Die Ruhrkrise 1923 - Neubewertung des Westens


Seminararbeit, 2006

21 Seiten, Note: 1,7


Leseprobe


Gliederung

I. Einleitung

II. Die Ruhrbesetzung
a. passiver Widerstand
b. aktiver Widerstand

III. Separatistische Bewegungen

IV. Lösungsalternativen
a. Luthers Vorschlag
b. Die „ultimative Lösung“ des Reichsinnenministers Jarres
c. Konrad Adenauer
d. Der kommunistische Kurs
e. Die Visionen Hitlers

V. Zeitgenössische Wahrnehmung der Besetzung

VI. Fazit

VII. Bibliografie

VIII. Anhang

I. Einführung

Seit der Gründung des Bundeslandes Nordrhein-Westfalens durch die britische Militärverwaltung im Jahr 1946 existiert im Westen Deutschlands eine Region, welche bis in die Gegenwart ihre Landesidentifikation sowie den mentalen und kulturellen Ursprung zu definieren versucht. Noch heute, im Jahr 2006, sind Klischees und Vorurteile unter den „Rheinländern“ und “Westfalen“ zu konstatieren, welche die Differenzen betonen und eine gemeinsame Landesidentität negieren. Eine Fülle von Literatur zur Geschichte der Landesteile ist veröffentlicht worden, ebenso wie die Geschichte des Landes historisch breit illustriert ist[1]. Die gemeinsame historische Ereignisgeschichte des Rheinlandes und des „Ruhrgebiets“ - welches keine offizielle Verwaltungsbezeichnung ist- während der Ruhrkrise 1923, wird im Folgenden Gegenstand sein. Mögliche Konsequenzen in der Raumfrage sollen an Hand von politisch kontrafaktischen Lösungsalternativen zur Befriedung des Konflikts aufgezeigt werden. Vorangestellt wird die Entwicklung des deutsch- französischen Konflikts an Rhein und Ruhr nach dem Ende des ersten Weltkriegs. Der Umgang mit der Besetzung und die separatistischen Bewegungen sollen erste Belege für das Verhalten der Bevölkerung im Westen liefern.

War der Verlauf der Jahre ab 1923 ein politisches Kalkül, oder lassen sich in diesem Zeitabschnitt eine gemeinsame Identifikationsentwicklung und ein kollektives Bewusstsein der Region erkennen? Kann aus der Geschichte des Ruhrkampfes eine Ideengeschichte des späteren Bundeslandes Nordrhein- Westfalen (NRW) postuliert werden? Antworten auf diese Fragen können nur einen anfänglichen Versuch darstellen, an Hand der chronologischen Fakten, der politischen Entscheidungen und dem zivilen Verhalten soll jedoch hiermit ein Anstoß gegeben werden.

Für die weitere Entwicklung, insbesondere nach 1945, kann die Region Westfalen und der Landesteil Lippe nicht ignoriert werden, bei der Betrachtung der Ruhrkrise 1923 wird jedoch der Schwerpunkt auf die besetzten Gebiete an Rhein und Ruhr gelegt. Diese Gewichtung geht konform mit der Forschungsliteratur[2] zur Ruhrkrise. Insbesondere die neueste Literatur widmet sich zunehmend den signifikanten Details, wie die Rolle der Gewerkschaften und der Wirtschaft, sowie den persönlichen Erfahrungen der betroffenen Menschen. Hervorzuheben sei hier das 2003 erschienene Buch von Conan Fischer, welches besonders für die weitere Vertiefung des Themas empfehlenswert ist.[3] Auf eine tiefgreifende Darstellung der Ausweisung von Familien, der Inflation, der Rolle der Gewerkschaften sowie der politischen Entwicklungen nach der Besetzung wird zugunsten eines allgemeinen Überblicks des Jahres 1923 verzichtet.

II. Die Ruhrbesetzung

Mit dem Ende des ersten Weltkrieges 1919 wurde im Vertrag von Versailles dem Deutschen Reich die alleinige Kriegsschuld angelastet (§231).[4] Ohne eine konkrete Nennung der Höhe wurden Reparationszahlungen vertraglich festgelegt, welche bei Nichterfüllung wirtschaftliche, finanzielle oder andere Zwangsmaßnahmen nach sich zögen (§§ 17 und 18).[5] Diese Paragraphen nahm Frankreich zur legitimen Grundlage ihrer Besatzungspolitik.[6] Bereits im März 1921 besetzten französische Truppen mit britischer Zustimmung die Ruhrstädte Duisburg und Ruhrort sowie das am Rhein gelegene Düsseldorf. Die deutsche Regierung sollte mit diesem Akt der Okkupation zur Annahme der in Paris getroffenen Reparaturbeschlüsse gezwungen werden. Die exakte Höhe der Reparaturleistung wurde während der in London abgehaltenen Konferenz im Mai 1921 auf 132 Milliarden Goldmark festgelegt. Die deutsche Regierung und mit ihr der Reichskanzler Wirth beugte sich dem Druck, stellte jedoch am Jahresende ein Moratoriumsgesuch an die alliierte Kommission, da die wirtschaftliche Lage des Reichs die Erfüllung der ersten Rate von 2 Milliarden Goldmark unmöglich machte.[7] Eine Herabsetzung der Wiedergutmachungsleistungen kam für Frankreich nicht in Frage, stellten die Reparationen für Frankreich selbst eine finanzielle Sicherheit dar, da sich die Franzosen aufgrund der von England geforderten Kreditrückzahlungen aus dem ersten Weltkrieg selber in der Rolle des Schuldners befanden.[8] Die französische Regierung Poincaré stimmte dem Moratoriumsgesuch Deutschlands nur unter der Bedingung zu, „produktive Pfänder“ zu erhalten.[9] Bereits das im Mai gestellte Ultimatum von London drohte bei Nichterfüllung der Zahlungen die vollständige Besetzung des Ruhrgebietes an. Als darauf im November 1922 das Kabinett um Regierungschef Cuno die „Erfüllungspolitik“ Wirths ablehnte und sich nach ihrem dritten Moratoriumsgesuch entschloss die Reparaturzahlungen völlig einzustellen, sah sich Frankreich gezwungen die Androhungen einer Okkupation des Rhein- Ruhr Gebiets wahr zu machen.[10]

Am 11. Januar 1923 marschierten sechs Divisionen, bestehend aus französischen und belgischen Gruppen, in das Ruhrgebiet ein. Italien entsendete eine Ingenieurskommission, und auch Belgien als Teil der Entente beteiligte sich an der Sanktion. London erklärte seine Neutralität um als potentieller Verhandlungspartner zwischen den streitenden Parteien agieren zu können.[11] Reichskanzler Cuno forderte zwei Tage später, am 13. Januar 1923, die Bevölkerung der besetzten Gebiete auf, den Truppen Frankreichs „passiven Widerstand“ zu leisten.

a. passiver Widerstand

„Erfüllet aufrechten Sinnes und klaren Kopfes die Forderung des Tages: keine Handlung darf geschehen, die unsere gerechte Sache schädigt.“[12] Cuno forderte von der Ruhrbevölkerung, den Anordnungen der Besatzungssoldaten nicht Folge zu leisten. Unternehmer lieferten keine Kohlen mehr aus, die Eisenbahner fertigten keine Güterzüge ab, und Zechen wurden geschlossen. Die französische Regierung reagierte mit dem Ausruf des „verschärften Belagerungszustandes“. Sabotageversuche und öffentliche Kundgebungen sollten mit Waffengewalt unterbunden werden. Zudem wurde die im ersten Weltkrieg von deutschen Soldaten in Frankreich und Belgien eingeführte „Kollektivhaftung“ in den besetzten Gebieten verordnet.[13] Der Widerstand gegen die Kavallerie- und Infanteriedivisionen, welche bis zum März 1923 ca. 100.000 Soldaten umfassten, kam nicht ausschließlich aufgrund Cunos Aufrufs zustande. Conan Fischer betont in seiner Analyse, dass die breite Arbeiterschaft des Ruhrgebiets spontan Widerstand leistete. Die Ruhrbevölkerung, so der Rezensent Kössler, verteidigte mit ihrer Reaktion auf die Besatzer die „in der Revolution errungene Demokratie“, denn ohne den „Umstand einer breiten emotionalen Bindung an die Weimarer Republik und ihre sozialen Errungenschaften“ hätte die Bevölkerung die im Widerstand entstandenen menschlichen Kosten nicht ertragen können.[14] Der solidarische und von den Gewerkschaften[15] gestützte Protest veranlasste die Regierung Poincaré mit weiteren Repressalien und Gegenmaßnahmen zu reagieren. Renitente Beamte, Arbeitnehmer, sowie auch Unternehmer wurden ausgewiesen und in Einzelfällen vor Kriegsgerichte gestellt. Eine Zollgrenze zwischen dem französisch besetzten und unbesetzten Gebiet machte den Handel lizenzpflichtig. Am 30. Januar 1923 wurde der Export von Kohle in das unbesetzte Deutschland verboten.[16] Der passive Widerstand zog weit reichende wirtschaftliche Konsequenzen nach sich. Die neu errichtete Zollgrenze zwang Deutschland Kohle aus England zu importieren, die Reallöhne sanken, die am Widerstand beteiligten Arbeiter und die vertriebenen Beamten und Angestellten mussten finanziell unterstützt werden, folglich geriet die deutsche Währung in eine Hyperinflation. Mit Hilfe nicht-deutscher Bergarbeiter konnte Frankreich die Kohleförderung wieder zum Laufen bringen und so im Spätherbst ihr Vorhaben vom „produktiven Pfand“ umsetzen. Durch gezielt ausgeübte Sabotageakte wurde versucht, die „Ausbeutung“ des Ruhrgebiets zu verhindern.

[...]


[1] Einen guten Überblick bieten exemplarisch: Engelbrecht, Jörg: Landesgeschichte Nordrhein-Westfalen, Stuttgart 1994. und Först, Walter: Kleine Geschichte Nordrhein-Westfalens, Düsseldorf 1986.

[2] Eine ausführliche Analyse zur histographischen Entwicklung bei: Cornelißen, Christoph: Vom „Ruhrkampf“ zur Ruhrkrise: Die Historiographie der Ruhrbesetzung, in: Krumeich, Gerd (Hrsg.): Der Schatten des Weltkriegs: Die Ruhrbesetzung 1923, Düsseldorfer Schriften zur Neueren Landegeschichte und zur Geschichte Nordrhein-Westfalens, Bd. 69, Essen 2004., im Folgenden: Cornelißen, S.

[3] Fischer, Conan: The Ruhr crisis, 1923-1924, Oxford 2003

[4],,Die alliierten und assoziierten Regierungen erklären, und Deutschland erkennt an, dass Deutschland und seine Verbündeten als Urheber für alle Verluste und Schäden verantwortlich sind, die die alliierten und assoziierten Regierungen und ihre Staatsangehörigen infolge des Krieges, der ihnen durch den Angriff Deutschlands und seiner Verbündeten aufgezwungen wurde, erlitten haben." Aus: Michalka, Wolfgang und Niedhart, Gottfried (Hrsg.): Die ungeliebte Republik. Dokumentation zur Innen - und Außenpolitik Weimars 1918 - 1933; München, 1984. S. 139, im folgenden Michalka, S.

[5] § 17. Kommt Deutschland irgendeiner seiner Verpflichtungen aus diesem Teile des gegenwärtigen Vertrags nicht nach, so zeigt der Ausschuss dieses Nichterfüllung unverzüglich jeder der beteiligten Mächte an und teilt ihr gleichzeitig seine Vorschläge über die im Hinblick auf diese Nichterfüllung angebracht erscheinenden Maßnahmen mit.

§ 18. Die Maßnahmen, zu denen die alliierten und assoziierten Regierungen, falls Deutschland vorsätzlich seinen Verpflichtungen nicht nachkommt, berechtigt sind und die Deutschland sich verpflichtet, nicht als feindselige Handlungen zu betrachten, können in wirtschaftlichen und finanziellen Sperr- und Vergeltungsmaßregeln, überhaupt in solchen Maßnahmen bestehen, welche die genannten Regierungen als durch die Umstände geboten erachten. Aus: Friedensvertrag von Versailles. Artikel 231 bis 247. Wiedergutmachungen (28. Juni 1919), in: documentArchiv.de (Hrsg.), URL: http://www.documentArchiv.de/wr/vv08.html, Stand: 12.07.2006

[6] Schwabe, Klaus: Die Ruhrkrise 1923: Wendepunkt der internationalen Beziehungen nach dem ersten Weltkrieg, Paderborn 1985, S. 54 im Folgenden: Schwabe, Großbritannien, S.

[7] Schwabe, S. 2

[8] vgl. Krumreich, Gerd: „Der Ruhrkampf“ als Krieg: Überlegungen zu einem verdrängten deutsch-französischen Konflikt, in: Krumeich, Gerd (Hrsg.): Der Schatten des Weltkriegs: Die Ruhrbesetzung 1923, Düsseldorfer Schriften zur Neueren Landegeschichte und zur Geschichte Nordrhein-Westfalens, Bd.69, Essen 2004, S. 10-11, im Folgenden: Krumreich, S.

[9] Schwabe, Großbritannien, S. 55

[10] Loth, Wilfried: Die Ruhr im europäischen Kontext, in: Krumeich, Gerd (Hrsg.): Der Schatten des Weltkriegs: Die Ruhrbesetzung 1923, Düsseldorfer Schriften zur Neueren Landegeschichte und zur Geschichte Nordrhein-Westfalens, Bd. 69, Essen 2004, S. 315, im Folgenden: Loth, S.

[11] Schwabe, Großbritannien, S. 61

[12] Osterheld, Horst: Konrad Adenauer: ein Charakterbild, Bonn 1973, S. 66

[13] Krumeich, S.16, bei einem Vergehen oder Verbrechen gegen das Eigentum oder eine Person der Beatzungstruppen, konnten für die örtliche Sicherheit zuständigen Beamten verhaftet werden, und die betreffenden Ortschaften des Vergehens mir Geldbußen belegt werden.

[14] Kössler, Till: Kampf für die Republik: Eine Neuinterpretierung der Ruhrkrise 1923/24, in: Mitteilungsblatt des Instituts für soziale Bewegungen, Heft 31, Bochum 2004, S. 314, im Folgeden: Kössler, S. , vgl. Aussage von Babara Müller, in: Passiver Widerstand im Ruhrkampf, aus: Fischer, Conan: Arbeitgeber, Arbeitnehmer und das Scheitern des passiven Widerstands 1923 im Ruhrgebiet, in: Mitteilungsblatt des Instituts für soziale Bewegungen, Heft 26, Bochum 2001, S. 90 und 95, im Folgenden: Conan, Arbeitgeber, S.

[15] Kössler, S. 315

[16] Schwabe, S. 4

Ende der Leseprobe aus 21 Seiten

Details

Titel
Die Ruhrkrise 1923 - Neubewertung des Westens
Hochschule
Ruhr-Universität Bochum
Note
1,7
Autor
Jahr
2006
Seiten
21
Katalognummer
V79581
ISBN (eBook)
9783638868662
ISBN (Buch)
9783638868723
Dateigröße
1155 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Ruhrkrise, Neubewertung, Westens
Arbeit zitieren
Tanja Kandolf (Autor:in), 2006, Die Ruhrkrise 1923 - Neubewertung des Westens, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/79581

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