Obwohl die vorliegende Arbeit sich ausschliesslich mit dem politischen System des Libanons befasst, betrifft die ihr zu Grunde liegende Problematik bei weitem nicht nur den Libanon. Es handelt sich vielmehr um ein globales Phänomen: Die Verbindung und Balance von staatlicher Einheit mit gesellschaftlicher Diversität beziehungsweise Pluralität1 zu schaffen und aufrecht zu erhalten. Diese Problematik ergibt sich aus der Anwendung oder Imposition des Konzeptes “Staat“ auf plurale Gesellschaften.
Manifestiert sich diese staatliche Einheit in politischen Institutionen und Prozessen, welche Einheit über Diversität stellen und die reale Pluralität der Gesellschaft ignorieren beziehungsweise unterdrücken, kann es zum Konflikt kommen. Die Tatsache, dass unterschiedliche Bevölkerungsgruppen dasselbe Gebiet teilen, muss jedoch nicht notwendigerweise zu einem Konflikt führen (Arefaine 2005: 14). Im Falle der Schweiz, um nur ein Beispiel unter vielen zu nennen, konnten viele Konfliktlinien, von Sprache über Konfessionen bis hin zu Stadt-Land- beziehungsweise Zentrum-Peripherie-Konflikten akkomodiert werden, wenn auch nicht immer ohne Auseinandersetzungen.
Im Staatsgebiet des Libanon lebt ebenfalls eine sehr plurale Gesellschaft: 18 Religionsgemeinschaften leben zusammen auf einem Gebiet von rund 10’000 km2 (Perthes 1994: 7).
Und auch der Libanon wurde zum Schauplatz von Bürgerkriegen. Wiederum liegen jedoch, so kann die Hypothese auf die Situation des Libanon übertragen werden, die Ursachen für die Konfliktsituation nicht in der Pluralität der libanesischen Gesellschaft selbst, sondern in der teilweisen Absenz von Akkomodationsmechanismen für diese Pluralität.
Diese Absenz von Akkomodationsmechanismen führt zu einer Dysfunktionalität des Politiksystems. Auf Grund einer Analyse der bestehenden Konflikte und ihrer Ursachen können jedoch geeignete Mechanismen zur Akkomodation der gesellschaftlichen Pluralität identifiziert werden.
Dazu nimmt die Analyse institutioneller Aspekte des schweizerischen Föderalismus als Instrument der Konfliktlösung einen zentralen Platz in dieser Arbeit ein. Vorausgesetzt, dass sich die Grenzen der Gliedstaaten nicht mit Konfliktlinien decken, kann ein territorialer Föderalismus zu einer Schwächung bereits vorhandener oder latenter Konfliktlinien führen, stattdessen regionale Identitäten fördern und auch Politikinhalte, auf den Libanon bezogen, ent-konfessionalisieren.
Inhaltsverzeichnis
- Einleitung
- Die Dysfunktionalisierung des libanesischen Politiksystems
- Mechanismen zur Refunktionalisierung
- Entkonfessionalisierung
- Dezentralisierung
- Synthese
- Kritische Diskussion und Ausblick
Zielsetzung und Themenschwerpunkte
Die vorliegende Arbeit untersucht die Funktionsfähigkeit des libanesischen Politiksystems im Kontext der gesellschaftlichen Diversität. Sie analysiert die Ursachen der Dysfunktionalität und präsentiert mögliche Wege zur Refunktionalisierung. Dabei steht die Frage im Vordergrund, ob Föderalismus im Libanon ein Weg zum Pluralismus sein könnte.
- Dysfunktionalisierung des libanesischen Politiksystems
- Akkomodationsmechanismen für gesellschaftliche Pluralität
- Entkonfessionalisierung und Dezentralisierung als Refunktionalisierungsansätze
- Föderalismus als möglicher Weg zum Pluralismus
- Kritische Diskussion und Ausblick
Zusammenfassung der Kapitel
- Einleitung: Die Einleitung stellt die Problematik der Verbindung von staatlicher Einheit und gesellschaftlicher Diversität im Libanon vor und beleuchtet die Ursachen für Konflikte in pluralen Gesellschaften.
- Die Dysfunktionalisierung des libanesischen Politiksystems: Dieses Kapitel analysiert die Ursachen für die Dysfunktionalität des libanesischen Politiksystems. Es beleuchtet die Schwächen des konfessionellen Proporzsystems und zeigt auf, wie dieses die Akkomodation der gesellschaftlichen Diversität behindert.
- Mechanismen zur Refunktionalisierung: Dieses Kapitel stellt drei Mechanismen zur Akkomodation gesellschaftlicher Pluralität vor: Konsensdemokratie, administrative Dezentralisierung und Föderalismus. Es analysiert die Vor- und Nachteile der jeweiligen Mechanismen und diskutiert ihre Relevanz für den Libanon.
Schlüsselwörter
Die Arbeit konzentriert sich auf die folgenden Schlüsselbegriffe: Föderalismus, Pluralismus, Libanon, Konfessionsstaat, Dysfunktionalität, Refunktionalisierung, Dezentralisierung, Entkonfessionalisierung, Akkomodationsmechanismen, Konsensdemokratie, politische Stabilität, gesellschaftliche Diversität, politische Teilhabe, Repräsentation, Ressourcenzugang.
- Quote paper
- B.A. Marius Rohrer (Author), 2006, Föderalismus im Libanon. Ein Weg zum Pluralismus?, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/77639