Die postkoloniale Theorie stellt einen jüngeren literaturwissenschaftlichen Forschungsansatz dar. Dass die Germanistik (post-)koloniale Fragestellungen erst spät für sich entdeckte, kann auf die vergleichsweise kurze Kolonialgeschichte Deutschlands (1884–1918), die ohne einen Prozess der Dekolonisation stattfand, zurückgeführt werden; aber auch ein historisch begründetes Desinteresse an der Erforschung kultureler Differenzen, aufgrund des Fehlens starker Minderheitsstimmen in Deutschland und einem relativ unkritischen Verhältnis gegenüber abendländischen Traditionen, werden als Gründe für diese „Verspätung“ angeführt. In der Theorie des „Postkolonialen“ geht es, der Definition von Paul Michael Lützelers folgend, darum, „das intellektuelle Werkzeug zu erarbeiten, um (deskriptiv) sowohl die Erfassung ehemaliger und neuer kolonialer Abhängigkeiten zu ermöglichen, wie auch (programmatisch) eben diese Dependenzen im Sinne einer Dekolonisierung abzubauen“.
Etwa zwei Monate nach dem Beginn des Ersten Weltkrieges, schrieb Franz Kafka vom 4. bis zum 18. Oktober die Erzählung In der Strafkolonie. Es ist ein „Text ohne Namen“. Die Erzählung handelt von einer als Strafkolonie genutzten Insel, die von einem europäischen Forschungsreisenden besucht wird. Zunächst nimmt dieser For-schungsreisende als Zeuge an Vorbereitungen einer Exekution teil. Ein Offizier der Insel er-klärt ihm die Funktionsweise des dort benutzten Hinrichtungsapparates, der dem Verurteilten vor Vollzug der Todesstrafe das Urteil auf den Leib schreibt. Als der Europäer sich allerdings nicht von dem Gebrauch der Maschine überzeugen lässt, legt sich der Offizier selbst zu Demonstrationszwecken unter den Apparat – und wird dessen Opfer. Dann verlässt der Reisende von einem Teehaus aus schließlich allein die Insel.
In der Kafka-Forschung finden sich nahezu alle Interpretationstypen, dabei dominieren folgende Ansätze: Erstens wurden seine Texte auf universale, theologische, psychologische Fragestellungen hin allegorisiert; zweitens wurden sie historisch-biographisch referentialisiert; dagegen auch drittens von allen außertextuellen Bezügen isoliert und textimmanent gelesen; oder aber schließlich als uninterpretierbar erklärt.
Inhaltsverzeichnis
- Einleitung
- Debatte um Kolonialismus und Strafkolonien im Deutschen Reich
- Akteure in der Strafkolonie
- Die kolonialisierenden Akteure in der Strafkolonie
- Der Offizier
- Der Hinrichtungsapparat
- Der Soldat
- Der alte Kommandant
- Die Damen in der Strafkolonie
- Die kolonialisierenden Akteure in der Strafkolonie
- Der Forschungsreisende als Repräsentant der Metropole
- Die kolonialisierte Gesellschaft in Person des Verurteilten
- Resümee
Zielsetzung und Themenschwerpunkte
Die Hausarbeit beschäftigt sich mit Franz Kafkas Erzählung „In der Strafkolonie“ aus einer postkolonialen Perspektive. Das Ziel dieser Arbeit ist es, die Erzählung aus der Sicht des Kolonialisierten zu betrachten und seine Rolle in der kolonialen Machtstruktur zu untersuchen.
- Analyse der kolonialen Machtverhältnisse in der Strafkolonie
- Untersuchung der Position des Kolonialisierten in der Erzählung
- Beurteilung der Rolle des europäischen Forschungsreisenden als Repräsentant der Metropole
- Interpretation der Strafkolonie als Metapher für die koloniale Praxis
- Veranschaulichung der antikolonialistischen Botschaft der Erzählung
Zusammenfassung der Kapitel
- Einleitung: Die Einleitung stellt die postkoloniale Theorie als einen neuen Forschungsansatz vor und erläutert die Anwendung des Ansatzes auf deutsche Literatur, insbesondere auf Werke wie „In der Strafkolonie“ von Franz Kafka.
- Debatte um Kolonialismus und Strafkolonien im Deutschen Reich: Dieses Kapitel skizziert die deutsche Diskussion um Kolonialismus und Strafkolonien im Kontext des Deutschen Reichs.
- Akteure in der Strafkolonie: Dieses Kapitel analysiert die verschiedenen Akteure in der Strafkolonie und ihre Rolle im kolonialen Machtgefüge. Es beleuchtet die kolonialisierenden Akteure wie den Offizier, den Hinrichtungsapparat, den Soldaten, den alten Kommandanten und die Damen in der Strafkolonie.
- Der Forschungsreisende als Repräsentant der Metropole: Dieses Kapitel untersucht die Rolle des europäischen Forschungsreisenden als Repräsentant der Metropole und seine Interaktion mit den kolonialen Strukturen der Insel.
- Die kolonialisierte Gesellschaft in Person des Verurteilten: Dieses Kapitel konzentriert sich auf die Position des Verurteilten in der Strafkolonie und stellt ihn als Repräsentanten der kolonialisierten Gesellschaft dar.
Schlüsselwörter
Postkoloniale Theorie, „In der Strafkolonie“, Franz Kafka, Kolonialismus, Strafkolonie, Machtstrukturen, Kolonialisierter, Forschungsreisende, Metropole, Anti-Kolonialismus, Kulturvergleich, Interkulturalität.
- Arbeit zitieren
- Jens Tanzmann (Autor:in), 2007, "Wirf die Peitsche weg, oder ich fresse dich." Franz Kafkas "In der Strafkolonie" aus postkolonialer Perspektive, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/77503