Sprachaufnahmen von Heidelberger Polizisten wurden angehört und die perzeptiven Impressionen anschließend im intersubjektiven Vergleich überprüft, analysiert und schematisiert. Grundlage hierfür ist der Ansatz nach Adriaens (1991), der hörrelevante prosodische Größen zur Forschungsgrundlage macht. Dabei werden überspezifizierte Messergebnisse auf kleinstmögliche perzeptiv relevante Einheiten reduziert.
Die visualisierten Tonhöhenverläufe (Pitch-Konturen) wurden auf das prosodische Merkmal, das auditiv als Tonhöhenverlauf wahrgenommen werden kann reduziert und zu stilisierten Copy-Konturen vereinfacht.
So konnten einige auffällige Merkmale in den untersuchten Heidelberger Aufnahmen festgestellt werden.
Inhalt
1. Methode
2. Ergebnisse
2.1. Tonhöhenschwankungen innerhalb einzelner Silben
2.1.1. Tonhöhenverläufe im Kontext
2.2. „steigend-fallend“-Muster in Interrogationsphrasen
2.3. „Heidelberger Doppelpunkt“ -minimale Tonhöhenschwankungen innerhalb der Tonhöhenverläufe
2.4. Heidelberger Singsang
2.5. Phänomen des „Stimmbruchs“
3. Zum Forschungsstand
3.1. „Schleifton“ nach Peters
4. Beispiel-Kategorien
4.1 Aussagephrasen
4.1.1 Aussagephrasen - zweistufig fallend - nebenbetont
4.1.1.1 Beispiele „stillt“, „den“ und „und“
4.1.1.2 Beispiel „müssen“
4.1.2 Aussagephrasen - zweistufig fallend - hauptbetont
4.1.2.1 Beispiel „Punkt“
4.1.2.2 Beispiel „kühlt“
4.1.3 Aussagephrasen – steigend-fallend – nebenbetont
4.1.3.1 Beispiel „müsste“
4.1.3.2 Beispiele „sie“, „sie“, „sind“,
4.1.4a Aussagephrasen – steigend-fallend – hauptbetont
4.1.4a.1 Beispiel „Polizeinotruf“
4.1.4a.2 Beispiel „Kaltes“
4.1.4a.3 Beispiel: „einfällt“
4.1.4b Aussagephrasen – leicht steigend-fallend – hauptbetont
4.1.4b.1 Beispiel „aufhören“
4.1.4b.2 Beispiel „Polizeiposten“
4.1.4b.3 Beispiele „kühlen“, „Kaltes“
4.1.5 Aussagephrasen – fallend-steigend – nebenbetont
4.1.5.1 Beispiel „das“
4.1.5.2 Beispiel „nei“
4.1.6 Aussagephrasen – fallend-steigend – hauptbetont
4.2. Interrogationsphrase
4.2.1 Interrogationsphrase - zweistufig fallend – nebenbetont
4.2.1.1 Beispiel „wer“
4.2.2 Interrogationsphrase - zweistufig fallend – hauptbetont
4.2.2.1 Beispiel „lose“
4.2.3 Interrogationsphrase - steigend-fallend – Entscheidungsfragen
4.2.3.1 Beispiel „eusch“
4.2.3.2 Beispiel „Kreuz“
4.2.3.3.Beispiel „Sie“
4.2.4 Interrogationsphrase - fallend-steigend – nebenbetont
4.2.5.1 Beispiel „wo“
4.2.5 Interrogationsphrase - fallend-steigend – hauptbetont
4.2.6.1 Beispiel „passiert“
5. Thesen
5.1 „steigend-fallend“-Muster in Interrogationsphrasen
5.2. Phänomen des „Stimmbruchs“
5.2.1 Beispiel „hinaus“
5.2.2 Beispiel „wissen“
5. 3 „Heidelberger Singsang“
5.3.1 Beispiel „kühlen, was Kaltes“
5.3.2 Beispiel: „…, was den Leuten einfällt!“
5.3.3 Beispiel „Da muss ich erst mal in die Datenbank hineinholen!“
6. Literatur
Untersuchung zur Prosodie von Sprechern mit Heidelberger Regionalakzent
1. Methode
Sprechaufnahmen von Heidelberger Polizisten[1] wurden zunächst jeweils alleine angehört, Auffälligkeiten festgestellt und diese anschließend zu zweit überprüft. Schließlich wurden unsere subjektiven perzeptiven Impressionen mit denen des Dozenten verglichen, um diese zu überprüfen, ggf. zu bestätigen und anschließend zu analysieren und zu schematisieren.
Grundlage hierfür ist der Ansatz nach Adriaens[2], der hörrelevante prosodische Größen zur Forschungsgrundlage macht. Dabei werden überspezifizierte Messergebnisse auf kleinstmögliche perzeptiv relevante Einheiten reduziert.
Die subjektive Perzeption wurde zunächst durch die visualisierten Tonhöhenverläufe (Pitch-Konturen) überprüft. In einem zweiten Schritt wurden diese Konturen soweit wie möglich vereinfacht, d.h. man konzentriert sich ausschließlich auf das prosodische Merkmal, das auditiv als Tonhöhenverlauf wahrgenommen werden kann. Irrelevante Details werden aus den stilisierten Tonhöhenverläufen getilgt und zu „straight-line segments“ abstrahiert, was eine sogenannte „close-copy stylization“ (Kopiekontur) ergibt. , wobei diese, soweit möglich, zu stilisierten Copy-Konturen vereinfacht wurden. Dazu wurde das Programm „Praat“ genutzt.
2. Ergebnisse
2.1. Tonhöhenschwankungen innerhalb einzelner Silben
Innerhalb einzelner Silben (Vokale, wobei Langvokale und Diphtonge besonders häufig eines der Phänomene aufweisen) treten deutliche Tonhöhenschwankungen auf, die im Heidelberger Regionalakzent durch die Realisation mehrerer Töne bedingt sind. Im Gegensatz dazu wird üblicherweise in der Standardsprache nur ein Ton pro Silbe realisiert. Die auffälligsten Schwankungen sind:
(1) zweistufig fallend
(2) steigend-fallend
(3) fallend-steigend
(4) steigend-fallend-steigend.
Dazu kommt häufig eine Dehnung der jeweiligen Silbe – vermutlich, um den Tonhöhenverlauf innerhalb der Silbe ausführen zu können. Entsprechende Verläufe lassen sich sowohl im interrogativen Muster, als auch im finalen Muster nachweisen und treten in betonten und unbetonten Silben einer Phrase auf.
2.1.1. Tonhöhenverläufe im Kontext
Die Mehrzahl der von uns exemplarisch belegten prosodischen Phänomene Heidelberger Sprecher sind kontextunabhängig, denn sie kommen in Aussagesätzen wie auch in Fragesätzen mit sehr unterschiedlichen Inhalten und sowohl in hauptbetonten wie auch in nebenbetonten Silben vor. Dies ergab die Überprüfung mit Kategorien kontextbestimmter Tonhöhenverläufe, wie sie Kehrein (2002) vorgelegt hat.[4] Exemplarisch kann dies an der Kategorie „Beendigungssignal“ verdeutlicht werden, das Kehrein als kurzen, steilen Tonhöhenabfall beschreibt. Die unter 4.1.2 beschriebenen Beispiele „Punkt“ und „kühlt“ können zwar ebenfalls als „Beendigungssignal“ am Satzende gedeutet werden, allerdings gibt es hier bereits eine regionaltypische Abweichung von der Standardsprache durch den zweistufigen Abfall der Tonhöhe und die damit verbundene Silbendehnung. Das gleiche Phänomen lässt sich allerdings auch in nebenbetonten und nicht als „Beendigungssignal“ zu interpretierenden Silben nachweisen (vgl. 4.1.1. ).[3]
Lediglich zwei Phänomene, der „Stimmbruch“ (vgl. 5.2. Phänomen des „Stimmbruchs“) und eine kurze Fallbewegung am Ende einer Frage (5.1 „steigend-fallend“-Muster in Interrogationsphrasen) scheinen kontextabhängig zu sein. Dies nachzuweisen würde jedoch den Rahmen dieser Arbeit sprengen und kann deshalb an dieser Stelle nur vermutet werden.
Das Phänomen des „Stimmbruchs“ scheint an die Emotionalität des Sprechers gekoppelt zu sein, wie unter 2.5. näher ausgeführt werden wird. .
Der kleine Abfall am Ende eines Tonhöhenanstiegs kommt lediglich in Interrogationsphrasen vor.
2.2. „steigend-fallend“-Muster in Interrogationsphrasen
Von Essen[5] teilt Fragen in Entscheidungsfragen, Ergänzungsfragen und Doppelragen ein, wobei sich Entscheidungsfragen dadurch auszeichnen, dass der Fragecharakter der Phrase allein durch das Intonationsmuster ausgelöst wird. Er beschreibt dieses mit einem steilen Tonhöhenanstieg am Ende der Phrase: „die Grundgestalt der echten Entscheidungsfrage ist die ansteigende Tonführung mit dem Hinaufschleifen des letzten Silbentones.“[6] Die unter 4.2.4. bearbeiteten Beispiele lassen sich in diese Kategorie einordnen, denn sie weisen prinzipiell das von von Essen beschriebene Phänomen auf. Allerdings, so wird an diesen beiden Beispielen deutlich, im Heidelberger Regionalakzent diese Anstiegsbewegung der Tonhöhe am Ende durch eine kleine Fallbewegung gebrochen zu sein.
2.3. „Heidelberger Doppelpunkt“ -minimale Tonhöhenschwankungen innerhalb der Tonhöhenverläufe
Bei der Anfertigung von Copy-Konturen mit „Praat“ fiel ein weiteres Phänomen auf, das für den Heidelberger „Singsang“ typisch erscheint: Fallende wie steigende Tonhöhenverläufe werden von den untersuchten Sprechern nicht „geradlinig“ realisiert, sondern, wenn man die Copy-Konturen genau betrachtet, in konvexen oder konkaven Bögen, die in den Copy-Konturen teilweise treppenförmig visualisiert werden. Diese sind in den Tonhöhenverläufen nicht nur sichtbar, sondern auch hörbar. Das wurde deutlich bei dem Versuch die Copy-Konturen an diesen Punkten zum Zwecke der Systematisierung zu vereinfachen, indem nur die jeweiligen Anfangs- und Endpunkte der Anstiegs- oder Fallbewegung beibehalten und die dazwischen liegenden Punkte der Kontur gelöscht wurden. Das Phänomen von zwei dicht beieinander liegenden Punkten in der Copy-Kontur scheint ein regionales Merkmal zu sein, welches wir im folgenden als „Heidelberger Doppelpunkt“ -HD- bezeichnen.
Akustisch könnte man diese Tonhöhenverläufe als „geschmierte“ Töne beschreiben (ein Terminus aus der Musikwissenschaft), wie sie im Gospel und Soul zu finden sind. Im Gegensatz dazu kann man „gerade“ gesungene Töne z.B. im osteuropäischen Gesang („weiße Stimmen“) finden.
2.4. Heidelberger Singsang
Schon Bräutigam[7] beschäftigte sich mit der Prosodie im Gebiet, in dem auch Heidelberg angesiedelt ist, wobei er sich auf Mannheim konzentrierte. Durch die geografische Nähe lassen sich seine Ergebnisse auch auf Heidelberg anwenden. Bräutigam versuchte Tonhöhenverläufe in Notenschrift wieder zu geben und stellte fest: „Der Ton strebt gegen Schluss einer Redeperiode nach oben, dadurch entsteht eine unruhige, etwas aufreizende Sprache.(...) die Tonfolge in Mannheim ist sprunghaft (...) Graphisch hätten wir etwa eine Zickzacklinie mit jähen Stürzen und Sprüngen“ (1934, S. 35 f).
Diese typischen Tonhöhenverläufe, wie sie schon von Bräutigam beschreiben wurden, sind auch in den mit „Praat“ angefertigten Copy- Konturen erkennbar. Innerhalb einer Phrase werden „steigend- fallend“ - Muster mehrmals hintereinander realisiert, dadurch klingt das Gesagte wie ein Sing-Sang. Auch das Phänomen des „Heidelberger Doppelpunktes“ trägt zu diesem Phänomen bei. Das Phänomen ist unabhängig vom Kontext.
2.5. Phänomen des „Stimmbruchs“
Ein letztes Phänomen, das uns regionaltypisch erscheint und das wir an zwei Beispielen nachweisen können ist eine extrem steile Tonhöhensteigung, bei der am oberen Endpunkt die Stimme kippt. Beide Kontexte, in denen das Phänomen auftrat, waren von Emotionalität des Sprechers geprägt. Das prosodische Merkmal, das wir als „Stimmbruch“ bezeichnen, lässt sich allerdings, wie ein Vergleich mit Kehreins Untersuchung zum Thema[8] zeigt, nicht auf die Emotionalität zurück führen.
Der ersten von uns ausgewählten beispielhaften Äußerung (5.2.1. Beispiel „hinaus“) lässt sich die von Kehrein aufgemachte Kategorie „überrascht“[9] zuordnen, die sich durch einen hohen Anstieg der Tonhöhe auszeichnet. Dies ist zwar auch im Heidelberger Beispiel der Fall, doch schon der Abfall der Tonhöhe noch in der selben Silbe ist eine regionale Besonderheit.
Das Kippen der Stimme, das wir als „Stimmbruch“ bezeichnen, ist bei Kehrein gar nicht als prosodischer Ausdruck von Emotionalität aufgeführt.
Das zweite unserer Beispiele (5.2.2. Beispiel „wissen“) würde in Kehreins Kategorie „erregt“[10] passen, die sich allerdings nicht durch extreme Tonhöhenverläufe sondern lediglich durch erhöhtes Sprechtempo auszeichnet.
Der Vergleich lässt demnach den Schluss zu, dass die extreme Tonhöhenkurve, bei der die Stimme kippt, ein regionales Merkmal Heidelberger Sprecher ist.
3. Zum Forschungsstand:
Jörg Peters’[11] und Peter Gilles’[12] Untersuchungen sind die einzigen, die sich mit der Prosodie deutscher Regionalakzente befassen. Diese Arbeiten wurden bei unserer Untersuchung als zu ungenau eingestuft, da beide mit dem H-L-Ansatz arbeiten und mit diesem genau die oben beschriebenen prosodischen Besonderheiten in Tonhöhenverläufen aus Gründen der Systematisierung vernachlässigt werden. Das führt dazu, dass auch die Terminologie die Peters verwendet nur bedingt in dieser Untersuchung Gebrauch findet.
[...]
[1] vgl. Beschreibung des Forschungsprogramms Regionalsprachen.de in Kehrein 2007, S. 4)
[2] Adriaens, León (1991): ein Modell deutscher Intonation. Eine experimentell-phonetische Untersuchung nach den perzeptiv relevanten Grundfrequenzveränderungen in vorgelesenem Text (diss. Eindhoven), nach: Kehrein, Roland (2002): Prosodie und Emotionen, Tübingen: Niemeyer, S. 53-67
[3] vgl. Kehrein, Roland (2002): Prosodie und Emotionen, Tübingen: Niemeyer, S. 63 - 75
[4] vgl. Kehrein, Roland (2002): Prosodie und Emotionen, Tübingen: Niemeyer, S. 70
[5] Essen, Otto von (1964): Grundzüge der hochdeutschen Satzintonation. Ratingen/Düsseldorf: A. Henn. S. 44 f.
[6] Essen, Otto von (1964): Grundzüge der hochdeutschen Satzintonation. Ratingen/Düsseldorf: A. Henn. S. 46.
[7] zitiert nach Peters, Jörg (2006): Intonatorische Variation im Deutschen. Berlin/New York: de Gruyter, S. 373-374
[8] Kehrein, Roland (2002): Prosodie und Emotionen, Tübingen: Niemeyer
[9] Kehrein, Roland (2002): Prosodie und Emotionen, Tübingen: Niemeyer, S. 231 f.
[10] Kehrein, Roland (2002): Prosodie und Emotionen, Tübingen: Niemeyer, S. 259 f.
[11] Peters, Jörg (2006): Intonatorische Variation im Deutschen. Berlin/New York: de Gruyter
[12] Gilles, Peter (2005): Regionale Prosodie im Deutschen. Berlin/New York: de Gruyter
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