Wer ist die Puppe?

Gender und Diversity in Projekten


Masterarbeit, 2007

138 Seiten, Note: 1,0


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

0 Zusammenfassung

1 Einleitend
1.1 Begründung der Themenwahl
1.2 Ziele der Master Thesis
1.3 Fragestellungen
1.4 Forschungszugänge
1.4.1 Erkenntnistheoretischer Zugang
1.4.1.1 Radikaler Konstruktivismus
1.4.1.2 Dekonstruktivismus
1.4.2 Organisationstheoretischer Zugang: Systemtheorie
1.4.3 Forschungsmethodologischer Zugang: Qualitative Sozialforschung
1.5 Forschungsmethodik
1.5.1 Teilstandardisiertes Leitfadeninterview
1.5.2 Kommentierte Transkription
1.5.3 Qualitative Inhaltsanalyse

2 Theorie
2.1 Analyse IST-Situation
2.2 Diversity als Managementkonzept
2.2.1 Begrifflichkeiten
2.2.2 Abgrenzung zu anderen relevanten Begriffen
2.2.3 Zur Geschichte des Diversity Management
2.2.4 Grundlagen
2.2.4.1 Diversity-Merkmale
2.2.4.2 AdressatInnenbezug im Diversity Management
2.2.4.3 Anwendungsfelder, Maßnahmen und Nutzen
2.2.4.4 Diversity-Entwicklungsstufen und Verständnisansätze
2.3 Herausgegriffen: Gender im Diversity Management
2.4 Diversity im Projektmanagement
2.4.1 Grundlagen Projektmanagement
2.4.1.1 Definition: Konstrukt „Projekt“
2.4.1.2 Projektmanagement
2.4.1.3 Prozesse des Projektmanagements
2.4.1.4 Methoden des Projektmanagements
2.4.1.5 Projektorganisation
2.4.2 (Projekt-)Teams – Bildung, Dynamik, Nutzen
2.4.3 Stereotype, Vorurteile, Diskriminierung, Stigmatisierung
2.4.4 Diversity-Ansatzpunkte im Projekt
2.4.4.1 Nach Projektarten
2.4.4.2 Nach Projektmanagement-Funktionen
2.4.4.3 Nach Projekt-Phasen
2.4.4.4 Nach AdressatInnen
2.4.5 Diversity in der Projektorganisation
2.4.6 Konkret: Diversity in Projektteams
2.5 Gender in Projektteams
2.5.1 Projektrolle: Projektleiterinnen
2.5.2 Arbeitsweise: Gender in der Projektarbeit

3 Empirie
3.1 Datenerhebung: Leitfadeninterviews
3.1.1 Entwicklung des Leitfadens
3.1.2 Auswahl der InterviewpartnerInnen
3.1.3 Beschreibung der InterviewpartnerInnen
3.1.4 Durchführung der Interviews
3.2 Datenaufbereitung: Transkription der Interviews
3.3 Datenauswertung: Inhaltsanalyse
3.3.1 Schritt 1: Bestimmung der Analyseeinheit
3.3.2 Schritt 2: Theoriegeleitete Festlegung der inhaltlichen Kategorien
3.3.3 Schritt 3: Zusammenstellung eines Kategoriensystems
3.3.4 Schritt 4: Ankerbeispiele aufstellen
3.3.5 Schritt 5: Materialdurchlauf
3.3.6 Schritt 6: Überarbeitung, ggf. Revision des Kategoriensystems
3.3.7 Schritt 7: Zusammenfassung pro Kategorie
3.3.7.1 Kategorie 1: Wahrnehmung von Diversity
3.3.7.2 Kategorie 2: Umgang mit Diversity
3.3.7.3 Kategorie 3: Projekt-Erfolg durch Diversity Management
3.3.7.4 Kategorie 4: Umgang mit Stereotypen/Vorurteilen
3.3.7.5 Kategorie 5: Wirkung des Geschlechts
3.3.7.6 Kategorie 6: Geschlechterdynamik im Projektteam
3.3.7.7 Kategorie 7: Wirkung von Geschlechterstereotypen im Projektteam
3.3.7.8 Kategorie 8: Umgang mit Geschlechterstereotypen
3.3.7.9 Kategorie 9: Geschlechterstereotype
3.3.7.10 Kategorie 10: Geschlechterverteilung

4 Diskussion der Ergebnisse
4.1 Fragestellung 1: Projekterfolg durch Diversity Management
4.2 Fragestellung 2: Bewusster Umgang mit Vielfalt und Stereotypen
4.3 Fragestellung 3: Geschlechterdynamik im Projektteam
4.4 Fragestellung 4: Geschlechterstereotype und Projekterfolg

5 Transferhinweise
5.1 Gender und Diversity bewusst wahrnehmen und reflektieren – Sensibilisierung
5.2 Gender und Diversity gezielt einsetzen und nutzen – Aktivierung
5.3 Gender und Diversity ins Projektmanagement integrieren – Umsetzung

6 Abschließend…

Abbildungen

Abbildung 1: Was ist Wirklichkeit? (Weidinger 2005, Folie 15)

Abbildung 2: Gegenüberstellung rationalistischer und konstruktivistischer Aussagen (Weidinger 2005, Folie 10)

Abbildung 3: Ungleiches gleich behandelt, schreibt Ungleichheit fort

Abbildung 4: Gegenüberstellung: Systemtheorie – Diversity Management (Labucay 2006, S. 90)

Abbildung 5: Gegenüberstellung: quantitative und qualitative Sozialforschung (Lamnek 1995, S. 258ff., zitiert nach Bärmann 2006, S. 10)

Abbildung 6: Qualitative Inhaltsanalyse (vgl. Mayring 1995, S. 54f.) – Zusammenstellung Berthold 2007

Abbildung 7: Ablaufmodell der inhaltlichen Strukturierung der Methode „Inhaltsanalyse“ (Mayring 1995, S. 78 und 83)

Abbildung 8: Diversity Management (DiM) für welches Unternehmen? (Überbacker 2004, S.11)

Abbildung 9: Werbung für den MBA Projekt- und Prozessmanagement (SN, 10.3.2007)

Abbildung 10: Diversity Management-Zielorientierung und Ergebnisse (Berthold, 2007)

Abbildung 11: Managing Diversity eröffnet neue Blickwinkel (Prove – Diversity Works, o.J.)

Abbildung 12: Vergleich Gender Mainstreaming und Gender- und Diversitätsmanagement (Hoffmann, Vortragsunterlagen, zitiert nach Schwarz-Wölzl 2005, S. 9)

Abbildung 13: Four Layers of Diversity (Gardenswartz 2005, S. 3)

Abbildung 14: Die vier Diversity-Ebenen – bearbeitet und erweitert, Berthold 2007

Abbildung 15: Wahrgenommener Nutzen der Vielfalt am Arbeitsplatz (Europäische Kommission 2005, S. 22).

Abbildung 16: Gegenüberstellung von Verständnisansätzen (Dass und Parker 1999, zitiert nach Voigt 2001, Folie 11)

Abbildung 17: Projektarten (next level, 2003, Folie 11; nlc pm training guide)

Abbildung 18: Projektmanagementprozesse (Sterrer/Winkler 2006, S. 124)

Abbildung 19: Methoden zum Projektmanagement – prozessbezogen (vgl. Gareis 2004, Kap. F;
Sterrer/Winkler 2006, S. 16f. und 184ff.)

Abbildung 20: Projektrollen, deren Kernfunktionen und Aufgaben (vgl. Gareis 2004, Kap C4;
Sterrer/Winkler 2006, S. 48ff.; Patzak/Rattay 2004, Kap. 2.3)

Abbildung 21: Projektorganigramm (nlc-Vorlage, bearbeitet und erweitert durch Berthold 2006)

Abbildung 22: Einordnung des Teams als soziales System (Gareis 2004, S. 119)

Abbildung 23: Die Teamuhr (nach Tuckman, Francis/Young), Darstellung Berthold, 2006

Abbildung 24: Vor- und Nachteile von Teamarbeit (nach Patzak/Rattay, vgl. 2004, S. 55f.)

Abbildung 25: Dynamik von Stereotype und Vorurteilen (Petersen/Dietz 2006, S. 108)

Abbildung 26: Diverse Teams: Chance und Gefahr (Distefano/Maznevski 2000, zitiert nach

Abbildung 27: Stereotyp – „Männer können den besten Kaffee kochen“ – konformes Verhalten
(O. Huber, Gehirn&Geist, 5/2003)

Abbildung 28: Genderkonstrukte in der Projektmanagementsprache des PMBOK (Buckle/Thomas
2003, S. 435)

Abbildung 29: Code Matrix (Zahlen und grafisch) aller vier Interviews

Abbildung 30: Projektmanagementprozesse – Ausschnitt (Sterrer/Winkler 2006, S. 124)

Anhänge

Anhang 1: InterviewpartnerInnen-Suche

Anhang 2: Begriffsdefinitionen

Anhang 3: Kodiertabelle/Ankerbeispiele

Anhang 4: Interviewleitfaden

Anhang 5: Geschlechtsspezifische Leistungseinschätzung

0 Zusammenfassung

Das Konzept des Diversity Management wird seit einigen Jahren – ausgehend von den USA – auch in europäischen Unternehmen, Non Government Organisationen (NGOs), Universitäten und Verwaltungen diskutiert und in einigen bereits angewandt. Diversity bedeutet dabei meist Diversität, Heterogenität und Verschiedenartigkeit der MitarbeiterInnen und wird in leicht positiver Konnotation mit dem Begriff der Vielfalt übersetzt (vgl. Becker 2006, S. 7). Der Grundgedanke von Diversity geht jedoch über den Aspekt der Differenzierung hinaus insofern er nicht nur die Verschiedenheit betont, sondern meint auch, dass Menschen in vielerlei Hinsicht unterschiedlich und gleichzeitig ähnlich sind. Zum Beispiel Frauen und Männer (unterschiedliches Geschlecht), aber ein kultureller Hintergrund (Europa, westliche Kultur) oder: homo- und heterosexuelle Orientierung und gleicher Management-Status (ProjektleiterIn).

Im Gegensatz zu den gesetzlich verankerten Gleichbehandlungsge- und Diskriminierungsverboten ist Diversity Management durch freiwillige Selbstverpflichtungen der Unternehmen gekennzeichnet. Dabei wirken verschiedene Motivatoren unterschiedlich stark: ökonomisches Interesse, soziale Motivation, Konzernvorgaben, Marketing,...

Auch die aktuelle wissenschaftliche Diskussion zu diesem Thema ist geprägt von den verschiedenen Herangehensweisen und bewegt sich zwischen den Polen Gleichstellungspolitik und proaktive Wettbewerbsorientierung (vgl. Becker 2006, S. 7): „At one extreme, diversity can be seen as a means of overcoming injustice - righting wrongs - and at the other as a means of enhancing individual and group contribution to the organization’s goals.“ (Clutterbuck 2002, S. 55, zitiert nach Becker 2006, S. 7)

Die Ziele von Diversity Management sind (vereinfacht dargestellt), die soziale und organisatorische Vielfalt und Verschiedenheit der MitarbeiterInnen (und Interessensgruppen) in einer Weise zu erschließen, die

» wettbewerbsorientiert ist und den Unternehmenserfolg steigert und

» gleichstellungsorientiert und diskriminierungsfrei ist.

Diese Spannung der unterschiedlichen Anforderungen kann auch in der vorliegenden Arbeit nicht gelöst werden. Ziel meiner Arbeit sollte jedoch sein, die Grundlagen der jeweiligen Argumentationen deutlich darzulegen. Daher differenzierte ich Diversity Management in der Folge in einen ökonomischen und einen gleichstellungsorientierten Ansatz (Details siehe Kapitel 2.2.1).

Diversity ist nicht nur auf der Ebene der Gesamtorganisation ein Thema, sondern auch im Projektmanagement und da vor allem im Bereich der Projektorganisation (Teambildung, Zusammenarbeit). Aber auch im Management der Projektumwelten und im Projektmarketing spielt die personelle Vielfalt eine wichtige Rolle. In der vorliegenden Arbeit wurde das Konzept des Diversity Managements daher auf das Projektmanagement übertragen. Dabei standen jedoch kein fertig gepackter Methodenkoffer bzw. keine „Diversity-Rezepte“ im Mittelpunkt. Vielmehr lag der Fokus auf einem situations- und unternehmensangepassten, zielgerichteten Umgang mit personeller Vielfalt und wie dieser in die bestehende Projektmanagementpraxis integriert werden kann.

Meine ersten Recherchen zeigten, dass Projektmanagement vor allem in Verbindung mit kultureller Vielfalt (Internationales Projektmanagement) diskutiert wird, wenig bezogen jedoch auf das Gesamtkonzept von Diversity Management. Bei meiner Suche nach deutschsprachigen Veröffentlichungen ging ich nahezu leer aus – mit einer Ausnahme: Nach Start der Arbeiten an meiner Master Thesis wurde im Oktober 2006 an der WU Wien die Diplomarbeit "Diversity Management von Projekten" veröffentlicht. Seffi Bärmann hat hier einen ersten allgemeinen Aufriss zum Thema geliefert.

Im Gegensatz zu Bärmann spezialisierte ich mich in der vorliegende Arbeit vorrangig auf das Diversity-Merkmal „Geschlecht“ und dessen Management im Bereich der Projektorganisation. Bewusst verwende ich in der Arbeit auch die Bezeichnung „Gender“, denn im sozialen Kontext wirkt nicht das biologische Geschlecht (= Sex), sondern die sozialen Zuschreibungen und Bilder von Frauen und Männern (= Gender), also letztendlich die soziale Konstruktion von Geschlecht. Zu dieser speziellen Fragestellung fand ich bei meinen Recherchen innerhalb deutscher und internationaler Veröffentlichungen von Management-Zeitschriften und Büchern nur zwei Artikel. Mit der Master Thesis betrat ich daher ein noch wenig beforschtes Themengebiet. Sie hat demzufolge einen stark explorativen Charakter.

Nach der inhaltlichen Aufbereitung des Themas wertete ich vier teilstandardisierte Leitfadeninterviews mit ProjektmanagerInnen nach der Methode der qualitativen Inhaltsanalyse aus. Als wichtigste Ergebnisse zu meinen Fragestellungen fasse ich daher zusammen:

» Eine bewusste Wahrnehmung, Reflexion, Förderung und Einsatz von personeller Vielfalt reduziert Projektrisiken, verbessert die Zusammenarbeit in Projektteams und die sozialen Projektumweltbeziehungen mit den Interessensgruppen.

» Kulturell geprägte Zuschreibungen und Muster (Stereotype, Vorurteile, soziale Konstruktionen) wirken in allen sozialen Projektbeziehungen. Werden sie kritisch reflektiert und nicht als unhinterfragte Annahmen übernommen, so können Fehlplanungen und -entscheidungen in Projekten korrigiert bzw. verhindert werden. Darüber hinaus kann ihr gezielter Einsatz den Projekterfolg steigern.

» Die Diversity-Dimension Gender wirkt in Projekten über soziale Zuschreibungen, Geschlechterstereotype, die Hierarchie der Geschlechter, kulturelle Traditionen und Muster. Auch hier bedarf es eines Bewusstwerdungs- und Reflektionsaktes, um unhinterfragte Annahmen zurückzuweisen, diskriminierungsfrei zu handeln sowie die Stärken und Schwächen der einzelnen Projektbeteiligten unabhängig vom Geschlecht wahrzunehmen und einzusetzen.

» Wird die Dynamik von Gender und Geschlechterstereotype bewusst genützt (z.B. paradoxer Einsatz, Verstärkung,…), so kann es zur Verbesserung der Teamkooperation und des zielorientierten, inhaltlichen Arbeitens führen.

Weitere detaillierte Forschungen zu Diversity in Projekten, vor allem jedoch zum Gender-Aspekt stehen meiner Einschätzung nach noch aus.

1 Einleitend…

Im ersten Teil der Master Thesis erhalten Leserinnen und Leser einen Einblick in die Motivation der Themenwahl (Kapitel 1.2), eine Vorstellung der forschungsleitenden Fragestellungen (Kapitel 1.4) und einen Überblick über Forschungszugang und -methodologie (Kapitel 1.5 und 1.4). Kapitel 2 ist der umfassenden Darstellung der Theorie und der aktuellen wissenschaftlichen Diskussionen gewidmet. Nach der Skizzierung der IST-Situation (Kapitel 2.1) nimmt die ausführliche inhaltliche Darstellung (ab Kapitel 2.2) zu Diversity als Managementkonzept, Diversity im Projekt Management und Gender in der Projektorganisation den Hauptteil der theoretischen Fundierung ein. Empirisch überprüft werden die Fragestellungen in Interviews mit Projektmanagement-ExpertInnen bzw. ProjektleiterInnen (Kapitel 3 und 4). Der – auch persönlich prioritäre – Anspruch der Praxisorientierung wird durch die Transferhinweise in Kapitel 5 erfüllt, Kapitel 6 rundet die Arbeit ab.

1.1 Begründung der Themenwahl

„Die Praxis fungiert im Anschluss an das konstruktivistische Wissenschaftsverständnis als Impulsgeber, durch den Anlässe und Möglichkeiten zum systematischen Aufbau einer Diversity Management-Theorie geschaffen werden.“ (Labucay 2006, S. 79) Meine Berufspraxis und -erfahrung als Projektmanagerin in der Frauenförderung, Gleichbehandlung und Schulverwaltung (Bildungs-, Organisationsentwicklungs- und IT-Projekte) seit 1997 waren auch meine maßgeblichsten Motivatorinnen für die Wahl des Themas. Angeregt durch die Erweiterung der Gleichbehandlungsgesetzgebung um die Dimensionen Alter, sexuelle Orientierung, ethnische Herkunft, Behinderung, Religion und Weltanschauung begann ich mich vor drei Jahren mit dem Unternehmenskonzept Diversity Management auseinanderzusetzen, das für mich eine notwendige Ergänzung zur gesetzlichen Regelung darstellt. Denn die Praxis zeigt: Zur nachhaltigen Einstellungsänderung sind Gesetze alleine zu wenig. Es braucht auch die proaktive (im Gegensatz zum reaktiv-korrigierenden, jedoch nicht minder notwendigen Ansatz der Antidiskriminierung), selbst entschiedene und gewählte Auseinandersetzung der Unternehmen in Privatwirtschaft und öffentlicher Verwaltung mit der Vielfalt der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter.

Meine Erfahrungen in Projekten – vorrangig in deren Leitung – haben mir darüber hinaus gezeigt, wie wesentlich und entscheidend der Umgang mit Vielfalt in der Projektteamarbeit für effizientes Arbeiten und letztendlich den Erfolg des Projekts ist. Dabei waren für mich bisher Diversity-Dimensionen aller Ebenen nach dem Modell „Four Layers of Diversity“ nach Lee Gardenszwartz und Anita Rowe (siehe S. 34) entscheidend: die inneren Dimensionen (Geschlecht, Alter, Behinderung, sexuelle Orientierung), die äußeren Dimensionen (Berufserfahrung, Elternschaft, Ausbildung) und die organisatorischen Dimensionen (Management-Status, Gewerkschaftszugehörigkeit, Dauer der Unternehmenszugehörigkeit, Zugehörigkeit zu einer Organisationseinheit, Funktion und Einstufung, Arbeitsinhalte). Hier bin ich der Empfehlung der beiden US-amerikanischen Diversity Expertinnen (vgl. Plett 2002, S. 105ff.) gefolgt, die Diversity-Dimensionen immer der konkreten Situation bzw. Organisation anzupassen und ergänze – meinen beruflichen Erfahrungen nach – die äußeren Dimensionen um „Zugehörigkeit zu einer politischen Partei“.

Ein persönliches Resümee vorweg: Das Management personeller Vielfalt in Projekten ist eine mindestens so große (je nach Projektphasen sogar größere) Herausforderung wie das Einhalten von Projektbudget, Leistungs- oder Terminplan.

Die Einschränkung auf eine Diversity-Dimension ist unumgänglich, um das Thema Diversity im Rahmen einer Master Thesis behandeln zu können. Auch Höher (2002, S. 65) hält dazu fest: „Diversity in seiner ganzen Komplexität wahrzunehmen, stellt eine Überforderung für die Einzelnen und für Systeme dar.“ Ich konzentriere mich daher auf das Merkmal Gender. Einerseits weil ich hier in Zusammenhang mit anderen Strategien (Gleichstellung, Antidiskriminierung, Gender Mainstreaming) auf umfangreiche theoretische, praktische und persönliche Erfahrung zurückgreifen kann, andererseits, weil ich die Master Thesis-Ergebnisse hier am unmittelbarsten verwerten und weitergeben kann. Die persönlichen Erfahrungen im Projektmanagement werden dabei wichtige Reflexionsfelder darstellen.

Wichtig ist dabei jedoch das Bewusstsein, dass durch diese Reduktion andere Sichtweisen ausgeschlossen werden bzw., dass diese Einschränkung – wenn notwendig – auch wieder verändert werden kann.

1.2 Ziele der Master Thesis

Mit der vorliegenden Arbeit verfolge ich folgende Ziele:

» Aufbereitung der vorhanden Literatur zu Gender und Diversity in Projekten

» nachvollziehbare Fragestellungen und wissenschaftlich korrekte Beantwortungen

» Praxisorientierte und brauchbare Transferhinweise

» Reflexion der eigenen Projektmanagement-Erfahrungen

» Sensibilisierung und Aktivierung zur Auseinandersetzung von ProjektmanagerInnen zu Gender und Diversity in Projekten

1.3 Fragestellungen

Folgende Fragestellungen leiten meine theoretische und empirische Arbeit:

Fragestellung 1

Steigert das bewusste und zielgerichtete Management von Diversity in Projekten dessen Erfolg?

Fragestellung 2

Benötigt es einen bewussten und offenen Umgang mit personeller Vielfalt und Unterschieden und einen reflektierten und kritischen Umgang mit Stereotypen und Vorurteilen, wenn Diversity Management in Projekten erfolgreich sein will?

Fragestellung 3

Beeinflusst das Diversity-Merkmal „Geschlecht“ die Dynamik in der Projektorganisation und in allen sozialen Beziehungen im Projekt (Projekt-Umwelten)? Wie wirkt es sich in der Projektteam-Zusammenarbeit aus?

Fragestellung 4

Erhöht ein reflektierter Umgang mit Geschlechterstereotypen im Projektmanagement sowohl individuelle als auch Projektteamleistungen und damit den gesamten Projekterfolg?

1.4 Forschungszugänge

Im folgenden Kapitel beschreibe ich die theoretische „Baseline“ der vorliegenden Master Thesis und rege darüber hinaus auch die Reflexion über eigene Wahrnehmungs- und Denkmuster an – ein empfehlenswerter Einstieg in das Thema Diversity im Projektmanagement. Hier skizziere ich auch mein Verständnis von „weiblich“ und „männlich“.

1.4.1 Erkenntnistheoretischer Zugang

Jede wissenschaftliche Arbeit und jedes Praxishandeln folgt einem – bewussten (Wissenschaft) oder unbewussten (Praxis, mit Ausnahmen) – erkenntnistheoretischen Ansatz. Für das Verständnis der inhaltlichen Ausführungen und der Diskussion derselben ist es hilfreich diesen zu Beginn darzulegen.

1.4.1.1 Radikaler Konstruktivismus

Der Radikale Konstruktivismus als erkenntnistheoretische Position steht für die Auffassung, dass Menschen als bewusst wahrnehmende Wesen die Wirklichkeit „erfinden“ (konstruieren) und nicht (wie nach Auffassung des Realismus) objektiv „entdecken“.[1] Nur durch sprachliche Kommunikation zwischen Menschen wird darüber Konsens aufgebaut, was real "ist", bzw. besser: was für real gehalten wird. Die Welt wird uns nur durch Beobachtungen zugänglich, die wir uns selber erklären. Sie ist daher immer schon eine interpretierte Welt, über die wir uns nur kommunikativ verständigen bzw. einigen können.

Demzufolge gibt es keine subjektunabhängige Realität. Niemand kann den Anspruch erheben, die Wahrheit, das Wesen der Dinge oder die Realität „wirklich“ und objektiv zu kennen: "Objektivität ist die Wahnvorstellung, Beobachtungen könnten ohne Beobachter gemacht werden. Die Berufung auf Objektivität ist die Verweigerung der Verantwortung - daher auch ihre Beliebtheit." (Foerster/Pörksen 1998, S. 154) Beobachtung ist somit abhängig von den BeobachterInnen und ist gleichzeitig eine Interpretation.

An Stelle der Objektivität und Wahrheit tritt Intersubjektivität und Pluralität von Handlungsmöglichkeiten. Es geht hier nicht um ein wahres Bild der Realität, sondern um die lebbare Organisation der Welt. Von Glasersfeld hat den Wahrheitsbegriff im wissenschaftstheoretischen Ansatz des radikalen Konstruktivismus daher auch durch Viabilität[2] ersetzt. Viabel ist eine Aussage, wenn sie für zwei oder mehrere Individuen nachvollziehbar (gangbar) ist. Dabei spielen Sozialisation, Werte, Normen und Macht eine wichtige Rolle. Gerade in Projekten als soziale Systeme und gleichzeitig temporäre Organisationen ist die Verständigung zur Viabilität eine zentrale Aufgabe, um gemeinsam am Projekterfolg arbeiten zu können (siehe Abbildung 1).

Abbildung 1: Was ist Wirklichkeit? (Weidinger 2005, Folie 15)

In der Gegenüberstellung zu den Grundaussagen des kritischen Rationalismus wird der radikale Konstruktivismus nachvollziehbarer (siehe Abbildung 2).

Abbildung 2: Gegenüberstellung rationalistischer und konstruktivistischer Aussagen (Weidinger 2005, Folie 10)

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Sind wir in der Welt der konstruktivistischen Stärke angelangt, braucht es dennoch auch eine Umkehrung, mahnt Kersten Reich (o.J., S. 3), denn jede Konstruktion schließt aus, ist einseitig und verabsolutiert. Es brauche kritische Dekonstruktion: „Sonst werden wir zu bloßen Machern, denen die Distanz zu ihrem Tun fehlt. Dann breitet sich eine neue Naivität aus, die das Herstellen und scheinbar reine Subjektivität übergeneralisiert.“

1.4.1.2 Dekonstruktivismus

Ergänzend zur konstruktivistischen Sichtweise und mit Blick auf einen Gender-Schwerpunkt der Arbeit stelle ich hier auch den Dekonstruktivismus als einen erkenntnistheoretischen Zugang kurz dar.

Der Dekonstruktivismus wurde vom französischen Philosophen Jacques Derrida in den 80er Jahren des letzten Jahrhunderts als neues Paradigma in der Literaturkritik eingeführt und besteht darin, „ein zu kritisierendes Denksystem zunächst zu rekonstruieren, um dann, in dessen Nachvollzug, innere Unstimmigkeiten und Brüche aufzuzeigen.“ (Meyers-Lexikon, Dekonstruktivismus, 2007) Dabei wird der Rahmen angegriffen, in dem überhaupt noch verallgemeinernde Aussagen über Genusgruppen (z.B. Männer und Frauen) gemacht werden können. „ Der Dekonstruktivismus ist ein ruheloses, poetologisches, nicht enden wollendes Befragen eines jeden Textes, bis in die verborgensten Winkel der Bedeutungen, des Satzbaus und der Etymologien hinein - immer wieder beginnt er von vorn und immer wieder geht er über sich selbst hinaus.“ (Steinfeld 2007)

Als theoretische Basis ist hier vorrangig jener Dekonstruktivismus entscheidend, der auch als Postfeminismus bezeichnet wird. Vor allem in der sozialwissenschaftlichen Theorie werden mithilfe der Dekonstruktion die Stabilität und Wesenheiten von Identitäten hinterfragt und neue politische Wege gesucht. Zur Einordnung des dekonstruktivistischen Konzepts in die Diskussionen der Geschlechterforschung stelle ich die drei unterschiedlichen Herangehens- und Betrachtungsweisen vor (vgl. Knapp 2001, S. 102).

Differenztheorie: Tendiert – als eine Politik der Positivierung des Weiblichen – dazu, die Unterschiede zwischen den Geschlechtern hervorzuheben. „Als „weiblich“ geltenden Erfahrungen, Qualifikationen und Interessen sollen als positive Potentiale gewichtet und in berufliche Bewertungskriterien einbezogen werden (z.B. Personenbezogenheit, Einfühlsamkeit, Intuition).“ (Knapp 2001, S. 99)

Folgende Aussagen würden dieser Theorie entsprechen:

» Mehr Frauen in Führungspositionen, weil der weibliche Führungsstil einer ist, der für modernes Management besonders geeignet ist.

» Frauen als Projektleiterinnen, denn ihre soziale Kompetenz wird dort besonders gebraucht.

» Frauen in Projektteams, denn schon durch ihre Anwesenheit verbessert sich die Atmosphäre in der Zusammenarbeit.

Diese Zuschreibungen sind kritisch zu sehen. Vor allem wenn Frauen als „sozialer Kitt“ eingesetzt werden, kommt es nicht zur Veränderung der geschlechtstypischen Kompetenzverteilung, sondern durch die ständige „diskursive Dramatisierung der Geschlechterdifferenz wird das biopolare Koordinatensystem „männlich/weiblich“ fortgeschrieben.“ (Knapp 2001, S. 100) Damit wird auch das Dilemma dieses Ansatzes deutlich: Die Fortschreibung der Differenz verstärkt das Stigma der Abweichung. Das Weibliche wird als Abweichung von der Norm gesehen.

Gleichheitsansatz: Das Konzept der Gleichheit lehnt den Bezug zur natürlichen und kulturellen, gesellschaftlich konstruierten Differenz ab. Im Zentrum stehen die Gleichstellung, der Abbau der Asymmetrien zwischen den Geschlechtern und die ungleich verteilten Chancen, gefordert werden gleiche Rechte (z.B. Wahlrecht). Eine Politik der Antidiskriminierung wird verfolgt.

Das Dilemma dabei ist, dass sich die Bewertungsmaßstäbe für Gleichheit an männlichen Normen und der männlich geprägten Kultur orientierten: Die Gleichbehandlung der Ungleichheit schreibt die Ungleichheit fort.

Abbildung 3: Ungleiches gleich behandelt, schreibt Ungleichheit fort

(Quelle: www.lazynomics.de/persoenlichkeitstraining.html)

„Damit es fair zugeht, erhalten Sie alle die gleiche Aufgabe:

Klettern Sie auf diesen Baum!“

Dekonstruktion: VertreterInnen dieses Ansatzes kritisieren die identitätspolitischen Fundierungen unseres bipolaren Geschlechtersystems und lehnen jegliche Legitimation gleichstellungspolitischer Positionen über die Konstruktion von Gruppeneigenschaften (Frauen/Männer) ab. Dekonstruktivistisch orientierte Feministinnen wollen daher „die Reproduktion des blau-rosa Codes der Zweigeschlechtlichkeit (…) unterlaufen“ (Knapp 2001, S. 100).

Als wichtige Vertreterin der dekonstruktivistischen Geschlechterforschung gilt Judith Butler. Mein Verständnis von Gender orientiert sich an ihrem Ansatz. Sie zeigt auf, dass und wie Geschlecht gemacht wird und vermeidet unangemessene pauschale Zuschreibungen. Geschlecht wird aus ihrer Sicht konstruiert: „Werden die angeblich natürlichen Sachverhalte des Geschlechts nicht in Wirklichkeit diskursiv produziert, nämlich durch verschiedene wissenschaftliche Diskurse, die im Dienste anderer politischer und gesellschaftlicher Interessen stehen?“ (Butler 1991, S. 23f.)

Demzufolge wird die Geschlechtszuschreibung zu einem „ freischwebenden Artefakt.“ „Die Begriffe Mann und männlich können dann ebenso einfach einen männlichen und einen weiblichen Körper bezeichnen wie umgekehrt die Kategorien Frau und weiblich .“ [Hervorhebungen im Original](Butler 1991, S. 23) Sie kritisiert daher auch den Feminismus, der sich auf „Frau“ als Subjekt begründet, weil damit ja wiederum die gesellschaftliche Konstruktion verfestigt wird und oft auch von einer einheitlichen und kohärenten Identität und Interessen „der Frau an sich“ ausgegangen wird. „Eine Frau zu ‚sein’, ist sicherlich nicht alles, was man ist.“ (Butler 1991, S. 18)

Mit Blick auf Diversity sind weibliche Menschen dann Frauen und Migrantinnen, Frauen mit homosexueller Orientierung, Frauen in einem bestimmten Lebensalter, Frauen mit einer (oder mehreren) Behinderungen,… Und damit wird schon deutlich, wie vielfältig die Diversity-Dimension Geschlecht ist und dass es zahlreiche Gemeinsamkeiten und Unterschiede unter Frauen (wie auch unter Männern) gibt.

Die reine Lehre bzw. Theorie des Dekonstruktivismus ist eine Überforderung in der Praxis, doch pragmatisch eingesetzt, ergeben sich meiner Einschätzung nach viele Anregungen für die Projektarbeit; vor allem für einen konstruktiven Umgang mit Diversity.

1.4.2 Organisationstheoretischer Zugang: Systemtheorie

Dem, der vorliegenden Arbeit zugrunde liegenden, Projektmanagement-Ansatz nach sind Projekte soziale Systeme (Details siehe Kapitel 2.4.1.1). Auch Diversity Management kann ausschließlich in sozialen Systemen umgesetzt werden.

Gemäß der sozialwissenschaftlichen Systemtheorie sind soziale Systeme durch ihre Innen-Außen-Differenz beschrieben. Dadurch wird eine Ordnung hergestellt, die sich nicht beliebig ausdehnt (vgl. Gareis 2004, S. 40). Zusätzlich sind soziale Systeme nur in ihren Kontexten verständlich. Kontexte werden hier verstanden als die relevanten Umwelten, die Geschichte des Systems und die Erwartungen an die Zukunft des Systems (vgl. Gareis 2004, S. 41). Elemente eines sozialen Systems sind nach Niklas Luhmann Kommunikationen. Sein Lehrer Talcott Parson sprach von Handlungen.

Soziale Systeme ermöglichen die Bewältigung von Komplexität im Sinne von Management der reduzierten Komplexität von Organisationen. „ Systeme werden in diesem Sinn als Komplexitätsreduktionen [Hervorhebung im Original] interpretiert. Sie reduzieren die Anzahl potenziell unendlicher Kombinationsmöglichkeiten von Umweltelementen auf eine (…) Struktur, die sich von der Umwelt unterscheidet. “ (Moser 2003, 27f.) Im Projektmanagement ist die Bewältigung der Komplexität (Auf- und Abbau) ein entscheidender Erfolgsfaktor (siehe Kapitel 2.4.1.2).

Aus systemtheoretischer Sicht definiert Inéz Labucay (2006, S. 90) Diversity Management als „Maßnahme zur Erhöhung der Eigenkomplexität gegenüber der Komplexität der Umwelt“ und stellt Systemtheorie und Diversity Management zusammenfassend gegenüber (siehe Abbildung 4):

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

1.4.3 Forschungsmethodologischer Zugang: Qualitative Sozialforschung

Dem Forschungsgegenstand und erkenntnistheoretischen Zugang entsprechend wähle ich hier sozialwissenschaftlich-qualitative Methoden, denn sie gehen davon aus, „dass sich die Menschen ihre Lebenswelt konstruieren. In dieser Konstruktion spiegeln sich die allgemeinen gesellschaftlichen Strukturen und sie ist ebenso Ausdruck der individuellen sozialen Position (und damit des Zugangs zu gesellschaftlichen Ressourcen, soziale Ungleichheit) innerhalb dieser Gesellschaft. Diese Konstruktion soll durch die Methoden der empirischen Sozialforschung rekonstruiert, die der Konstruktion innewohnenden Strukturen und Regeln analysiert und das über den Einzelfall hinaus gültige Allgemeine aufgezeigt werden.“ (Denz o.J., S. 4)

Quantitative Methoden, die von einer objektiv und autonom existierenden Realität ausgehen und für sich beanspruchen, diese in ihren Forschungsergebnissen abzubilden, würden meinen Ansätzen widersprechen. Dabei geht es jedoch nicht um ein „Entweder-oder“, denn beide Herangehensweisen haben ihre Berechtigung wie die Gegenüberstellung von Lamnek zeigt (1995, S. 258ff., zitiert nach Bärmann 2006, S. 10 – siehe Abbildung 5).

Abbildung 5: Gegenüberstellung: quantitative und qualitative Sozialforschung (Lamnek 1995, S. 258ff., zitiert nach Bärmann 2006, S. 10)

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Den Unterschied zwischen quantitativen und qualitativen Zugang verdeutlicht auch ein Zitat von Brüsemeister (2000, S. 21, zitiert nach Bittner et al. 2005, S. 19) auf sehr nachvollziehbare Weise und liefert ein weiteres Argument für den gewählten forschungsmethodologischen Zugang: „ Die Begriffe ‚Überprüfung’ und ‚Entdeckung’ bezeichnen den Hauptunterschied, aus dem sich alle weiteren Unterschiede zwischen den Methoden ergeben. Eine Entdeckung ist zum Beispiel schon anhand eines einzigen Interviews, einer Beobachtung oder eines Dokumentes möglich.

So gesehen befinde ich mich durch die Wahl der qualitativen Methoden auf einer Entdeckungsreise, die mir Klarheiten darüber bringen soll, ob meine Fragestellungen durch die Projektmanagement-Empirie beantwortet werden können oder nicht. Im nächsten Kapitel liefere ich eine methodologische Wegbeschreibung, im Kapitel 3 (Empirie) „erzähle“ ich, welche Erkenntnisse sich mir auf dieser Reise erschlossen haben.

1.5 Forschungsmethodik

Die qualitative Sozialforschung kennt unterschiedliche Datenerhebungs-, Aufbereitungs- und Auswertungsmethoden.

Zu den qualitativen Erhebungsmethoden zählen (ausgewählte Beispiele):

» Beobachtungen: offen/unstrukturiert, teilstandardisiert, teilnehmend

» Befragungen: (teil)standardisiertes Leitfadeninterview (auch Problemzentriertes Interview, stärker strukturiert), offenes (narratives) Interview (schwächer strukturiert), Gruppendiskussion, indirekte Befragung mit Hilfe projektiver und assoziativer Verfahren

» Arbeit mit vorhandenem Material: Dokumentensammlung (Texte, Biografisches Material, Bilder)

Das Datenmaterial kann dargestellt sein durch Text, grafisch (Tabellen, Prozess-, Kontext- oder Strukturmodelle) oder audio-visuell (Bild-, Film- oder Tonbandmaterial).

Zentrale Aufbereitungsmethoden (vgl. Wiesinger o.J., o.S.) sind:

» Transkription

- wörtlich: vollständige Texterfassung verbal erhobenen Materials; bei der Ersterfassung oder in einem zweiten Verarbeitungsschritt kann das Datenmaterial sprachlich geglättet werden, ohne dass es zu wesentlicher Reduzierung oder Selektion (siehe unten) kommt.

- kommentiert: Zusätzliche Informationen (Pausen, Betonungen, Sprachbesonderheiten) oder Kommentare werden im Text oder in einer eigenen Spalte neben dem Text festgehalten.

» Protokoll

- Zusammenfassend: Die Materialfülle wird bereits bei der Aufbereitung reduziert, verallgemeinert; einzelne Bedeutungseinheiten werden integriert und gebündelt.

- Selektiv: sinnvoll bei umfangreichem Material, viel Überflüssigem und Abschweifendem im Material. Auswahlkriterien sind jedoch genau zu definieren.

Als qualitative Auswertungsmethoden gelten unter anderen:

» Qualitative Inhaltsanalyse

» Diskursanalyse

» subjektive und objektive Hermeneutik

» psychoanalytische Textinterpretation

Quantitativ erhobene Daten können auch mit qualitativen Methoden ausgewertet werden.

Für die vorliegende Arbeit wähle ich

zur Erhebung das teilstandardisierte Leitfadeninterview

zur Aufbereitung die kommentierte Transkription (geglättet) und

zur Auswertung die Qualitative Inhaltsanalyse nach Mayring (1994).

1.5.1 Teilstandardisiertes Leitfadeninterview

Das teilstandardisierte Leitfadeninterview dient der Informationsgewinnung, wie sich Individuen unter konkreten gesellschaftlichen Strukturen verhalten und entscheiden. Dabei stehen „die subjektiven Sinnstrukturen im Mittelpunkt“ (Denz o.J., S. 30). Die ForscherInnen orientieren sich an theoretisch vorstrukturierten Fragestellungen. Die Fragen werden offen gestellt, die Reihenfolge bleibt jedoch flexibel, sodass die/der Befragte ausreichend Möglichkeiten findet, die eigene Sicht der Wirklichkeit darzulegen. „Das Instrument (Leitfaden und das Maß seiner Strukturiertheit) richtet sich nach dem konkreten Gegenstand (Gegenstandsorientierung), die Anwendung richtet sich nach dem Interviewverlauf (Prozessorientierung).“ (Denz o.J., S. 31)

In der qualitativen Sozialforschung wird von einer symbolisch strukturierten, von den AkteurInnen interpretierten und gesellschaftlich konstruierten Wirklichkeit ausgegangen. Wissenschaftliche Aussagen werden nicht als Realität gesehen, sondern als Beschreibung der Konstruierungsprozesse von Wirklichkeit (siehe Kapitel 1.4.1.1). Bereits der Schritt der Informations- und Datengewinnung unterliegt vielfältigen (oftmals unbewussten) Konstruktionen und Sinngebungsverfahren. Als Interviewerin bin ich – neben den GesprächspartnerInnen und LeserInnen – eine wesentliche soziale Akteurin und Interpretatorin. Aus diesem Grund ist es wichtig, die Schritte dieses „Konstruierungsprozesses“ zu dokumentieren und zu reflektieren. Nach der Durchführung des Interviews wird ein Gesprächsprotokoll angefertigt. Friebertshäuser (1997, zitiert nach Denz o.J.) bezeichnet diesen Forschungsschritt als Postkommunikationsbeschreibung. „Die Interviewerin bzw. der Interviewer beschreibt, wie es ihr/ihm gegangen ist, wie sie/er die Kommunikationssituation erlebt hat, besondere Beobachtungen, Hypothesen usw.“ (Denz o.J., S. 31)

1.5.2 Kommentierte Transkription

Während Erhebungsmethoden versuchen, „der Realität Informationen zu entlocken“ (Wiesinger o.J., o.S.), sind Aufbereitungsmethoden als Vorbereitungen zur Datenanalyse zu sehen: Das gewonnene Material wird festgehalten, aufgezeichnet, geordnet und aufbereitet. Dabei ist, die Wahl der Methode an den Forschungsgegenstand anzupassen. Auch bei diesem methodischen Schritt ist zu beachten, dass die Übertragung des Interviews bereits eine Konstruktion ist. Vor allem bei der Transkription von nonverbalen Signalen und Äußerungen (Lachen, Sprechpausen,…) gestaltet die Forscherin bzw. der Forscher die „Realität“: Ist das nun ein Lachen oder nicht? Definiere ich ein Zögern bereits als Pause? Ist dieses Zittern in der Stimme ein Zeichen der Unsicherheit, des Stresses oder anderer emotionalen Reaktionen?

1.5.3 Qualitative Inhaltsanalyse

Mit der Methode der qualitativen Inhaltsanalyse werden Inhalte fixierter (im Sinne von protokollierter) Kommunikation (Interviewprotokolle, Dokumente, Video,…) analysiert, um Rückschlüsse auf bestimmte Aspekte der Kommunikation zu ziehen. Dabei wird systematisch, regel- und theoriegeleitet vorgegangen (vgl. Mayring 1995, S. 13). Mayring (vgl. 2000, Absatz 7) beschreibt die zentralen vier Grundgedanken der qualitativen Inhaltsanalyse wie folgt:

» Einordnung in ein Kommunikationsmodell: Ziel der Analyse, Variablen der Text produzierenden Person (Erfahrungen, Einstellungen, Gefühle), Entstehungssituation des Materials, soziokultureller Hintergrund und Wirkung des Textes beschreiben

» Regelgeleitetheit: Nach einem inhaltsanalytischen Ablaufmodell wird das Material in Analyseeinheiten zerlegt und schrittweise bearbeitet. Die intersubjektive Nachprüfbarkeit ist zentral.

» Kategorien im Zentrum: Analyseaspekte werden in Kategorien gefasst, genau begründet und im Laufe der Auswertung überarbeitet (Rückkopplungsschleife).

» Gütekriterien: Das Verfahren will prinzipiell nachvollziehbar sein, seine Ergebnisse im Sinne eines Triangulationsansatzes mit anderen Studien vergleichbar machen und auch Reliabilitätsprüfungen einbauen.

„Qualitative Inhaltsanalyse ist immer ein Verstehensprozeß von vielschichtigen Sinnstrukturen im Material. Die Analyse darf nicht bei dem manifesten Oberflächeninhalt stehen bleiben, sie muß auch auf latente Sinngehalte abzielen.“ [Hervorhebungen im Original] (Mayring 1994, S. 29) Manifeste Inhalte zeigen sich in den Texten, Gedankengänge, Einstellungen, Meinungen werden kommuniziert. Latente Inhalte werden durch Interpretation des Textes und der Kommentare zu Tage gefördert, sind jedoch gleichzeitig sehr „anfällig“ für Konstruktionen der ForscherInnen.

Aus diesem Grund wird als Gütekriterium die argumentative Interpretationsabsicherung eingefordert (Wiesinger o.J., o.S.):

„1. Das Vorverständnis der jeweiligen Interpretation muß adäquat sein, so wird die Deutung sinnvoll theoriegeleitet.
2. Die Interpretation muß in sich schlüssig sein, wo Brüche sind, müssen diese erklärt werden.
3. Suche nach und Überprüfung von Alternativdeutungen. Die Widerlegung von "Negativfällen" kann ein wichtiges Argument für die Geltungsbegründung von Interpretationen darstellen.“

Interpretationen stellen die Basis qualitativer Inhaltsanalyse dar und werden von Mayring (1995, S. 54f.) nach drei Grundformen differenziert (siehe Abbildung 6).

Abbildung 6: Qualitative Inhaltsanalyse (vgl. Mayring 1995, S. 54f.) – Zusammenstellung Berthold 2007

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Mayring bewertet die Strukturierung als zentralste Technik. Für die Analyse der transkribierten Interviews dieser Arbeit habe ich die Form der inhaltlichen Strukturierung ausgewählt. Ziel dieser Analyseform ist es, bestimmte Themen, Inhalte und Aspekte aus dem Material herauszufiltern und zusammenzufassen. Die Extraktion der Inhalte aus dem Material wird durch theoriegeleitet entwickelte Kategorien bestimmt. Mayring (1995, S. 78 und 83) schlägt folgende Prozessschritte vor (siehe Abbildung 7):

Abbildung 7: Ablaufmodell der inhaltlichen Strukturierung der Methode „Inhaltsanalyse“ (Mayring 1995, S. 78 und 83)

Nach der Bestimmung der Analyseeinheiten (Schritt 1), werden aus der Theorie abgeleitet die Hauptkategorien festgelegt (Schritt 2), deren Ausprägungen definiert und in einem Gesamtkategoriensystem zusammengefasst (Schritt 3). Im 4. Schritt werden einzelne Kategorien, Ankerbeispiele und Kodierregeln formuliert. Bis zu diesem Arbeitsschritt unterscheiden sich qualitative und quantitative Inhaltsanalyse nicht. Mit Schritt 5 startet die Arbeit am konkreten Datenmaterial. Im ersten Durchlauf werden die Fundstellen markiert, dann bearbeitet und herausgezogen (Schritt 6). Im Laufe der Analyse des Materials werden Dimensionen und Kategorien immer wieder verändert und an die konkreten empirischen Gegebenheiten angepasst (Schritt 7). Die Paraphrasierung der ausgewählten Materials (Textpassagen) stellt den 8. Schritt dar. Zum Abschluss werden Kategorien (Schritt 9) und Hauptkategorien (Schritt 10) zusammengefasst.

Für die Auswertung verwendete ich das Programm Max-QDA 2007 (www.winmax.de).

2 Theorie

Die gemeinsame Nennung von Gender und Diversity ist begrifflich nicht exakt, da hier unterschiedliche Ebenen zusammengefasst sind, denn Gender ist eine Diversity-Dimension von vielen. Dadurch dass sie jede Person „trifft“, wird sie in Theorie und Praxis jedoch als ein zentrales Merkmal gesehen (vgl. z.B. Cox 1994, S. 19 und Krell 2006). Daher arbeite auch ich in dieser Arbeit – in Übereinstimmung mit anderen AutorInnen (z.B. Koall und Bruchhagen 2002) – mit diesem Doppelbegriff „Gender und Diversity“. Ich stelle zunächst das übergeordnete Theoriekonzept „Diversity“ vor, um mich im zweiten Schritt auf „Gender“ zu konzentrieren.

2.1 Analyse IST-Situation

Diversity wird im Zusammenhang mit Projektmanagement noch wenig diskutiert, obwohl Diversity Management bereits als Unternehmenskonzept anerkannt und in vielen Leitbildern integriert ist (siehe z.B. Kompendium Diversity Management[3], diversityworks 2007).

Vielfalt an sich ist kein neues Thema im Projektmanagement. Internationale, kulturenübergreifende Projekte weisen ein hohes Maß an ethnischer und sprachlicher Diversität auf. Heterogenität – vor allem bezogen auf Kompetenzen und Professionen – wird eingesetzt, um die Projektziele zu erreichen. Die Kommunikation diverser Teams und Konflikte in der Projektzusammenarbeit werden mit Methoden des Konfliktmanagements und mit der sozialen Kompetenz der ProjektleiterInnen bearbeitet (und gelöst).

Systematische Diversity-Forschung und dessen Praxis-Ansatz haben jedoch auch für das Projektmanagement eine große Relevanz, da Projekte als temporäre Organisation gelten (siehe Kapitel 2.4.1.1) und personelle Vielfalt in ihren Gemeinsamkeiten und Unterschieden auch in diesem zeitlichen begrenzten sozialen System ihre Wirkung entfaltet. Im Sinne eines effektiven und effizienten Projektmanagements empfiehlt sich hier ohne Zweifel eine bewusste Steuerung dieser sozialen Prozesse. Zu diskutieren bleibt, in welcher Differenziertheit und Intensität Methoden des Diversity Managements in Projekten angewandt werden sollen bzw. müssen. Dass die gezielte Steuerung der personellen Vielfalt, also Diversity Management, für jeden Projektmanager und jede Projektmanagerin jedoch mehr als nur eine Modeerscheinung bleiben sollte, steht meiner Meinung nach außer Zweifel. Das zeigt auch Überackers Darstellung zur Frage, zu welchem Unternehmen Diversity Management passt (2004, S. 11, siehe Abbildung 8):

Abbildung 8: Diversity Management (DiM) für welches Unternehmen? (Überbacker 2004, S.11)

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Diversity Management gilt demnach nicht für alle Unternehmen. Dass dieses Konzept jedoch für Projekte im Besonderen passt, zeigen ihre Empfehlungen für die Diversity Management-Anwendung. In ihrer Aufzählung weist sie auf zentrale Projekt-Kriterien hin:

» Zielvereinbarung zwischen AuftraggeberIn und Projektleitung (Commitment)

» kein Standard/Routine, sondern Neuartigkeit, Risiko, große strategische Bedeutung

» eine Organisation in der Organisation mit neuen, anderen Spielregeln (Flexibilität)

» flachere Hierarchien bzw. Hierarchie übergreifendes Zusammenarbeiten

Während in Projekten das Gesamtkonzept „Diversity Management“ noch wenig zur Sprache kommt, wird die Diversity-Dimension Gender schon ansatzweise diskutiert. Am fundiertesten sind dazu zwei Forschungsarbeiten, die im Kapitel 2.5 behandelt werden:

» Monica Lindgren, Johann Packendorff (2006): „What’s New in New Forms of Organizing? On the Construction of Gender in Project-Based-Work“

» Pamela Buckle, Janice Thomas (2003): “Deconstructing Project Management: A Gender Analysis of Project Management Guidelines”

Nichts desto trotz ist der „Projektmanagement-Mainstream“ ein männlicher, wie auch das Sonderthema der Salzburger Nachrichten zum Projektmanagement in der Ausgabe vom 10.3.2007 zeigt. Zur Sprache kommen Projektmanagerinnen ausschließlich in einem redaktionellen Beitrag. Alle anderen Informationen der AnbieterInnen (Kursbeschreibungen und Inserate) sprechen nur von „Experten, Teilnehmern, Projektleitern, Projektmanagern, Kunden“ und davon, dass PM-Spezialisten dort einspringen, „wo Not am Mann ist“. Auch die bildlichen Darstellungen sind eindeutig (siehe Abbildung 9).

Abbildung 9: Werbung für den MBA Projekt- und Prozessmanagement (SN, 10.3.2007)

„Ja wo sind sie denn…?“ fragte sich auch Ulrike Holzberger und begab sich 2002 (S. 23f.) auf die Suche nach den Women in Projectmanagement (WIP). Das Ergebnis war ernüchternd. Einerseits gibt es kaum empirisches Datenmaterial zu Frauen im Projektmanagement, andererseits weisen die wenigen Zahlen nur auf homöopathisch-weibliche Präsenz im Projektmanagement hin:

» Mit Stand 2002 hatte waren nur 13% der 2.000 Mitglieder der Deutschen Gesellschaft für Projektmanagement e.V. Frauen

» 15% der Zertifizierten waren weiblich.

» 1,3% der Lehrstuhlinhabenden zum Projektmanagement an Deutschen Universitäten waren Frauen.

» Ähnlich unsichtbar sind Frauen in den Veröffentlichungen zum Thema Projektmanagement: In den Standardwerken kamen nie über 20% Autorinnen vor. In der Zeitschrift „Projektmanagement aktuell“ wurden von 127 Beiträge der Jahre 1998 bis 2001 nur 13% von Frauen publiziert.

2.2 Diversity als Managementkonzept

2.2.1 Begrifflichkeiten

Auf den folgenden Seiten werden die grundlegenden Begriffe erklärt. Das Konzept Diversity Management wird in den darauf folgenden Kapiteln dargestellt.

Diversity

…wird meist mit Vielfalt[4], Diversität, Heterogenität, Verschiedenartigkeit von Personen übersetzt und in Theorie und Praxis normativ, mit einer leicht positiven Konnotation verwendet (vgl. Becker 2006, S. 7). „Diversity ist keine wertfreie Kategorie und auch kein Wert an sich, sondern gewinnt, wie das Konstrukt der strategischen Wettbewerbsposition, wie Effektivität und Effizienz, erst durch das In-Beziehung-Setzen zu einer Bezugsgröße an Aussagekraft.“ (Becker 2006, S. 9)

In der bereits sehr umfangreichen Literatur wird Diversity doppelt definiert als Verschiedenartigkeit und Gleichheit (vgl. Wächter 2003, S. IV). Dabei ist zu beachten, dass Unterschiede und Gemeinsamkeiten sozial konstruiert und keine intrinsischen Charakteristika sind (vgl. Überacker 2004, S. 10). Vielfalt doppelt zu verstehen, bietet einen besseren Schutz vor Schubladendenken, als wenn Vielfalt nur mit Blick auf die Unterschiede verstanden werden würde. In diesem Konzept kann eine Person Trägerin oder Träger mehrerer Merkmale sein. Gleichzeitig können in homogenen Gruppen individuelle Gemeinsamkeiten und Unterschiede festgemacht werden (vgl. Krell 2003, S. 224).

Vielfalt und Gemeinsamkeiten lösen in Gesellschaften, Organisationen und Gruppen jedoch unterschiedliche soziale Reaktionen aus und provozieren Muster der Anpassung oder aber Abgrenzung: „Vielfalt wird weiterhin durch kognitive und sprachliche Prozesse homogenisiert: durch Anpassung an unsere – bisweilen reflektierten, häufig jedoch stereotypen – Vorstellungen und Weltmodellen und durch Abstraktion, Begriffsbildung und Sprache.“ (Liebert 2003, S. 31) Diese Prozesse werden in den beiden Kapiteln zu Stereotypen (siehe 2.4.3) und zu (Projekt-)Teams (siehe 2.4.2) intensiver behandelt.

Personelle Vielfalt im beruflichen Kontext steht im Mittelpunkt der Diversity Forschung. Die beiden amerikanischen Diversity-Pioniere David A. Thomas und Robin J. Ely fanden dazu eine prägnante Aussage: „Diversity should be understood as the varied perspectives and approaches to work [Hervorhebung im Original] that members of different identity groups bring.“ (Thomas/Ely 1996, S. 80)

Diversity-Merkmale oder -Dimensionen

…sind die sozialen Kategorisierungen, die „ Einschluss und Ausschluss “ (Gardenswartz/Rowe 2006, K38) markieren. Eine oft zitierte und sehr weite Definition stammt von Thomas (1996a, S. 5, zitiert nach Bärmann 2006, S. 23): „Diversity refers to the collective (all-inclusive) mixture of items characterized by differences and similarities along a given dimension.“

Eine allgemein gültige Liste mit Diversity-Merkmalen gibt es nicht. Deren Auswahl ist abhängig von der Weite bzw. Begrenzung des verwendeten Konzepts (Details siehe Kapitel 2.2.4.1).

Diversity Management

…ist zu verstehen als „planning and implementing organizational systems and practices to manage people so that the potential advantages of diversity are maximized while its potential disadvantages are minimized” (Cox 1993, S. 11), also als „Kunst der situativen Optiminierung von Heterogenität und Homogenität zur Erreichung gesetzter Ziele.“ (Becker 2006, S. 10)

Die Anwendung von Diversity Management in Unternehmen kann durch unterschiedliche Motivationen und Interessen begründet sein, zwei stechen dabei besonders hervor:

» Ökonomisch: Steigerung des Unternehmens(Projekt-)erfolgs durch effiziente Nutzung von Vielfalt. „Individualität ist nicht nur akzeptiert, sondern als Quelle von Flexibilität, Kreativität und Innovationsfähigkeit in höchstem Maß erwünscht.“ (Becker 2006, S. 11)

» Sozialethisch: Diversity Management „ist eine ins Positive gewendete Strategie von Unternehmen, pro-aktiv Forderungen aus der Gesellschaft in die Unternehmenspolitik zu integrieren. “ (Wächter 2003, S. IV) Und bezogen auf die Dimension Gender: „Managing Gender & Diversity kritisiert die Gestaltung vergeschlechtlichender Arbeitsstrukturen und versucht Perspektiven für individuelle und geschlechtsdetypisierende Formen der Verschiedenheit zu entwickeln.“ (Koall 2002, S. 13)

In einer Befragung von 185 deutschen Führungskräften der Siemens AG zogen 79% betriebswirtschaftlich-ökonomische Argumente für Diversity Management den moralisch-ethischen vor (Sepehri 2002 S. 221, zitiert nach Sander 2006, S. 112). Wenig konstruktiv ist es jedoch, die beiden Interessen gegeneinander auszuspielen, bzw. in der Diskussion über die Priorisierung stecken zu bleiben. Zielführender ist, beide Interessen zu kombinieren wie es in der Definition der Deutschen Gesellschaft für Personal (2004, S. 2) deutlich macht: „Diversity Management ist ein Führungsansatz zur gezielten Berücksichtigung sowie bewussten Nutzung und Förderung der Vielfalt von Mitarbeiter/innen im Unternehmen. Das Konzept zielt darauf, Bedingungen im Unternehmen zu schaffen, unter denen alle Beschäftigten ihre Leistungsfähigkeit, -bereitschaft und Kreativität frei entwickeln und entfalten können – unabhängig vom Geschlecht, Alter, Familienstand, von der Religion, Nationalität, Behinderung, sexuellen Orientierung und einer Vielzahl anderer wahrnehmbaren und kaum wahrnehmbaren Faktoren. Die Berücksichtigung der Identität des Einzelnen führt zur Steigerung der Wertschöpfung und somit zur Verbesserung des Unternehmenserfolges.“

In Abbildung 10 habe ich zur besseren Veranschaulichung beide Ansätze in den Diversity Management-Prozess integriert und aus der Fülle der Forschungsergebnisse zum Nutzen von Diversity Management zwei ausgewählt (vgl. Cox/Blaike 1991 und Ivanova/Hauke 2003, beide zitiert nach Sander 2006, S. 123f.):

Abbildung 10: Diversity Management-Zielorientierung und Ergebnisse (Berthold, 2007)

In der vorliegenden Arbeit spreche ich von Diversity Management in seiner doppelten Zielsetzung. Personelle Vielfalt wird von mir hier nicht primär aus sozialethischen Erwägungen heraus berücksichtigt, sondern es steht der Projektauftrag im Mittelpunkt. Nichts desto trotz sind auch die Anforderungen der Gleichbehandlung und Antidiskriminierung zu berücksichtigen. Somit stimme ich zwar jenen AutorInnen (vgl. u.a. Becker 2006, S. 208) zu, die Diversity nicht als Ziel an sich sehen, habe jedoch stärker als nur am ökonomischen Wettbewerb orientierte VertreterInnen auch das Thema Gleichbehandlung im Blick – und finde meinen Ansatz bestätigt durch Kieran Poynter (Vorstandsvorsitzender PricewaterhouseCoopers, Großbritannien): „Es gibt mehrere Gründe, warum Vielfalt für das Unternehmen wichtig ist. Ich denke, dass jeder dieser Gründe für sich genommen ausreicht, um zu gewährleisten, dass wir eine integrative Kultur fördern und somit Vielfalt zum Nutzen unserer Mitarbeiter und unseres Unternehmens bewältigen.“ (Europäische Kommission 2005, S. 16)

2.2.2 Abgrenzung zu anderen relevanten Begriffen

Zahlreiche Begriffe und unterschiedliche Konzepte schwirren in der „Gender und Diversity-Welt“ umher. Sie werden auf den folgenden Seiten erklärt und voneinander abgegrenzt.

Gleichbehandlung: Diversity Management und Gleichbehandlung werden oft in einem Atemzug genannt, dennoch stützen sie sich auf unterschiedliche Grundlagen: Im Gegensatz zum Unternehmenskonzept Diversity Management, das direkt an das Kerngeschäft angebunden ist (vgl. Überacker 2004, S. 11), ist Gleichbehandlung (hier verstanden als Antidiskriminierung) durch EU-Richtlinien und nationale Gesetze fixiert[5], die sowohl für privatwirtschaftliche Unternehmen als auch für alle öffentlichen Verwaltungen gelten. In Österreich wurden die EU-Richtlinien mit 1. Juli 2004 durch das erweiterte Gleichbehandlungsgesetz umgesetzt. Seither gilt das Diskriminierungsverbot aufgrund von Geschlecht, Alter, ethnische Herkunft, sexuelle Orientierung und Alter. Am 1. Jänner 2006 trat das Behindertengleichstellungspakt des Bundes in Kraft.

In einer pointierten Gegenüberstellung werden Gleichbehandlung bzw. Antidiskriminierung als reaktives Konzept und – in der Abgrenzung zum proaktiven Diversity Management – auch als Defizit orientiert beschrieben (siehe Abbildung 11).

Abbildung 11: Managing Diversity eröffnet neue Blickwinkel (Prove – Diversity Works, o.J.)

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Kritisch ist dazu jedoch anzumerken, dass nach dem Gleichbehandlungsansatz nicht nur problem-, sondern auch zielorientiert gehandelt wird. Dabei wird an den Zuständen der Ungleichbehandlung und negativen Diskriminierung angesetzt.

Fördermaßnahmen: Mit bestimmten Maßnahmen soll der Benachteiligung bestimmter Zielgruppen entgegen gewirkt werden. Die Österreichischen Gleichbehandlungsgesetze beinhalten Bestimmungen für Fördermaßnahmen für Frauen und Menschen mit Behinderungen im öffentlichen Dienst. Privatwirtschaftlichen Betrieben werden keine Maßnahmen vorgeschrieben. Gesetzlich ist in Bereichen der öffentlichen Verwaltung, in denen Frauen unterrepräsentiert sind, die positive Diskriminierung (Förderung) erlaubt. So sind zum Beispiel im Salzburger Gleichbehandlungsgesetz[6] explizit Förderungsgebote für Frauen und Menschen mit Behinderungen enthalten.

Gender Mainstreaming ist die auf EU-Ebene gesetzlich implementierte Strategie, nach der alles unter dem Blickwinkel beider Geschlechter zu sehen ist: “Gender mainstreaming is the (re)organisation, improvement, development and evaluation of policy processes, so that a gender equality perspective is incorporated in all policies at all levels and at all stages, by the actors normally involved in policy-making.” (Europarat 2007) Hier kann von einem normativen Konzept mit dem Ziel der Geschlechtergerechtigkeit gesprochen werden, das auf die Neugestaltung der Geschlechterverhältnisse von Leben und Arbeit aufbaut (vgl. Peters 2003, S. 201f.). Kritisch ist anzumerken, dass mit Gender Mainstreaming das System der Zweigeschlechtlichkeit immer wieder reproduziert und der „Antidiskriminierungs-Fokus“ auf das dominante Kriterium Gender reduziert wird. Im Gegensatz dazu geht es im Diversity Management um die Kontextualisierung und um die Relativierung von Diversity-Merkmalen.

Als Ergänzung zu Abbildung 11 stelle ich nun Stelle den sehr anschaulichen Vergleich von Roswitha Hoffmann vor (siehe Abbildung 12), die unschwer als Anhängerin des gleichstellungsorientierten Diversity Management zu identifizieren ist.

Abbildung 12: Vergleich Gender Mainstreaming und Gender- und Diversitätsmanagement (Hoffmann, Vortragsunterlagen, zitiert nach Schwarz-Wölzl 2005, S. 9)

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

[...]


[1] Die Philosophie unterscheidet zwischen Seins- und Erkenntnisfragen: Auch wenn wir kein objektives Wissen vom „Ding an sich“ (Kant), von einer dahinter liegenden Realität haben, so kann es doch eine Welt geben, die unabhängig von uns ist, wie sie ist, auch wenn wir uns ihr immer nur über Interpretationen nähern (persönliches Gespräch mit Anne Siegetsleitner, 6.4.2007).

[2] Viabel im Sinne von gangbar; von via = der Weg

[3] Download unter www.diversityworks.at/diversity_kompendium.pdf

[4] Ich verwende in dieser Arbeit als häufigstes Synonym zu Diversity den Begriff Vielfalt.

[5] siehe www.bmgf.gv.at/cms/site/inhalte.htm?channel=CH0266&thema=CH0272

[6] Download unter: www.salzburg.gv.at/chancengleicheit

Ende der Leseprobe aus 138 Seiten

Details

Titel
Wer ist die Puppe?
Untertitel
Gender und Diversity in Projekten
Hochschule
Salzburg Management Business School
Note
1,0
Autor
Jahr
2007
Seiten
138
Katalognummer
V78500
ISBN (eBook)
9783638730426
Dateigröße
1272 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Puppe
Arbeit zitieren
Magistra, MBA Martina Berthold (Autor:in), 2007, Wer ist die Puppe?, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/78500

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