Mit den "Lehrjahren" veröffentlichte Goethe ein Werk, welches den zeitgenössischen Wandel vom Ein-Geschlecht-Modell zum Zwei-Geschlechter-Modell nach Thomas Laqueur und die damit verbundene Problematik der Geschlechterzuordnung präzise skizziert. Wo zunächst die Existenz eines einzigen Geschlechts angenommen wird, wovon Männer und Frauen abstammen, betrachtet das letztere Modell zwei von einander unabhängige – sich aber ergänzende – biologische Geschlechter. Entscheidend ist, dass die Geschlechterdifferenz auf einen naturalisierten biologischen Unterschied basiert, und dass das biologische Geschlecht die Funktion und Rolle der Menschen in der Gesellschaft des 18. und 19. Jahrhunderts bestimmt. Männlichkeit und Weiblichkeit korrespondieren nicht mehr mit einer sozialen Rolle oder Funktion, sondern mit einer biologisch fundierten Identität.
Unter diesem sozialhistorischen Hintergrund werden die androgynen Figuren Therese, Natalie und Mignon betrachtet. Wodurch unterscheiden sich Amazonen von Hermaphroditen? Welche Definitionen wirft der Roman auf? Warum ist Therese die „wahre“ Amazone und Natalie die „schöne“ Amazone? Sind sie überhaupt Amazonen? Und wenn Mignon auch androgyne Attribute aufweist, was unterscheidet sie von den anderen Figuren? Warum ist sie ein Hermaphrodit und keine Amazone?
Geschlechterverwirrung ist eine wesentliche Auswirkung von intersexuellem Verhalten und Auftreten, die von der Gesellschaft auch unterschiedlich aufgefasst werden. Dadurch stellt sich die Frage, warum durch die Maskerade der Figuren die einen eine Legitimierung erfahren, die anderen aber mit Sanktionen rechnen müssen? Welche Rolle spielt (Ver)kleidung für Amazonen und Hermaphroditen?
Inhaltsverzeichnis
- Problemstellung und sozialhistorischer Hintergrund der Analyse.
- Das biologische Geschlecht in distinktiver und normierender Funktion..... _
- Amazonen und Hermaphroditen: legitime und illegitime Geschlechterverwirrung ........
- Therese – die wahre Amazone.
- Natalie Vom Frauenzimmer über die schöne Amazone zur schönen Seele ......
- Mignon – Ein Hermaphrodit als Engel
- Abschließende Betrachtung...
Zielsetzung und Themenschwerpunkte
Diese Arbeit befasst sich mit der Darstellung androgyn1er Figuren in Goethes "Wilhelm Meisters Lehrjahren" und analysiert diese Figuren im Kontext des sozialen und historischen Wandels vom Ein-Geschlecht-Modell zum Zwei-Geschlechter-Modell im 18. Jahrhundert. Die Arbeit untersucht, wie die Figuren Therese, Natalie und Mignon im Roman die etablierten Geschlechterrollen in Frage stellen und die Problematik der Geschlechterzuordnung aufzeigen.
- Die Entwicklung des Zwei-Geschlechter-Modells und dessen Einfluss auf die gesellschaftliche Wahrnehmung von Geschlecht
- Die Bedeutung des biologischen Geschlechts als Unterscheidungsfaktor und dessen Rolle in der Definition von Geschlechtsidentitäten
- Die Darstellung von Amazonen und Hermaphroditen in der Literatur und die Frage nach der Legitimität ihrer Geschlechterverwirrung
- Die Rolle von Verkleidung und Maskerade in der Darstellung von Amazonen und Hermaphroditen
Zusammenfassung der Kapitel
Problemstellung und sozialhistorischer Hintergrund der Analyse
Dieses Kapitel stellt die Thematik der androgynen Figuren in Goethes "Wilhelm Meisters Lehrjahren" vor und beschreibt den historischen Hintergrund des Wandels vom Ein-Geschlecht-Modell zum Zwei-Geschlechter-Modell im 18. Jahrhundert. Es wird erläutert, wie die Unterscheidung zwischen biologischem Geschlecht und Geschlechtsidentität in diesem Kontext relevant wird.
Das biologische Geschlecht in distinktiver und normierender Funktion
Dieses Kapitel analysiert die Funktion des biologischen Geschlechts als distinktiver und normierender Faktor in der Gesellschaft des 18. Jahrhunderts. Es wird die Bedeutung des biologischen Geschlechts für die Definition von Geschlechtsidentitäten und die Zuordnung von sozialen Rollen und Funktionen beleuchtet.
Amazonen und Hermaphroditen: legitime und illegitime Geschlechterverwirrung
Dieses Kapitel befasst sich mit der Darstellung von Amazonen und Hermaphroditen in Goethes "Wilhelm Meisters Lehrjahren". Es analysiert die Figuren Therese, Natalie und Mignon und deren Positionierung im Kontext der Geschlechterordnung. Die Frage nach der Legitimität ihrer Geschlechterverwirrung und den damit verbundenen Sanktionen steht im Vordergrund.
Therese – die wahre Amazone.
Dieses Kapitel analysiert die Figur der Therese und untersucht, inwiefern sie den Typus einer "wahren" Amazone verkörpert. Die Rolle von Therese in der Gesellschaft und ihre Abgrenzung von anderen Frauenfiguren werden untersucht.
Natalie Vom Frauenzimmer über die schöne Amazone zur schönen Seele
Dieses Kapitel analysiert die Figur der Natalie und ihre Entwicklung vom "Frauenzimmer" zur "schönen" Amazone. Die Frage nach ihrer tatsächlichen Amazonenhaftigkeit und ihre Rolle im Roman werden diskutiert.
Mignon – Ein Hermaphrodit als Engel
Dieses Kapitel analysiert die Figur der Mignon und deren Darstellung als Hermaphrodit. Die Frage nach den Ursachen ihrer androgynen Erscheinung und die Rolle, die sie im Roman spielt, werden beleuchtet.
Schlüsselwörter
Androgynie, Geschlechterordnung, Ein-Geschlecht-Modell, Zwei-Geschlechter-Modell, biologisches Geschlecht, Geschlechtsidentität, Amazone, Hermaphrodit, Therese, Natalie, Mignon, Verkleidung, Maskerade, soziale Rolle, Funktion, "Wilhelm Meisters Lehrjahren", Goethe.
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- Carol Szabolcs (Author), 2007, Androgynie in "Wilhelm Meisters Lehrjahren" - Eine sozialhistorische Analyse ausgewählter Charaktere, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/79519