Normalität und Normalisierung im Nationalsozialismus


Hausarbeit, 2007

18 Seiten, Note: 1,3


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1 Einleitung

2 Normalität - Normalisierung
2.1 Normalfelder
2.1.1 Leistungskonkurrenz
2.1.2 Grenzwerte
2.1.3 Selbst-Normalisierung

3 Divergente Normalismus-Strategien
3.1 Flexibler Normalismus
3.2 Protonormalismus

4 Nationalsozialismus als durchgedrehter Protonormalismus
4.1 Dominante Interdiskurse der NS-Zeit
4.2 Von der „Normalität“ zum „Ausnahmezustand“

5 Fazit

Literaturverzeichnis

1 Einleitung

Die vorliegende Hausarbeit soll die Normalisierungsstrategien im Nationalsozialismus anhand der Theorien Jürgen Links zu Normativität und Normalität beleuchten und überprüfen. Insbesondere die gesellschaftlichen Interdiskurse der Gesundheit, der Rassenlehre und der Industrialisierung sollen zeigen, wie sich der, wie Jürgen Link ihn bezeichnet, „durchgedrehte Protonormalismus“ entwickeln konnte, und ob er lediglich als vereinzeltes Phänomen zu betrachten ist. Hierzu wird im ersten Teil ausführlich auf die Normalismustheorie Links eingegangen. Im zweiten Teil wird versucht, Normalisierungsstrategien des NS-Regimes nachzuvollziehen, anhand der Rassentheorie und den daraus folgenden Denormalisierungsstrategien.

Der Nationalsozialismus kontrollierte, laut Auffassung des Verfassers, in großem Maße den gesellschaftlichen Normalitätsdiskurs, über eine Vielzahl institutioneller Kontrollmechanismen und der in der Gesellschaft vorherrschenden Interdiskurse. Es ist zu prüfen, ob der Faschismus der NS-Zeit mit seinen Ausrottungsmechanismen einen Einzelfall darstellt mit einem „Ausnahmezustand in Permanenz“, oder eine „Zuspitzung der bürgerlichen Gesellschaft“, wie Wolfgang Haug ihn darstellt.

2 Normalität - Normalisierung

Die Gesellschaftstheorie Jürgen Links behandelt in Anlehnung an Canguilhem und Foucault Normalisierungspraktiken der Gesellschaft. Link unterscheidet gesellschaftliche Spezialdiskurse als Form von Spezialwissen, wie der Medizin, der Psychiatrie oder der Wirtschaft, und Interdiskurse als allgemeine kulturelle Kategorie. Diese Interdiskurse sind die Bindeglieder zwischen den Spezialdiskursen, bilden gleichzeitig aber auch so etwas wie das „kulturelle Gesamtwissen“, das jeder Mensch dieses Kulturkreises teilt. Link definiert dieses Netz aus Inter- und Spezialdiskursen als Archipel von Dispositiven, den er als „Normalismus“ bezeichnet.[1]

Interdiskurse koppeln sich immer an mehrere Spezialdiskurse an, und verbinden diese miteinander. Dies dient nicht nur einer Integration der Spezialdiskurse, sondern bereitet den Raum für assoziative Konstruktionen und vermittelnde Symboliken. Beispielhaft kann hier der Spezialdiskurs „Sport“ angeführt werden, dessen Begrifflichkeiten (Wettbewerb, sportliche Fairness, Regeln) aber auch interdiskursiv im Bereich der Politik angewandt werden können, und in diesem Spiel mit Analogien leichter verständlich sind.

Link orientiert sich in seinem Diskursbegriff an Michel Foucault. Ein Diskurs sei eine „historisch-spezifische und spezielle, geregelte Formation von Aussagen verstanden, die einem spezifischen und speziellen Gegenstandsbereich zugeordnet sind. Dabei betont der Diskurs-Begriff die Materialität der Redeweise und ihrer institutionellen Rahmenbedingungen ebenso wie ihre Kopplungsflächen zur Handlung und ihren aus all dem resultierenden Macht-Effekt.[2]

Hochkulturelle Gesellschaften heutiger Prägung sind meist hochgradig arbeitsteiliig organisiert. Wissen wird in Spezialdiskursen gesammelt, und ist bei weitem nicht mehr allen Gesellschaftsmitgliedern zugänglich. Betrachtet man den naturwissenschaftlichen Bereich, wie Physik, Chemie, oder Biologie, muss das dort gesammelte Wissen immer wieder „übersetzt“ werden, um für die Allgemeinheit verständlich zu werden. Link definiert Spezialdiskurse als solche Diskurse, die sich „durch ein Maximum an immanenter Konsistenz und zu entsprechender Abschließung gegen arbeitsteilig „externes“ Diskursmaterial“ auszeichnen.[3]

In Abgrenzung dazu werden Interdiskurse als alle Diskurselemente bezeichnet, „die nicht an einen Spezialdiskurs gebunden sind, die vielmehr mit variabler und flexibler Bedeutung in einer Mehrzahl von Spezialdiskursen sowie ggf. ebenfalls in allgemeinen, z.B. sog. „Alltagsdiskursen“ zirkulieren.[4]

Als dritte Spezialform des Diskurses ist der Alltagsdiskurs zu nennen, der als die Soziokultur bezeichnet wird, die vor arbeitsteiligen Gesellschaften bestand, sich also in den ganz elementaren Kommunikationen und Verhaltensweisen der Menschen niederschlägt, und funktionale Selbstständigkeit besitzt. Zwar wird er häufig von Spezial- und Interdiskursen beeinflusst, ist jedoch immer noch autonom.[5]

Link stellt noch eine vierte Form des Diskurses, den Interspezialdiskurs als Sonderform des Spezialdiskurses vor, der jedoch in seiner folgenden Argumentation keine besondere Erwähnung mehr findet und daher aus Vereinfachungsgründen weggelassen wird.

2.1 Normalfelder

Das Vorhandensein von normalisierenden Diskursen, seien sie speziell oder interdiskursiv, setzt ein Bewusstsein für „das Normale“ des jeweiligen Gegenstandes voraus. Wie geht der Prozess der Normalisierung laut der Theorie Links vor sich? In den einzelnen Spezialdiskursen und den Interdiskursen existieren bestimmte Übereinkünfte, was „normal“ ist, und was außerhalb dessen liegt. Link bezeichnet dies als „Normalfeld“, als „Konstituierung und Homogenisierung einer bestimmten Menge von Erscheinungen innerhalb des Spezial- oder Interdiskurses, wodurch diese Unterscheidungen als untereinander vergleichbare „Normaleinheiten konstituiert werden“.[6] Beispielhaft kann hier der Interdiskurs „Intelligenz“ genannt werden. Menschen unterscheiden sich (unter anderem) voneinander durch etwas, das „Intelligenz“ genannt wird. Die einzelnen Subjekte, oder Normaleinheiten respektive Normal-Monaden, wie Link sie bezeichnet, müssen untereinander vergleichbar gemacht werden. Dies geschieht durch Datenerhebung, eine „Voraussetzung der Vergleichbarkeit von Normaleinheiten“.[7] Die Subjekte können in unterschiedlichster Weise klassifiziert werden, in Statistiken berechnet, und anhand bestimmter Anzeichen geordnet werden. Als Beispiel sei hier das Sprachverständnis, das logische Denken oder die Fähigkeit, dreidimensionale Körper zu berechnen, genannt.[8]

Diese traits, also einzelnen Aspekte, können unter dem Begriff des IQ-Tests subsumiert werden, der eine klare Aussage, eine Zahl, liefert. Die Intelligenz ist messbar geworden. Unterziehen sich alle Normaleinheiten diesem Test, kann man in einer Gauß-Kurve (die sich automatisch bildet) feststellen, welches Resultat die meisten Menschen erzielt haben, kann einen Durchschnittswert ermitteln, oder über mehrere Jahrzehnte einen Intelligenz-Zuwachs oder eine Abnahme feststellen. Intelligenz wird in diesem Moment synonym mit dem IQ gesehen – die „IQ-Intelligenz“ ist operationalisierbar und statistisch nutzbar, wohingegen der gesellschaftliche Kollektivgegenstand als „black box“ dahinter steht und nicht fassbar ist. Man könnte nicht einmal „die“ Intelligenz definieren, ohne dabei auf Messwerte wie IQ o.Ä. zurückgreifen zu können: „der jeweilige Kollektivgegenstand (hier die „Intelligenz“)ist eben nicht einmal grob unabhängig vom Normalfeld definierbar, er ist und bleibt ein pures Manipulat eben dieses Feldes und seiner strategischen Ausklammerungen bzw. „ trait “-Kombinationen.“

Link identifiziert neben den Normalfeldern der Spezial- und Interdiskurse auch sogenannte Basis-Normalfelder, die als grundlegend für die moderne menschliche Gesellschaft anzusehen sind: „Leistung“, „Intelligenz“, „Motivation“, „Sicherheit“, „Gesundheit“ bzw. „Stress“, „soziale Kohäsion/Solidarität“, „soziale Adaption/Inadaptation“, „sexuelle Befriedigung“.[9]

2.1.1 Leistungskonkurrenz

Durch das Phänomen der statistischen Verdatung können in einem Normalfeld Vergleiche der Normaleinheiten vorgenommen werden. Legt man eine lineare Skalierung an, werden einige Werte „höher“ einzustufen sein als andere – sie sind besser. Es ist zu vermuten, dass diese Werte als Vorbild angesehen werden, die es zu erreichen gibt, und es entsteht eine Leistungskonkurrenz, die immer das Ziel hat, den „besten“ Wert zu erlangen. Am Beispiel des Fließbandarbeiters, der im Akkord arbeitet, lässt sich diese Konkurrenz leicht erklären. Indem die Leistungen aller Arbeiter gemessen werden (z.B. in Stück/Stunde), werden sie untereinander vergleichbar. Der Akkordarbeiter bekommt eine bestimmte Stückzahl vorgegeben, die er erreichen muss. Befindet er sich über diesem Durchschnitt, leistet er „bessere“ Arbeit, und wird in irgendeiner Weise belohnt oder nicht bestraft. Diese Leistungskonkurrenz ist, bedingt durch das homogenisierte und quantifizierte Normalfeld, immer diachronisch aufgebaut: Ist man über oder unter der verlangten Leistung?[10] Da diese verlangte Leistung meist die des Besten ist, wie man bei den grassierenden Ranking-Modellen, dem Begriff des „Exportweltmeisters“ oder der Wissensaneigung sehen kann, ergibt sich eine immerwährende Rekordjagd. Diese kann auch medial vermittelt sein, als symbolische Konkurrenz gegenüber der direkten Konkurrenz zu Gegenüber.

Im modernen Industrialismus ist diese Entwicklung unter dem Begriff „Taylorismus“ bekannt, erstreckt sich aber auf weit mehr gesellschaftliche Bereiche. Diese Entwicklung erstreckt sich sowohl auf Inter- wie auch auf Spezialdiskurse.

[...]


[1] vgl. Link, Jürgen: Versuch über den Normalismus. Wie Normalität produziert wird. Wiesbaden 1999, S.49.

[2] ebd., S.50

[3] ebd., S.50

[4] ebd., ebd.

[5] Vgl. ebd., S.51

[6] ebd., S.75

[7] ebd., S.320

[8] vgl. die Website des Mensa-Verbandes Deutschland für Hochbegabte, in der bestimmte Kriterien des IQ-Testes aufgeführt werden: http://www.XXX.de

[9] vgl. ebd., S.321

[10] vgl. ebd., S.314ff.

Ende der Leseprobe aus 18 Seiten

Details

Titel
Normalität und Normalisierung im Nationalsozialismus
Hochschule
Leuphana Universität Lüneburg
Veranstaltung
Normalität und Normalisierung
Note
1,3
Autor
Jahr
2007
Seiten
18
Katalognummer
V78661
ISBN (eBook)
9783638841412
ISBN (Buch)
9783638841429
Dateigröße
486 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Normalität, Normalisierung, Nationalsozialismus, Normalität, Normalisierung
Arbeit zitieren
Henning Klein (Autor:in), 2007, Normalität und Normalisierung im Nationalsozialismus, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/78661

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