzlawickschen Verallgemeinerung menschlichen Verhaltens, dessen kommunikativer Gleichsetzung und der Nichtbeachtung von Persönlichkeit sowie situativem Kontext.

Der doppelt negierte Terminus, dass man sich nicht nicht verhalten oder nicht nicht kommunizieren kann, ergibt nach seiner Aufsplittung nichts anderes, als das man sich verhalten oder kommunizieren muss. Diese Aussage ist aufgrund ihrer Verallgemeinerung jedoch nahezu bedeutungslos, ganz im Gegensatz zu einer möglichen dualen Trennung in „man kann kommunizieren oder auch nicht“.[8] Humane Umgangsformen oder eine Berufs- und Lebenspartnerwahl fordern menschliche Reaktionen und Verhaltensweisen, die durchaus ein „nicht verhalten“ zulassen würden, deren Tragweite für die betreffenden Personen aber immens negativ wäre. „So erweist sich die Behauptung, Verhalten habe kein Gegenteil, als töricht, denn sie lenkt ab von den wirklich tragischen Konflikten, in denen sich ein Mensch zwischen zwei gleichermaßen unerträglichen Alternativen entscheiden muß“ (Girgensohn-Marchand 1992, S. 39). Damit einhergeht die Frage, welche Eigenschaften sich zu „kein Gegenteil haben“ in einer definierten Untermenge zuschreiben lassen. Klassenlogisch würde die Übersetzung des Axioms lauten: „´Zu der klasse, der verhalten als element angehört, existiert keine komplementärklasse´“ (Ziegler 1978, S. 55). Hierin liegt also ein logisches Problem der Denkweise Watzlawicks verborgen.

[...]


[1] Semiotik ist die allgemeine Lehre der sprachlichen und nichtsprachlichen Zeichensysteme. Sie setzt sich zusammen aus den Teilgebieten der Syntax, also dem logischen Regelsystem von Sprache und Satzbau, der Semantik, welche sich mit der Bedeutung sprachlicher Ausdrücke befasst und der Pragmatik, die die Verwendung sprachlichen Handelns beschreibt (vgl. Encarta 2005, pass.).

[2] Watzlawick wurde 1921 in Villach, Österreich geboren. Nach Abschluss der Reifeprüfung am hiesigen Peraugymnasium folgten das Studium der Philologie und Philosophie, die Promotion im Fach Philosophie 1949, sowie 1954 die Ausbildung zum Psychotherapeuten am C.-G.-Jung-Institut in Zürich. 1957 dem Ruf der Universität von El Salvador folgend lehrte Watzlawick dort im Fachgebiet Psychotherapie mit dem Schwerpunkt auf Kommunikationsprozessen und systematischer Familientherapien bis 1960. Im selben Jahr gewann ihn der amerikanische Psychotherapeut Don D. Jackson (1920-1968) für sein 1959 gegründetes Mental Research Institut in Palo Alto, Kalifornien. Infolge eines Lehrauftrages kam Watzlawick 1976 als Professor für Psychotherapie an die Stanford University. Er verstarb erst kürzlich am 31.03.2007 an Herzversagen in Paolo Alto. (vgl. Becker 1989, S. 13; Peraugymnasium 1987, pass.; Börsenblatt 2007, pass.).

[3] Ich schreibe im Folgenden „Watzlawick“, wo ich Watzlawick, Beavin und Jackson (2003) meine.

[4] Die Systemtheorie ist ein Erkenntnismodell, welches Systeme (Organismen, Maschinen, etc.) zur Erklärung differenzierter und komplexer Phänomene heranzieht. Kybernetik ist eine Wissenschaft, die sich mit Kommunikations- und Steuerungsmechanismen in diesen Systemen beschäftigt (vgl. Encarta 2005, pass).

[5] Im Kern interessierten Begriffsklärungen wie Kommunikation, Nachricht, Information und Entscheidung.

[6] Unzählige amerikanische Soldaten mit psychischen Leiden aufgrund des 2. Weltkrieges mussten sich in ihrem Heimatland in Behandlung begeben. Das Individuum rückte in den Hintergrund, da bedrohende, globale Katastrophen thematisiert wurden. Die fehlende Verbindung im Konnex Individuum-Gruppe-Gesellschaft konnte durch Nachrichten und Schaltkreise umgangen werden. Watzlawick widmete sein Buch einer kommunikativen Theorie, die sowohl an diese fehlende Verbindung als auch die psychiatrischen Anforderungen dieser Zeit angepasst waren (vgl. Meister 1987, S. 6 f.).

[7] „Watzlawick vertritt eine konstruktivistische Erkenntnistheorie, gemäß der die Wirklichkeit, die von uns wahrgenommen wird, von uns selbst im sprachlichen Zusammenwirken konstruiert wird“ (Encarta 2005, pass.).

[8] Stützend können im Folgenden Zusammenhänge menschlichen Verhaltens mit einem Gegenbeispiel widerlegt werden. „Wenn man sich vorstellt, ein Meteorologe käme auf die Idee zu sagen: ´Wetter [das Verhalten; Anm. d. Verf.] hat vor allem eine Eigenschaft. Es gibt kein Nicht-Wetter [Verhalten hat kein antithetisches Pendant; Anm. d. Verf.]. Also kann es [das Verhalten; Anm. d. Verf.] nicht nicht sein´, würde man ihn sicher für merkwürdig halten. Es kann dagegen regnen oder nicht“ (Girgensohn-Marchand 1992, S. 37).

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Details

Titel
Die pragmatischen Axiome der Kommunikationstheorie von P. Watzlawick in Darstellung und Kritik
Untertitel
Verifizier- oder Falsifizierbarkeit einer Theorie?
Hochschule
Helmut-Schmidt-Universität - Universität der Bundeswehr Hamburg  (Helmut-Schmidt-Universität )
Veranstaltung
Ein Kommunikationsmodell in der Kritik - das Inhalts-Beziehungs-Modell der Kommunikation von P. Watzlawick in systematischer Sicht unter verschiedenen Kriterien
Note
1,7
Autor
Jahr
2007
Seiten
22
Katalognummer
V77161
ISBN (eBook)
9783638826105
ISBN (Buch)
9783638827232
Dateigröße
506 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Axiome, Kommunikationstheorie, Watzlawick, Darstellung, Kritik, Kommunikationsmodell, Inhalts-Beziehungs-Modell, Kommunikation, Sicht, Kriterien
Arbeit zitieren
Thomas Grimme (Autor:in), 2007, Die pragmatischen Axiome der Kommunikationstheorie von P. Watzlawick in Darstellung und Kritik , München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/77161

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