Reiner Kunze stellt seinem 1972 erschienenen Gedichtband "Zimmerlautstärke" ein Zitat Senecas voran:
…bleibe auf deinem Posten und
hilf durch deinen Zuruf; und wenn
man dir die Kehle zudrückt, bleibe
auf deinem Posten und hilf durch
dein Schweigen.
Wem ein Gedichtband Reiner Kunzes in die Hände fällt, der bemerkt sofort beim ersten Blättern die Dominanz der weißen Fläche im Druckbild der einzelnen Seiten. Die überwiegende Zahl der Gedichte Kunzes ist äußerst kurz. Man gewinnt den Eindruck einer sehr konzentrierten dichterischen Sprechweise, eines gewissen Lakonismus, der einem verschwenderischen oder auch inflationären Sprachgebrauch skeptisch gegenüberzustehen scheint.
Dieser auf Offenheit angelegte und sich immer wieder selbst kritisch reflektierende Sprachgebrauch Reiner Kunzes in seinen Texten soll in dieser Arbeit im Mittelpunkt interpretativer Betrachtungen einiger exemplarisch aufgeführter Gedichte stehen. Es stellen sich vielfältige Fragen zu diesem charakteristischen Merkmal des künstlerischen Schaffens Reiner Kunzes: Welche Motive biographischer Herkunft führten und führen den Lyriker Kunze zu einer Dichtung im Zeichen äußerster sprachlicher Reduktion? Ist dem Werk Kunzes eine Sprachskepsis eigen? Inwiefern gibt es eine Entwicklung oder auch Kontinuität der sprachlichen Verknappung im Werk Reiner Kunzes? Welche Bedeutung hat das Schweigen als Topos in seinen Gedichten? Und inwiefern ist das Schweigen im weitesten Sinne eines der zentralen ästhetischen Prinzipien seines dichterischen Bemühens?
Ansätze für eine Klärung dieser Fragen aufzuweisen und Möglichkeiten für eine interpretatorische Bewertung dieser gewissermaßen auf ‚Zimmerlautstärke herabgestuften’Sprache zu zeigen, ist das Anliegen dieser Arbeit.
Inhaltsverzeichnis
- Einführung
- Einladung zu einer Tasse Jasmintee
- Das Schweigen als Politikum
- Schweigen als Akt der Autonomie
- Schreibtisch am Fenster, und es schneit.
- Stille als die andere Seite des Schaffensprozesses
- Der Himmel von Jerusalem
- Das, nach innen genähte' Wort
- Fazit.
Zielsetzung und Themenschwerpunkte
Die Arbeit analysiert die Ästhetik des Schweigens im Werk Reiner Kunzes, wobei sie sich auf ausgewählte Gedichte aus seinem 1972 erschienenen Gedichtband „Zimmerlautstärke“ konzentriert. Sie untersucht die Motive hinter Kunzes Neigung zu äußerster sprachlicher Verknappung und die Bedeutung des Schweigens als literarisches Stilmittel in seiner Dichtung. Die Arbeit erforscht zudem die Rolle des Schweigens im Kontext der politischen und gesellschaftlichen Situation der Zeit.
- Die Ästhetik des Schweigens in der Lyrik Reiner Kunzes
- Die Bedeutung von sprachlicher Reduktion und Lakonismus in Kunzes Werk
- Das Schweigen als literarisches Stilmittel und politisches Statement
- Die Beziehung zwischen dem Schweigen und der Autonomie des Einzelnen
- Die Rolle des Schweigens im Schaffensprozess
Zusammenfassung der Kapitel
Die Einleitung präsentiert den Gedichtband „Zimmerlautstärke“ von Reiner Kunze und sein zentrales Thema: die Ästhetik des Schweigens. Sie stellt das Zitat von Seneca vor, das Kunze seinem Werk voranstellt und das die zentralen Thesen der Arbeit prägt.
Kapitel 2 analysiert das Gedicht „Einladung zu einer Tasse Jasmintee“ und beleuchtet das Schweigen als Ausdruck von Autonomie und Politik. Es werden die Motive hinter Kunzes Einladung zum Schweigen untersucht und die gesellschaftlichen Implikationen des Schweigens diskutiert.
Kapitel 3 befasst sich mit dem Gedicht „Schreibtisch am Fenster, und es schneit.“ Es analysiert die Rolle des Schweigens im Schaffensprozess und erörtert die Bedeutung von Stille für Kunzes Lyrik.
Kapitel 4 untersucht das Gedicht „Der Himmel von Jerusalem“ und betrachtet das Schweigen als Ausdruck von Innerlichkeit und Selbstreflexion. Es analysiert die „nach innen genähte’ Sprache“ und die Beziehung zwischen dem Schweigen und der literarischen Gestaltung des Gedichts.
Schlüsselwörter
Reiner Kunze, Zimmerlautstärke, Schweigen, Ästhetik, Lyrik, Sprachreduktion, Lakonismus, Autonomie, Politik, Stille, Innerlichkeit, Schaffensprozess, Gedichtinterpretation.
- Arbeit zitieren
- Magister Artium Christoph Hartmann (Autor:in), 2004, "Hier dürfen Sie schweigen ..." - Zur Ästhetik des Schweigens im Werk Reiner Kunzes, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/79386