Obligatorisierung von Pronomina im Französischen


Hausarbeit (Hauptseminar), 2002

21 Seiten, Note: 1,3


Leseprobe


Inhalt

Einleitung

1. Person- und Zahlmarker am lateinischen Verb

2. Die Entstehung neuer Subjektmarker
2.1 Der Verlust emphatischer Bedeutung
2.2 Die Entwicklung neuer emphatischer Personalpronomen aus Akkusativ-Pronomen
2.3 Pronomina der 3. Person

3. Der Verlust der postverbalen Person/Zahl-Marker

4. Verschiedene Thesen zum obligatorischen Gebrauch der Subjektpronomen

5. Entwicklungen im modernen formell und informell gesprochenen Französisch
5.1 Synthetisierung bei „Subjekt-Klitikon + Verb“
5.2 Das semantische Bleichen von moi, toi, lui etc.
5.3 Die Verwendung von ç a

Schlußbemerkung

Bibliographie

Einleitung

Zu den auffälligsten Unterschieden zwischen dem Französischen, dem Rätoromanischen und den oberitalienischen Dialekten einerseits und dem Lateinischen und den anderen romanischen Sprachen andererseits gehört die Verwendung des Personalpronomens in Subjektfunktion. Während die anderen romanischen Sprachen - zumindest auf den ersten Blick- die Verhältnisse des Klassischen Latein (KL) fortsetzen, wo der Gebrauch der Subjektpronomina auf wenige definierte Fälle beschränkt ist, geht in den oben erwähnten Sprachen das Personalpronomen dem Verb in der Regel voran.

Wenn auch die heutige französische Form /tykur/ daher funktional, wenn auch nicht typologisch, dem klassisch lateinischen curris entspricht, so bietet das Altfranzösische ein völlig anderes Bild, da hier die Subjektpronomina auch dann gesetzt werden, wenn die Flexionssuffixe zur Kennzeichnung der Peronalität noch weitgehend erhalten sind. Ähnliche Verhältnisse herrschen im Rätoromanischen und in den norditalienischen Dialekten, wo bisweilen eine Doppel- und Dreifachmarkierung der Person beobachtet werden kann.[1]

Die Gründe für diesen einschneidenden Wandel, der das Französische in markanter Weise von den anderen romanischen Sprachen trennt, werde ich versuchen in dieser Arbeit anhand von verschiedenen Thesen aufzuzeigen.

Zunächst wende ich mich jedoch der Markierung der Personalität im Lateinischen zu, um dann zur Entwicklung im Alt- und Mittelfranzösischen bis hin zum modernen Französisch überzugehen. Und schließlich werde ich auf einige Tendenzen und bereits fortgeschrittene Entwicklungen der Personalpronomina im informell gesprochenen Französisch eingehen.

1. Person- und Zahlmarker am lateinischen Verb

Aufgrund der traditionellen Dichotomie Morphologie-Syntax als auch dem angesehenen Klassischen-Latein-Modell der grammatischen Analyse wurden lediglich die syntaktisch nichttrennbaren Elemente noch bis vor einiger Zeit als Teil der französischen Verbgruppe[2] betrachtet. Ein französisches Verb wurde konsequent als zu folgender Sequenz zugehörig beschrieben: Stamm + Tempus/Modus/Aspekt + Person/Zahl, die oft obligatorischen Subjektklitika[3] wurden jedoch nicht berücksichtigt.

Neuere Studien legen inzwischen Wert darauf, daß die Untersuchung aller Komponenten einer Verbgruppe in Betracht gezogen werden müssen, um diese zu verstehen. Ashby begründet dies damit „that if chanterai cannot occur in French except with a preceding or following je, then surely this is as much a matter of morphologiy as it is of syntax.“[4]

Angesichts dieser Tatsache beginnt man nun zunehmend sein Augenmerk auf das gesamte Verbparadigma zu richten und dieses nicht nur aus der morphologischen sondern der morphosyntaktischen Perspektive zu betrachten.

In Anlehnung an Schwegler, werde ich dies auch in dieser Arbeit tun und mich vorerst der lateinischen Verbgruppe zuwenden.

Im Klassischen Latein (KL) bilden die Zahl- und Personenmarker einen integralen Bestandteil der Verbgruppe, in der sie ein zwingendes Merkmal aller finiten Verben darstellen, auch wenn Person und Zahl bereits von einer Nominalphrase oder einem pronominalen Element angezeigt wird (z.B. vir cani-t ‚der Mann singt’; ego cano ‚Ich singe’). Aktiv-Paradigmen besitzen eine umfassende reguläre Reihe an Morphemen für die drei Personen- und zwei Zahlenangaben: 1. Person = -o oder -m, 2.P. = -s, 3.P. = -t, 1.P.pl. = -mus, 2.P.pl. =-tis, 3.P.pl. = -nt (die Alternanz der 1.P. -o/ -m ist zeit- oder modusbedingt).

Die klassisch-lateinischen Person- und Zahlmarker sind, so Schwegler, hochsynthetisch, da sie, neben ihrer obligatorischen Verwendung, örtlich nicht verschiebbar sind, gebunden und semtanisch nicht transparent sowie phonologisch an den Verbstamm gebunden sind. Ein typisches Beispiel für Person/Zahl-Marker der a-Konjugation wäre dieses:

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

2. Die Entstehung neuer Subjektmarker

Die Entwicklung der Subjektpronomina der 1. und 2. Personen vom KL bis zum modernen

Französisch sieht im Nominativ so aus[5]:

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

An diese Tabelle möchte ich die Entwicklung der „unpersönlichen“ 1. Person plural on anfügen, welche im informell gesprochenen Französisch durchaus die Berechtigung besitzt, in die Tabelle der Promomina aufgenommen zu werden. Auf seine Entstehung und Verwendung gehe ich in den Kapiteln 2.2 und 5 ein.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

2.1 Der Verlust emphatischer Bedeutung

Um ein Subjekt vor einer Aktion oder einem Zustand emphatisch hervorzuheben, hatten die lateinischen Sprecher Zugriff auf eine Reihe zusätzlicher optionaler Personenmarker, die sogenannten Subjektpronomina. Abgesehen von den Reflexivpronomina, verwendete man im KL diese Pronomen nur in der 1. und 2. Person singular und plural. Im Gegensatz zu den gebundenen Person- und Zahlmorphemen besaßen diese morphologisch freien Personalpronomen (PP), also ego, tu, nos und vos, einen semantischen Gehalt, sie waren unverschiebbar, invariabel und phonologisch unabhängig.

Als Pronomen der 3. Person konnte im KL im Nachdruck ein Demonstrativpronomen verwendet werden: hic, iste, ille und is[6].

Die Volkssprache kreierte aus dieser Verwendung ein Pronomen für die 3. Person, indem sie vor allem das Demonstrativpronomen ille und in manchen Regionen ipse verwendete. Die ille- Formen unterschieden sich von den anderen Personalpronomen darin, daß sie in Genus und Numerus gebeugt wurden. Aus diesem Grund gingen die Personalpronomen der 3. Person als morphologisch komplexere und somit synthetischere Formen in die Romania ein. Zu einem bestimmten Zeitpunkt in der Geschichte der lateinischen Sprache muß ein Anstieg der semantischen Relevanz dieser Pronomen zu ihrer verstärkten Anwendung geführt haben. Durch den anschließenden übermäßigen Gebrauch begannen sie nun ihre eigentliche emphatische Funktion zu verlieren und die demonstrative Bedeutung, die ille einst innewohnte, sowie die emphatische Bedeutung der restlichen Personalpronomina trat in den Hintergrund.

Diese semantische Umstrukturierung war natürlich eine allmähliche Entwicklung. Zu Zeiten des Altfranzösischen (AF) konnte das Verb immernoch ohne ein Personalpronomen auftauchen, auch konnte ihr Gebrauch noch bis ins 16. Jahrhundert vor allem in der 1. und 2. Person sg. durchaus emphatische oder kontrastive Bedeutung haben, was folgende Beispiele verdeutlichen:

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten[7] [8] [9]

Dieses Beispiel zeigt auch, daß um die gleiche Zeit die betonte Akkusativ-Form toi (ebenso moi) als betontes Pronomen auch in den Nominativ gedrungen ist, was sich im 16. Jahrhundert durchsetzte.[10] Die Akkusativ-Pronomen werde ich noch ausführlicher im folgenden Kapitel behandeln.

Trotz des fortgesetzten Gebrauchs der Subjektpronomina als emphatische Marker, hatte die einstmals semantische Motivation hinter dem Gebrauch der Subjektpronomina im Altfranzösischen begonnen, den Weg zu neuen erforderlichen syntaktischen Veränderungen zu ebnen.

Laut Foulet durchquerte das Altfranzösische ein „verb-second“-Stadium, d.h. es bestand eine starke Tendenz, das Verb in affirmativen Sätzen nicht an erster Stelle zu platzieren. Wenn es kein Element gab, das die erste Position im Satz füllen konnte (z.B. ein Nominalsubjekt, Relativ- oder Demonstrativpronomen), dann wurde diese Stelle vom jeweiligen Subjektpronomen besetzt: z.B. Ele set bien ce est la voie (Sie weiß, daß dies der Weg ist)[11]. Als Resultat dieses stilistischen Zwangs, war das Subjektpronomen fortan für gewöhnlich präsent, wenn kein anderes Element den proverbalen Platz einnahm. War dieser jedoch bereits von einem anderen Element besetzt, so war das Pronomen im Satz meist ohne Ausnahme abwesend. Dies war eine sehr differenzierte Situation zum KL. Die Verallgemeinerung des „verb-second“-Musters führte ein deutlich starreres Schema der einst syntaktisch freien Subjektpronomina ein und verstärkte die Häufigkeit des Wortordnungsmusters „Subjektpronomen + Verb“.

Daß die Subjektpronomina ohne jegliche emphatische Bedeutung verwendet wurden, um die „verb-first“-Stellung zu vermeiden und sich deshalb auch in anderen Konstruktionen allmählich durchsetzten, ist eine Erklärung, die sowohl Schwegler als auch Price vertreten. Dem gegenüber stehen frühere Hypothesen, denen zufolge der allmähliche phonologische Zusammenbruch der Flexionsunterscheidungen es erforderte, Person und Zahl durch Subjektpronomina zu markieren. Diese zunächst plausible Erklärung wurde mit der Zeit hinfällig in zwei Hinsichten. Zum einen wurden die Subjektpronomen bereits vorherrschend, bevor das Flexionssystem aufgrund phonologischer Reduktion von einer Serie homophoner Überlappungen bedroht wurde, zum anderen entwickelten andere romanische Volkssprachen obligatorische Subjektpronomen, ohne ihre Flexionsendungen jemals zu reduzieren.

[...]


[1] Vgl. Mair 1989:240.

[2] = “verb group” bei Schwegler

[3] Klitikon (gr.): „das sich Anlehnende“, schwach betontes Morphem, das sich an ein Nachbarwort anfügt, ohne Affix zu sein Es gibt zwei Arten von Pronomen: unklitisch/freie Pronomen (auch disjunktiv = getrennt stehend oder betont genannt) und klitisch/gebundene (also konjunktiv oder unbetont). Klitische Pronomen werden als Subjekte benutzt (z.B.: je, tu, il, elle, on etc.), als Objekte (z.B.: me, te, le, la, les etc.) und als reflexive Pronomen (z.B.: me, te, se etc.). Sie sind keine betonten Pronomen und können nicht mit Nomen oder anderen Pronomen verbunden werden oder isoliert stehen. Desweiteren kann kein Element zwischen ein klitisches Pronomen und sein Verb treten, es sei denn es handelt sich um ein anderes klitisches Pronomen. Freie Pronomen (z.B.: moi, toi, lui, elle etc.) werden als Objekt einer Präposition verwendet (avec moi), in Zusammenhang mit Nomen oder Pronomen (Jean et moi), alleinstehend (z.B. bei der Antwort auf eine Frage) oder um einem klitischen Pronomen Nachdruck zu verleihen (Moi, je parle fran ç ais). Freie Pronomen sind freie Morpheme.

[4] Armin Schwegler 1990:78

[5] Kombination der Tabellen von Schwegler und Rheinfelder: Schwegler 1990:85; Rheinfelder 1985:91+106.

[6] Rheinfelder 1985:90.

[7] Chanson de Roland, in: Schwegler 1990:81.

[8] Aucassin et Nicolette, in : Ebd., S.82.

[9] Rheinfelder 1985:91+92.

[10] Ebd., S.92.

[11] Ebd., S.82.

Ende der Leseprobe aus 21 Seiten

Details

Titel
Obligatorisierung von Pronomina im Französischen
Hochschule
Albert-Ludwigs-Universität Freiburg  (Romanisches Seminar)
Veranstaltung
HS: Grammatikalisierungsprozesse im Französischen und Spanischen
Note
1,3
Autor
Jahr
2002
Seiten
21
Katalognummer
V8004
ISBN (eBook)
9783638150934
Dateigröße
712 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Obligatorisierung, Pronomina, Französischen, Grammatikalisierungsprozesse, Französischen, Spanischen
Arbeit zitieren
Magistra (Phil.) Tina Rönz (Autor:in), 2002, Obligatorisierung von Pronomina im Französischen, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/8004

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