Überprüfung der Kultivierungshypothese anhand der Sendungen „TV total“ und „Harald Schmidt“


Diplomarbeit, 2006

143 Seiten, Note: 1,0


Leseprobe


Inhalt

1. Forschungshintergrund zur Kultivierungshypothese

2. Fragestellung und Hypothesen

3. Voruntersuchung: Analyse der Formate „Harald Schmidt“ und „TV total“
3.1 Harald Schmidt
3.2 TV total
3.3 Einstellungsanalyse
3.3.1 Analyse der Themengebiete
3.3.2 Auswahl der Einstellungsitems
3.4 Zuschauerprofil

4. Methodik
4.1 Versuchsplan
4.2 Stichprobe
4.3 Datengewinnung
4.4 Auswertungsmethoden

5. Ergebnisse
5.1 Reaktionsbaseline
5.2 Antwortverhalten
5.3 Ergebnisse zur Hypothese 1: Korrelation r1 zwischen Antwortverhalten und Fernsehhäufigkeit
5.4 Ergebnisse zur Hypothese 2: Korrelation r2 zwischen Antwortverhalten und Fernsehdauer
5.5 Ergebnisse zur Hypothese 3: Korrelation r3 zwischen Antwortgeschwindigkeit bei Zustimmung und Fernsehhäufigkeit
5.6 Ergebnisse zur Hypothese 4: Korrelation r4 zwischen Antwortgeschwindigkeit bei Zustimmung und Fernsehdauer

6. Diskussion
6.1 Betrachtung des Gesamtergebnisses vor dem Forschungshintergrund
6.2 Interpretation der Einzelergebnisse
6.2.1 Interpretation der Ergebnisse zur Hypothese 1
6.2.2 Interpretation der Ergebnisse zur Hypothese 2
6.2.3 Interpretation der Ergebnisse zur Hypothese 3
6.2.4 Interpretation der Ergebnisse zur Hypothese 4
6.2.5 Interpretation der Ergebnisse entgegen den Hypothesen
6.3 Methodische Aspekte
6.4 Fazit

7. Zusammenfassung

8. Literatur

9. Anhang

1. Forschungshintergrund zur Kultivierungshypothese

Das Fernsehen ist aus der heutigen Zeit kaum noch wegzudenken. Während es auf der einen Seite ein Spiegel der Gesellschaft ist, hat es gleichzeitig auch einen steuern­den Einfluss (Morgan & Signorielli, 1990). Dabei unterscheidet sich das Fernsehen grundsätzlich von anderen Medien wie Zeitung, Kino oder Radio. Der Konsument muss beispielsweise nicht lesen können. Außerdem steht das Fernsehen durchgehend zur Verfügung, kann sowohl durch Bild als auch durch Ton Inhalte vermitteln und erfordert keine Mobilität (Gerbner & Gross, 1976). Da es sich inzwischen zur Hauptquelle für Informationen jeglicher Art entwickelt hat, bietet es zudem eine gemeinsame Basis für ein breites Publikum aus sonst sehr unterschiedlichen Schichten und Gruppierungen (Gerbner, Gross, Morgan & Signorielli, 1994). Allerdings ist bei näherer Untersuchung der Sendeinhalte oft auch eine verzerrte Repräsentation der Realität festzustellen (Gerbner & Gross, 1976). Aus dem Bemühen, eine Antwort auf die Frage, was davon in den Köpfen der Zuschauer bleibt, zu finden, entstand die Forschung zur Kultivie­rungstheorie, vor allem in Bezug auf Gewaltdarstellungen.

Im Jahr 1976 wurde von Gerbner und Gross die erste Violence-Profile-Untersu­chung durchgeführt. Dazu analy­sierten sie zunächst umfassend das Fernsehprogramm (Message System Analysis) und erstellten den Violence Index, der als Maße Prävalenz und Häufigkeit von Gewalt sowie die charakteristischen Beschreibungen von Tätern und Opfern enthielt. Es ergab sich eine quantitative Überrepräsentation von Gewalt. Anschließend überprüften Gerbner und Gross, inwiefern diese Merkmale der Fernseh­welt bei den Zuschauern „kultiviert“ worden waren, indem sie die Versuchspersonen zu ihrer Einschätzung von verschiedenen Gewaltszenen befragten. Die Ergebnisse der Studie zeigten, dass Viel­seher häufiger eine Fernsehantwort gaben. Das heißt, sie nahmen ihre Umwelt als weit gefährlicher wahr als Wenigseher und begegneten ihr mit mehr Misstrauen. Daraus entwickelten Gerbner und Gross die Kultivierungshypothese, die besagt, dass das Ausmaß des Fernsehkonsums die Sichtweise der realen Welt beeinflusst.

Die Untersuchungen zum Violence Profile wurden in der Folge mehrfach wiederholt und ausgebaut. Beim Violence Profile Nummer 10 konzentrierten sich Gerbner, Gross, Signorielli, Morgan und Jackson-Beeck (1979) auf Kinder als Zuschauer. Auch hier überschätzten die jugendlichen Vielseher die Anzahl von Gewalttätern und Opfern und hatten mehr Angst davor, nachts allein durch die Stadt zu laufen. Außerdem stuften sie die Häufigkeit von Polizeieinsätzen sehr hoch ein und gaben ein starkes Misstrauen gegenüber anderen an. Im Violence Profile Nummer 11 (Gerbner, Gross, Morgan & Signorielli, 1980a) wurde die Kultivierungstheorie um die Begriffe Mainstreaming und Resonanz erweitert. Mainstreaming bedeutet, dass innerhalb der Gruppe der Vielseher eine Angleichung stattfindet und die Unterschiede, die aufgrund von beispielsweise sozialer Herkunft oder anderer Faktoren verursacht werden, verschwinden, während sie bei Wenigsehern bestehen bleiben. Resonanz hingegen heißt, dass Kultivierungs­effekte verstärkt dann auftreten, wenn die entsprechenden Merkmale der Fernsehwelt eine besondere Bedeutung für die Zuschauergruppe hat. So fiel bei Vielsehern, die in einer Großstadt lebten, die Überschätzung der Gewalthäufigkeit noch höher aus als bei Vielsehern aus ländlichen Gebieten. Eine Studie von Shrum, Wyer und O’Guinn (1998) bestätigte den Zusammenhang zwischen dem Fernsehkonsum und der Meinung über die Verbreitung von Gewalt.

Wie bereits angedeutet, verändert sich durch häufiges Fernsehen nicht nur die quantitative Einschätzung des Gewaltrisikos. Das persönliche Misstrauen gegenüber der Umwelt steigt ebenfalls (Gerbner et al., 1980a). Bryant, Carveth und Brown (1981) fanden heraus, dass Vielseher durch übermäßige Gewaltdarstellungen im Fernsehen die Vorstellung von einer durchweg gefährlichen Welt entwickeln und sich selbst als ängstlicher bewerten als Wenigseher. Vor allem dann, wenn das Ende eines Films als ungerecht empfunden wird, nimmt bei Vielsehern die Ängstlichkeit unabhängig von ihrem Ausgangsniveau zu. Ferner ergab sich für Mitglieder von Gruppen, deren Ange­hörige oft als Gewaltopfer beschrieben werden, ein Zusammenhang zwischen Fern­sehzeit auf der einen sowie Misstrauen, Besorgnis, Gefühl der Entfremdung und düsterer Stimmung auf der anderen Seite (Signorielli, 1990). So korrelierte in einer Studie an älteren Frauen der Fernsehkonsum mit Ängstlichkeit, selbst unternommenen Sicherheitsmaßnahmen und der Befürwortung eines härteren Vorgehens gegen Gewalttäter (Taschler-Pollacek & Lukesch, 1990).

Doch nicht nur die Gewaltdarstellung und das daraus resultierende Misstrauen wur­den untersucht. Auch bei demographischen Repräsentationen zeigten sich im Fernse­hen gewisse Verzerrungen. Beispielsweise stellten Gerbner et al. (1980b) fest, dass im Fernsehen sowohl zu wenig alte als auch zu wenig junge Menschen im Ver­hältnis zur mittleren Altersgruppe vertreten sind. Das führte bei Vielsehern dazu, dass sie den Anteil von Senioren in der Gesellschaft weit unterschätzten und diesen Perso­nenkreis hauptsächlich mit negativen Dingen wie Krankheit oder finanziellen Sorgen assoziier­ten. In einer anderen Untersuchung demonstrierten Volgy und Schwarz (1980), dass der vermehrte Konsum von Sendungen mit medizinischen Themen das Vertrauen in Ärzte stärkte. Außerdem fanden sie heraus, dass Vielseher von Pro­grammen, in denen ethnische Minderheiten im Mittelpunkt standen, Rassenproblemen weniger Bedeutung beimaßen. Shrum and O’Guinn (1993) forderten ihre Probanden auf einzuschätzen, wie viele Amerikaner Alkoholiker sind, wie viele die Dienste von Prostituierten in Anspruch nehmen und wie viele kokainsüchtig sind. Für die drei Vari­ablen ergab sich ein positiver Zusammenhang mit der Fernsehzeit.

Die Ergebnisse von O’Guinn und Shrum (1997) weisen dagegen darauf hin, dass eine Korrelation zwischen dem Fernsehkonsum und der Überschätzung der Wohlstandsverteilung in der Gesellschaft besteht. Dieser Zusammenhang wurde in einer weiteren Studie von Shrum (1999b) jedoch nicht signifikant. Dafür zeigte sich, dass Vielseher von Daily Soaps eher glaubten, dass sie ihren Lebenspartner irgend­wann wechseln würden und dass man generell sehr misstrauisch sein sollte. Zusätzlich zur Einstellungsrichtung führte Shrum (1999b) noch den Begriff der Einstellungsstärke an. Hierfür ergaben sich in allen drei Bereichen (Beziehungsprobleme, Misstrauen und Wohlstand) signifikante Korrelationen. Das bedeutet, dass Vielseher in ihren Antworten schneller waren und das Fernsehen damit Einstellungen nicht nur beeinflusst, sondern auch festigt.

Auch zum Verhältnis von Mann und Frau wurden diverse Untersuchungen durch­geführt. Dabei fällt in erster Linie auf, dass das Fernsehen sehr traditionelle Rol­lenvor­gaben vermittelt und diese von Vielsehern eher akzeptiert werden als von Wenigse­hern (Volgy & Schwarz, 1980). Signorielli (1989) beschäftigte sich ein­gehender mit dem Frauenbild im Fernsehen und konnte bestätigen, dass Vielseher entsprechend der Fernsehdarstellung glaubten, dass Frauen seltener als Männer einen Beruf ausüben und, wenn sie doch arbeiten, nicht verheiratet beziehungsweise geschieden seien. Frauen seien meist jünger und attraktiver, altern jedoch auch schneller. Trotzdem ließ sich für Zuschauer mit besonders sexistischen Einstellungen ein Mainstreaming-Effekt feststellen, da sie eine dennoch etwas liberalere Haltung kultivieren.

Shrum führte 1996 eine Studie zum Thema Ehe und Beziehung durch. Dabei zeigte sich, dass durch den häufigen Konsum von Daily Soaps die Wahrscheinlichkeit für Beziehungsprobleme und Scheidungen nach oben gestuft wurde.

Des Weiteren konnte ein Zusammenhang zwischen Fernsehdauer und verschiede­nen politischen Einstellungen ermittelt werden. Einer Studie von Gerbner et al. (1982) zufolge befanden sich unter den Vielsehern mehr Demokraten, was möglicherweise auf den meist niedrigeren sozialen Status zurückzuführen war. Für wohlhabendere Vielseher verschwammen gemäß dem Mainstreaming-Konzept die Grenzen zwischen den sozialen Schichten und sie neigten dazu, ihre eigene Position abzuwerten. Bei Themen wie Rassenproblemen, Homosexualität, Abtreibung oder Marihuana schmol­zen für Vielseher die Unterschiede zwischen den politischen Gruppierungen. Außer­dem wollten sie sich selbst nicht als konservativ bezeichnen, tendierten aber durch ihre Fernsehantworten trotzdem in diese Richtung. In einer weiteren Untersuchung wiesen Gerbner et al. (1984) nach, dass diese politische Kultivierung ein fernsehspezifisches Phänomen war. Während Vielseher den Begriff gemäßigt für sich bevorzugten, beschrieben sich Vielleser als konservativ und Vielhörer als liberal. Ebenso beein­flusste der Fernsehkonsum die Haltung zur Außenpolitik. Am Beispiel der Bericht­erstattung über den Golfkrieg in den Jahren 1990/91 demonstrierten Lewis, Jhally und Morgan (1991), dass Vielseher das Vorgehen von Präsident George Bush senior stär­ker unterstützten als Wenigseher.

Die Kultivierungseffekte bei Vielsehern konnten allerdings nicht nur für Erwachsene belegt werden, sondern auch für Jugendliche, nicht jedoch für Kinder (Hawkins & Pingree, 1980). Dies erklärten die Autoren dadurch, dass den jüngeren Kindern noch die kognitiven Voraussetzungen für den Kultivierungsprozess fehlten. Die jugendlichen Vielseher dagegen überschätzten wie auch die Erwachsenen die Häufigkeit von Gewalttaten. Ebenfalls an Jugendlichen führten Gerbner et al. (1980a) eine Langzeit­studie über drei Jahre durch. Die Haupterkenntnis daraus war, dass diejenigen, die im zweiten Jahr sehr viel fernsahen, im dritten Jahr mehr Angst und Misstrauen zeigten. Dieser Effekt musste für Jungen allerdings weiter differenziert werden. Ein niedriges Angstniveau zu Beginn der Untersuchung führte bei Vielsehern zu einem Angstanstieg, während bei einem hohen Anfangsniveau die Angst nachließ. Morgan (1982) unter­suchte in einer weiteren Langzeitstudie die Kultivierung von Geschlechtsstereotypen. Dabei erzielten Mädchen über die Zeit von zwei Jahren völlig andere Ergebnisse als Jungen. Während sich bei Mädchen ein signifikanter Zusammenhang zwischen Fern­sehdauer und Sexismus ergab, konnte dies für ihre männlichen Altersgenossen nicht festgestellt werden. Eine sexistische Haltung deutete bei Jungen jedoch einen ver­stärkten Fernsehkonsum an, was sie bei Mädchen nicht tat. Diese Ergebnisse sind ein weiterer Beleg für die Mainstreaming-Idee.

Fünf Jahre später konnte Morgan (1987) neue Ergebnisse zur Kultivierung von Geschlechtsstereotypen präsentieren. Auch in dieser relativ kurzen Langzeitstudie über sechs Monate akzeptierten Vielseher eher eine traditionelle Aufteilung von Haus­arbeit als Wenigseher. Es wurde ein Zusammenhang zwischen Fernsehkonsum und sexistischen Einstellungen, nicht aber dem Verhalten festgestellt. Vielmehr schien das Verhalten diesen Zusammenhang zu beeinflussen, und zwar für Jungen und Mädchen in unterschiedlicher Weise. Bei Jungen, die ein traditionell orientiertes Rollenverhalten an den Tag legten, veränderte sich die Haltung durch vermehrtes Fernsehen nicht. Verhielten sich die Jungen eher weniger geschlechtsstereotyp, konnte verstärktes Fernsehen die Meinung durchaus beeinflussen. Bei Mädchen waren diese Relationen genau umgekehrt. Außerdem deutete sich eine wechselseitige Beziehung zwischen der Fernsehzeit und der Übereinstimmung von Verhalten und Einstellung bezüglich der Aufteilung von Hausarbeiten an.

Neben der Bestätigung der Kultivierungshypothese war auch das Aufdecken der zugrunde liegenden psychologischen Prozesse Ziel zahlreicher Forschungsstudien. Shrum (1999a, 2002) stellte auf Basis der Verfügbarkeitsheuristik ein Erklärungsmodell auf. Die Grundannahmen sind, dass bei einer schnellen Urteilsfindung nur kurz not­wendige Informationen gesammelt werden (heuristic sufficiency principle) und dass vor allem auf leicht zugängliche Daten zurückgegriffen wird (accessibility principle). Je häufiger man eine bestimmte Information aufnimmt (frequency), je kürzer der Zeitraum seit der letzten Aufnahme ist (recency) und je anschaulicher die Darbietung ist (vividness), desto zugänglicher ist das Gespeicherte. Übertragen auf die Kultivierungs­hypothese bedeutet das, dass Vielseher eher eine Fernsehantwort geben, weil sie die fernsehvermittelten Inhalte häufiger, in kürzeren Abständen und anschaulicher wahr­nehmen als Wenigseher. Das wirkt sich auf ihre Urteile über Personen, Einstellungen und Wahrscheinlichkeiten aus. Diese Aspekte lassen sich in ein Gesamtmodell integ­rieren (heuristic processing model of cultivation effects; Shrum, 1999a, 2002), das mit fünf Thesen beschrieben werden kann:

1. Der Fernsehkonsum beeinflusst, wie erwähnt, die Verfügbarkeit von Infor­matio­nen. Das lässt sich dadurch belegen, dass Vielseher ihre Fernsehantwort schneller geben (Shrum & O’Guinn, 1993).
2. Der Grad des Kultivierungseffekts ist wiederum von der Verfügbarkeit abhängig. So fallen bei leichterer Verfügbarkeit die Schätzungen von Häufigkeiten höher aus (Shrum, 1996).
3. Die Vorbilder im Fernsehen müssen als exemplarisch bewertet werden. Je stär­ker die Vorbehalte gegen die Quelle sind, desto geringer sind die Kultivierungs­effekte (Shrum et al., 1998).
4. Die Motivation zur kognitiven Verarbeitung spielt ebenfalls eine Rolle. Vollzieht sie sich in tieferem Maße, reduziert das den Kultivierungseffekt (Shrum et al., 1998).
5. Neben der Motivation beeinflusst auch die Möglichkeit zur Informationsverar­bei­tung das Ergebnis des Kultivierungsprozesses. Beispielsweise sind unter Zeit­druck eher Kultivierungseffekte zu erwarten.

Als Alternativerklärung zur Verfügbarkeitsheuristik wäre laut Shrum (1996) auch denkbar, dass die Personen sich danach entscheiden, was für sie vorstellbar ist (simulation heuristic) oder was sie aus ihrem Weltbild ableiten können (representative­ness heuristic). Möglicherweise tragen sowohl Verfügbarkeit als auch Repräsentativität sequentiell zur Entscheidungsfindung bei. Vielleicht beziehen sich die Probanden jedoch einfach nur auf frühere Urteile. Ebenso ist nicht auszuschließen, dass es noch ganz andere Gründe gibt, warum Vielseher schneller antworten als Wenigseher.

Allerdings gibt es auch einige Faktoren, die den Kultivierungseffekt beeinflussen können. Sollten sich die Zuschauer bereits früher eine eigene Meinung gebildet haben, ist diese leichter verfügbar als die fernsehvermittelten Einstellungen (Hastie & Park, 1986). In diesem Fall käme es zu keiner oder nur einer geringen Kultivierung. Laut Shrum (1995) spielt es ebenfalls eine Rolle, ob sich der Befragte seiner Informations­quelle bewusst ist. Aktive Fernsehkonsumenten speichern nicht nur die Inhalte, son­dern auch die Quelle (high involvement). Passive Zuschauer elaborieren dagegen nur wenig (low involvement) und wissen deshalb später nicht mehr, woher die Botschaft stammt. Damit sind bei ihnen eher Kultivierungseffekte zu erwarten. Gibt man den Per­sonen jedoch einen Hinweis darauf, dass ihre Erinnerung möglicherweise durch das Fernsehen verzerrt sein könnte, sind sie eher in der Lage, dieser Beein­flussung entge­gen zu wirken (Shrum et al., 1998).

Die Kultivierungsforschung hat jedoch auch viel Kritik geerntet. So bemängelte Newcomb (1978), dass die gesamte Theorie auf unbelegten Annahmen basieren würde, die erst überprüft werden müssten. Als Beispiel hierfür nannte er die Behaup­tung, dass Fakten eher als Einstellungen kultiviert werden würden (Gerbner & Gross, 1976). Ferner würde vorausgesetzt, dass alle dieselbe Definition für Gewalt und Ver­wicklung in eine Gewalttat gehabt hätten. Alles in allem vermutete Newcomb, dass das Kultivierungsmodell zu einfach für die Komplexität des Fernsehens wäre. Ähnlich äußerte sich auch Hughes (1980). Seiner Meinung nach gab es drei Möglichkeiten, die geringe Passung zwischen Theorie und Empirie zu erklären. Es könnte sein, dass die Kultivierungshypothese schlicht falsch sei und das Fernsehen reale Konzepte kulti­viere. Falls sie doch richtig sei, war eventuell die Analysemethode nicht geeignet. Oder die Kultivierungshypothese war zu einfach für die komplexen Effekte.

Hughes’ Kritik bezog sich, wie auch bei Hirsch (1980), dem Hauptkritiker der Kulti­vierungs­theorie, zum einen darauf, dass eine mögliche Kausalität nicht bewiesen war und sich die Korrelationen ebenso durch eine Drittvariable oder eine wechselseitige Beziehung erklären lassen konnten. Zum anderen wurde kritisiert, dass weitere Vari­ablen wie demographische und soziale Faktoren zu wenig kontrolliert worden seien. Wenn man diese Variablen, zum Beispiel die Zeit, die die Probanden gewöhnlich pro Tag zu Hause verbrachten, genauer berücksichtigte, reduzierten sie die ohnehin gerin­gen und – nebenbei auch nicht immer vorhandenen – Kultivierungseffekte bis zur Nicht-Signifi­kanz (Hirsch, 1980; Hughes, 1980).

Darüber hinaus beanstandete Hirsch (1980), dass die Klassifikation von Viel- und Wenigsehern von Studie zu Studie aufgrund unter­schiedlicher Stichprobenzusammen­setzungen variierte. Zusätzlich führte er noch die Kategorien Nicht- und Extremviel­seher ein. Auffällig war, dass Nichtseher oft stärkere Kultivierungseffekte aufwiesen als Seher und dass Extremvielseher bei manchen Items am seltensten die Fernsehantwort gaben.

Auf den Vorwurf, nur geringe Effekte zu erzielen, reagierten Gerbner et al. (2002) damit, dass auch diese mit einer großen Wirkung verbunden sein könnten. Anhand einer Analogie versuchten sie, dies zu ver­anschaulichen. Eine Veränderung der Durchschnittserdtemperatur um wenige Grad würde bereits eine Eiszeit beziehungs­weise Erderwärmung bedeuten. Schon die geringfügige Steigerung der Einnahmen rechtfertige teure Werbekampagnen. Dem­nach seien die kleinen Kultivierungseffekte durchaus beachtenswert, da sich dadurch die allgemeine soziale und politische Ent­scheidungsfindung beeinflussen lassen könnte.

Bisher wurde vor allem die Kultivierung durch Nachrichten und fiktionale Unterhal­tung überprüft. Der Aufbau der vorliegenden Untersuchung erfolgt analog zu einer Stu­die von Bachhuber, Haberkern, Kreuzpointner und Prücklmeier (2003) zum Einfluss von Daily Soaps, in der die Probanden Aussagen, die die Hauptinhalte der Serien widerspiegeln sollten, beurteilten und diese Ergebnisse auf ihren Zusammenhang mit der Konsumhäufigkeit überprüft wurden. In Erweiterung dieser Erfahrungsbasis soll in der aktuellen Studie die nonfiktionale Unterhaltung als Grundlage dienen. Hier erfährt der Zuschauer nämlich in erster Linie Unterhaltung, jedoch mit realen Bezügen. Als Beispielsendungen werden „TV total“ und „Harald Schmidt“ ausgewählt, da diese For­mate eine humoristische Aufarbeitung des aktuellen Geschehens beinhalten.

2. Fragestellung und Hypothesen

Im Folgenden soll untersucht werden, inwiefern Einstellungen, die in den Sendun­gen „Harald Schmidt“ und „TV total“ vermittelt werden, von den Zuschauern kultiviert wer­den. Daraus ergeben sich vier Hypothesen:

1. Personen, die die genannten Formate häufig sehen, stimmen in höherem Maße den fernsehaffinen Einstellungen zu als Wenigseher. Wie Gerbner und Gross seit 1976 in mehrere Studien belegen konnten, gibt es eine positive Korrelation zwischen dem Ausmaß des Fernsehkonsums und der Überschätzung der Häu­figkeit von Gewalttaten. Weitere Forscher konnten diese Kultivierungseffekte auch für andere Bereiche wie zum Beispiel gesellschaftliche Einschätzungen (Shrum & O’Guinn, 1993), Meinungen zur Rollenverteilung zwischen Mann und Frau (Shrum, 1996; Signorielli, 1989; Volgy & Schwarz, 1980) oder politische Einstellungen (Lewis, Jhally & Morgan, 1991) nachwei­sen. Im vorliegenden Fall bedeutet fernsehaffine Einstellung die Übernahme des in „TV total“ und „Harald Schmidt“ vermittelten Weltbildes.
2. Langjährige Zuschauer zeigen eher Kultivierungseffekte als diejenigen, die erst seit kurzem die Sendungen verfolgen. Zusätzlich zur Häufigkeit des Fernseh­konsums soll der Aspekt der Dauer in diese Untersuchung aufgenommen werden, da die Aus­sage der Versuchspersonen, wie oft sie eine Sendung sehen, durch die Angabe, wie lange sie diese Gewohnheit schon pflegen, noch weiter präzisiert werden kann.
3. Die Zustimmung zu einer Aussage erfolgt bei Vielsehern schneller als bei Perso­nen, die „Harald Schmidt“ und „TV total“ nicht so häufig sehen. Dadurch soll die Einstellungsstärke operationalisiert werden.
4. Analog zu den ersten beiden Hypothesen spielt auch bei der Einstellungsstärke nicht nur die Häufigkeit, sondern ebenso die Dauer des Fernsehkonsums eine ent­scheidende Rolle. Im Sinne der Kultivierungshypothese bedeutet das, dass ein lang­jähriger Zuschauer ebenso wie ein Zuschauer, der häufig die Sendungen verfolgt, schneller zustimmt als ein Wenig- oder Nichtseher.

Der Begriff Einstellungsstärke wurde erstmals durch Shrum (1999b) eingeführt und betont, dass Meinungen durch häufigen Fernsehkonsum nicht nur übernommen, son­dern auch verfestigt werden. Krosnick und Petty (1995) definieren Einstellungsstärke zum einen als Ausmaß an Stabilität einer Einstellung über längere Zeit und ihre Resistenz gegenüber Veränderungen. Zum anderen gebe sie an, wie groß der Einfluss der Einstellung auf die Informationsverar­beitung und das Verhalten sowie die Urteils­bildung sei (Krosnick & Petty, 1995). Ein Indikator für die Einstellungsstärke ist nach Fazio (1995) die Zugänglichkeit einer Ein­stellung. Je stärker die Assoziation mit einer Einstellung ist, desto leichter zugänglich ist sie und desto schneller kann ein Urteil erfolgen (Fazio, 1995).

Bezogen auf die Kultivierungstheorie heißt das, dass Vielsehen die Assoziation zu den Fernsehinhalten durch wiederholte Darbietung stärkt. Dadurch werden diese Ein­stellungen zugänglicher und Vielseher weisen eine kürzere Reaktionszeit als Wenig­seher auf, wenn sie über ihre Zustimmung zu diesen durch das Fernsehen vermittelten Einstellungen entscheiden sollen. Von einer schnelleren Reaktion wird somit auf eine höhere Ein­stellungsstärke geschlossen (Fazio, 1995; Shrum, 1999b). Dieses Konstrukt ist wichtig zur Untermauerung der Kultivierungshypothese, da sich in vielen Studien keine signifi­kanten Korrelationen ergaben, wenn ausschließlich die Einstellungsrich­tung betrachtet wurde. Das ist darauf zurück zu führen, dass auch Wenigseher die Fernsehantwort geben können, obwohl sie sich diesbezüglich nicht sicher sind (Shrum, 1999b). Im Falle einer Zustimmung ist nicht festzustellen, ob die Versuchsperson zufäl­lig oder aus Überzeugung so antwortet.

Shrum (1999b), der erstmals die Einstellungsstärke in seine Untersuchungen zur Kultivierung von Daily-Soap-Inhalten mit einbezog, ermit­telte, wie oben erwähnt, bei der Einstellungsrichtung nur teilweise, bei der Einstel­lungsstärke jedoch durchweg sig­nifikante Korrelationen zwischen Fernsehdauer und Kultivierung der vermittelten Ein­stellungen. Deshalb soll in der vorliegenden Studie zusätzlich zu den Einstellungen auch die Reaktionszeit berücksichtigt werden. Die Hypothese lautet also, dass Viel­seher nicht nur öfter zustimmen, sondern auch schneller antworten.

3. Voruntersuchung: Analyse der Formate „Harald Schmidt“ und „TV total“

3.1 Harald Schmidt

Seit 23. Dezember 2004 (regelmäßig seit 19. Januar 2005) wird die von Bonito TV pro­duzierte Show „Harald Schmidt“ mittwochs und donnerstags in der ARD ausgestrahlt. Die Sendung beginnt mit einer Aufarbeitung aktueller Themen. Danach folgen ver­schiedene Einspieler wie der „Machiavelli des Tages“, „Von den Großen lernen“ oder „Haralds hundert hippste Hits“ und das Gespräch mit dem Gast. Moderator Harald Schmidt erhält Unterstützung von seinem Sidekick und Redaktionsleiter Manuel Andrack, der Französin Nathalie Licard und der ARD-Showband. Entgegen der Ankün­digung in den ersten Sendungen werden inzwischen auch wieder Gäste eingeladen. Hauptsächlich beschäftigt sich Harald Schmidt jedoch mit aktuellen Themen und wirft einen kritischen Blick auf die Medienlandschaft. Die Erstausgabe von „Harald Schmidt“ in der ARD erreichte einen Marktanteil von 16.6 % (http://www.medienblick.de/schmidt/ 2004/11-01/page.htm [Stand: 2006-11-06]).

Donnerstags und freitags erfolgt kurz vor 20 Uhr eine Zusammenfassung der High­lights vom Vortag. Ebenso werden in den ARD-Hörfunkprogrammen Ausschnitte aus „Harald Schmidt“ gesendet (http://www.medienblick.de/schmidt/2004/11-01/page.htm [Stand: 2006-11-06]). Abgesehen von vereinzelten Live-Shows im Anschluss an besondere Fußballspiele wie beispielsweise dem DFB-Pokalfinale 2005 gibt es keine Sondersendungen.

Etwa ein Jahr bevor „Harald Schmidt“ auf Sendung ging, wurde der Vorläufer – die „Harald-Schmidt-Show“ – eingestellt. Für die langjährige Sat1-Show wurden Harald Schmidt im Laufe der Jahre alle deutschen Fernsehpreise (http://www.bonito.tv/ projekte/hss.html [Stand: 2006-11-06]) verliehen. Die durchschnittlichen Marktanteile in der werberelevanten Zielgruppe der 14- bis 49-jährigen lagen etwa bei 15 % (http://www.bonito.tv/projekte/hss.html [Stand: 2006-11-06]). Nach einer einjährigen Kreativpause folgte der Wechsel zur ARD, wobei das Konzept kaum modifiziert wurde. Mit leicht veränderter Studio-Dekoration knüpfte „Harald Schmidt“ nahezu nahtlos an die „Harald-Schmidt-Show“-Zeiten an.

Des Öfteren haben Aussagen in der Show schon Klagen und einstweilige Verfügun­gen nach sich gezogen. Im Gegensatz dazu stehen diverse Auszeichnungen: Die „Harald-Schmidt-Show“ erhielt unter anderem dreimal den Deutschen Fernsehpreis (2000, 2001 und 2003) und zweimal den Adolf-Grimme-Preis (1997 und 2002), mit dem Harald Schmidt 1992 schon einmal für eine andere Sendung ausgezeichnet wor­den war. Die Preisverleihung 2002 für die erste Sendung nach den Terroranschlägen vom 11. September 2001 begründet die Jury des Adolf-Grimme-Instituts unter ande­rem mit folgenden Worten:

Aus zähem Draht gebaut, den spähenden Kopf vorgestreckt, grinst Harald Schmidt seit mehr als sechs Jahren mit hundert Schneidezähnen in deutsche Wohnzimmer. Er ist ruhiger geworden in dieser Zeit, der entspannteste Entertainer im Land überhaupt, locker und pointiert, ein brillanter Meister des Halbsatzes und der knappen Geste; keine sichtbare Anstrengung, keine Attitüde, die sich nicht sofort selbst entlarvte: Harald Schmidt ist ein Synonym für Souveränität. […] Als Klassensprecher für die 30- bis 40-Jährigen gefeiert, ist Harald Schmidt heute weit mehr als der Narr der letzten Stunde: Wenn er die großen Sätze der Zeit so oft wiederholt, dass die benutzten Silben beschädigt unter ihnen hervortreten, wenn er seine an ungezählten Besuchern erprobte Kunst, die öffentliche und private Person seiner Gäste in ihrem attitüdenhaften Wechselspiel vorzuführen, anlässlich des politischen Umgangs mit dem 11. September dazu benutzt, die Differenz zwischen öffentlicher Rede und privaten Gefühlen zu entlarven – dann ist Harald Schmidt der vielleicht beste politische Kommentator im deutschen Fernsehen überhaupt. Ein virtuoser Entrümpler, der die Bruchstücke, die Ideolekte und Jargons ordnet, wie Eisenspäne in einem Magnetfeld. (http://www.grimme-institut.de/scripts/preis/agp_2002/scripts/beitrag_spezial_schmidt.html [Stand:2006-11-06])

3.2 TV total

Am 08. März 1999 startete „TV total“ auf ProSieben. Seit Februar 2001 läuft die von Stefan Raab moderierte Show viermal pro Woche, nachdem sie anfangs nur montags ausgestrahlt worden war. „TV total“ wird produziert von Stefan Raabs Produktionsfirma Raab TV. Bestandteile einer Ausgabe sind der Stand-up zu Beginn, in dem aktuelle Themen und Fernsehausschnitte kommentiert werden, der Talk mit prominenten und nicht prominenten Gästen sowie verschiedenen Aktionen wie Straßenumfragen, Musikeinlagen oder das Quiz „Blamieren oder Kassieren“. Unterstützt wird Stefan Raab von seinem langjährigen Showpraktikanten Elton und von seiner Studioband „The Heavytones“.

Außerdem finden im Rahmen von „TV total“ immer wieder große Sportveranstal­tungen statt, zum Beispiel das Turmspringen, die Stock Car Crash Challenge, das Springreiten und vor allem die Wok-Weltmeisterschaften, bei der Stefan Raab und seine Gäste in einem chinesischen Wok eine Rodelbahn hinunterfahren (http://www.tvtotal.prosieben.de [Stand: 2006-11-06]). Die ersten beiden Wok-Weltmeis­terschaften im Winter 2003/04 erreichten Marktanteile von 29.7 % bezie­hungsweise 33.7 % in der werberelevanten Zielgruppe (http://www.brainpool.de/ de/produktionen/shows/tvtotal/ [Stand: 2006-01-18]. Das Konzept der sportlichen Wett­bewerbe mit Prominenten wurde aufgrund seines Erfolgs wenig später auf ARD (Biathlon) und ZDF (Turnen) nachgeahmt.

Neben Sportereignissen spielt auch die Musik eine große Rolle. Bekannt geworden sind unter anderem die von Stefan Raab komponierten Titel „Maschendrahtzaun“ (1999) oder „Wadde hadde dudde da“ (2000). Mit Letzterem trat Stefan Raab beim Eurovision Songcontest an, dem er sich immer wieder mit großem Engagement wid­met. Im Jahr 2004 fand eigens für diesen Wettbewerb das Casting „Stefan sucht den Super-Grand-Prix-Star“ (SSDSGPS) – in Anlehnung an „Deutschland sucht den Superstar“ (DSDS) – bei „TV total“ statt, aus dem Max Mutzke als Sieger hervorging. Seit 2005 veranstaltet Stefan Raab den Bundesvision Songcontest, ein dem europä­ischen Vorbild nachempfundener musikalischer Wettstreit mit Künstlern aus den sech­zehn deutschen Bundesländern. In der „TV total Jazz Night – ein Abend mit Stil“ widmete sich Stefan Raab zusammen mit Max Mutzke, Tom Gäbel und Helge Schneider der Interpretation von amerikanischen Jazz- und Swing-Klassikern.

Neueste Show unter den „TV total“-Ablegern ist seit September 2006 „Schlag den Raab“. In bis zu fünfzehn Spielen, bei denen Wissen, Geschick, Ausdauer oder sportli­ches Können gefragt sind, tritt Stefan Raab gegen einen Kandidaten an. Falls dieser gewinnt, erhält er mindestens 500 000 Euro, falls nicht, wandert das Geld in den Jackpot.

Ferner gibt es Themenwochen wie „Istanbul total“ anlässlich der Teilnahme am Eurovision Songcontest 2004 in Istanbul, „WM total“ und „EM total“ während den Fußball-Welt- und Europameisterschaften, der „TV total Tanzwoche“ oder „TV total goes St. Moritz“ im Januar 2006.

„TV total“ ist ein stark polarisierendes Format. Auf der einen Seite wurden bereits mehrere Klagen von Menschen, die ihre Persönlichkeitsrechte durch in der Sendung getätigte Aussagen verletzt sahen, erhoben. Auf der anderen Seite wurde die Show mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet, zum Beispiel mit dem Deutschen Fernsehpreis 1999 und der Bronzenen Rose von Montreux 2001 (http://www.brainpool.de/de/ produktionen/shows/tvtotal/ [Stand: 2006-11-06]). Stefan Raab selbst erhielt die Golde­nen Kamera 2004 in der Kategorie „TV Entertainer“ und den Adolf-Grimme-Preis 2005 für die „Entdeckung und Förderung von Musiktalenten durch ‚SSDSGPS – Ein Lied für Istanbul’. In der Begründung der Jury heißt es:

Bei Stefan Raabs Wettbewerb herrscht Spaß vor, der nicht herrschsüchtig ist, es geht charmant-chaotisch zu, mit Lust und Laune wird das Kind im Menschen offenbar, man wird höchst vergnügsam unterhalten, ohne dabei ein schlechtes Gewissen haben zu müssen. Und dabei kommt unterm Strich gute Popmusik heraus. Das ist einfach sympathisch, das ist junges, frisches Fernsehen auf der Höhe der Zeit, das ist in der immer stromlinienförmigeren TV-Landschaft wahrlich eine Leistung, das ist Stefan Raab. Der mit dem Fernsehen spielt, als Entdecker und Förderer von Musiktalenten. Das ist die unterschätzte, aber so schätzenswerte Seite des Stefan Raab. (http://www.grimme-institut.de/scripts/preis/agp_2005/scripts/preistr/spez_raab.html [Stand:2006-11-06])

3.3 Einstellungsanalyse

3.3.1 Analyse der Themengebiete

Um sich ein Bild davon machen zu können, welche Einstellungen bei „Harald Schmidt“ und „TV total“ vermittelt werden, wurden die Sendungen in einem Zeitraum von vier Wochen (05. bis 29. September 2005) aufgezeichnet und ihre Inhalte analysiert. Es handelt sich dabei um sechzehn Ausgaben von „TV total“ und acht von „Harald Schmidt“, also insgesamt 24 Sendungen. Zunächst wurde für jede Show ein Sen­dungsprotokoll angefertigt, das die behandelten Themen und deren Dauer enthält (vgl. Anhang A). Die einzelnen Programmpunkte ließen sich den Kategorien

- Fernsehen,
- Gäste,
- Meldungen,
- Moderation,
- Politik,
- Prominenz,
- Spiel & Aktion sowie
- Sport

zuordnen. Bei „TV total“ wurde diese Aufstellung noch um „Musik & Comedy“ erweitert. Für „Harald Schmidt“ konnten folgende Zeitanteile ermittelt werden: Politik 38.9 %, Gäste 29.8 %, Spiele und Aktionen 12.3 %, Moderation 8.7 %, Fernsehen 3.7 %, Mel­dungen 3.6 %, Sport 1.9 % sowie Prominenz 1.1 % (vgl. Tab. 3.1).

Tabelle 3.1: Thematische Aufteilung der Sendezeit bei „Harald Schmidt“

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Eine Analyse der Sendungsprotokolle von „TV total“ ergab folgende Aufteilung: Der größte Teil der Sendezeit (28.1 %) wird den Gästen gewidmet. Des Weiteren erreich­ten Politik 21.0 %, Moderation 15.6 %, Musik- und Comedyauftritte 8.7 %, Spiele und Aktionen 8.7 %, Fernsehausschnitte 7.2 %, Sport 5.3 %, Prominenz 2.8 % und andere Meldungen 2.5 % (vgl. Tab. 3.2).

Tabelle 3.2: Thematische Aufteilung der Sendezeit bei „TV total“

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

3.3.2 Auswahl der Einstellungsitems

Aus den genannten Themengebieten lassen sich verschiedene Einstellungen heraus­filtern. Für die Hauptuntersuchung wurden stellvertretend 35 Aussagen ausgewählt, die sich in sieben Kategorien gliedern lassen.

Politik

1) Politiker sind oft nur noch Witzfiguren.

2) Um die Demokratie zu unterstützen, ist es wichtig, sich für die Politik im eige­nen Land zu interessieren.

3) Für Politiker ist Macht wichtiger als Inhalte.

4) Politiker setzen mehr auf eine gute Show als auf eine sachliche Argumentation.

5) Politiker können sich in Talkrunden nicht anständig benehmen.

Prominente

6) Prominente kommen nur in TV-Shows, um etwas (CD, Film, Buch etc.) zu ver­markten.

7) In Prominentenkreisen sind Alkohol und Drogen weit verbreitet.

8) Prominente tun alles, um Aufmerksamkeit zu erregen.

9) Prominente merken nicht, wenn sie keiner sehen will.

10) Prominente verhalten sich oft sonderbar.

Medien

11) Unfassbar, wer alles im Fernsehen seine Meinung verkünden darf.

12) In den Medien wird man oft getäuscht.

13) Um Sendezeit oder Zeitungsspalten zu füllen, wird oft auf völlig sinnfreie Meldun­gen zurückgegriffen.

14) In den Medien ist eine reißerische Aufmachung wichtiger als der Inhalt.

15) In den Medien ist Geld wichtiger als Moral.

Tabuthemen

16) Tabus sind da, um gebrochen zu werden.

17) In den meisten Fällen ist ein Alkohol- oder Drogenrausch eher lustig als gefähr­lich.

18) Sex ist kein Tabuthema.

19) Wegen einer kleinen Schlägerei sollte man sich nicht aufregen.

20) Witze über den Nationalsozialismus sind erlaubt.

Vorurteile

21) Ostdeutsche sind keine richtigen Deutschen.

22) Volksmusik ist Volksverdummung.

23) Homosexualität ist etwas sehr Lustiges.

24) Frauen und Senioren stellen sich oft ziemlich dämlich an.

25) Die USA und Russland sind sehr militaristisch geprägt.

Umgang mit Menschen

26) Zu viel Respekt vor anderen ist unangebracht.

27) In einer lockeren Unterhaltung ist auch ein flapsiger Umgangston o. k.

28) Es ist immer wieder interessant, einen Blick über den eigenen Tellerrand zu wagen.

29) Wer austeilt, muss auch einstecken können.

30) Man muss sich nicht alles gefallen lassen.

Spaß

31) Man sollte nichts allzu ernst nehmen.

32) Man muss sich auch mal selbst zum Clown machen können.

33) Pannen sind witzig – egal, ob es die eigenen oder die von anderen sind.

34) Spaß ist wichtiger als Perfektion.

35) No risk, no fun.

Im Folgenden werden für jede Aussage beispielhafte Szenen angeführt, die die Aus­wahl begründen sollen (für einen ausführlicheren Überblick vgl. Anhang B).

1) Politiker sind oft nur noch Witzfiguren. (in 21 von 24 Sendungen gefunden)

Wenn bei „TV total“ oder „Harald Schmidt“ Politiker zum Thema werden, stehen selten politische Inhalte im Mittelpunkt des Interesses. Es geht vielmehr darum, ihre mensch­liche und belächelnswerte Seite hervorzuheben. So zeigt Stefan Raab einen Fernseh­ausschnitt, in dem zu sehen ist, wie Angela Merkel sich während einer Rede von Edmund Stoiber im Bundestag mit ihrem Handy beschäftigt. Er stellt daraufhin die Vermutung auf, dass sie sich einen aktuellen Klingelton herunterlade oder ein Handy­spiel ausprobiere. Ein anderes Mal bezweifelt Stefan Raab den Sinn von Angela Merkels Aussage „Der Staat muss Gärtner sein und nicht Zaun“. Er überlegt, was es bedeuten könnte, während eine Fotomontage eingeblendet wird, auf der Angela Merkel mit Gärtnerschürze und Gießkanne zwischen hochrangigen Politikern wie George Bush oder Jacques Chirac abgebildet ist. Harald Schmidt berichtet von einem Besuch Gerhard Schröders auf der IAA. Diese harmlose Begebenheit wird zur Pointe, als dem damaligen Kanzler unterstellt wird, er würde dort Vorstellungsgespräche führen – eine Anspielung auf die drohende Abwahl.

2) Um die Demokratie zu unterstützen, ist es wichtig, sich für die Politik im eigenen Land zu interessieren. (in 12 von 24 Sendungen gefunden)

Obwohl meist die humoristische Aufarbeitung des politischen Geschehens im Vorder­grund steht und keiner der Politiker davon verschont wird, scheinen sich Stefan Raab und Harald Schmidt dennoch ihrer Vorbildfunktion bewusst zu sein. Deshalb versuchen sie, ihr Publikum davon zu überzeugen, dass eine Auseinandersetzung mit politischen Themen für einen Bürger in einem demokratischen Staat von großer Bedeutung ist. Allerdings tun sie das auf ihre eigene Art. So veranstaltet Stefan Raab am Vorabend der Bundestagswahl 2005 die „TV total Bundestagswahl“, um seine Zuschauer zum Wählen zu motivieren. Auch schon vorher fordert er sein Publikum explizit auf: „Gehen Sie wählen!“ (Stefan Raab in „TV total“ am 07.09.2005). Außerdem stellt er den „Wahl-O-Maten“ auf der Internetseite der Bundeszentrale für politische Bildung, auf der Unentschlossene ihre Einstellung zu bestimmten Aussagen mit den Parteiprogrammen vergleichen können, vor und macht zusammen mit Elton einen Probelauf. Harald Schmidt greift das Thema Bundestagswahl ebenfalls immer wieder auf. Er erklärt beispielsweise an fingierten Wahlunterlagen, wie die Kreuze gesetzt werden können, spricht mit seinen Gästen über deren Wahlabsichten und verkündet, dass er selbst wählen gehe. Dabei lässt er wie auch Stefan Raab aber nie durchblicken, welche poli­tische Richtung er favorisiert, um die Zuschauer nicht zu beeinflussen.

3) Für Politiker ist Macht wichtiger als Inhalte. (in 9 von 24 Sendungen gefunden)

Der Wahlkampf zur Bundestagswahl 2005 wird von Harald Schmidt und Stefan Raab mehr als kritisch beäugt und kommentiert. Dabei konzentrieren sie sich vor allem darauf, dass Politiker scheinbar mit allen Mitteln versuchen, an die Macht zu kommen. Ein Sieg scheint das Wichtigste, eine Niederlage nicht akzeptabel zu sein. Aufgrund einer Meldung, dass die Unionsparteien bei einem Patt Neuwahlen planen, meint Stefan Raab deshalb, dass CDU/CSU wohl solange wählen lassen würden, bis sie gewonnen hätten. Harald Schmidt berichtet, dass die CDU im Wahlkampf alles tue, um Stimmen zu fangen. Es würden sogar Konrad-Adenauer-Plakate aufgehängt. Eines der Hauptthemen im Rahmen der Bundestagswahl 2005 wird jedoch der Auftritt von Gerhard Schröder in der Elefantenrunde am Wahlabend. Die Siegerposen trotz zah­lenmäßiger Unterlegenheit werden sowohl bei „TV total“ als auch bei „Harald Schmidt“ ausführlich aufgearbeitet. Die Gründe dafür, dass Schröder das Wahlergebnis nicht anerkennt, werden scherzhaft bei Alkohol und Drogen gesucht. Gerhard Schröder selbst erscheint dadurch als ein Mann, der nicht akzeptieren kann, dass er Macht ab­geben muss.

4) Politiker setzen mehr auf eine gute Show als auf eine sachliche Argumentation. (in 9 von 24 Sendungen gefunden)

Um Stimmen zu gewinnen – im Wahlkampf, aber auch sonst – scheint eine optimale Präsentation der eigenen Person unabdingbar. Oftmals wird dies zielstrebiger verfolgt als alles andere. Inhaltliche Diskussionen werden zu Gunsten eines emotionalen Appells hintan gestellt. So kritisiert Harald Schmidt, dass George Bush und Condoleezza Rice nach der Flut in New Orleans für die Fernsehkameras Hilfsbereit­schaft heuchelten. Der US-Präsident stehe mit hochgekrempelten Ärmeln neben den Betroffenen und signalisiere tatkräftige Unterstützung, während seine Außenministerin symbolisch eine Kiste tragen helfe. In der bereits erwähnten Elefantenrunde am Abend der Bundestagswahl 2005 scheint das tatsächliche Ergebnis nur eine Nebenrolle zu spielen – worauf auch Stefan Raab anspielt, indem er zu Beginn seiner Sendung die Siegerposen sämtlicher Parteivorsitzender imitiert und feststellt, dass seltsamerweise alle gewonnen zu haben scheinen. In dieser unklaren Ausgangssituation für die Regie­rungsbildung scheint die Eigendarstellung der Politiker viel wichtiger zu sein. Bereits vorher im TV-Duell der beiden Kandidaten glaubt Stefan Raab ein taktisches Manöver von Gerhard Schröder zu erkennen, als dieser seine Liebe zu seiner Frau Doris erklärt. Um dies hervorzuheben, singt Stefan Raab sogar ein Liebeslied für die beiden.

5) Politiker können sich in Talkrunden nicht anständig benehmen. (in 7 von 24 Sen­dungen gefunden)

Im Zuge der Bundestagswahl 2005 wurden vermehrt Polit-Talk-Shows ausgestrahlt, in denen den Zuschauern die Möglichkeit geboten werden sollte, Vertreter der verschie­denen Parteien im direkten Vergleich zu erleben. Sowohl bei „TV total“ als auch bei „Harald Schmidt“ werden Ausschnitte aus diesen Sendungen gezeigt, in denen beinahe nur über die jedem Einzelnen zustehende Redezeit gestritten wird und kaum über politische Inhalte. Harald Schmidt und Stefan Raab erklären, dass sie mit diesen Zusammenfassungen der zentralen Aussagen ihr Publikum informieren möchten. Durch den Zusammenschnitt entsprechender Aussagen wird dieser Eindruck noch verstärkt. Alle fallen sich gegenseitig ins Wort und beklagen, dass sie nie ausreden dürften. Das Misstrauen, dass der politische Gegner möglicherweise ein paar Sekun­den länger sprechen könnte, erscheint fast panikartig. Was vor der Wahl mit dem Streit um Wähler begann, wird nach der Wahl mit der Auseinandersetzung über die richtige Auslegung des Wahlergebnisses fortgesetzt.

6) Prominente kommen nur in TV-Shows, um etwas (CD, Film, Buch etc.) zu ver­markten. (in 20 von 24 Sendungen gefunden).

Gäste aus Musik, Fernsehen, Kino und Comedy sind ein wichtiger Bestandteil der Shows. Während bei „Harald Schmidt“ ein Gast eingeladen wird, sind es bei „TV total“ aufgrund der längeren Sendezeit meist zwei. Im Talk sprechen sie über ihre aktuelle Arbeit und haben fast immer etwas im Gepäck, das sie dem Publikum näher bringen möchten. Auf der Showbühne treten Musiker wie Yvonne Catterfeld, Sheryl Crow und Juli auf und stellen ihre aktuellen Singles vor. Schauspieler wie Alexandra Maria Lara, Anja Knauer und Christoph Maria Herbst weisen auf ihre neuen Filme und Serien im Fernsehen beziehungsweise Kino hin. Comedians wie Johann König, Jürgen von der Lippe und Helge Schneider werben für ihre Tourneen. Insbesondere Eigenproduktio­nen der ausstrahlenden Sender, also ARD und ProSieben wird eine Plattform geboten, um das Publikum zu binden.

7) In Prominentenkreisen sind Alkohol und Drogen weit verbreitet. (in 11 von 24 Sen­dungen gefunden)

Wenn bei „TV total“ oder „Harald Schmidt“ über Prominente berichtet wird, spielt oft deren angeblicher oder auch ganz offensichtlicher Alkohol- oder Drogenkonsum eine Rolle. So zieht Harald Schmidt unter dem Motto „Dieses Land wird mit der Leber regiert“ (Harald Schmidt in „Harald Schmidt“ am 21.09.2005) Bilanz darüber, welches Verhältnis deutsche Politiker zum Alkohol hatten und haben. Stefan Raab zeigt einen Fernsehausschnitt, in dem Gerhard Mayer-Vorfelder eine Pressekonferenz abhält und dabei sehr angeschlagen wirkt, und erklärt, dass der DFB-Präsident mit Dornkaat fit gespritzt werden musste. Doch nicht nur Politikern und Verantwortlichen aus dem Fuß­ball wird Alkoholkonsum nachgesagt, sondern auch Vertretern des Showgeschäfts. In beiden Sendungen wird die BILD-Schlagzeile „Nazi-Vergleich im Schnapsrausch! Dieter Thomas Heck poltert gegen Merkel“ aufgearbeitet. Angeblich hatte der Show­master nach einer TV-Sendung eine Rede in angetrunkenen Zustand gehalten und Angela Merkel mit den Nationalsozialisten verglichen. Daraufhin sagte Stefan Raab, dass das nichts Ungewöhnliches wäre und Dieter Thomas Heck schon vor jeder Sen­dung seinen Schnaps trinken würde.

8) Prominente tun alles, um Aufmerksamkeit zu erregen. (in 6 von 24 Sendungen gefunden)

Des Öfteren fallen Schlagzeilen auf, die zwar auf den ersten Blick wie ein Skandal wir­ken, jedoch nichts anderes als einen gut platzierten Promotionsversuch darstellen. Auch die Gäste von „TV total“ müssen sich teilweise diesen Vorwürfen stellen. Charlotte Engelhardt ist anlässlich ihrer Bilder im Playboy bei „TV total“ zu Gast. Stefan Raab fragt sie deshalb, wie leicht es für die Playboy-Redaktion war, die ProSieben-Moderatorin von den Nacktfotos zu überzeugen. Er bezieht sich dabei darauf, dass sich viele Halbprominente von einer Ablichtung im Playboy einen Karriereschub erhof­fen. Ebenfalls darauf anspielend erklärt sein Gast Oliver Pocher, dass er für wenig Geld vieles tun würde. Er selbst spielt immer mit seinem Image als B-Prominenter, der angeblich zu allem bereit wäre, das Ganze dabei jedoch nur karikiert. Bestes Beispiel für die Aussage liefert jedoch der Sänger der Musikgruppe Bloodhound Gang, der sich trotz Stefan Raabs Versuchen, dies zu verhindern, vor laufenden Kameras komplett auszieht und ihn zu einem Boxkampf heraus fordert, was Stefan Raab aber katego­risch ablehnt.

9) Prominente merken nicht, wenn sie keiner sehen will. (in 6 von 24 Sendungen gefunden)

Diese eben beschriebenen Selbstvermarktungsversuche gehen meist so weit, dass die betreffenden Personen permanent versuchen, sich in den Vordergrund zu spielen, auch wenn die Öffentlichkeit längst das Interesse an ihnen verloren hat. Die BILD-Zeitung berichtet, dass Nadja Abd El Farrag, auch bekannt als Naddel und ehemalige Lebensgefährtin von Dieter Bohlen, nach Hollywood gehen möchte. Stefan Raab ver­mutet, dass sie dort auf weitere Pseudo-Prominente wie Schauspieler Ralf Möller oder die ehemalige Tagesschau-Sprecherin Susan Stahnke treffe. Ein anderes Mal greift Stefan Raab die ProSieben-Doku-Soap „Sarah & Marc in love“ an. Dort lassen sich die Musiker Sarah Connor und Marc Terenzi bei den Vorbereitungen zu ihrer Hochzeit mit den Kameras auf Schritt und Tritt begleiten. Zum krönenden Abschluss kann Marc Terenzi bei der Trauungszeremonie seine neue Single vorstellen. Bei der Nachbericht­erstattung zum „Herbstfests der Volksmusik“ kommt Stefan Raab auch auf den dort anwesenden Ralph Siegel zu sprechen und spielt auf dessen zahlreiche, in letzter Zeit aber eher erfolglose Teilnahmeversuche beim Eurovision Song Contest an.

10) Prominente verhalten sich oft sonderbar. (in 5 von 24 Sendungen gefunden)

Neben den Marketingbestrebungen der weniger prominenten legen auch andere bekannte Personen oftmals ein Verhalten an den Tag, das der Durchschnittszuschauer häufig nicht ganz nachvollziehen kann. Stefan Raab erzählt von verschiedenen Promi­nenten, deren Aktivitäten als nicht ganz normal einzustufen wären. Da wäre zunächst die kirchliche Trauung von Verona und Franjo Pooth im Wiener Stephansdom, bei der alles mit Werbebannern beklebt ist. So prangt auf der rosafarbenen Hochzeitskutsche beispielsweise der Schriftzug eines Waffelherstellers. Model Heidi Klum und ihr Ehe­mann, der Sänger Seal geben ihrem gemeinsamen Sohn fünf Vornamen, Henry Günther Ademola Dashtu Samuel, was Stefan Raab zu der Aussage veranlasst, dass ein Anruf bei diesem Jungen sehr teuer werden könnte, bis er sich mit vollem Namen gemeldet hätte. Außerdem erhält man Einblicke in die ARD-Talk-Sendung „Maisch­berger“, in der die Sängerin Nina Hagen und die Politikerin Jutta Dithfurt aneinander geraten, wobei Letztere von ihrer Kontrahentin als „dicke Frau“ („TV total“ am 07.09.2005) bezeichnet wird, die „nicht mal lesen“ („TV total“ am 07.09.2005) könne. Nina Hagen entfernt sich mit dieser Wortwahl vollends vom Niveau einer normalen „Maischberger“-Sendung.

11) Unfassbar, wer alles im Fernsehen seine Meinung verkünden darf. (in 10 von 24 Sendungen gefunden)

Viele der Fernsehausschnitte, die bei „TV total“ gezeigt werden, beinhalten Aussagen von Menschen, die entweder keine Erfahrung mit dem Medium Fernsehen haben oder sehr seltsame Meinungen vertreten. Anlässlich der „TV total Bundestagswahl“ kommt bei Stefan Raab das „TV total Kompetenzteam“ zu Wort, eine Gruppe von Menschen, die zu politischen Themen Stellung nehmen. Dabei wird immer wieder deutlich, dass die Teilnehmer dieser Gesprächsrunde nur wenig informiert sind und sich kaum für Politik interessieren. Dies hat immer wieder aberwitzige Aussagen zur Folge, die neben Gelächter nur Kopfschütteln hervorrufen. Die Präsentation diverser Szenen aus ande­ren Sendungen untermauert ebenfalls das Statement. So beziffert eine Kandidatin der MDR-Ratesendung „Pi mal Daumen“ die Anzahl der Litfasssäulen in Deutschland auf etwa 40 Millionen. In der Sat1-Sendung „17:30“ erklärt ein junger Mann, dass er trotz häufigen aggressiven Verhaltens inzwischen dazu gelernt hätte. Früher sei er bei Kon­flikten sofort handgreiflich geworden. Jetzt würde er zunächst mit seinem Kontrahenten sprechen und erst dann zuschlagen.

12) In den Medien wird man oft getäuscht. (in 10 von 24 Sendungen gefunden)

In den Medien muss des Öfteren mit kleinen Tricks gearbeitet werden. „TV total“ und „Harald Schmidt“ sind aufgrund ihrer späten Sendezeit keine Live-Sendungen, auch wenn manchmal versucht wird, dies zu suggerieren. Stefan Raab weist augenzwin­kernd auf die Serie „Desperate Housewives“ hin, die vor „TV total“ gelaufen sei, um so vorzugeben, dass er sich in einer Live-Sendung befindet. Außerdem prangert er in ironischem Tonfall an, dass der ProSieben-Film „Tsunami“ zwar auf Sylt und einer Bohrinsel spiele, jedoch auf Amrum und in einem Kraftwerk bei Hannover gedreht wor­den sei, was ihm sein in diesem Film mitwirkender Gast, Schauspielerin Anja Knauer, im Gespräch erzählt hat. Auch im weiten Umfeld des Showgeschäfts scheinen kleine und große Täuschungen an der Tagesordnung zu sein. So fragt Harald Schmidt seinen Gast Judith Holofernes, Sängerin von „Wir sind Helden“, inwiefern auch bei ihnen die Machenschaften der Musikindustrie greifen, da bei der Vermarktung einer Musikgruppe oft vieles erfunden werde, um ein passendes Image zu erzeugen und die geeignete Kundschaft anzusprechen.

13) Um Sendezeit oder Zeitungsspalten zu füllen, wird oft auf völlig sinnfreie Meldun­gen zurückgegriffen. (in 10 von 24 Sendungen gefunden)

Oft zitiertes Medium ist die BILD-Zeitung. Sowohl Harald Schmidt als auch Stefan Raab gehen auf die Schlagzeile „Hitler plante erste Riesendisco!“ ein. Während der eine über die Liste von Titeln (zum Beispiel „I will survive“), die dort hätten gespielt werden können, spekuliert, vermutet der andere dahinter den Ursprung des „Musikan­tenstadls“. Auf beiden Wegen wird der Sinn der Meldung ad absurdum geführt. Stefan Raab präsentiert noch eine weitere BILD-Schlagzeile ähnlichen Gehalts: „Nazis plan­ten Schokobombe!“ Auch hier zeigen die Kommentare, dass die Nachricht jeglicher sinnvollen Grundlage entbehrt. Ferner ist ein Beitrag aus der RTL-Sendung „Punkt 12“ zu sehen, in dem die Reporter einen Pizza-Durchmesser-Test in verschiedenen Pizze­rien durchführen und sich dann beim Betreiber beschweren, dass die getestete Pizza zu klein sei und nicht den Vorgaben entspräche. Harald Schmidt widmet sich in diesem Zusammenhang auch der Sendung „Frontal 21“, in der beklagt wird, dass der Fried­hofsstandort Deutschland zu teuer werde und preiswertere Bestattungsmöglichkeiten in osteuropäischen Ländern immer mehr bevorzugt würden, sowie einem Bericht über die „Todesfalle Watercooler“ bei „PlusMinus“.

14) In den Medien ist eine reißerische Aufmachung wichtiger als der Inhalt. (in 9 Sen­dungen gefunden)

Um eben auch aus diesen eher weniger interessanten Meldungen etwas machen zu können, wird versucht, die Inhaltsleere durch die Art der Präsentation zu kompensie­ren. Das Ergebnis des oben erwähnten Pizza-Durchmesser-Tests wird in der RTL Sendung als Skandal dargestellt, weil die überprüfte Pizza zu klein war. Dies ist ein gutes Beispiel dafür, dass die Aufmachung oft in keinem Verhältnis zum Thema steht. Auch in Talk-Shows scheint es diesen Zwang häufig zu geben. So beschwert sich Cordula Stratmann bei Harald Schmidt darüber, dass sie in eine Sendung eingeladen wurde, in der anlässlich der Bundestagswahl 2005 zum Thema „Ist Deutschland reif für eine Frau?“ diskutiert werden sollte. Dadurch würden sowohl die Kompetenzen von Angela Merkel als auch die von Cordula Stratmann darauf reduziert, dass sie Frauen sind. An dieser Stelle sei auch wieder auf die bei „TV total“ und „Harald Schmidt“ ver­wendeten BILD-Schlagzeilen verwiesen, die in großen Lettern von Hitlers Riesendisco und Schokobombe sowie entkommenen Kampfdelphinen der US-Navy künden. Sänge­rin Lucy, Gast bei „TV total“, spricht zudem die Sensationslust, mit der beispielsweise auch ihr Privatleben verfolgt werde, an.

15) In den Medien ist Geld wichtiger als Moral. (in 5 von 24 Sendungen gefunden)

Hauptanliegen der Medien ist, wie bei jedem Unternehmen, mit den dargebotenen Inhalten Geld zu verdienen. Als Beispiel dafür bringt Stefan Raab den bereits erwähn­ten Fernsehfilm „Tsunami“. Bei den Produktionskosten wurde gespart, doch das Ergebnis in aller Herren Länder verkauft, unter anderem auch nach Thailand, was angesichts der großen Flutwelle im Dezember 2005 eher seltsam und ziemlich gewinnorientiert als moralisch korrekt anmutet. Gleiches gilt für das RTL-Format „Die Supernanny“, wo das Geschäft auf Kosten von Problemfamilien gemacht wird. Die schwierige Situation der Familie wird vor einem großen Fernsehpublikum ausgebreitet und analysiert. Auch wenn die Betroffenen selbstverständlich zugestimmt haben, scheint diese Vorgehensweise doch fragwürdig, was auch Harald Schmidt andeutet, als Supernanny Katharina Saalfrank bei ihm zu Gast ist. Des Weiteren ärgert sich Judith Holofernes bei „Harald Schmidt“ darüber, dass sie und ihre Musikerkollegen von „Wir sind Helden“ in den ihrer Ansicht nach absurdesten Fällen als Werbeträger gewonnen werden sollen. Die Intention der Band werde von anderen gerne übersehen.

16) Tabus sind da, um gebrochen zu werden. (in 21 von 24 Sendungen gefunden)

Die verschiedenen Klagen gegen Harald Schmidt und Stefan Raab beweisen, dass sie sich mit ihren Aussagen oft am Rande dessen bewegen, was allgemein als guter Geschmack bezeichnet wird. Gerade die Comedy lebt jedoch auch von den Tabu­brüchen und so gibt es kaum eine moralische Schranke, die nicht übertreten wird. Ver­harmlosung von Gewalt, Drogen, Sex, Nationalsozialismus – nichts wird ausgeklam­mert. Es werden unter anderem die verschiedensten BILD-Schlagzeilen zu diesen Themen, wie „Nazis planten Schokobombe!“ oder „Hitler plante erste Riesendisco“, aufgegriffen und kommentiert. Ein Mitglied des „TV total Kompetenzteams“ erzählt bei einer Gesprächsrunde zum Thema Terrorismus und Sicherheit von seinen eigenen Schlägereien und dass seinen Opfern nie einer zu Hilfe käme. Dies ruft zwar einige Lacher hervor, doch es erscheint bei näherer Betrachtung bedenklich, wenn Gewalt zum Witz degradiert wird. Harald Schmidt wiederum berichtet von einer Studie, in der festgestellt wurde, dass englische Kinder zu dick würden. Er vermutet daraufhin, dass die englischen Eltern einfach zu betrunken sind, um dies zu bemerken. Er erntet dafür zwar Gelächter, aber auch hier handelt es sich um eine Verharmlosung einer ernsten Sache wie Alkoholmissbrauch. Vielleicht ist es jedoch nur das Erstaunen und Entset­zen über derartige Vorkommnisse, die dazu führen, dass in Sendungen wie „TV total“ oder „Harald Schmidt“ Witze darüber gemacht werden und das Publikum bereitwillig lacht.

17) In den meisten Fällen ist ein Alkohol- oder Drogenrausch eher lustig als gefährlich. (in 15 von 24 Sendungen gefunden)

Generell scheint es so zu sein, dass das Thema Alkohol- und Drogensucht eher für Erheiterung sorgt. Obwohl beides ernsthafte Krankheiten sind, die auch zum Tod füh­ren können, wird das Bild des leicht angeheiterten Trunkenbolds gern für Pointen ver­wendet. Die schwerwiegenden Probleme, die dahinter stecken könnten, werden aus­geklammert. Dazu gehört auch, dass Stefan Raab DFB-Präsident Gerhard Mayer-Vorfelder unterstellt, dass er mit Dornkaat fit gespritzt werden muss. Als die Musiker der Bloodhound Gang zu Gast bei „TV total“ sind, erzählt Stefan Raab bei der Anmo­deration, dass sie eine lange Auszeit hinter sich hätten und vermutet als Grund eine Entziehungskur. Tatsächlich berichten die Musiker von zahlreichen Trinkeskapaden, als sie danach gefragt werden, was sie denn in dieser Zeit getan hätten, und zählen mehrere bekannte Alkoholsorten auf. Auch wenn es als Witz gedacht ist, vorbildlich ist es in keinem Fall. Harald Schmidt verbindet den Alkohol, wie oben erwähnt, in seinem Beitrag „Dieses Land wird mit der Leber regiert“ (Harald Schmidt in „Harald Schmidt“ am 21.09.2005) in besonderem Maße mit der Politik oder sieht es als kollektive Eigen­schaft britischer Eltern an, betrunken zu sein.

18) Sex ist kein Tabuthema. (in 8 von 24 Sendungen gefunden)

In der Gesellschaft wie auch in den beiden Sendungen „TV total“ und „Harald Schmidt“ sind die Ansichten bezüglich des früheren Tabuthemas Sex wesentlich liberaler geworden. So fällt es beinahe gar nicht mehr auf, wenn Stefan Raab die Playboy-Bilder seines Gastes Charlotte Engelhardt in die Kamera hält oder in verschiedenen Beiträ­gen Nacktaufnahmen zu sehen sind. Auch als „TV total“-Gast Jürgen von der Lippe ein Lied mit erotischem Inhalt zum Besten gibt, scheint sich niemand daran zu stören. Erst als der Sänger der Bloodhound Gang sich bei „TV total“ sämtlicher Kleider entledigt, johlt zwar das Publikum, doch die Presse wittert einen Skandal und Stefan Raab ist anzumerken, dass er auf diese Art von Publicity lieber verzichtet hätte. Dennoch gibt es wohl kaum Sendungen in Deutschland, in denen mit einem derartigen Vorfall genauso locker und entspannt umgegangen worden wäre. Bei „Harald Schmidt“ laufen zwar keine nackten Menschen durchs Bild, aber auch hier ist Sex ein Thema, wenn auch nur in Form eines ausführlichen Kommentars über eine Umfrage zum Thema Sex bei englischen Frauen.

19) Wegen einer kleinen Schlägerei sollte man sich nicht aufregen. (in 6 von 24 Sen­dungen gefunden)

Auch das Thema Gewalt dient immer wieder als Grundlage für Scherze. Nicht nur, dass junge Männer von ihren Erfahrungen mit Schlägereien erzählen und darüber kräf­tig gelacht wird, sondern auch dass der Musiker der Bloodhound Gang, der bereits dadurch aufgefallen war, dass er seine Kleider gänzlich abgelegt hat, Stefan Raab zu einem Boxkampf herausfordert, worauf dieser allerdings nicht eingeht. Selbst im Jugendfußball scheint diese Einstellung Einzug gehalten zu haben, denn Harald Schmidt berichtet von ehrgeizigen Eltern, die ihren Nachwuchs mit rauen Worten zu mehr brutaler Härte im Spiel auffordern. Dies alles sind Beispiele dafür, dass eine Gewaltverherrlichung nicht nur in entsprechenden Filmen und Computerspielen statt­findet, sondern ebenso in Sendungen und Aufführungen, die nicht unmittelbar damit in Verbindung gebracht werden. Das spiegelt sich dann in Programmen von Comedians wieder, wie beispielsweise bei „TV total“-Gast Heinz Strunk, der einen aggressiven Disco-Türsteher parodiert.

20) Witze über den Nationalsozialismus sind erlaubt. (in 6 von 24 Sendungen gefun­den)

Selbst eines der heikelsten Themen der deutschen Geschichte hat sich zum Pointen­lieferanten entwickelt, wenn auch oft nur durch die Zweitverarbeitung von entspre­chenden Meldungen. Die angeführte BILD-Schlagzeile „Nazis planten Schokobombe!“ kommentiert Stefan Raab mit den Worten, dass es sogar verschiedene Geschmacks­richtungen gegeben hätte wie „Mandelsplitter“, „Nazipan“ oder „die kleine Nussolini für zwischendurch“ (Stefan Raab in „TV total“ am 06.09.2005). In der angeblich von Hitler geplanten Riesendisco sieht Stefan Raab nur einen eventuellen Vorläufer des „Musi­kantenstadls“, während Harald Schmidt eine Liste von Titeln aufstellt, die dort hätten gespielt werden können. Einer der Favoriten wäre demnach „I will survive“ gewesen. Aufgrund der ungewissen Lage nach der Bundestagswahl 2005 schlägt Stefan Raab vor, dass man vielleicht eine Aushilfe aus Österreich holen sollte. Schließlich wäre das in der Vergangenheit bereits schon einmal vorgekommen. Nicht selten hagelt es nach solchen Aussagen herbe Kritik aus Politik und Gesellschaft, die eine Verharmlosung der Geschehnisse im Dritten Reich befürchten.

21) Ostdeutsche sind keine richtigen Deutschen. (in 8 von 24 Sendungen gefunden)

Obwohl die deutsche Wiedervereinigung mehr als fünfzehn Jahre zurückliegt, gibt es nach wie vor Unstimmigkeiten zwischen Ost und West. Diese mentale Ausgrenzung der Menschen aus dem Gebiet der ehemaligen DDR und die Klischees, die damit ver­bunden sind, bieten auch Stefan Raab und Harald Schmidt ab und an Scherzvorlagen. Als Jürgen von der Lippe bei „TV total“ seinen Tourplan bekannt gibt, vermutet Stefan Raab, dass er diese Tournee wohl vorzeitig aus Frust abbrechen werde, da sie ihn nur durch Städte im Osten führen würde. Ähnlich reagiert er auf die bundesweite Kam­pagne „Du bist Deutschland“ mit der Feststellung, dass diese nicht für Ostdeutsche gelten würde, weil es für sie heißen müsste „Du bist Ostdeutschland“. Es wird also nach wie vor eine klare Schranke gesetzt. Als sich Harald Schmidts Beisitzerin Nathalie Licard beschwert, dass das französische Volk nur ungenügend über die Krankheit seines Präsidenten informiert würde, entgegnet er in Ost-Dialekt, er verstehe gar nicht, wie man ein Volk so täuschen könne, und spielt damit auf die Praktiken der SED zu Zeiten der DDR an. Es werden wohl noch ein paar Jahre vergehen müssen, bis die ehemalige Grenze keine Rolle mehr spielt.

22) Volksmusik ist Volksverdummung. (in 8 von 24 Sendungen gefunden)

Eine weitere Gruppe, die in den beiden Sendungen alles andere als ernst genommen wird, ist die volkstümliche Musikszene. Wenn eine Fernsehsendung aus diesem Genre ausgestrahlt worden ist, wird diese meist auch aufgearbeitet. So zeigt Stefan Raab unter dem Titel „Das Schlimmste aus dem Herbstfest der Volksmusik“ einige Aus­schnitte aus der Show, die er für besonders lächerlich hält wie zum Beispiel den Auftritt der Wildecker Herzbuben als Maria Hellwig, Nana Mouskouri und Tina Turner. In einer anderen Sendung vergleicht er die Schmerzen eines Boxers mit den Schmerzen, die man aushalten müsse, wenn man das „Herbstfest der Volksmusik“ in voller Länge angeschaut hat. Auch die Nachlese zum „Musikantenstadl“ fällt nicht besonders gnädig aus. Dabei ahmt Stefan Raab eine Gruppe von Kindern nach, die eine Choreographie zur C-Dur-Tonleiter vorgeführt hatte. Harald Schmidt fordert wiederum, dass der „Musi­kantenstadl“ aufgrund des Aufstallungsgebotes wegen der Vogelgrippe ganz abgesagt werden sollte.

23) Homosexualität ist etwas sehr Lustiges. (in 7 von 24 Sendungen gefunden)

Die gleichgeschlechtliche Liebe ist schon lange kein Tabuthema mehr. Allerdings erfolgt die Darstellung seitens der Medien oft auf humoristische Weise, wie an man­chen Kinoerfolgen der letzten Jahre zu erkennen ist. Auch bei „TV total“ und „Harald Schmidt“ stehen bei diesem Thema klischeebehaftete Witze im Vordergrund. Es erfol­gen immer wieder Anspielungen auf Köln – Produktionsort der beiden Sendungen – als Schwulenhochburg. Ist von einer Person bekannt, dass sie homosexuell veranlagt ist, wird sie nicht selten darauf reduziert. Beispielsweise wird Stefan Raab von seinem Gast Christoph Maria Herbst gefragt, ob Guido Westerwelle nach seinem Besuch in der „TV total Bundestagswahl“ ein Kind von ihm wollte. Harald Schmidt erzählt von einem Fernsehbericht über Franz Beckenbauer, in dem eine Begegnung mit einem homosexuellen russischen Tänzer erwähnt wird. Dabei amüsiert sich der Entertainer über die Ausdrucksweise des Fußballstars, der den russischen Tänzer als von der an­deren Fakultät bezeichnet hatte.

24) Frauen und Senioren stellen sich oft ziemlich dämlich an. (in 6 von 24 Sendungen gefunden)

Es gibt kaum eine Kategorie von Vorurteilen, die bei „TV total“ oder „Harald Schmidt“ keine Verwendung findet. Deshalb werden auch die Klischees gegenüber Frauen und Senioren des Öfteren bedient. Bei einer Analyse diverser Wahlwerbespots präsentiert Stefan Raab auch die Kurzfilme der Parteien DIE FRAUEN und DIE GRAUEN PANTHER. Bei Ersterem kommt die Frauen nachgesagte mangelnde technische Kom­petenz zum Tragen, da aufgrund eines kleinen Fehlers der Time Code in der Aus­strahlung noch zu sehen ist. Bei der Seniorenpartei sorgt ein kleines Gedicht für Gelächter, insbesondere als Stefan Raab seine Version des Verses vorträgt. Auch Christoph Maria Herbst macht sich im Talk bei „TV total“ über ältere Menschen lustig, indem er ihnen unterstellt, dass ganze geriatrische Kliniken zur „Schwarzwaldklinik“ ins Glottertal gefahren wären, um sich heilen zu lassen. Harald Schmidt witzelt, dass er nach dem Abschied von Jürgen Fliege aus dem ARD-Programm nun für die Senioren zuständig wäre und die Lücke füllen müsse. Selbst vor bereits sehr abgegriffenen Klischees wie denen über Frauen und Senioren schreckt man hier also nicht zurück.

25) Die USA und Russland sind sehr militaristisch geprägt. (in 6 von 24 Sendungen gefunden)

Berichte über Vorkommnisse in den USA und in Russland werden zum Anlass genommen, die beiden Staaten als sehr militaristisch geprägt und diktatorisch ange­haucht hinzustellen. So berichtet Harald Schmidt davon, dass nach der großen Flut von New Orleans mit Soldaten drastisch gegen Plünderer vorgegangen wurde, und versucht dabei eine gewisse Unverhältnismäßigkeit aufzuzeigen. Bei einem Besuch von Wladimir Putin vermutet er, dass dieser sich wohl über den Wahlkampf in Deutschland wundert, weil er in Russland längst alle Gegenkandidaten ins Gefängnis gebracht hätte. Stefan Raab meint, dass Nadja Abd El Farrag Schwierigkeiten auf ihrem Weg nach Hollywood bekommen könnte. Ihr Nachname könnte ihr bei der Ein­reise in die USA aufgrund besonderer Vorsichtsmaßnahmen gegenüber arabischen Reisenden Probleme bereiten.

26) Zu viel Respekt vor anderen ist unangebracht. (in 24 von 24 Sendungen gefunden)

Es vergeht keine „TV total“- oder „Harald Schmidt“-Sendung, ohne dass jemand – prominent wie nicht-prominent – Ziel einer Spottattacke wird. Es trifft Politiker, die sich versprechen, genauso wie Prominente, die durch merkwürdiges Verhalten auffallen. Stoibers Versprecher „rot-grun“ statt rot-grün könnte demnach laut Stefan Raab ein neuer Frauenname sein. Oft gibt es nicht einmal einen konkreten Anlass. Dann werden Aussagen oder Gesten so zerpflückt oder in einen anderen Zusammenhang gestellt, dass sie wieder lächerlich wirken. Eine Rede von Guido Westerwelle im Bundestag, die er mit ausladenden Handbewegungen begleitet, wird mit Schlagzeugklängen unterlegt. Zudem werden Trommeln eingeblendet, so dass es den Anschein hat, Westerwelle würde während seines Auftritts Schlagzeug spielen. Auch die Unpässlichkeiten und Niederlagen von anderen dienen als Witzvorlagen. Harald Schmidt amüsiert sich aus­giebig über die anstehende Abwahl von Gerhard Schröder als Bundeskanzler. Ein weiteres Beispiel ist der ehemalige Radfahrer Marcel Wüst, der sich bei seiner Teil­nahme an einem Marathon übergeben musste, was Stefan Raab mehrmals in seiner Sendung zeigt. Man könnte also sagen, dass die oben stehende Aussage nahezu als Grundprinzip derartiger Formate gilt.

27) In einer lockeren Unterhaltung ist auch ein flapsiger Umgangston o. k. (in 16 von 24 Sendungen gefunden)

„TV total“ und „Harald Schmidt“ sind keine gewöhnlichen Talk-, sondern Unterhal­tungssendungen für ein vorwiegend junges Publikum. Dementsprechend locker ist auch der Umgangston. Das zeigt sich im Gespräch mit den Gästen, vor allem aber auch zwischen den Protagonisten. So zeichnet sich die Unterhaltung zwischen Harald Schmidt und seinen beiden Stichwortgebern Manuel Andrack und Nathalie Licard des Öfteren durch Sticheleien aus. Noch ausgeprägter ist dies bei Stefan Raab und seinem langjährigen Showpraktikanten Elton, der nicht einmal anwesend sein muss, um – vermutlich nicht allzu ernst gemeinten – Beleidigungen seitens seines Chefs ausge­setzt zu sein. Stefan Raab lässt dabei kaum eine Gelegenheit aus, um einen Witz über Eltons Figur zu machen. Allerdings lässt dieser die Bemerkungen selten kommentarlos stehen. Auch die Showband „The Heavytones“ bleibt nicht verschont. Die Musiker müssen sich des Öfteren gefallen lassen, dass sie mit Klischees aus der Rockmusik­szene, wie zum Beispiel Drogenkonsum, in Verbindung gebracht werden. Allen Betei­ligten ist dabei jedoch anzumerken, dass die Sticheleien und dergleichen nicht allzu ernst gemeint sind.

28) Es ist immer wieder interessant, einen Blick über den eigenen Tellerrand zu wagen. (in 12 von 24 Sendungen gefunden)

Obwohl Harald Schmidt und Stefan Raab eher dafür bekannt sind, dass ihnen nichts heilig ist und sie in allem etwas Lächerliches sehen, zeigen sie doch auch immer wie­der Aufgeschlossenheit gegenüber anderen und deren Eigenarten. So lässt sich Harald Schmidt von seinem Gast, der Schauspielerin Alexandra Maria Lara, von deren rumänischer Heimat berichten. In ähnlicher Weise befragt Stefan Raab Sängerin Lucy zu den bulgarischen Elementen in ihrer Musik. Außerdem versucht er sich an Dingen, die er nicht oder nur wenig beherrscht. Von Björn Dunkerbeck lässt er sich beispiels­weise in die Kunst des Surfens einführen. Diese oft weit reichende Toleranz der beiden Entertainer spiegelt sich schon allein in der Auswahl der Gäste wider. Denn nicht nur Stars und Sternchen dürfen aus ihrem Leben erzählen, sondern auch nichtprominente Menschen, die sich in irgendeiner interessanten Weise hervorgetan haben.

29) Wer austeilt, muss auch einstecken können. (in 8 von 24 Sendungen gefunden)

Dass Harald Schmidt und Stefan Raab nicht gerade zimperlich mit ihren Mitmenschen umgehen, muss nicht extra erwähnt werden. Allerdings sind sie ebenso dazu bereit, sich selbst einiges anzuhören und gelassen darauf zu reagieren. Das wird auch in einem Gespräch mit Oliver Pocher deutlich. Während Stefan Raab seinen Kollegen wegen seines mangelnden politischen Interesses in Bezug auf die anstehende Bun­destagswahl kritisiert, kommentiert dieser eine Tanzeinlage seines Gastgebers mit einigen flapsigen Bemerkungen. Harald Schmidt zeigt, dass er nicht unbedingt selbst der humoristische Mittelpunkt seiner Sendung sein muss und lässt Helge Schneider nach Belieben gewähren. Glanzlicht dieses Prinzips ist jedoch der Schlagabtausch zwischen Stefan Raab und Christoph Maria Herbst, die sich gegenseitig auf höchst unterhaltsame Weise provozieren. Als Raab feststellt, dass ProSieben trotz mittel­mäßiger Einschaltquoten an Herbsts Serie „Stromberg“ festhalte, kontert dieser daraufhin damit, dass der Sender das ja auch mit „TV total“ mache. Raab belächelt die Glatze seines Gastes, während dieser die mitgebrachte leere Hülle seiner DVD, den Dummy, andeutungsweise mit dem Geisteszustand seines Gegenübers vergleicht. Die Unterhaltung endet damit, dass Herbst unaufhörlich von seinem neuesten Kinoprojekt erzählt, obwohl Raab mühsam versucht, die Sendung abzumoderieren.

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Ende der Leseprobe aus 143 Seiten

Details

Titel
Überprüfung der Kultivierungshypothese anhand der Sendungen „TV total“ und „Harald Schmidt“
Hochschule
Universität Regensburg
Note
1,0
Autor
Jahr
2006
Seiten
143
Katalognummer
V78287
ISBN (eBook)
9783638897716
ISBN (Buch)
9783638903837
Dateigröße
1215 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Kultivierungshypothese, Harald Schmidt, TV total, Medienpsychologie
Arbeit zitieren
Susanne Hoch (Autor:in), 2006, Überprüfung der Kultivierungshypothese anhand der Sendungen „TV total“ und „Harald Schmidt“, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/78287

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