Soziale Sicherung als Voraussetzung von Globalisierung


Hausarbeit, 2007

22 Seiten, Note: 2,0


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1 Einleitung

2 Freihandelspolitik vs. Protektionismus

3 Die konservative Wohlfahrtsfunktion
3.1 Der nationale Teil der These
3.2 Der internationale Teil der These

4 Die 4 nationalen Bedingungen der konservativen Wohlfahrtsfunktion
4.1 Die Einkommensgarantie des Wohlfahrtsstaates
4.2 Die Öffnung des Wohlfahrtsstaates
4.3 Der Wohlfahrtsstaat als Arbeitgeber
4.4 Die Verkürzung der Lebensarbeitszeit

5 Zusammenfassung

6 Literaturverzeichnis

1 Einleitung

“Motorcars are travelling faster than they otherwise would, because they are provided with breaks.”

Joseph A. Schumpeter

(1976; Hervorhebung im Original)

Wenn man sich heutzutage mit der Untersuchung von modernen Gesellschaften beschäftigt, so kommt man kaum daran vorbei, sich eingehend mit dem Thema Globalisierung auseinanderzusetzen. Schlagworte wie Internationalisierung, Arbeitsmarktflexibilisierung, weltweite Vernetzung, Wirtschaftswachstum, aber auch zunehmende Unsicherheit – das alles sind Begriffe, die mit Globalisierung verbunden werden und die in diesem Zusammenhang in den verschiedensten Büchern, Aufsätzen und Zeitungsartikeln immer wieder vorgefunden werden können. Eine interessante Fragestellung im Rahmen dieses Themenbereichs ist die nach den Voraussetzungen von Globalisierung: Welche Bedingungen innerhalb eines Landes müssen gegeben sein, um Globalisierung zustande kommen zu lassen? Welche Rolle spielt dabei der Wohlfahrtsstaat? Wie hängen nationale Sozial- und Handelspolitik mit dem internationalen Phänomen Globalisierung zusammen? Welchen Einfluss auf das Voranschreiten von Globalisierung haben politische Maßnahmen? Ist Globalisierung tatsächlich unaufhaltbar und irreversibel oder können Nationen sich gegen das Phänomen zur Wehr setzen?

Die vorliegende Arbeit setzt sich mit Elmar Riegers und Stephan Leibfrieds (2000, 2001) These der Notwendigkeit des ausgebauten Wohlfahrtsstaats als Voraussetzung für die Öffnung der Wirtschaft nach außen und der damit einhergehenden Globalisierung auseinander. Zu diesem Zweck werden zunächst die Interdependenz von Sozial- und Handelspolitik im Hinblick auf globale Märkte und die damit verbundenen Konzepte des Freihandels und des Protektionismus erörtert. Der darauf folgende Abschnitt beschäftigt sich dann mit der Vorstellung der konservativen Wohlfahrtsfunktion, einer These, die den Wechsel von Phasen des Protektionismus und Freihandel zu erklären versucht. Daran knüpft die Darstellung der vier nationalen Bedingungen der konservativen Wohlfahrtsfunktion an, die die Ausweitung der Sozialpolitik überhaupt erst ermöglichen. Insgesamt soll in diesem Text dargelegt werden, dass Globalisierung in engem Zusammenhang mit dem Ausbau des Sozialstaats und der Entwicklung und Ausweitung von Sozialpolitik steht und durch derartige Maßnahmen der sozialen Sicherung ermöglicht und beeinflusst wird.

2 Freihandelspolitik vs. Protektionismus

„Der Freihandel ist das vielleicht erfolgreichste Mittel zur Förderung der menschlichen und kulturellen Entwicklung, das die Menschheit je ersonnen hat.“

Detmar Doering

(2003: 4)

Möchte man untersuchen, inwieweit soziale Sicherung und Globalisierung zusammenhängen und welche Interdependenzen zwischen globalen Märkten und nationaler Sozialpolitik (vgl. hierzu auch Leibfried 2000) bestehen, so ist es zunächst einmal sinnvoll sich zu vergegenwärtigen, wie denn der internationaler Handel und die nationale Handelspolitik miteinander verknüpft sind. Ein gängiges Theorem von Ökonomen zur Theorie des Außenhandels ist das Prinzip des Freihandels: „Regierungen sollen im Interesse ihrer Volkswirtschaft darauf verzichten, in die grenzüberschreitenden Bewegungen des Handels einzugreifen“ (Rieger und Leibfried 2001: 79; vgl. hierzu auch Doering 2003). Dahinter steckt die Idee der Herausbildung sich selbst regulierender internationaler Märkte, die nicht von staatlichen Maßnahmen eingeschränkt werden und dadurch in der Lage sind mehr Wohlfahrt zu produzieren, als dies in durch Schutzzölle oder ähnliche Maßnahmen beengten Marktwirtschaften der Fall wäre.

Tatsächlich jedoch waren Freihandel und internationale Arbeitsteilung als Leitideen der Wirtschafts- und Handelspolitik immer schon stark umstritten (Rieger und Leibfried 2001; Doering 2003). Die Weltwirtschaft war bis nach dem 2. Weltkrieg beinahe ausschließlich geprägt von nationalem Außenwirtschaftsrecht und bilateralen Handelsverträgen. Die industrielle Revolution hatte zum Entstehen einer Marktwirtschaft geführt, für die Grenzen eigentlich hinderlich und damit irrational sind. Demgegenüber stand die demokratische Revolution, in der souveräne Nationalstaaten entstanden, „für die eine territoriale Schließung, gerade hinsichtlich der wirtschaftlichen Prozesse, wesentlich ist“ (Rieger und Leibfried 2001: 80).

Insgesamt scheint Freihandel also trotz ökonomischer Rationalität nicht durchsetzbar zu sein. Die Frage ist daher, wie man die heutige marktliberale, internationale, offene Wirtschaft erklären kann. Zölle beeinträchtigen den Handel kaum noch und auch andere Instrumente zur Steuerung der Einfuhr wie Quoten oder Importlizenzen geraten zunehmend außer Gebrauch. Ein selbstständig organisiertes und sanktionsbewehrtes internationales Wirtschaftsrecht hat sich etabliert und ehemals vom Freihandel unabhängige Bereiche wie das öffentliche Beschaffungswesen, Finanz- und andere Dienstleistungen oder Investitionen sind inzwischen dem internationalen Regelungssystem und der Dynamik einer transnationalen Konkurrenz ausgesetzt. Weitere Fortschritte in den drei Hauptbereichen der Außenwirtschaftspolitik – traditionelle Zollgesetzgebung, nichttarifäre Handelshemmnisse und internationale Regulierung der Bedingungen von Produktion und Investitionen – werden in den nächsten Jahren erwartet (Rieger und Leibfried 2001). Die nationale Wirtschaftsordnung wird zunehmend liberalisiert und den Regeln einer internationalen Wirtschaftsordnung unterworfen. Wie erklärt man diese Entwicklungen, wo doch die Orientierung der Landespolitik an sozialen (und damit vorrangig nationalen) Zielen mit der Konstitutionalisierung und Institutionalisierung demokratischer Wohlfahrtsstaaten nicht schwächer, sondern ganz im Gegenteil sogar noch stärker geworden ist?

Um diese Frage zu beantworten wird im Folgenden zunächst kurz die Entwicklung der langfristigen Auf- und Abschwünge des internationalen Handels betrachtet. Misst man die weltwirtschaftliche Integration als Summe der Im- und Exporte in Prozent des jeweiligen nationalen Bruttosozialprodukts, so lässt sich erkennen, dass diese Integration „den Stand von 1913 erst Mitte der 1970er Jahre wieder erreicht, nachdem der tiefe Einbruch der Weltwirtschaftskrise […] in den ersten beiden Nachkriegsjahrzehnten langsam wieder überwunden werden konnte“ (Rieger und Leibfried 2001: 82).

Der Mechanismus, der zur Globalisierungsbewegung führt, wird von Rieger und Leibfried (2001: 82) als „das dauerhaft stärkere Wachstum des grenzüberschreitenden Handels verglichen mit dem Wachstum selbst“ dargestellt. Das Ergebnis dieses Globalisierungsmechanismus sei eine zunehmende Integration von Volkswirtschaften und eine Vertiefung der internationalen Arbeitsteilung. Diese Entwicklung zu einer offeneren und marktliberaleren Wirtschaft ist wie bereits weiter oben angedeutet beileibe nicht selbstverständlich. Die gegenwärtige Literatur bietet zwei Erklärungsansätze für die Öffnung der Marktwirtschaft nach außen an (vgl. Rieger und Leibfried 2001):

1. Technischer Fortschritt

Durch den technischen Fortschritt können Transaktionen, und zwar auch die grenzüberschreitenden, deutlich kostengünstiger getätigt werden. Fortschritte innerhalb der Transport- und Kommunikationstechnologie können also gewissermaßen als Kräfte angesehen werden, die nationale Grenzen durchlässiger machen und dadurch Unternehmen in die Lage versetzen, Wettbewerbsvorteile mit besonderen Standortvorteilen zu kombinieren. Im Zuge dieses Prozesses verliert der geographische Standort zunehmend an Bedeutung für die Strukturierung des wirtschaftlichen Handelns: Produktionsfaktoren werden beweglicher, Standort- und Wettbewerbsvorteile werden immer schneller neu verteilt. So entsteht eine unbeständige, jedoch stark integrierte Weltwirtschaft, die die alte fragmentierte Struktur des internationalen Wirtschaftens ersetzt.

2. Lernfähigkeit von Regierungen

Als soziale Gebilde sind Regierungen lernfähig und dadurch in der Lage zu erkennen, dass Beschränkungen des internationalen Handels auch den nationalen Reichtum vermindern und „daß eine am Ziel der Autarkie orientierte, Importe hemmende oder ersetzende Politik selbstzerstörerisch wirkt, weil sie nicht nur kostenintensiv ist, sondern auch eine leichte Beute für Interessengruppen abgibt, die nur auf den Erhalt ihrer eigenen Vorteile aus sind“ (Rieger und Leibfried 2001: 86; vgl. Krueger 1997).

Diese beiden Erklärungen sind jedoch mit Problemen behaftet. Sowohl der technische Fortschritt als auch die Lernfähigkeit von Regierungen sind kontinuierliche, kumulative Prozesse. Dies bedeutet, dass beide Erklärungen zwar voranschreitende, nicht jedoch rückläufige Globalisierung erklären können, was aber dem Stand der globalen Integration vor dem 1. Weltkrieg widerspricht, bei dem die entwickelten Volkswirtschaften stärker in die Weltmärkte eingebunden waren als 1960. Die Wachstumsraten und der Umfang des internationalen Handels sind geprägt von Diskontinuitäten, die von den beiden Ansätzen nicht erklärt werden können.

Gegen die erste Erklärung kann man also einwenden, dass es sowohl nationale als auch internationale Politik, und damit Institutionen und vor einem Massenpublikum zu verantwortende Entscheidungen sind, die den Umfang und die Dynamik des Welthandels festlegen, nicht der Stand der Technik. Der technische Fortschritt ist für den Welthandel und das weltweite Wirtschaftswachstum zwar eine notwendige, nicht jedoch eine hinreichende Bedingung. Die logische Folgerung daraus ist, dass Politik Globalisierung auch unterbinden kann und diese somit nicht – wie oftmals behauptet wird – unaufhaltbar ist.

Auch die zweite Erklärung ist lückenhaft: Wenn doch die Vorteilhaftigkeit des Freihandels unbestritten ist, warum wenden sich dann viele Länder – trotz ‚lernenden’ Regierungen – Ende des 19. Jahrhunderts dem Protektionismus zu? Es kann nur daran liegen, dass die Entscheidung für oder gegen Protektionismus bzw. Freihandel stark von der Politik und vom institutionellen Kontext abhängt, und es ist allgemein bekannt „how little success economists have had in convincing policy makers of the case for unilateral free trade“ (Krugman 1997: 116). Politische Gründe beeinflussen das Wachstum des Welthandels stark. Folglich ist die Entwicklung des Welthandels durch politische Impulse umkehrbar (Rieger und Leibfried 2001; Krugman 1997).

Auf Grund dieser Argumentation sind Rieger und Leibfried (2001: 89) der Meinung, die ursprüngliche Fragstellung müsse umgedreht werden: „Wie erklärt man, dass sich […] Formen einer Handelspolitik ausbreiten, die die Grenzen für Importe trotz der auch damals revolutionären Fortschritte der Transport- und Kommunikationstechnologien schlossen?“ Auch für diese Frage werden von der gegenwärtigen Literatur zwei Erklärungsansätze geboten (vgl. Rieger und Leibfried 2001):

1. Protektionismus als Gegenbewegung zum Kapitalismus

Bei dieser Erklärung wird der Protektionismus als politisch vermittelte Gegenbewegung zum Kapitalismus angesehen, der als soziale Kraft die gesamte Gesellschaft von Grund auf zu verändern droht. Hauptvertreter dieses Ansatzes war Karl Polanyi (1977), der den Protektionismus als eine unabwendbare, automatische Reaktion der Gesellschaft verstand, „mit der sie zu verhindern sucht, dass ein sich selbst regulierender und die Lebenslage immer größerer Teile der Bevölkerung allein dem Spiel von Angebot und Nachfrage unterwerfender Markt sich immer weiter ausdehnt“ (Rieger und Leibfried 2001: 89f.; vgl. Polanyi 1977). Protektionistische Maßnahmen zur Einschränkung der Kommodifizierung von Arbeit und der Selbstregulierung des Marktes dienen somit als Verteidigungsstrategie von Regierungen gegen Krisen wie die große Depression oder die Agrarkrise, die das Vertrauen in die Selbstregulierungsmechanismus der Wirtschaft stark erschüttert hatten (vgl. Polanyi 1977; Rieger und Leibfried 2001).

2. Protektionismus als Ergebnis der Mobilisierung von Gruppeninteressen gegen Allgemeinwohlinteressen

Diese Erklärung sieht den Protektionismus als „Ergebnis einer erfolgreichen Verfolgung der besonderen Interessen der Mitglieder bestimmter Zweige der Wirtschaft“ (Rieger und Leibfried 2001: 91) an. Industrien schließen sich zusammen und üben mit der Begründung der Sicherheit der nationalen Beschäftigung und der Löhne geschlossen Druck auf Regierung aus, die Importkonkurrenz einzuschränken. Die Politiker geben dem Drängen der Industrie nach und beschließen protektionistische Maßnahmen zum Schutz vor ausländischen Unternehmen, die die inländischen Standortvorteile wie beispielsweise Subventionen oder niedrigere Produktionskosten ausbeuten wollen („rent seeking“).

Erneut sind beide Erklärungen mit Problemen behaftet, da auch sie wieder zu allgemein formuliert sind und nicht auf die beträchtlichen Unterschiede in Formen und politischer Ausrichtung von Protektionismus eingehen.

Gegen den ersten Erklärungsansatz spricht, dass sich die Unterschiede nicht mit dem Maß und der Geschwindigkeit der Industrialisierung erklären lassen. Beispielsweise wurde der Protektionismus im Deutschen Reich gegen die Interessen der Arbeiterschaft durchgesetzt, während er in den USA gerade unter den Arbeitern starke Unterstützung fand. Polanyis Erklärung blendet außerdem die nach dem 2. Weltkrieg stattfindende Umorientierung der Handelspolitik in Richtung Freihandel vollkommen aus.

[...]

Ende der Leseprobe aus 22 Seiten

Details

Titel
Soziale Sicherung als Voraussetzung von Globalisierung
Hochschule
Otto-Friedrich-Universität Bamberg  (Fakultät für Sozial- und Wirtschaftswissenschaften)
Veranstaltung
Nationale Wohlfahrtsregime in der globalen Ökonomie
Note
2,0
Autor
Jahr
2007
Seiten
22
Katalognummer
V78376
ISBN (eBook)
9783638830539
ISBN (Buch)
9783640857654
Dateigröße
524 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Soziale, Sicherung, Voraussetzung, Globalisierung, Nationale, Wohlfahrtsregime
Arbeit zitieren
Florian Wohlkinger (Autor:in), 2007, Soziale Sicherung als Voraussetzung von Globalisierung, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/78376

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