Ende letzten Jahres veröffentlichte eine dänische Zeitung mehrere Karikaturen, die den Propheten
Mohammed abbildeten. In der Folgezeit kam es zu den bekannten massiven, teils gewaltsamen
Protesten in der islamischen Welt, die die Karikaturen als grobe Beleidigung ihres Glaubens
auffassten. Dieser, in den Medien als „Karikaturenstreit“ bezeichnete Konflikt, eröffnete eine
öffentliche Wertediskussion über die Tragweite und den Umfang eines unseres
„vornehmlichsten“ Grundrechtes überhaupt: der Meinungsfreiheit.
Doch die Diskussion blieb – nach meiner subjektiven Beobachtung - an der Oberfläche haften,
zumindest in den Populärmedien, insbesondere in den „politischen“ TV-Talkshows.
Möglicherweise ist dies den Gesetzmäßigkeiten des Mediums Fernsehen in Rechnung zu stellen,
aber auch die Presseberichterstattung ging meines Erachtens nicht zufrieden stellend auf die sich
im besonderen Maße bietende Gelegenheit ein, den Sinn und Zweck der Meinungs- und
Pressefreiheit darzulegen. Wozu auch, könnte man fragen? Meinungs- und Pressefreiheit gehören
unstreitig zu unserem westlichen demokratischen Bekenntnis, sind Grundvoraussetzung für
unsere Gesellschaftsordnung und der Sinn dieser Grundrechte scheint ja auch hinreichend
bekannt zu sein. Eine Diskussion über die fest verankerten Werte unserer Ordnung, erscheint so
manchem als Eingeständnis der eigenen Schwäche.
So beschränkten sich die Ausführungen der selbsternannten Hüter der westlichen Grundrechte im „Karikaturenstreit“ auf mehr oder weniger plumpe Versuche, die andere Seite der Diskussion, namentlich die muslimische Seite, als fanatische Irrationalisten vorzuführen, die eine Gefahr für die westliche Meinungs- und Pressefreiheit darstellen.
In ähnlicher Weise werden nur allzu gerne jene, die es wagen das westliche Grundverständnis nicht als absolut stehen zu lassen, vorschnell als antiliberale, verfassungsfeindliche, die Demokratie angreifende Delinquenten gebrandmarkt. Es ist nicht meine Absicht gegen die Meinungs- und Pressefreiheit oder gegen die Demokratie an sich zu argumentieren. Als westlich sozialisierter Mensch erscheint mir ein solches Vorhaben auch aussichtslos. Es muss aber erlaubt sein, Meinungs- und Pressefreiheit nach ihrem Sinn kritisch zu prüfen. Denn: „Die eigenen Werte können nur geachtet und verteidigt werden, wenn man sie nicht a priori als absolut und universell begreift“ [Di Fabio: 6].
Inhaltsverzeichnis
- 1 Einführung
- 2 Bedeutung der Meinungsfreiheit nach John Stuart Mill
- 2.1 Wahrheit gegen Irrtum
- 2.2 Vitales Erleben der Wahrheit
- 2.3 Die Mitte der Wahrheit
- 2.4 Schranken der Meinungsfreiheit
- 2.5 Zwischenfazit
- 3 Demokratie und das Vielfaltspostulat
- 3.1 Normativ-Theoretische Annahmen
- 3.2 Das Vielfaltsgebot
- 3.2.1 Pluralismus und die Autonomie der Bürger
- 3.2.2 Overnewsed but underinformed?
- 3.2.3 Informelle Meinungszensur?
- 4 Schlussbetrachtungen
Zielsetzung und Themenschwerpunkte
Diese Arbeit untersucht die Bedeutung der Meinungsfreiheit nach John Stuart Mill und das Postulat der Meinungsvielfalt in Demokratien. Ausgehend vom „Karikaturenstreit“ wird die oberflächliche öffentliche Diskussion über die Tragweite der Meinungsfreiheit kritisiert. Die Arbeit analysiert Mills Argumentation für die Meinungsfreiheit, seine Einschränkungen derselben und deren Relevanz für eine funktionierende Demokratie.
- Die Begründung der Meinungsfreiheit nach John Stuart Mill
- Grenzen der Meinungsfreiheit nach Mill
- Das Postulat der Meinungsvielfalt in Demokratien
- Konflikte zwischen Meinungsvielfalt und demokratischen Prinzipien
- Die Relevanz von Mills Gedanken für den modernen Journalismus
Zusammenfassung der Kapitel
1 Einführung: Die Arbeit beginnt mit dem „Karikaturenstreit“ als Anlass, die Bedeutung der Meinungsfreiheit zu hinterfragen. Die oberflächliche öffentliche Diskussion wird kritisiert, da sie die Gelegenheit verpasste, den Sinn und Zweck der Meinungsfreiheit eingehend zu erörtern. Die Arbeit betont die Notwendigkeit einer kritischen Auseinandersetzung mit den eigenen Werten, um diese zu schützen und verteidigen zu können. Der Fokus liegt auf John Stuart Mill als zentraler Figur für die Auseinandersetzung mit der Meinungsfreiheit und deren Grenzen.
2 Bedeutung der Meinungsfreiheit nach John Stuart Mill: Dieses Kapitel untersucht Mills Argumentation für die Meinungsfreiheit, die auf einem utilitaristischen Ansatz basiert und das größtmögliche Glück für die größtmögliche Anzahl von Menschen zum Ziel hat. Mill argumentiert, dass individuelle Freiheit, insbesondere die Meinungsfreiheit, eine soziale Notwendigkeit und Voraussetzung für kollektives Glück darstellt. Es werden verschiedene Aspekte von Mills Argumentation beleuchtet, inklusive seiner Einschränkungen der Meinungsfreiheit, die jedoch nur in Ausnahmefällen Anwendung finden sollen.
3 Demokratie und das Vielfaltspostulat: Dieses Kapitel beleuchtet das Verhältnis zwischen Demokratie und Meinungsfreiheit, sowie das Postulat der Meinungsvielfalt. Es werden drei Thesen geprüft, die die Grenzen des Vielfaltspostulats untersuchen. Die Kapitel thematisiert Herausforderungen wie den Konformitätsdruck der Mehrheit, die Gefahr der "Tyrannei der öffentlichen Meinung" und die Frage, ob eine "Overnewsed but underinformed"-Situation die Meinungsvielfalt beeinträchtigt und wie informelle Meinungszensur funktioniert.
Schlüsselwörter
Meinungsfreiheit, John Stuart Mill, Meinungsvielfalt, Demokratie, Utilitarismus, Konformitätsdruck, Tyrannei der Mehrheit, Pluralismus, Medien, Karikaturenstreit, Objektivitätsgebot.
Häufig gestellte Fragen (FAQ) zu: Bedeutung der Meinungsfreiheit nach John Stuart Mill und das Postulat der Meinungsvielfalt in Demokratien
Was ist der Gegenstand dieser Arbeit?
Diese Arbeit analysiert die Bedeutung der Meinungsfreiheit nach John Stuart Mill und das Postulat der Meinungsvielfalt in demokratischen Gesellschaften. Sie untersucht Mills Argumentation, die Grenzen der Meinungsfreiheit und deren Relevanz für eine funktionierende Demokratie, ausgehend von einer Kritik an der oberflächlichen öffentlichen Diskussion über den „Karikaturenstreit“.
Welche Themen werden im Einzelnen behandelt?
Die Arbeit behandelt folgende Schwerpunktthemen: Die Begründung der Meinungsfreiheit nach John Stuart Mill, die Grenzen der Meinungsfreiheit nach Mill, das Postulat der Meinungsvielfalt in Demokratien, Konflikte zwischen Meinungsvielfalt und demokratischen Prinzipien und die Relevanz von Mills Gedanken für den modernen Journalismus.
Welche Struktur hat die Arbeit?
Die Arbeit gliedert sich in eine Einführung, ein Kapitel über die Bedeutung der Meinungsfreiheit nach John Stuart Mill (inkl. Wahrheit gegen Irrtum, vitales Erleben der Wahrheit, die Mitte der Wahrheit, Schranken der Meinungsfreiheit und ein Zwischenfazit), ein Kapitel über Demokratie und das Vielfaltspostulat (inkl. normativ-theoretischer Annahmen, des Vielfaltsgebots mit Unterpunkten zu Pluralismus und Autonomie der Bürger, "Overnewsed but underinformed?" und informeller Meinungszensur) und Schlussbetrachtungen.
Wie argumentiert John Stuart Mill für die Meinungsfreiheit?
Mills Argumentation für die Meinungsfreiheit basiert auf einem utilitaristischen Ansatz, der das größtmögliche Glück für die größtmögliche Anzahl von Menschen zum Ziel hat. Individuelle Freiheit, insbesondere die Meinungsfreiheit, wird als soziale Notwendigkeit und Voraussetzung für kollektives Glück betrachtet.
Welche Grenzen der Meinungsfreiheit nennt Mill?
Die Arbeit beleuchtet auch die von Mill genannten Einschränkungen der Meinungsfreiheit. Diese sind jedoch nach Mill nur in Ausnahmefällen anzuwenden.
Wie wird das Verhältnis zwischen Demokratie und Meinungsvielfalt dargestellt?
Das Kapitel zu Demokratie und dem Vielfaltspostulat untersucht das Verhältnis zwischen beiden und analysiert Herausforderungen wie Konformitätsdruck der Mehrheit, die Gefahr der „Tyrannei der öffentlichen Meinung“, und die Frage, ob eine „Overnewsed but underinformed“-Situation die Meinungsvielfalt beeinträchtigt und wie informelle Meinungszensur funktioniert.
Welche Schlüsselbegriffe sind zentral für die Arbeit?
Zentrale Schlüsselbegriffe sind Meinungsfreiheit, John Stuart Mill, Meinungsvielfalt, Demokratie, Utilitarismus, Konformitätsdruck, Tyrannei der Mehrheit, Pluralismus, Medien und Karikaturenstreit.
Welche Kritik wird an der öffentlichen Diskussion zum Thema Meinungsfreiheit geübt?
Die Arbeit kritisiert die oberflächliche öffentliche Diskussion über die Tragweite der Meinungsfreiheit, insbesondere im Kontext des „Karikaturenstreits“, da diese den Sinn und Zweck der Meinungsfreiheit nicht eingehend erörtert hat.
Für wen ist diese Arbeit gedacht?
Diese Arbeit ist für ein akademisches Publikum gedacht, welches sich mit den Themen Meinungsfreiheit, Demokratie und dem Verhältnis von Meinungsvielfalt und demokratischen Prinzipien auseinandersetzen möchte.
- Quote paper
- Eduard Drahomeretski (Author), 2006, Die Bedeutung der Meinungsfreiheit nach John Stuart Mill und das Postulat der Meinungsvielfalt in Demokratien, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/80027