Stilistik - Die Disziplin des Unfassbaren?


Hausarbeit, 2005

15 Seiten, Note: 1,3


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einführung

2. Was ist Stil? Problematik des Stilbegriffes

3. Abgrenzungsversuche
3.1. Stilistik vs. Textlinguistik
3.2. Stilistik vs. Rhetorik

4. Auszug aus der Entwicklung des Stilbegriffs und der Stilistik
4.1. Auszug aus der historischen Entwicklung der Stilauffassung
4.1.1. Adelung
4.1.2. Moritz
4.1.3. Meyer

5. Stiltheorien
5.1. Pragmatische Stilistik
5.2. Funktionalstilistik
5.3. Stil und Konnotationen
5.4. Stil als Resultat der Wahl synonymer Sprachmittel / Selektionstheorie
5.5. Deviationsstilistik

6. Ist Stil erlernbar?

7. Fazit

8. Bibliographie

1. Einführung

Stil – ein sowohl im Alltag als auch in wissenschaftlichen Kreisen häufig verwendeter Begriff. Doch was ist Stil eigentlich, wie ist er definiert, wie wird er untersucht? Beschäftigt man sich genauer mit diesem Begriff, so stellt man fest, dass noch lange keine einheitliche Auslegung über ihn zu finden ist und dass er durchaus unterschiedlich verstanden werden kann. Um wenigstens ein breiteres Verständnis über seine Vielfältigkeit zu erhalten, versucht dieser Text sich dem Phänomen Stil auf eine wissenschaftlich, historische Weise anzunähern. Nachdem ausführlich auf die Problematik dieses Begriffes hingewiesen wird, werden danach Versuche unternommen, ihn von eng verwandten Disziplinen wie der Textlinguistik und der Rhetorik ein wenig abzugrenzen und seine Aufgabenbereiche näher zu umreißen. Nun ist es wichtig, das Ganze auch aus einer historischen Sicht nachvollziehen zu können, um die Entwicklungen zum heutigen Stilverständnis erst begreifen zu können. Dies lässt sich auszugsweise auch durch eine Gegenüberstellung verschiedener Auffassungen veranschaulichen. Auf dieser Grundlage werden nun auch aktuellere Stiltheorien erklärt und problematisiert, so werden die pragmatische und die funktionale Stilistik, Stil und Konnotationen, Stil als Resultat der Wahl synonymer Sprachmittel sowie auch die deviatorische Stilistik thematisiert. Um dem ziemlich theoretischen Text nun noch einen gewissen praktischen Alltagsbezug hinzuzufügen, wird zum Schluss noch die Frage nach der Erlernbarkeit bestimmter stilistischer Fähigkeiten erörtert, wonach sich dann generell ein größeres Verständnis für die Problematik und die theoretischen Diskussionen um den Stilbegriff einstellen sollte

2. Was ist Stil? Problematik des Stilbegriffes

Ulla Fix sieht Stil als „Die Art und Weise (das WIE), mit der das Mitzuteilende (das WAS) im Hinblick auf einen Mittelungszweck (das WOZU) gestaltet wird“ (Fix 2001: 217). Doch im selben Band finden sich auch weitere Definitionen, die noch andere Komponente mit einbeziehen, so z.B.: „Stil ist die „sprachliche Aktualisierung situativer Gegebenheiten durch ein Individuum mit seinen jeweiligen sprachlichen Fähigkeiten und kommunikativen Erfahrungen.“ (Fix 2001: 26)

Und auch diese sowie diverse andere, zum großen Teil ad-hoc-Eingrenzungen, sind nur Ausschnitte aus möglichen Ansätzen zur Erklärung des Stils. Göttert formuliert z.B. eher allgemein: „Stil ist immer auch ein Spiel: mit der Konvention, mit den Erwartungen. [...] Stil ist Entscheidung“ (Göttert 2004: 13). Der Stilbegriff ist offensichtlich sehr vage und es gibt keine einheitliche Definition, weshalb es auch keine Einigung über seine Auslegung gibt. Durch die vielen widersprüchlichen Definitionsansätze stellen sich einige Wissenschaftler die Frage, ob es demnach dieses Stilphänomen überhaupt gibt. Stil wird als das Unfassbare beschrieben. Zudem ist der Begriff sehr komplex und erscheint durchaus auch in anderen Disziplinen jenseits der Sprachwissenschaft: so z.B. als Epochenmerkmal („gotischer Stil“), als Kunststil oder gar um bestimmte Verhalten zu bezeichnen („Lebensstil“, „Kampfstil“).

Außerdem lässt sich die Disziplin des Stils, die Stilistik, durch seine historische Wandlungsfähigkeit nicht als einheitliches System begreifen. Göttert stellt fest:

Das System gibt es nicht. Die Stilistik war immer in Bewegung, hat immer neue Einteilungen, Gesichtspunkte, Definitionen hervorgebracht. Von einem System zu sprechen, verdeckt also etwas Wesentliches, hat etwas Künstliches, entscheidet sich immer auch gegen Anderes, dem gleiches Recht zusteht. (Göttert 2004: 125)

All dies könnte den Eindruck der rationalen Unschärfe und subjektiven Bestimmbarkeit erwecken, was den Stilbegriff als wissenschaftlichen Terminus unbrauchbar machen würde. Hinzu kommt ein Mangel an umfassend informierender stilistischer Literatur. Das Lexikon der Romanistischen Linguisitk (LRL) gelangt daher zu folgendem Entschluss: „Sin duda la diversidad de sentidos que había recibido el término constribuyó a su decadencia.“(LRL 1992: 201). Anderegg[1] kommt schließlich zu der anderen Erkenntnis, dass gerade diese Plurivalenz zum Stilbegriff dazugehört, dass die unterschiedlichen Theorien einander ergänzen. Die weiteren Bedeutungen und somit die Zwitterstellung der Stilistik zwischen verschiedenen Disziplinen entstanden erst aus der sprach- und textbezogenen Semantik dieses Wortes. Auch im romanistischen Bereich wurde viel zur Aufgabe der Stilistik geforscht, so dass man z.B. im LRL folgende Festlegung finden kann: „analiza lo específico y característico de una lengua, de un género, de un autor, de una obra, etc“(LRL 1992: 189). Stil wird oft aber auch einfach als Wertungsbegriff verstanden, was sich bereits an Aussagen wie „jemand / etwas hat Stil“ erkennen lässt.

Sprachlicher Stil wird in der Regel auf Ganzheiten oder größere Einheiten bezogen, in den Einzelheiten kann sich aber auch der Stil der Ganzheit spiegeln. Fix stellt in diesem Zusammenhang historisch vergleichend fest, dass der Stil eines Textes,

[...] von dem nun gilt, dass er nicht – wie traditionell üblich – als Sammlung vereinzelter Phänomene (Stilfiguren z.B.) oder als Stilgrammatik (stilistische Markiertheit von Wörtern im Wörterbuch z.B.), sondern als Erscheinung zu betrachten ist, die erst in der Ganzheit des Textes entsteht und somit Eigenschaft des Textes ist. Moderne Stilauffassungen (pragmatische, kommunikative, funktionale) betrachten Stil als die sprachliche Realisierung der – wie auch immer – außersprachlich vorgegebenen Faktoren der Redesituation. (Fix 2001: 11)

Als Arten stilistischer Information nennt Fix „die dem Text zugrunde liegende Situation“, die „Selbstdarstellung des Textproduzenten“, die „Beziehungsgestaltung zum Empfänger“ und das Verhältnis des Textproduzierenden zur Sprache“. (Fix 2001 : 27).

Sanders[2] hat schließlich eine Formell gefunden, um den sprachwissenschaftlichen Stil zu beschreiben: „Stil = Sprache + x“.

3. Abgrenzungsversuche

Das Bild von Stilistik wird völlig diffus. Die Sprachwissenschaft hat auf diese Unklarheiten dadurch reagiert, dass sie den Ausdruck zunehmend vermeidet. Statt die entsprechenden Bemühungen einer diffusen Stilistik – bzw. mehrerer verschiedener Stilistiken – zuzuordnen, handelt sie die genannten Fragen zum Beispiel in der Textlinguistik (Textsorte), in der Soziolinguistik (situationelle Variationen einer Sprache, Register, Sektorialsprachen), in der Pragmatik (Kundgabe- und Appellfunktion der Sprache) ab. (Trabant 1986: 172)[3]

Ganz so willkürlich, wie hier in dem Zitat von Trabant dargestellt, ist die Verwendung

des Stilistik-Begriffs vielleicht doch nicht und es gibt durchaus Ansätze, Kriterien zur Unterscheidung und Abgrenzung von anderen Disziplinen zu finden. Deshalb soll im Folgenden zumindest der Versuch aufgestellt werden, die Stilistik von der Textlinguistik und der Rhetorik zu differenzieren.

3.1. Stilistik vs. Textlinguistik

Die Textlinguistik wird immer wieder als zunehmender Konkurrent der Stilistik angesehen, die letztere zu verdrängen droht. Dieser Eindruck entsteht vor allem aus dem scheinbar gleichen Erkenntnisziel: der Untersuchung der textlichen Beschaffenheit sprachlicher Äußerungen. Sowinski sieht den Unterschied zwischen Textlinguistik und Stilistik im Folgenden:

Während die Textlinguistik, wie andere linguistische Teildisziplinen, Regularitäten, nämlich die von Texten, zu erfassen sucht, die dann als Resultat des Zusammenwirkens von Regeln erscheinen, bemüht sich die Stilistik, gerade die jeweils charakteristischen sprachlichen Variationen struktureller Einheiten zu beschreiben, auch die Abweichungen von erwarteten Normen und Regeln, wie z.B. die deviatorische Stilistik dies formuliert. (Sowinski 1999: 9)

Außerdem betont Sowinski die kommunikative Wirkung des Stils, die von der Textlinguistik unberührt gelassen wird, aber auch die Wechselwirkungen zwischen beiden Disziplinen, da die Erkenntnis in einem Bereich auch für den anderen von Interesse sein kann. Göttert erklärt so auch den Zusammenhang zwischen Text (der Grundlage sowohl der Textlinguistik als auch der Stilistik) und Stil: „Was einen Text als solchen zusammenbindet, sind einheitliche sprachliche Mittel, also ein einheitlicher Stil.“ (Göttert 2004: 36). Göttert spricht allerdings im Gegensatz zu Sowinski von einer Stilistik, die sich mit „satzübergreifenden Regularitäten beschäftigt“ (Göttert 2004 : 36) und durch ihre Untersuchungen der rhetorischen Figuren von der Textlinguistik weiter in den literaturwissenschaftlichen Bereich gedrängt wird. Martin Stegu schließlich weist auf die von Trabant vertretene Auffassung des Stils als die „Tendenz, disparate Eigenheiten eines Textes, u. U. eines Autors etc., zu einem Ganzen zusammenzufassen“ (Stegu in Skyum-Nielsen 1994: 180). Es herrscht also Uneinigkeit über die Frage, ob sich die Stilistik im Gegensatz zur Textlinguistik nun eher mit Regularitäten oder Abweichungen beschäftigt (zur deviatorischen Stilistik: siehe unten). Ulla Fix versucht diesem Problem und der Ansicht der Stilistik als reiner Abweichungssuche aus dem Weg zu gehen, indem sie festlegt, dass Textlinguistik sich immer mit universalen Texteigenschaften, sprich allgemeinen Regularitäten, die allen Texten und Textklassen gemein sind, beschäftigt. Die Stilistik dagegen untersuche nur einen Teilaspekt des Textes, nämlich die Überführung dieser Regeln in konkreten Texten (vgl. Fix 2001: 27). Fix stellt fest, dass somit die Textlinguistik den „übergeordneten Blickwinkel“ (Fix 2001: 27) besitzt, während es die Stilistik mit „sprachlich realem Handeln im Spannungsfeld von Vorgegebenen und individueller Umsetzung“ zu tun hat (Fix 2001: 28).

3.2. Stilistik vs. Rhetorik

Ihre Wurzeln hat die Stilistik in der antiken wie mittelalterlichen Rhetorik. In der Antike unterschied man im rhetorischen Programm fünf Bearbeitungsphasen der Rede: die Erfindung der Gedanken (inventio), die Anordnung derselben (dispositio), die sprachliche Ausschmückung (elocutio), das Auswendiglernen (memoria) und den Vortrag (actio). In Form der Ausschmückung oder Darstellung der Gedanken, sprich der elocutio, findet sich also bereits eine gemeinsame Schnittmenge zwischen Rhetorik und dem, was wir heute als Stilistik verstehen. Sowinski erklärt den historischen Zusammenhang zwischen Rhetorik und Stilistik: „Während sich jedoch die Rhetorik noch auf schriftlich fixierte und mündlich aktualisierte Reden bezog, wurde die literarische Stilistik auf schriftlich fixierte ästhetische Texte eingeengt.“ (Sowinski 1999: 4).

Heutzutage dienen Stilistik und Rhetorik beide zur bewussten Gestaltung von Texten, sind pragmatische Kategorien und werden durchaus beide als wissenschaftliche Termini verwendet. Hinzu kommt, dass einige ihrer Elemente mit beiden Namen bezeichnet werden: rhetorische Figuren oder Stilfiguren? Was unterscheidet also die heutige Stilistik von der antiken Rhetorik? Die Problematik ist also auch hier das Fehlen eines verlässlichen Koordinatensystems sowie die Verwendung der Begriffe in ähnlichen Zusammenhängen. In der Antike sah man die Rhetorik schließlich als das Übertragungsinstrument eines Gedankens an und im 19.Jahrhundert ging Nietzsche[4] schließlich sogar soweit, den Stil mit eben diesem Gedanken gleichzusetzen. Im 20.Jahrhundert ist man mit derartigen Festlegungen eher etwas vorsichtiger. Wilss weist auf eine mögliche Unterscheidung hin, indem er die Rhetorik als primär textsortenspezifisch und die Stilistik als primär autorspezifisch vermutet. Jedoch deutet er selbst an, das eine solche Differenzierung problematisch ist, da sie Stil somit als fakultativ und nicht obligatorisch ansieht (vgl. Wilss in Skyum-Nielsen 1994: 14). Des weiteren verbleibt Wilss dann bei einer etwas allgemeineren Aussage, indem er über Rhetorik und Stilistik sagt: „Zusammen bewirken sie eine bewußte Gestaltung von Texten – mit dem Unterschied, daß stilistische Ausdrucksmuster eher Farbtupfer im Text setzen, während rhetorische Strategien eher diskursorganisierende und diskurssteuernde Funktion haben.“ (Wilss in Skyum-Nielsen 1994: 15)

Sowinski wiederum differenziert das Ganze ein wenig und versucht, das Verhältnis von Rhetorik und Stilistik mit drei Ansätzen zu beschreiben, nämlich historisch, komplementär und konkurrierend. Historisch, da die Rhetorik zwar von der Antike bis zur frühen Neuzeit als gültige Schuldisziplin dominant war, aber zunehmend im 18. und 19. Jahrhundert von der neuen Disziplin der Stilistik verdrängt und ihr schließlich untergeordnet wurde. Komplementär ist das Verhältnis, da die Erkenntnisse und Methoden der traditionellen Rhetorik auch in dem didaktischen oder dem deskriptiven Bereich der Stilistik Verwendung fanden. Und schließlich konkurrierend, da im Zuge der neuen Orientierung auf kommunikative Vorgänge sowie der Verwirrung stiftenden Ausuferung der Stilistik auch die Rhetorik wieder einen Zuwachs an Beachtung findet. Dieses Konkurrenzverhältnis sollte jedoch nicht als verdrängend, sondern als positiv und Effektivität steigernd angesehen werden. (vgl. Sowinski 1999: 14f)

4. Auszug aus der Entwicklung des Stilbegriffs und der Stilistik

Wie bereits im vorigen Kapitel erläutert hat die Stilistik ihre Ursprünge also in der antiken Rhetorik, wo man Stil als Schmuck der Rede oder Kleid der Gedanken verstand. Die Stillehre bestand aus den „Vorgaben für den korrekten Sprachgebrauch wie für die Komposition (den Satzbau), die systematische Auflistung und Erklärung von sprachlichem Schmuck und die Erörterung von Stilebenen“ (Göttert 2004: 53). Ein wesentlicher Bestandteil waren die Stilfiguren, die systematisch gelehrt worden sind und bis heute nicht an Gültigkeit verloren haben. Innerhalb der Stilfiguren unterscheidet man Figuren des Ersatzes / Tropen, der Auslassung, der Umstellung und der Hinzufügung.

Der Begriff „Stil“ und das damit verbundene Konzept stammt von dem lateinischen Wort „stilus“, womit man einen Schreibgriffel bezeichnete. Von diesem kann man schließlich metonymisch auf die Qualität des Schreibresultates schließen, sprich auf die Art und Weise des Schreibens und Redens.

Jahrhundertelang sieht man die Stilistik nun als eine Art Zusammenstellung von Regeln zum richtigen und angemessenen Sprachgebrauch, es handelt sich also um eine normative Stilistik, die vor allem Aristoteles Schriften zur Grundlage hatte. Göttert unterscheidet zwischen drei Phasen der Stilistik: „die rhetorisch-normative von der Antike bis zum 18.Jahrhundert, die aufklärerisch und romantisch normative im 18. und 19.Jahrhundert und schließlich die analytische Phase ab dem 20.Jahrhundert“ (Göttert 2004: 24). Im Zuge der Aufklärung gewinnt die Stilistik durch das neue Natürlichkeitsideal an Bedeutung und es kommt zu einer Ausweitung der Stilistik bis zu dem heutigen Verständnis von ihr. Im 19.Jahrhundert sah man den Stil als direkten Abdruck des Individuums, sein sprachliches Spiegelbild. Und schließlich im 20.Jahrhundert beginnt die Phase der Beobachtung, Beschreibung und Systematisierung der verschiedenen Stile. Es lassen sich jedoch recht bald einige Grenzen der sprachwissenschaftlichen Betrachtung des Stilbegriffs erkennen: Analysen der Häufigkeitsverteilung sprachlicher Merkmale erwiesen sich als wenig hilfreich, da man erstens auf die Frage der „Normalsprache“ stieß, welche man als nicht existierend definierte und zum anderen feststellen musste, dass Texte auch von Häufigkeitswerten unabhängig unterschiedlich wirken können. Mathematische Hilfsmittel konnte man also ausschließen. Außerdem hob man in neueren Zeiten die Einschränkung des Stilbegriffs auf literarische Texte auf: Stil wird heute allen Texten zugesprochen, z.B. auch Gebrauchstexten.

4.1. Auszug aus der historischen Entwicklung der Stilauffassung

Was man unter Stil versteht, hat sich demnach im Laufe der Geschichte verändert. Um den historischen Auszug noch ein wenig anschaulicher zu gestalten, folgt nun ein kurzer Auszug der Entwicklung der Stilauffassung anhand einiger wichtiger Theorien von Adelung, Moritz und Meyer.

4.1.1. Adelung

Sehr wichtig für die Etablierung der Stilistik als eigenständige Disziplin war der Leipziger Sprachforscher Adelung. In seinem lange Zeit grundlegenden Werk Ueber den deutschen Style (Berlin, 1785) erscheint der Stil zwar noch als objektive, messbare Größe, bei deren Anwendung bestimmte Stiltugenden einzuhalten sind, ist aber bereits zusammen mit der Grammatik in Form des e locutio gänzlich aus der Rhetorik herausgelöst zu betrachten. Stil gilt also als erlernbar. Die Normen werden aber zeitlich und räumlich eingeschränkt und Adelung unterscheidet zwischen vertraulichem, mittlerem und höherem Stil und systematisiert bereits verschiedenen Stilarten je nach Intention und äußerer Form. Neu ist außerdem seine Vorstellung der subjektiven Prägung des Stils durch seinen Autor, die bei einigen seiner Nachfolger wieder vernachlässigt wird.

4.1.2. Moritz

Scheinbar gegen alle Regelhaftigkeiten und ganz dem natürlich Stil widmet sich Moritz als Begründer der radikalen Stilauffassung des 19.Jahrhunderts in den 1808 gedruckten Vorlesungen über deutschen Styl. Für ihn dient Stil einzig dem Zweck, einen bereits geformten Gedanken so Original getreu wie möglich und ohne schmückendes Hinzutun auszudrücken. Demnach ist auch seine Stilauffassung nicht ganz regellos, da der natürliche Stil anzustreben ist. Vom Stil des einzelnen Subjektes und dem Individuell-Charakteristischen des Ausdrucks ausgehend, stellt Moritz im Gegensatz zu Adelung fest, dass Stil nicht zu lehren und daher auch nicht lernbar ist, Stil lässt sich lediglich beobachten. Moritz vertritt somit als erster nicht eine rein präskriptive sondern eine deskriptive Stilauffassung.

4.1.3. Meyer

Meyer systematisiert den Stil in seinem Werk Deutsche Stilistik (1906) schließlich nach den Merkmalen Individualität, Zeitalter, Nation und Textsorte. Die Stilistik solle also die individuellen Züge des Stil untersuchen, so genau wie möglich beschreiben, psychologisch erläutern und historisch einordnen. In Bezug auf die Figurenlehre ordnet er jedoch nicht nach modernen Kriterien, sondern lehnt sich noch ziemlich an die Grammatik und rhetorische Muster.

In dieser auszugsartigen Darstellung der Entwicklung der Stilauffassung wird deutlich, welche Gesichtspunkte historisch besonders umstritten waren. Zuerst ist dabei die Trennung der Stilistik von der Rhetorik zu nennen, die unterschiedlich aufgefasst wurde. Und schließlich folgt der Bruch von der präskriptiven zur deskriptiven Stilistik, den Stil zu beschreiben und ihn zu systematisieren, wurden zur Aufgabe der Stilistik, wodurch die Frage nach der Erlernbarkeit etwas in den Hintergrund gestellt wurde.

5. Stiltheorien

Nachdem infolge des historischen Diskurs festgestellt werden konnte, dass für die heutige Stilistik vor allem analytische Ansätze von Bedeutung sind, werden im Folgenden nun aktuellere Stiltheorien aus dem letzten Jahrhundert genauer betrachtet, erklärt und es wird auf ihre Schwachstellen hingewiesen.

5.1. Pragmatische Stilistik

In den 1960er und 70er-Jahren fand durch den Anstoß der Oxforder Schule der analytischen Philosophie eine Verschiebung von der systematischen Betrachtung auf eine Theorie der Sprechakte statt. Sprechen wurde als eine Form des Handels verstanden und man weist auf die pragmatische Komponente einer Kommunikation, auf das absichtsvolle Handeln. Daher ist die pragmatische Stilistik durchaus mit der kommunikativen verwandt. Das Interesse liegt also bei der tatsächlichen, geschriebenen und gesprochenen, Sprache und die Intentionalität spielt eine entscheidende Rolle. Außerdem liegt dieser Auffassung der Grundsatz zugrunde, dass jede Äußerung Stil besitzt. So gibt es keine stillose Sätze, da unmarkierte Sätze bewusst in dem Stil der Unauffälligkeit verfasst sind.

Ulla Fix definiert die pragmatische Stilistik wie folgt:

Stilauffassung, die Stil als soziales Phänomen, als Realisierung der Intention des Handelns begreift und die Rekonstruktion und Beschreibung von Absichten auf der Senderseite und von Wirkungen auf der Empfängerseite zum Ziel hat [...]; nach dieser Auffassung vermittelt Stil sekundäre Information über das handelnde Individuum, über sein Bedürfnis, sich sozial anzupassen oder abzugrenzen, über die Art der von ihm gewünschten Beziehungsgestaltung. (Fix 2001: 217)

Eine der wichtigsten Vertreterin dieser Stiltheorie ist Barbara Sandig, die Stil als logisch isolierbaren Handlungsaspekt versteht. Sie schenkt vor allem der Angemessenheit des Stils, sprich der funktionalen ( sinnvoll und wirksam) Art der handlungsdurchführung besondere Aufmerksamkeit, wodurch der ehemalige Zentralbegriff der rhetorischen Stilistik, das aptum, wieder an Bedeutung gewinnt.

[...]


[1] Anderegg, J. (1977): Literaturwissenschaftliche Stiltheorie. Göttingen. 15

[2] Sanders (1988): Stil- und Spracheffizienz. Zugleich Anmerkungen zur heutigen Stilistil. In J.Dyck et al. (Hg.), Rhetorik. Ein internationales Jahrbuch. Tübingen, 63-77

[3] Trabant, Jürgen (1986): Der Totaleindruck. Stil der Texte und Charakter der Sprachen. In: Gumbrecht und Pfeiffer (Hg.), Stil. Geschichte und Funktionen eines kulturwissenschaftlichen Diskurselements, Frankfurt. 169-188.

[4] Nietzsche (1886), Menschliches, Allzumenschliches

Ende der Leseprobe aus 15 Seiten

Details

Titel
Stilistik - Die Disziplin des Unfassbaren?
Hochschule
Humboldt-Universität zu Berlin
Note
1,3
Autor
Jahr
2005
Seiten
15
Katalognummer
V77236
ISBN (eBook)
9783638808200
ISBN (Buch)
9783640876488
Dateigröße
410 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Stilistik, Disziplin, Unfassbaren
Arbeit zitieren
Stefanie Brunn (Autor:in), 2005, Stilistik - Die Disziplin des Unfassbaren?, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/77236

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