Das Unheimliche in Henry von Heiselers "Der Begleiter"


Hausarbeit, 2007

29 Seiten, Note: 1,0


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1 Einführung

2 Henry von Heiselers „Der Begleiter“
2.1 Inhalt
2.2 Autor
2.3 Zeitliche Einordnung der Erzählung

3 Das Unheimliche in „Der Begleiter“
3.1 Definition des Unheimlichen
3.2 Erscheinungsformen und Gründe des Spuks
3.3 Erzählsituation
3.4 Atmosphäre
3.5 Spannungsaufbau
3.6 Beglaubigungs- und Rationalisierungsversuche

4 Interpretationsansatz
4.1 Entwicklungsprozess des Rittmeisters Kyrill
4.2 Rolle der Zigeunerin Sara
4.3 Biblische Entsprechungen in „Der Begleiter“

5 Resümee

6 Literaturverzeichnis

1 Einführung

Henry von Heiselers „Der Begleiter“ konfrontiert den Leser mit einer menschlichen Entwicklung, die gezeichnet ist von Licht- und Schattenseiten, von einem Dilemma zwischen Stillstand und Veränderung, von Festhalten und Loslassen.

Die Entwicklung eines Menschen und damit einhergehende Veränderungen können von außen induziert und unbewusst, aber auch von innen heraus und bewusst durch den eigenen Willen hervorgerufen werden. Durch äußere Umstände erzwungene Veränderungen sind fast immer ungewollt und können negative Reaktionen hervorrufen. Intrinsisch motivierte Veränderungen hingegen sind durchaus wünschenswert. Die Fähigkeit, zu reflektieren und sich weiterentwickeln zu können, ist ein Privileg des menschlichen Daseins. Der erste Schritt auf dem Weg zur Veränderung stellt jedoch für Viele eine große Herausforderung dar und scheint oft schwer zu realisieren. Von alten Gewohnheiten Abschied zu nehmen und Neues noch kaum verinnerlicht zu haben, kann Schmerzen, Verunsicherung und Orientierungs­losigkeit auslösen. Gelingt es aber, dem Schicksal sicher zu begegnen und auf sich selbst zu vertrauen, können Veränderungen und Weiterentwicklung begrüßt werden und zu einem erfüllten Leben führen.

In Henry von Heiselers Erzählung „Der Begleiter“ erlebt der Rittmeister Kyrill verschiedene, in seinen Alltag einbrechende Situationen, die nicht einzuordnen sind, aber einen Veränderungsprozess anstoßen. Das normale Gefühl des Unbe­hagens, das empfunden wird, wenn man sich als Spielball äußerer, unbeeinflussbarer Situationen sieht, steigert sich in der Erzählung. Der Ursprung dieser äußeren Einflüsse ist weder erkennbar, noch konkret zu bestimmen. Die Angst vor dem Unbekannten stößt bei Kyrill sowohl eine bewusste, als auch eine unbewusste Veränderung an. Das Unheimliche, mit dem der Protagonist konfrontiert wird, nimmt in seinem Denken immer mehr Raum ein und verändert ihn zunehmend, bis hin zu seinem Zusammenbruch. Auch für den Leser bleiben die Umstände dieser Entwicklung nebulös. Es kann bis zum Schluss der Erzählung nicht geklärt werden, ob das Unheimliche Realität oder nur Wahnvorstellung des Protagonisten ist.

Er bekommt die Chance zur Veränderung und Entwicklung, scheitert jedoch an der Herausforderung, sein Schicksal anzunehmen, sich vertrauensvoll in die schützenden Hände Gottes zu begeben und einen neuen Weg zu gehen.

In dieser Seminararbeit soll das Unheimliche untersucht werden, das in Kyrills Leben einbricht. Einer kurzen Zusammenfassung des Inhalts der Erzählung folgen Angaben zum Autor und zur Entstehungszeit. Im Hauptteil werden der Begriff des Unheimlichen definiert und die verschiedenen von Heiseler verwendeten Techniken zur Aufrechterhaltung des Unheimlichen vorgestellt. Abschließend dienen Grundlagen des christlichen Glaubens und Elemente aus der Heiligen Schrift der Interpretation des Textes.

2 Henry von Heiselers „Der Begleiter“

In diesem Kapitel sollen sowohl der Inhalt der zu analysierenden Erzählung als auch die wichtigsten Daten aus Henry von Heiselers Leben dargelegt werden. Abschließend wird „Der Begleiter“ zeitlich eingeordnet.

2.1 Inhalt

Henry von Heiselers „Der Begleiter“ erzählt die rätselhafte Geschichte des russischen Rittmeisters Kyrill, der während eines Urlaubs in St. Petersburg der Zigeunerin Sara verfällt und sich ihre Gesellschaft erkauft. Nahezu zeitgleich tritt ein unheimlicher, unsichtbarer Begleiter in Kyrills Leben, der sich als hartnäckiger Verfolger erweist und dessen Präsenz sich unter anderem in immer wieder auftretenden, hörbaren Schritten bedrohlich äußert. Der Rittmeister begreift den Begleiter als feindselige Macht und reagiert mit Verunsicherung und Erschrecken auf die unheimlichen Ereignisse. Dem Wahnsinn nahe flüchtet er zurück in seine Garnison, um so dem Verfolger zu entkommen. Das Schicksal scheint ihn jedoch auch dort in Gestalt eines rätselhaften Wanderers einzuholen, auf den er bei einem Ausritt trifft. Ausgelöst durch diese Begegnung verfällt Kyrill endgültig in Raserei und stirbt unter „verzweiflungsvollen Anklagen und Verwünschungen gegen Gott“ (B, S.135)[1].

2.2 Autor

Der Autor Henry von Heiseler wurde am 23. Dezember 1875 in St. Petersburg geboren und wuchs dort behütet als Kind wohlhabender, deutscher Eltern in privilegierter Umgebung auf. Der junge Heiseler kam in den Genuss einer umfassenden und weit reichenden Bildung und zeichnete sich durch eine „unerhörte Belesenheit in Geschichte, Kunst und Literatur aller Völker“[2] aus. Nachdem er in St. Petersburg für ein Semester die historisch-philologische Fakultät besucht hatte, zog es ihn, im Alter von 23 Jahren, nach München, um Versicherungswesen zu studieren. In dieser Zeit lernte er Stefan George kennen, entdeckte seine Neigung zum Schriftstellertum und veröffentlichte seine ersten literarischen Werke in den „Blättern für die Kunst“. Im Jahre 1914 kehrte er nach Russland zurück, um den Tod seines Vaters zu betrauern. Vom Ausbruch des Krieges überrascht, wurde er 1917 zum Dienst in der Roten Armee eingezogen und konnte erst fünf Jahre später, nach Zeiten größter Entbehrung und Not, in seine Wahlheimat Deutschland fliehen. Erwähnenswert ist neben den bereits angeführten Daten, dass Heiseler sich durch eine starke christliche Orientierung auszeichnete. Diese Tatsache schlägt sich auch in seinem Werk „Der Begleiter“ nieder, was an späterer Stelle bei der Interpretation der Erzählung zum Ausdruck kommen wird.

2.3 Zeitliche Einordnung der Erzählung

„Der Begleiter“ entsteht im Jahre 1919 und ist damit einer Epoche zuzurechnen, in der die Tradition des Gespenstermotivs eine Renaissance im Rahmen der aufblühenden „phantastischen Literatur“ und der „unheimlichen Geschichten“ erfährt. Vor allem im ersten Drittel des Jahrhunderts spielt das Gespenstische in der Literatur eine große Rolle, bis es von der gespenstischeren Wirklichkeit in der Zeit des Nationalsozialismus überschattet wird. Um die Jahrhundertmitte tritt das Gespenstermotiv kaum mehr in Erscheinung. Für diese Epoche kennzeichnend ist das allmähliche Verschwinden des sichtbaren, hörbaren und handgreiflichen Gespenstes, das durch das „Unheimliche“ abgelöst wird. Das Gespenstische kann nun „nicht mehr nur personal, sondern auch als in unpersönlichen Erscheinungsformen sich manifestierend gedacht werden“.[3]

3 Das Unheimliche in „Der Begleiter“

Wie bereits in Kapitel2.3 erwähnt, löst das Unheimliche in der Literatur der ersten Hälfte des 20.Jahrhunderts das traditionelle Gespenstermotiv ab. Was unter dem Begriff des Unheimlichen zu verstehen und wie das Vordringen des Unheimlichen in „Der Begleiter“ gestaltet ist, wird in den folgenden Kapiteln analysiert. Zu diesem Zweck werden sowohl die Erscheinungsformen und Gründe des Spuks als auch die Erzählsituation näher beleuchtet. Des Weiteren werden die Atmosphäre, der Spannungsaufbau sowie die Techniken der Beglaubigung und Rationalisierung berücksichtigt.

3.1 Definition des Unheimlichen

Der eigentlichen Wortbedeutung nach ist „unheimlich“ der Gegensatz zu „heimlich, heimisch oder vertraut“. Alles Neue und Unbekannte ist demnach unheimlich und ruft Schrecken oder Unbehagen hervor. Das Neue und Unbekannte allein ist jedoch nicht zwangsläufig schreckenerregend, sondern muss durch eine weitere Komponente ergänzt werden, durch die intellektuelle Unsicherheit. Je besser sich ein Mensch in seiner Umwelt orientieren kann, desto weniger leicht ist er von Dingen oder Vorfällen in ihr zu beunruhigen. Demzufolge sind Menschen, die suchend, orientierungslos und in ihrer Existenz erschüttert sind, sich in konflikthaften Lebenssituationen befinden oder eine Krise durchleben, eher anfällig dafür, Neues und Unbekanntes als unheimlich und verunsichernd zu erleben.

Nach Sigmund Freud ist das Unheimliche etwas dem Seelenleben schon immer Vertrautes, das nur durch den Prozess des Verdrängens entfremdet worden ist. Kennzeichen der Verdrängung ist, dass starke, durch innere Triebe bedingte Konflikte aus dem Bewusstsein gerückt werden und somit ein Eindringen dieser unerwünschten oder gefährlichen Impulse in die Lebenswelt verhindert werden kann. Jeder Affekt, der auf diese Weise in das Unterbewusste verdrängt wird, wandelt sich dort in Angst um. Das Gefühl der Angst entsteht also durch die vorbewusste Wahrnehmung eines Konflikts, der im Unterbewusstsein schwelt. Stößt dieser verdrängte Konflikt ins Bewusstsein vor, wird Angst als emotionale Reaktion erlebt. Angsterregendes ist demnach etwas wiederkehrendes Verdrängtes. Eine Art des Ängstlichen stellt das Unheimliche dar. Demzufolge muss es sich auch bei dem Unheimlichen um etwas handeln, das zunächst verdrängt und schließlich aus dem Verborgenen wieder hervorgetreten ist.[4]

Angstauslösend und demzufolge dem Unheimlichen zuzurechnen, ist für die meisten Menschen alles, was mit der Urangst vor dem Tod und dem Sterben zusammenhängt. Verstorbene und auch der eigene Tod erregen Schrecken und Verunsicherung. Es bestehen Berührungsängste und die Tendenz, das Ende des Lebens aus der Gegenwart auszublenden, also zu verdrängen. Bei vielen ruft die Vorstellung, es gäbe Wiedergänger, Untote oder Gespenster, Unbehagen und Schaudern hervor. Dasselbe gilt für verschiedene Versionen des Aberglaubens, etwa für den Glauben an den „siebten Sinn“ oder die Idee von Menschen mit dem „bösen Blick“, die ihrem Gegenüber nur durch die Kraft ihrer Gedanken schaden können. Auch das Erscheinen von Doppelgängern und auftretende Wiederholungen, also Ereignisse, die auf gleiche Art und Weise oder in abgewandelter Form wiederkehren, erzeugen Hilflosigkeit und Angst. Ein gemeinsames Kennzeichen dieser angeführten Aspekte des Unheimlichen ist, neben einer Überbetonung der psychischen Realität im Vergleich zur materiellen, das Verschwimmen der Grenze zwischen Wirklichkeit und Fiktion. Begegnet uns in der Realität etwas, das wir bis dahin für fantastisch gehalten haben, treten Gefühle von Unsicherheit, Angst und Unheimlichkeit auf.[5]

Auch Gero von Wilpert nennt als Kennzeichen unheimlicher Geschichten die Tatsache, dass Unheimliches in eine realistisch geschilderte Umwelt einbricht und weder vom Erzähler, noch vom Leser enträtselt werden kann. Eine logische Aufklärung der Ereignisse ist nicht möglich. Darüber hinaus können die Geschehnisse nicht identifiziert und zurückverfolgt werden. Wilpert spricht in diesem Zusammenhang von einer „Verunsicherung der Lebensgewißheit“[6], über die Betroffene nicht hinweg kommen.

3.2 Erscheinungsformen und Gründe des Spuks

In „Der Begleiter“ sucht der Leser vergeblich nach einer identifizierbaren Gespenstererscheinung, wie sie aus traditionellen Geschichten bekannt ist. Der Rittmeister Kyrill wird ohne erkennbares eigenes Verschulden mit seltsamen Vorgängen konfrontiert, die sich plötzlich und unerwartet in seine Wirklichkeit einschleichen.[7] Er ist sich lediglich „der Gegenwart eines mächtigen und unsicht-baren Wesens bewußt“ (B, S.121), findet aber bis zum Ende der Erzählung keine Erklärung für diese Heimsuchung. In seine alltägliche Lebenswelt tritt ein unbestimmbares Wesen, das Kyrill immer wieder seine Gegenwart spüren lässt. So geht der Begleiter „beharrlich neben seinen Schritten her“ (B, S.124) und erscheint Kyrill anfänglich als „beständiges Sausen in seinen Ohren wie von einer sehr fernen und lieblichen Musik“ (B, S.123), das sich später zu einem tiefen Summen (vgl. B, S.133) entwickeln wird. Zentrale Erscheinungsformen des Begleiters bleiben aber nicht nur die für Kyrill hörbaren Schritte. Neben den immer wiederkehrenden akustischen Wahrnehmungen kommt es auch zu taktilen Begegnungen mit dem Begleiter. So wird der Rittmeister von der „Berührung einer fremden Hand“ (B, S.121) geweckt, spürt einen „leichten Druck“ (B, S.123) gegen die Wohnungstür und wird sogar von einer „körperlosen Hand“ (B, S.124) an den Haaren zurückgezogen. Durch diese Erscheinungsformen entsteht das Gefühl des Verfolgtwerdens, was den Rittmeister zunächst in „heftiges Grauen“ (B, S.124) versetzt und schließlich in den Tod treibt.

[...]


[1] Der Text wird hier und im Folgenden zitiert mit der Sigle B nach der Ausgabe: Heiseler, Henry von: Der Begleiter. Erzählung. In: Henry von Heiseler: Sämtliche Werke. Heidelberg: Schneider 1965, S.117-136.

[2] Heiseler 1932, S.4.

[3] Wilpert 1994, S.359.

[4] Vgl. Freud 1948, S.70.

[5] Vgl. Freud 1948, S.70 ff.

[6] Wilpert 1994, S. 360.

[7] Vgl. Wilpert 1994, S. 33.

Ende der Leseprobe aus 29 Seiten

Details

Titel
Das Unheimliche in Henry von Heiselers "Der Begleiter"
Hochschule
Otto-Friedrich-Universität Bamberg
Veranstaltung
Gespenstergeschichten
Note
1,0
Autoren
Jahr
2007
Seiten
29
Katalognummer
V77298
ISBN (eBook)
9783638825368
Dateigröße
414 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Unheimliche, Henry, Heiselers, Begleiter, Gespenstergeschichten
Arbeit zitieren
Sabine Kowoll (Autor:in)Tanja Amon (Autor:in), 2007, Das Unheimliche in Henry von Heiselers "Der Begleiter", München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/77298

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