Verantwortung und Wahrheit


Magisterarbeit, 2007

88 Seiten, Note: 1,6


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Bestimmung und Struktur des Begriffes Verantwortung
2.1. Einführende Überlegungen
2.2. Zwei begriffliche Verwendungsweisen von Verantwortung
2.2.1. Die konstituierende Bedeutung des Verantwortungsbegriffs
2.2.2. Die evaluierende Bedeutung des Verantwortungsbegriffs
2.3. Der Gegenstand von Verantwortung
2.4. Der Träger von Verantwortung

3. Verantwortung für Handlungen
3.1. Die Bedingung der Freiheit für die Zuschreibung von Verantwortung
3.2. Die Bedingung der Kontrolle für die Zuschreibung von Verantwortung
3.3. Die epistemische Bedingung für die Zuschreibung von Verantwortung
3.3.1. Das Wissen von den Umständen der Handlung
3.3.2. Das Wissen von den Konsequenzen der Handlung
3.3.3. Bewusstheit und Intersubjektivität als Komponenten von Wissen
3.3.4. Rationale Wissenserwartungen
3.4. Exkurs: Die Bedeutung der Person für Verantwortung

4. Wissen und Wahrheit
4.1. Wissen und Skepsis
4.2. Wahrheit und Rechtfertigung
4.3. Bedeutung von Wahrheit

5.Schlussbemerkungen
5.1. Verantwortung und Wahrheit
5.2. Ausblick

6. Literaturverzeichnis

1. Einleitung

Schlägt man morgens eine Tageszeitung auf, finden sich häufig folgende Überschriften: 'Korruptionsskandal – Polizei fahndet nach Verantwortlichen.', 'Minister wusste offenbar seit längerem über illegitime Vorgänge Bescheid.', 'Mutter bekommt die Verantwortung für Adoptivkind zugesprochen. 'Aufsichtsratschef schweigt vor Untersuchungskommission zum Vorwurf illegaler Preisabsprachen.' Die Häufigkeit und Bekanntheit derartiger Schlagzeilen verdeutlicht dabei auf mediale Art und Weise einen Aspekt von menschlichem Miteinander, der sich zusammenfassend mit dem Wort Verantwortung charakterisieren lässt. Es ist Verantwortung, nach welcher wir einerseits gesellschaftliche Akteure öffentlichkeitswirksam beurteilen, andererseits aber auch uns selbst in unserem alltäglichen Umfeld mit unserem Sprechen und Handeln positionieren.

Doch Verantwortung ruft ebenso eine Menge wichtiger und zugleich strittiger Fragen hervor. Wenn z.B. alle Beteiligten gleichermaßen korrupt handelten, gibt es dann überhaupt Verantwortliche? Kann der Minister zur Verantwortung gezogen werden, nur weil er davon wusste? Ist die Mutter überhaupt fähig, das Kind aufzuziehen, d.h. kann sie diese Verantwortung wirklich wahrnehmen? Verletzt der Aufsichtsratschef seine Informationspflicht gegenüber kontrollierenden Organen, indem er sich in der Verantwortung für das Unternehmen gestellt sieht? Alle diese Fragen betreffen in irgendeiner Art und Weise unser Verständnis von Verantwortung. Zum einen geht es darum, wer in einem konkreten Fall verantwortlich gemacht werden kann, insbesondere bei Fragen des Rechts und der Moral. Zum anderen wird schon in den kleinsten alltäglichen Streitereien darüber debattiert, wofür man selbst oder das Gegenüber eigentlich verantwortlich ist.

Die Philosophie kann die öffentlich und privat geführte Diskussion hierüber nicht beenden. Doch sie kann dazu beitragen, ein Verständnis von Verantwortung in die Diskussion zu bringen, das zumindest einige Antworten bezüglich unklarer oder kontroverser Verantwortlichkeiten erleichtert. In diesem Sinn möchte die hier vorgestellte Arbeit einige grundlegende Aspekte dieses Verständnisses aufzeigen und in erhellender Absicht vertiefen. Im Zentrum steht dabei ein Konzept von Personen, welche für ihre jeweiligen Handlungen Verantwortung zugeschrieben bekommen bzw. sich selbst zuschreiben. Bedeutsam ist dabei, dass diese Zuschreibung bestimmten Bedingungen unterliegt. Ein Ziel dieser Untersuchung ist es nun, diese Bedingungen herauszustellen, wobei gezeigt werden soll, dass die Zuschreibung von Verantwortung insbesondere von einer Voraussetzung bestimmt ist, welche auf Wissen beruht.

Welches Wissen hier gemeint ist und inwiefern Verantwortung davon abhängt, was die betreffende Person wusste, bildet einen wesentlichen Bestandteil der Analyse. Doch damit ist noch nicht alles gesagt, denn Wissen beruht seinerseits wieder auf ganz spezifischen Charakteristika, die in unserem praktischen Umgang miteinander eine grundlegende Rolle spielen. Eines dieser Charakteristika ist der Begriff der Wahrheit. Diese Arbeit leistet zwar nur einen skizzenhaften Einblick in die Bedeutung und Rolle dieses Begriffs mit Hinblick auf Wissen als einer Zuschreibungsbedingung. Dennoch soll ein asymmetrischer Zusammenhang zwischen Verantwortung und Wahrheit deutlich werden. Dieser Zusammenhang ist schließlich die zentrale These dieser Arbeit: Wenn wir uns selbst oder anderen Personen Verantwortung für eine Handlung zuschreiben, dann berufen wir uns immer auch auf ein Wissen. Und es ist die Wahrheit, welche uns als Versicherung für dieses Wissen und als gemeinsamen Bezugspunkt auf dieses Wissen dient. Unsere Verantwortung hängt also letztlich von der Wahrheit des Wissens ab, welches zur Begründung von konkreten Verantwortlichkeiten herangezogen wird.

Dieser breite thematische Fokus legt ein systematisches Vorgehen in verschiedenen Argumentationsschritten nahe. Das folgende zweite Kapitel wird dabei der einführenden Vorstellung eines Verantwortungskonzeptes in begrifflicher und struktureller Hinsicht dienen. Das dritte Kapitel ist der Analyse der Zuschreibungsbedingungen für Verantwortung gewidmet, wobei hier das zentrale Augenmerk auf der epistemischen Bedingung und den entsprechenden Fragen nach Art und Umfang des involvierten Wissens liegen wird. Das anschließende vierte Kapitel behandelt die wichtigsten Punkte im Verhältnis zwischen Wissen und Wahrheit, wobei Aspekte des praktischen Verständnisses und der erkenntnistheoretischen Bedeutung von Wahrheit in groben Umrissen herausgestellt werden. In den Schlussbemerkungen des fünften Kapitels geht es darum, die verschiedenen Verknüpfungen von Wissen und Verantwortung zu konkretisieren und auf Wahrheitsimplikationen zu beziehen. Der abschließende Ausblick soll weiterhin andeuten, welche sowohl philosophischen als auch alltagspraktischen Möglichkeiten der hier vorgestellte Zusammenhang bietet. Letztlich verbindet sich mit diesen philosophischen Gedanken eine praktische Hoffnung, denn es sind reale Personen, die sich tagtäglich über die Verantwortung in ihren und für ihre Handlungen streiten. Wenn wir genauer verstehen lernen, was Verantwortung ist und welche Grundlagen dabei eine Rolle spielen, können wir dadurch vielleicht ein wenig mehr an Souveränität im Umgang mit den schlagzeilenartig vorgestellten Thematiken gewinnen.

2. Bestimmung und Struktur des Begriffes Verantwortung

2.1. Einführende Überlegungen

Was ist eigentlich gemeint, wenn man von Verantwortung spricht? Betrachten wir für ein erstes Verständnis folgende Situation: Es fällt ein Glas vom Tisch herunter und zerbricht. Sicherlich ist es nicht falsch zu sagen, der Hund eines Freundes ist dafür verantwortlich, weil er auf den Tisch sprang und damit das Glas zum Fallen brachte. Eine weitere Aussage macht geltend, der Freund sei verantwortlich für das heruntergefallene Glas, weil er seinem Hund erlaubt, auf Tische zu springen. Der Hersteller des Glases muss weiterhin die Verantwortung für die Stabilität seines Produktes übernehmen. Schließlich ist es auch zutreffend, mir die Verantwortung für das kaputte Glas zu geben, denn ich saß direkt daneben und hätte es auch auffangen können, tat es aber nicht.

Offensichtlich gibt es durch Einbeziehung verschiedener Situationsaspekte ganz unterschiedliche Auffassungen davon, was in diesem Fall Verantwortung bedeutet. Hinzu tritt diesen Auffassungen noch ein weites Spektrum an möglichen Arten und Weisen des Umstandes, verantwortlich zu sein. Jemand meint vorwurfsvoll, es ist keine gute Ausübung von Verantwortung seitens des Freundes, seinen Hund auf Tische springen zu lassen, während dieser antwortet, es sei gut und verantwortlich, dem Hund Freiraum zu geben. Und während es mir ziemlich peinlich ist, das fallende Glas nicht gefangen zu haben, sagt jemand, es wäre ganz in Ordnung, dass dieses alte hässliche Glas endlich einmal kaputt ist. Hier artikulieren sich unterschiedliche Reaktionen in Form von positiven oder negativen Bewertungen auf „Verantwortung haben“, welche die Antwort auf obige Frage noch zu erschweren scheinen.

Deswegen soll zum Zwecke einer näheren theoretischen Bestimmung des hier zu verhandelnden Begriffes zunächst der Aspekt von „verantwortlich sein“ vom Bewertungsaspekt[1] abgegrenzt werden, um mehr Klarheit über das, was eigentlich mit Verantwortung gemeint ist, zu gewinnen. Diese Abgrenzung hat den Vorteil, die Voraussetzungen und Implikationen eines Konzeptes von Verantwortung auf zwei verschiedenen Ebenen analysieren zu können. Auf der Ebene von „verantwortlich sein“ sind dabei vor allem die formalen Bedingungen im Zentrum des Interesses, d.h. die Bedingungen, welche erfüllt sein müssen, um eine handelnde Person als verantwortlich beschreiben zu können. Die zweite Ebene, d.h. wie „Verantwortung haben“ innerhalb sozialer Gemeinschaften jeweils bewertet wird und mit welchen Absichten, impliziert hingegen spezifische Wertvorstellungen, die an anderer Stelle Erklärung bedürfen[2].

Grundsätzlich ist die Interaktion mit der Welt (und uns selbst sowie anderen Lebewesen als einen Teil davon) in Form von handelndem, individuellem Einfluss und Veränderung eine Möglichkeit von Gestaltung, innerhalb dessen Verantwortung erst einen allgemeinen Sinn erhält. Allerdings lässt dieser allgemeine Sinn vorerst nur wenig an konkreter Klärung unseres Verständnisses von Verantwortung zu, weil offen bleibt, wie einerseits die formalen Bedingungen für „verantwortlich sein“ konkretisiert werden können und wie andererseits eine praktische Zuschreibung von Verantwortung aussieht. Dennoch soll die einleitend geschilderte Situation verdeutlichen, welches Spektrum an Interaktion schon in einem vergleichsweise alltäglichen Vorkommnis angelegt ist und wie strittig der Begriff der Verantwortung dabei Anwendung finden kann. Strittig heißt hier, dass im Alltag erstens oft nicht klar ist, wer wofür eigentlich verantwortlich ist und zweitens, in welcher Weise eine zugeschriebene Verantwortung einerseits Anlass zur Dankbarkeit, andererseits jedoch Grund zum moralischen Vorwurf bieten kann. Die Interaktion mit der Welt bietet zwar vielfältige Anwendungsbereiche für den Begriff Verantwortung. Die Beispielsituation soll jedoch zeigen, dass Streitigkeiten über Verantwortung oft dieser Vielfalt bzw. den Unklarheiten in der begrifflichen Verwendung entspringen.

2.2. Zwei begriffliche Verwendungsweisen von Verantwortung

2.2.1. Die konstituierende Bedeutung des Verantwortungsbegriffs

Eben diese Streitigkeiten legt es nahe, verschiedene Verwendungsweisen des Verantwortungsbegriffs im alltäglichen Sprachgebrauch durch Indizierung analytisch auseinander zu halten. Dabei betrifft die Unterscheidung vor allem eine umfassendere oder spezifischere Bedeutung des Wortes. Unter Verantwortung1 kann man dabei jene umfassende, konstituierende Bedeutung verstehen, die in der christlichen Philosophie des Mittelalters mit dem Begriff der ‚imputatio‘ beschrieben wurde[3] und später vor allem im Sinn einer Zurechnung bzw. Zurechenbarkeit Verbreitung und Bedeutung erhielt[4]. Man kann sich für ein erstes intuitives Verständnis dieser Verwendung vergegenwärtigen, was eigentlich in juristischen Fragen über das Vorliegen von Verantwortung zum Ausdruck gebracht wird. In dieser Verwendungsweise treten Aspekte der Zurechnung von einzelnen Handlungen zu Personen neben kausale Zusammenhänge und beziehen sich zentral auf Fragen der Verursachung und alternativer Möglichkeiten zu einem gegebenen oder beabsichtigten Sachverhalt.

Die umfassendere, konstituierende begriffliche Bedeutung besteht dabei in der Charakterisierung von „verantwortlich sein“ als Grundlage moralischer Beurteilung, ohne jedoch selbst notwendig zugleich ein moralisches Urteil zu sein. Damit ist gemeint, dass erst wenn jemand durch sich selbst oder andere die Fähigkeit zugeschrieben bekommt, verantwortlich zu sein, kann diesem jemand in moralischer Hinsicht etwas vorgeworfen oder lobend angerechnet werden. Aus diesem Grund konstituiert die Zuschreibung von Verantwortung1 handelnde Personen als adäquate Adressaten für moralische Bewertung. Nur jemand, der zunächst verantwortlich ist für eine konkrete Interaktion mit der Welt, kann dann auch dafür in einem moralischen Sinn zur ‚Verantwortung’ gezogen werden. Dabei ist es von vornherein wichtig, sich den Unterschied zwischen Handeln und „verantwortlich sein“ klar zu machen. Handeln als Interaktion mit der Welt bildet zwar eine formale Voraussetzung für ein Vorliegen von Verantwortung1[5], aber Handeln kann auch „nicht verantwortlich sein“. Wenn bspw. jemand gewaltsam Drogen verabreicht bekommt und nur aufgrund ihrer Wirkung anschließend eine Bank überfällt, indem er sich eine Waffe kauft, ein Fluchtauto besorgt und die Kameras rechtzeitig ausschaltet, dann hat dieser jemand zwar gehandelt, aber er ist offenbar nicht verantwortlich für seine Handlung.

Im Kern wird mit einer Zuschreibung von Verantwortung1 zunächst nur gesagt, jemand handelte oder hat etwas getan und ist weiterhin für diese Aktion bzw. ihre Folgen verantwortlich im Sinne von Verantwortung1. Ist diese Zuschreibung jedoch tatsächlich angemessen, gilt dieser jemand in dieser Bedeutung des Begriffs zugleich als ein moralischer Akteur. Die Konstituierung als moralischer Akteur durch den Ausdruck „ist verantwortlich“ stellt jedoch im praktischen Regelfall keine Zuschreibung dar, welche von Handlung zu Handlung neu entschieden wird. Bewährt sich jemand als moralischer Akteur, d.h. die Zuschreibung von Verantwortung1 ist mit Bezug auf diesen Menschen im allgemeinen akzeptabel, impliziert nun diese Zuschreibung auch die Erwartung, dass in der Regel dieser jemand auch in vergleichbaren Situationen für sein Handeln verantwortlich ist. Die umfassende, konstituierende Verwendungsweise des Begriffes Verantwortung1 lässt sich demnach als die (zugeschriebene) Fähigkeit verstehen, verantwortlich für eine Handlung sein zu können (und durch eigene oder externe Zuschreibung auch tatsächlich zu sein), sowie (bei entsprechender praktischer Evidenz) zugleich in moralischer Hinsicht zurechnungsfähig zu sein, wobei das Gegenteil hier in der Beschreibung als „nicht verantwortlich sein“ seinen Ausdruck findet.

2.2.2. Die evaluierende Bedeutung des Verantwortungsbegriffs

Der Begriff einer Verantwortung2 findet hingegen konkrete Anwendung innerhalb jener Kontexte und Situationen, wo es um moralische Erwartungen und Handlungsbewertungen geht. Aus diesem Grund kann man ihn in einer spezifischen Bedeutung des Begriffes als moralisches Urteil[6] charakterisieren. Diese Sinndimension findet u.a. ihren Ausdruck in Peter Strawson‘s Grundlage von Verantwortung als ‚reactive attitudes‘:

„We should think of the many different kinds of relationship we can have with other people - as sharers of a common interest; as members of the same family; as colleagues; as friends; as lovers; as chance parties to an enormous range of transactions and encounters. Then we should think, in each of these connections in turn, and in others, of the kind of importance we attach to these attitudes and intentions towards us, and of the kinds of reactive attitudes and feelings to which ourselves are prone.“[7]

Zentrales Merkmal dieser Bestimmung von Verantwortung2 ist vor allem die moralisch evaluierende Zuschreibung an Personen für das, was sie tun, getan haben oder möglicherweise tun werden. In diesem Sinn kann nicht bloß jemandem etwas zugerechnet werden, sondern er ist zugleich in einem moralischen relevanten Sinn einer richtigen oder falschen Art und Weise seines Handelns verantwortlich dafür. Er ist nicht einfach nur moralisch zurechnungsfähig, sondern er handelte entweder moralisch richtig oder falsch, seine Umsichtigkeit wird bspw. entweder gelobt oder sein langes Zögern vielleicht getadelt. In dieser evaluierenden Verwendungsweise ist der Hundebesitzer zwar einerseits ‚bloß’ verantwortlich für das Verhalten seines Hundes in dem Sinn, dass ihm die Verantwortung1 für das Verhalten seines Tieres zugeschrieben wird - aber er muss sich damit zugleich dem moralischen Vorwurf seines verantwortungslosen (oder möglicherweise auch verantwortungsvollen) Umganges mit ihm stellen. Er ist verantwortlich dafür, was er seinem Hund beibringt und wie er mit ihm umgeht. Mit anderen Worten, wirft man jemandem Verantwortungslosigkeit vor, ist damit im allgemeinen gerade nicht Unzurechnungsfähigkeit (fehlende Verantwortung1) gemeint, sondern eine abwertende Charakterisierung der Art und Weise der ausgeführten Handlung (Verantwortung2) ausgedrückt.

Die Verwendungsweise von Verantwortung2 als moralische Bewertungen kann man mit dem Verweis auf das Begriffspaar „verantwortlich vs. un verantwortlich“ weiter verdeutlichen. Im Gegensatz zur ersten, konstituierenden Sinndimension lässt sich hier der Gebrauch von ‚unverantwortlich‘ als Charakterisierung eines handelnden Individuums nicht mit moralischer Neutralität erfassen, sondern stellt genau ein negatives Urteil über die Art und Weise einer ausgeführten Handlung durch einen Akteur dar. Die Charakterisierung als ‚nicht verantwortlich‘ beschreibt hingegen vorerst neutral den Status des Akteurs bezüglich moralischer Urteile - man würde sagen, wenn jemand für seine Handlung nicht verantwortlich ist, kann man ihm dafür auch keinen Vorwurf machen.

Die Unterscheidung zwischen Verantwortung1 und Verantwortung2 greift damit eine Intuition auf, welche in ähnlicher Weise von H. Schnädelbach für den Begriff des Rationalen vorgeschlagen wurde:

„Der engere und weitere Sinn von >rational< werden deutlich unterscheidbar, wenn man den Gebrauch dieses Prädikats einmal von dem seines Gegenteils her beleuchtet […]. Einmal bezeichnet es das Nichtvernünftige, Vernunftfremde oder Vernunftlose, zum anderen das Unvernünftige, Widervernünftige, Vernunftfeindliche. Je nachdem, von welchem Gegenteil des Rationalen die Rede ist, wird das Rationale selbst [...] verschieden akzentuiert, und so treten der weitere und der engere Sinn des Prädikats >rational< deutlich hervor [...]. Das Prädikat >rational1< ist weiter als das Prädikat >rational2<, weil sein Gebrauch die Möglichkeit eröffnet, das andere sinnvoll zu gebrauchen.“[8]

Dabei ist die indizierte Grenze zwischen den angegebenen Verwendungs­weisen in unserem kommunikativen Alltag keineswegs so trennscharf. Dennoch kann man sich an einem Beispiel wie der öffentlich geführten Diskussion über den Umgang mit einem entlaufenen Braunbär intuitiv klar machen, dass die zuständigen Behörden im Kern um eine Verantwortung1 stritten, während die Presse versuchte, einen Begriff von moralischer Verantwortung2 dagegen ins Feld zu führen. Durch die unterschiedliche Verwendung des Begriffes Verantwortung hinsichtlich seiner konstituierenden und seiner evaluierenden Bedeutung entstand bei dieser Diskussion schnell der Eindruck, es werde entweder von unterschiedlichen Bären oder von unterschiedlichen Sachverhalten überhaupt gesprochen[9].

Dieses Beispiel zeigt zugleich, dass Verantwortung insgesamt in praktischer Hinsicht nicht nur moralisch neutral verstanden werden kann. Zwar ist es richtig, im einzelnen Fall eine Einigung über die Zurechnung einer Handlung zu einem Handelnden zu ermöglichen, ohne damit zugleich eine Einigung über die moralische Richtigkeit oder Falschheit dieser Handlung zu fordern. Diese moralische Neutralität im Hinblick auf Verantwortung unterminiert jedoch die fundamentale Bedeutung von Verantwortung als einer Grundlage moralischer Bewertung - denn ‚verantwortlich sein‘ und jemanden ‚für die Art und Weise seines Handelns verantwortlich machen‘ lassen sich nur im Zusammenhang vollständig erklären. Wie sich dabei das Abhängigkeitsverhältnis beider Verwendungsweisen des Verantwortungsbegriffes genauer explizieren lässt, bleibt an dieser Stelle eine offene Frage.

Folgt man diesem Vorschlag einer Differenzierung des Begriffes Verantwortung bezüglich seiner Verwendungsweise, wird vielleicht die angesprochene Unklarheit bei der Frage, was denn gemeint ist, wenn man von Verantwortung spricht, deutlicher. Die Unterscheidung zwischen Verantwortung1 und Verantwortung2 greift in bestimmter Hinsicht die vorgeschlagene Trennung zwischen dem Aspekt ‚verantwortlich sein‘ und dem Bewertungsaspekt wieder auf. Diese Trennung ist zunächst deswegen von Bedeutung, weil unser Alltag mitunter einen Konsens über das Vorliegen einer bestimmten Verantwortung erfordert, ohne zugleich damit zu behaupten, alle diesem Vorliegen zustimmenden Leute würden bezüglich dieser Verantwortung moralisch gleiche Urteile fällen. Dennoch bleibt Verantwortung als ein Begriff ohne dessen evaluierende Bedeutungskomponente letztlich unverständlich. Auch wenn im folgenden der Begriff von Verantwortung1 als moralische Zurechnungsfähigkeit mit ihrer dargestellten konstituierenden Wortbedeutung im Zentrum dieser Arbeit stehen wird, ist der evaluierende Aspekt dabei zunächst nur zurück gestellt. Es wird sich zeigen, dass gerade mit Blick auf unseren Alltag immer wieder die Frage nach einer Schuldigkeit gestellt wird, wenn von Verantwortung die Rede ist. Vorrangiges Ziel ist es jedoch, die allgemeinen Grundlagen eines tragfähigen Konzeptes von Verantwortung zu erhellen, wodurch die umfassendere Bedeutung als formale Charakterisierung verantwortlicher Akteure mitsamt ihres theoretisch vorgängigen Charakters eine besondere Stellung einnimmt.

2.3. Der Gegenstand von Verantwortung

Deswegen soll im Hinblick auf den hier vertretenen Zusammenhang zwischen Verantwortung und Wahrheit nachfolgend vor allem die begriffliche Bedeutung von Verantwortung1 im Zentrum der Überlegungen stehen. Um einem angemessenen Verständnis dieses Begriffes besser Rechnung zu tragen, scheint es naheliegend, die zugrunde liegende Struktur des Gebrauchs ein wenig zu erhellen. Dabei lassen sich zwei zentrale Momente unterscheiden. Erstens besteht in aller Regel eine Verantwortung als ‚Verantwortung für etwas ‘, wobei dieses ‚etwas‘ den Gegenstand der Verantwortungszuschreibung anzeigt[10]. Zweitens offenbart die Struktur des Wortgebrauchs, wie bereits angedeutet, immer einen Träger oder moralischen Akteur für eine konkrete Verantwortung - jemand ist verantwortlich oder trägt eine Verantwortung. Beide Momente sind für ein Verstehen der Bedeutung eines Verantwortungsbegriffes fundamental und sollen aus diesem Grund eingehender analysiert werden.

Für was kann man also Verantwortung haben? Es bietet sich an zu antworten: ‚für das, was man tut und sagt‘ - damit sind die Handlungen in einem weiten Wortsinn[11] angesprochen, also jene bereits allgemein genannten Interaktionen, wo ein Verantwortungsträger mit Absichten in der Welt agiert und mit ihr interagiert. In der Tat bilden Handlungen einen grundlegenden Gegenstand von Verantwortungszuschreibung, denn auch Sätze wie ‚Ich habe die Verantwortung für mein Haustier.‘ oder ‚Ich bin für das Personal verantwortlich.‘ lassen sich durch den trivialen Verweis auf die damit verknüpften einzelnen Tätigkeiten wie Füttern oder beispielsweise das Leiten von Schulungen insgesamt auf Handlungen zurückführen.

Doch in vielen Fällen unserer Praxis geht es um Verantwortung auch dort, wo gerade jemand etwas nicht getan hat oder in einem wichtigen Moment schwieg, anstatt etwas Relevantes zu sagen. In diesen Fällen sind es Unterlassungen, welche den Gegenstand der Verantwortung bilden. Sie sind in bestimmter Hinsicht die Kehrseite von Handlungen und werden gerade aufgrund dieses Charakters zur Beurteilung herangezogen. Aufgrund ihrer offensichtlichen Verknüpfung mit dem Begriff der Handlung können wir diese Fälle auch als eine Variante der Handlung als Gegenstand von Verantwortung auffassen. Dadurch gewinnt auch die einleitende Überlegung der handelnden Interaktion als Möglichkeit der Gestaltung erneut an Plausibilität.

Unter Berücksichtigung der Zeitdimension in Aussagen wie ‚Er ist für das Gesagte verantwortlich.‘ oder ‚Dadurch wird sie in Zukunft Verantwortung übernehmen müssen.‘ rückt ein weiterer Gegenstand von Verantwortung in den Blick, den wir als Konsequenzen beschreiben. Gewiss wird Verantwortung oft gerade im Zusammenhang mit den tatsächlichen Folgen oder möglichen Konsequenzen unseres Redens und Handelns in zeitlicher Perspektive erst verständlich. Auch wenn diese Perspektive einige Schwierigkeiten[12] bei der Klärung des Verantwortungsbegriffes beinhaltet, welche hier unbehandelt bleiben müssen, ist auch in dieser Hinsicht die Handlung das zentrale Moment des Verantwortungsgegenstandes. Die Zurechnungsfähigkeit eines handelnden Akteurs ist u.a. davon bestimmt, inwieweit er sich in seinem Handeln auch über die involvierten Konsequenzen klar ist.[13]

Grund hierfür ist die Notwendigkeit des Zeitaspektes bei einer Handlung, welche die fragliche Verantwortung erst verständlich macht. Eine Handlung beinhaltet stets eine Dimension der Zeit, welche sich nicht nur auf die Ausführung beschränkt, d.h. die Handlung ist nicht ohne ein zeitliches Moment, einen Verlauf in der Zeit möglich. Dadurch sind Handlungen u.a. mit ihren Folgen verknüpft, und es ist letztlich die Handlung selbst, welche angesichts ihrer Konsequenzen zum Gegenstand von Verantwortung wird. Ebenso wie Unterlassungen eine besondere Art von Handlung darstellen, ist die Handlung insgesamt nicht ohne ihre Konsequenzen angemessen zu verstehen. Im Falle einer Berücksichtigung von Konsequenzen kann man also auch von einer Handlung als Bezugspunkt von Verantwortung sprechen.

Von besonderer Problematik bei der Beantwortung der Frage, wofür man verantwortlich sein kann, ist der Fall von Zuschreibung von Verantwortung für bestimmte Überzeugungen und Meinungen. Wir sprechen dann von Verantwortung für Dispositionen, wobei Sätze wie ‚Sie ist für ihre Einstellung selbst verantwortlich‘ oder ‚Seine politische Gesinnung ist völlig unverantwortlich‘ geäußert werden. Auf den ersten Blick erscheint hier ein innerliches, persönliches Moment zum Gegenstand von Verantwortung zu werden. Auch wenn hier evaluierende Begriffsbedeutungen vorrangig sind, soll an dieser Stelle eine Antwort wenigstens knapp angedeutet werden[14].

Im Zentrum steht Auffassung, auch bei diesem Teil praktischer Verantwortungszuschreibung handelt es sich um einen gewissermaßen komplexen Fall der Beurteilung von Handlungen einer Person. Ausschlaggebend ist hierbei der Gedanke, dass alle Gesinnungen, charakterlichen Prägungen, Wünsche und Überzeugungen nur im Modus des Sprechens und Handelns zum Gegenstand der Verantwortung werden. Es besteht zumindest Anlass zur Vermutung, dass zwar zum begründenden Verstehen einer Handlung oft eine zugrunde liegende Überzeugung oder Gesinnung herangezogen wird, doch es letztlich die Handlung und Äußerung einer Person selbst ist, die hier nach Verantwortung beurteilt wird. Diese Vermutung mag sich als unbegründet erweisen. Sagt man jedoch, jemand sei beispielsweise für seinen Charakter verantwortlich, heißt das dann nicht, jemand sei für den Umgang (das heißt seine Handlungen) mit sich und den anderen verantwortlich, sowie für die ständige Stellungnahme zu sich und anderen, die wiederum nur als handelnder Vollzug verständlich ist? Offensichtlich hängt viel einer Beantwortung dieser Frage von dem Status ab, mit dem man Dispositionen allgemein kennzeichnet.

Was ist jedoch gemeint, wenn von einer Verantwortung für unser Sein die Rede ist, wie dies beispielsweise Hans Jonas in seinem Buch „Das Prinzip Verantwortung“ vorschlägt? In diesem Wortgebrauch wird der Gegenstand von Verantwortung in einem zunächst spezifisch philosophischen Sinn beschrieben. Er bezieht sich auf einen Zustand von uns als reflektierenden Wesen, wobei wir stets in einem Zusammenhang zwischen unserem leiblichen Dasein und der Existenz einer uns umgebenden Welt stehen, die wir verändern und die uns verändert. Aus diesem Grund bleibt auch hier der grundlegende Bezug zur Handlung als Verantwortungsgegenstand erhalten, denn dieses Sein ist so beschrieben als etwas, was wir tätig gestalten: „Der Modus (...) ist Erhaltung durch Tun.“[15]. Die zentrale Überlegung ist dabei, dass es die angesprochene Möglichkeit zur Interaktion in und mit der Welt ist, welche eine Verantwortung für diese Form des Seins erst notwendig macht. Um jedoch dem Ansatz von Jonas annähernd gerecht zu werden, sei an dieser Stelle vorerst nur erwähnt, das seine Bestimmung durch die Momente von zukünftig möglichen Konsequenzen sowie ethisch determinierenden Handlungsfaktoren viel weiter gefasst wird, als es der hier verfolgte Zusammenhang darstellen kann. Sie wird jedoch in der Diskussion um die Bedeutung der zentralen These dieser Arbeit erneut von Wichtigkeit sein.

Fasst man die ersten strukturellen Überlegungen zu möglichen Gegenständen von Verantwortung zusammen, zeigt sich vor allem durch unserem Wortgebrauch eine Verknüpfung mit Handlungen, Unterlassungen, Konsequenzen, Dispositionen sowie unserem Dasein. Auch wenn diese Überlegungen einen eher skizzenhaften Überblick bilden, lässt sich bei genauerem Hinsehen die Handlung als grundlegendes Moment von Verantwortungszuschreibung auszeichnen. So legt die Vielzahl der Ausdrucksmöglichkeiten von Verantwortung zwar verschiedene Gegenstände nahe, doch bleibt die einzelne Handlung mit ihrem Zeitaspekt zentral im Verständnis dessen, wofür man verantwortlich sein kann. Aus diesem Grund soll im weiteren Verlauf die Handlung als primär relevanter Gegenstand von Verantwortung behandelt werden[16].

2.4. Der Träger von Verantwortung

Das zweite Moment in der Struktur der Verwendung des Begriffes Verantwortung bezieht sich auf den Träger oder auch Kandidaten von Verantwortung. Die zugrunde liegende Frage lautet dabei: ‚Wer kann verantwortlich sein?‘. Auch hier lassen sich zunächst unterschiedliche Antworten in unserem Sprachgebrauch auffinden. ‚Jemand muss doch dafür verantwortlich sein!‘, ‚Wir alle müssen mehr Verantwortung übernehmen.‘ sowie ‚Der fehlende Regen ist für die Dürre verantwortlich.‘ ließen sich als Beispiele anführen. Die erste Bestimmung der konstituierenden Bedeutung von Verantwortung1 als einer Zurechnungsfähigkeit deutete jedoch bereits an, das diese Fähigkeit offensichtlich nicht allem und jedem zukommt, denn sie wird unter bestimmten noch zu klärenden Voraussetzungen erst zugeschrieben.

Im grundlegenden Fall sind es Individuen, die eine Handlung ausführen. Wenn man bei der Handlung als Gegenstand der Verantwortung bleibt, bietet es sich an, auch den Ausführenden dieser Handlung als Träger von Verantwortung zu charakterisieren. Allerdings grenzt bereits der Handlungsbegriff in einer Hinsicht den Begriff eines Individuums ein - denn Handlungen sind etwas, das in der Regel nur Menschen zugeordnet wird. Es ist dabei zunächst das Verständnis des Charakters einer Handlung als „[...] zielgerichteter [...] Eingriffe in eine Welt existierender Sachverhalte.“[17], welche diese Zuschreibung bestimmt. Nun verhalten sich zwar auch viele Tiere zielgerichtet (z.B. bei der Nahrungssuche), aber eine Handlung wird in Abgrenzung hierzu als intentionales Verhalten derart charakterisiert, dass dabei die Begründbarkeit bzw. Verstehbarkeit der Handlung eine konstitutive Rolle spielt. Diese Begründbarkeit ist als prinzipielles Moment zu verstehen, welches zugleich Gewohnheiten und Alltagsroutinen, aber ebenso auch spontane Handlungen einschließt. Inwiefern die interne oder externe Begründungsfähigkeit dabei eine vordergründige Rolle einnimmt, ist eine offene Frage, dennoch bleibt eine Handlung als intentionales und zugleich begründbares Verhalten vorerst nur im Hinblick auf die spezifisch menschliche Interaktion mit der Welt verständlich.[18]

Wenn es einzelne Menschen sind, denen man für gewöhnlich Verantwortung zuschreibt, bleibt die Frage nach dem Sinn des Satzes ‚Der fehlende Regen ist für die Dürre verantwortlich‘ ungeklärt. Doch auch an dieser Stelle bietet es sich an, aufgrund einer weitgefassten Bedeutung von Ursachen von einem abgeleiteten Wortgebrauch zu sprechen. Der fehlende Regen ist in diesem Gebrauch die Ursache für die Dürre, allerdings nicht als etwas Aktives oder gar eine intentional agierende Entität, sondern in dem banalen Zusammenhang einer kausalen Verursachung. Eben weil wir mit dem Wort Ursache sowohl objektiv-kausale Sachverhalte als auch subjektiv-tätige Eingriffe ausdrücken können, lassen sich abgeleitete Verwendungsweisen des Verantwortungsbegriffes erst verständlich machen.

Behält man den Fall menschlicher, individueller Verantwortung als primäre Zuschreibungsgrundlage im Auge, stellt sich anschließend die Frage, ob alle menschlichen Individuen zum Kandidaten von Verantwortung werden können. Intuitiv möchte man diese Frage vielleicht positiv beantworten, doch zeigt unsere alltägliche Praxis, das wir offenbar nicht jedem Menschen eine gleiche Verantwortung zuschreiben. Kleine Kinder und sehr alte Menschen werden mindestens in juristischer Hinsicht nur eingeschränkt verantwortlich für ihr Handeln gemacht, bei schweren psychischen Störungen oder Gehirnerkrankungen sprechen wir oftmals die Verantwortung dem Individuum sogar ab. Es mag zunächst offen bleiben, inwiefern auch moralische Zurechnungsfähigkeit unter Berücksichtigung von Alter und Wissen eine grundsätzliche Differenzierung erfährt. Klar scheint jedoch, dass die Auffassungen, welchem menschlichen Individuum im Einzelfall Verantwortung zugeschrieben werden kann (und darf), höchst kontrovers[19] sind. Dies zeigt sich u.a. an dem weitgefächerten Spektrum von Handlungsbeschreibungen, das von unbewusstem Agieren über fahrlässiges Verhalten bis zum Affekt reicht, wobei verschiedene relativierende Umstände wie Drogeneinfluss und äußerer Zwang noch gar nicht in den Blick genommen werden.

Dieser Punkt einer Suche nach allgemeinen Kriterien für die Zuschreibung von Verantwortung wird im folgenden Kapitel noch eingehend untersucht werden, um den Zusammenhang zwischen Verantwortlichkeit und den Handlungen deutlicher zu machen. Daneben bildet Kapitel 3.4. dieser Arbeit eine gesonderte Betrachtung der Beziehung zwischen Verantwortung und dem handelnden Individuum. Aus diesem Grund soll an dieser Stelle zunächst nur die These eingeführt werden, das es in aller Regel diejenigen menschlichen Individuen sind, die wir mit dem Begriff der Person beschreiben, welche in vollem Unfang Verantwortung tragen können. Aber welche Gründe gibt es für diese These?

Augenscheinlich ist zumindest im juristischen Diskurs der Status der Rechtsfähigkeit (und damit der Zuschreibung von rechtlicher Verantwortung) eng mit dem Begriff der Person verbunden.[20] Die Frage, ob jemand für eine ausgeführte Handlung zur Verantwortung gezogen werden kann, wird in diesem Kontext auf die Bedingung zurückgeführt, dass dieser jemand als eine Person im rechtlichen Sinn charakterisiert werden kann. Primär verbindet sich mit dieser Verknüpfung von rechtlicher Verantwortung und dem Status der Person vor allem eine Abgrenzung zu ‚Sachen‘ als Auslöser von Umständen in der Welt. Doch diese Verknüpfung wird komplizierter, wenn es eben um jene bestimmten Bedingungen gehen soll, welche den Begriff der Person als spezifisch menschliches Kriterium positiv akzentuieren.

Des weiteren ist die Einschränkung auf den rechtlich relevanten Teil von Verantwortung eher formeller Struktur, die sich bei der Frage nach der konstituierenden Bedeutung von Verantwortung für und in moralischen Kontexten als zu eng erweist. Hier ist es notwendig, den Begriff der Person in Anwendung auf menschliche Individuen genauer zu bestimmen, um Gründe für die These anzugeben, dass in der Regel Personen als Kandidaten für Verantwortung relevant sind. Dabei ist von besonderer Bedeutung, wie das Verhältnis zwischen menschlichen Individuen und Personen im Einzelnen aussieht und ob es nicht bestimmte Eigenschaften sind, welche den Status der Person in besonderer Weise kennzeichnen. Darüber hinaus bedarf es auch einer Erklärung jener Eigenschaften als tatsächliche Fähigkeiten oder bloßes Potenzial, welche die Frage um die Bedingungen des Personenstatus impliziert.

Im hier zu erläuternden Zusammenhang zwischen Verantwortung und Wahrheit wird nachfolgend die Ansicht vertreten, nur menschliche Individuen können zunächst und zugleich Personen sein[21], indem sie diesen Status (der allerdings in allen relevanten Einzelheiten hier nicht gesondert behandelt werden kann) innerhalb einer Gemeinschaft mit anderen Personen erhalten. Allerdings ist diese Zuschreibung nicht unabhängig von bestimmten Fähigkeiten aufzufassen, sondern vielmehr an die tatsächliche Fähigkeit des jeweiligen Individuums gebunden, seinen Status als Person auch durch seine Handlungen zum Ausdruck zu bringen. So mag auch ein kleines Kind oder ein psychisch erkrankter Mensch das Potenzial für bspw. Verantwortung besitzen, welches mit Personen in Verbindung steht, man nivelliert jedoch im Regelfall die Verantwortungszuschreibung aufgrund von vorhandenen Einschränkungen der Fähigkeit, diesem Potenzial auch handelnd Ausdruck zu verleihen. Man spricht in einem solchen Fall auch von der (zumindest bisher beobachteten) Unfähigkeit, die ‚volle‘ Verantwortung zu tragen. Entscheidend ist dabei, dass es zunächst in dieser Perspektive keiner Relativierung des Begriffes Person bedarf, um verschiedene Grade von Verantwortung differenzieren zu können.[22]

Diese zunächst nur grob angedeutete Ansicht ist sicherlich nicht unkontrovers. Es gilt hier zu zeigen, wie plausibel eine alternative Lesart sein kann, welche von der umgekehrten Prämisse ausgeht, gerade die Fähigkeit, Verantwortung zu erkennen und unter ihren Vorzeichen handeln zu können, bestimme erst die Beschreibung einer Person. In dieser Perspektive ist es nicht der Personenstatus, welcher eine Bedingung für eine volle Zuschreibung von Verantwortung an ein menschliches Individuum darstellt. Vielmehr wird die Fähigkeit, Träger von Verantwortung zu sein zu können, hier als eine konstitutive Prämisse für den Personenstatus aufgefasst.

Diese Lesart hätte aber gravierende Einschränkungen des Gebrauchs unseres Begriffes Person zur Folge, denn dann würde man alte oder psychisch erkrankte Menschen bspw. nicht mehr als eine Person charakterisieren, ebenso wenig wie Kinder. Des weiteren würde die Tatsache eines zeitweiligen Verlustes der Fähigkeit zur Verantwortungsübernahme zugleich bedeuten, in dieser Zeit keine Person mehr zu sein. Diese Konsequenzen erscheinen jedoch schwer nachvollziehbar vor dem Hintergrund eines alltäglichen Verständnisses des Personenbegriffs. Wenn dieses Verständnis impliziert, dass man den Status Person zwar in komplexer Weise definieren kann, aber nicht in Abhängigkeit von der Fähigkeit, verantwortlich handeln zu können, beliebig zu- oder abgesprochen bekommt, kann die alternative Lesart nicht wirklich plausibel sein.

Diese Überlegung zeigt jedoch zugleich, welcher enge Zusammenhang zwischen den beiden Begriffen besteht, wenn nach dem Träger von Verantwortung gefragt wird. Indem man auf die Verantwortung eines handelnden menschlichen Individuums verweist, kann man dieses Individuum gelegentlich dadurch mit Recht als eine Person charakterisieren, die als vollwertiger Teilnehmer an sozialen und moralischen Interaktionen Geltung erfährt. In diesen Fällen lässt sich auch von einer wechselseitigen Bedingtheit der Konzepte ‚Person‘ und ‚Verantwortung‘ sprechen, ohne zugleich in den Verdacht eines Zirkels zu geraten. Denn der Personenstatus bleibt zunächst abhängig von der Bestimmung weiterer spezifischer menschlicher Eigenschaften wie bspw. Wertebezogenheit, Rationalität oder Kommunikation, und damit zugleich grundlegend im Zentrum der Antwort auf die Frage: ‚Wer kann verantwortlich sein?‘. Eine ähnliche Auffassung findet sich ebenfalls in der Einleitung einer Sammlung von Artikeln zur aktuellen Debatte um moralische Verantwortung: „An important difference between persons and other creatures is that only persons can be morally responsible for what they do.“[23] . Aus den bisher kurz dargestellten Gründen soll die These, in aller Regel sind es Personen, welche als Träger von Verantwortung in Frage kommen, nachfolgend vertreten werden.

Nun kann man die Ergebnisse der Überlegungen zum zweiten Moment der Struktur unseres Gebrauchs des Verantwortungsbegriffes noch einmal zusammen fassen. Eine erste Betrachtung verschiedener Kandidaten von Verantwortung ergab die grundlegende Orientierung an einzelnen handelnden Individuen, welche Verantwortung für ihre Handlung übernehmen können (und sollen). Davon ließen sich Verwendungen hinsichtlich kausaler Verantwortungsträger ableiten, die jedoch hier unberücksichtigt bleiben. Die nähere Betrachtung individueller Kandidaten für Verantwortung ergab zwei Einschränkungen. Erstens sind es im Normalfall einzelne Menschen, mit denen man die Fähigkeit zur Verantwortung verbindet (letztlich aufgrund ihrer Möglichkeit zu handeln), und zweitens ist es der Begriff der Person, welcher unter verschiedenen, noch weiter zu analysierenden Gesichtspunkten eng mit dem gewöhnlichen Verständnis von Verantwortung verknüpft ist. Während diese Analyse am Ende in Form eines knappen Exkurses erfolgen soll, geht es im folgenden dritten Kapitel um eine nähere Bestimmung der Bedingungen, unter welchen man von Verantwortung in Bezug auf Handlungen sprechen kann. Dabei werden einige bereits angedeutete Problemfelder erneut aufgegriffen und in erhellender Absicht vertieft.

3. Verantwortung für Handlungen

3.1. Die Bedingung der Freiheit für die Zuschreibung von Verantwortung

Es wurde bereits in der ersten Bestimmung des Verantwortungsbegriffes angedeutet, dass unser Verständnis in irgendeiner Weise mit der Möglichkeit einer Interaktion zwischen Individuum und Welt zusammenhängt. Diese Möglichkeit soll nun im Folgenden näher untersucht und mit Blick auf Handlungen präzisiert werden. Einen guten Ausgangspunkt bilden die Überlegungen des Aristoteles, welcher sowohl den „[...] Mensch [als den] Ausgangspunkt der Handlungen [...]“[24] begriff, als auch eine bestimmte Freiheit im Sinne einer Freiwilligkeit bei zu treffenden Entscheidungen, „[...] da eine Entscheidung gegen eine andere Möglichkeit vorliegt [...]“[25] implizierte. Genauer lässt sich sein Verständnis verdeutlichen, wenn man folgende Ausführungen berücksichtigt: „Allgemein gesagt, scheint sich die Entscheidung auf das zu beziehen, was in unserer Gewalt ist [...] Denn die Entscheidung geht mit Denken und Überlegung zusammen. Auch der Name scheint anzudeuten, dass es sich um etwas handelt, das man vor anderem wählt“[26].

Es geht Aristoteles also offenbar um eine Freiheit bei Entscheidungen für oder gegen Handlungen, welche aus einem ‚Wählen - Können‘ resultieren. Inwiefern ist hier ein Bezug zur Verantwortung zu erkennen? Offensichtlich fällt es zumindest intuitiv recht schwer, Verantwortung für Handlungen denjenigen Personen zuzuschreiben, welche keine Entscheidungsmöglichkeit für oder gegen die Ausführung einer Handlung hatten, d.h. man beschreibt mit dem Satz ‚Sie hatte ja gar keine Wahl‘ das Eingeständnis, dass die betreffende Person im bestenfalls eingeschränkt verantwortlich ist. Das bedeutet, dass die Umstände, unter welchen eine Entscheidung zu einer Handlung führte, in die Zuschreibung einer Verantwortung mit einbezogen werden. Und es sind diese Umstände, unter denen ein ‚Wählen - Können‘ möglich sein soll, welche Aristoteles bei seiner Charakterisierung im Blick hatte, als er von der Freiwilligkeit bei Entscheidungen sprach. Wenn also Handlungen den Gegenstand von Verantwortung bilden, sind die Grundlagen und Umstände dieser Handlungen näher zu untersuchen, um zu einem Verständnis des Bezuges zwischen Freiheit und Verantwortung zu gelangen[27].

In Peter Strawsons einflussreichem Essay „Freedom and Resentment“ wird Freiheit zunächst in ähnlicher Bestimmung als die Abwesenheit einschränkender Umstände bei der Entscheidung und Ausführung von moralisch relevanten Handlungen bestimmt. „But what ‚freedom‘ means here is nothing but the absence of certain conditions [...]“[28], wobei für ihn darunter bspw. körperliche oder geistige Unfähigkeit, Wahnsinn, extreme äußere Zwänge oder auch schlichte Unmöglichkeit, eine alternative Handlung auszuführen zu verstehen sind. Daneben lässt sich diese Aufzählung durch eine Reihe von weiteren einschränkenden Faktoren wie Unfälle, Ignoranz oder unabsichtlichen Fehlern ergänzen. Komplementär hierzu spricht Strawson auch von „[...] a genuinely free identification of the will with the act.“[29], d.h. eine Person tat genau das, was sie tun wollte, weil eben oben aufgezählte Einschränkungen nicht vorlagen.

Mit der Identifizierung des Willens mit der Handlung ist hier gemeint, dass eine Person, die eine Entscheidung traf, wusste, was sie tun will und ebenfalls ihre Gründe dafür hatte. Strawson erklärt diesen Sinn von Freiheit an anderer Stelle auch als „[...] the agent‘s behaviour shall be intelligible in terms of conscious purposes rather than in terms only of unconcious purposes.“[30]. Mit anderen Worten kann man vorerst den hier relevanten Begriff der Freiheit in Bezug auf die Zuschreibung von Verantwortung in dem zwar recht groben, jedoch allgemeinverständlichen Sinn eines ‚in der Lage sein, das zu machen, wofür man sich unter gegebenen Umständen entschieden hat‘, angeben[31]. Doch reicht diese Bestimmung für unsere Verantwortungspraxis tatsächlich schon aus, ist damit der hier relevante Freiheitsbegriff schon adäquat beschrieben?

Verschiedene tiefergehende Zweifel, vor allem bezüglich der Grundlagen von Entscheidungen an jenem Alltagsverständnis von Freiheit, bleiben bestehen, die sich zunächst unter der philosophischen Position des Determinismus[32] zusammenfassen lassen. In der hier zentralen Variante geht es dabei um die skeptisch fundierte These, alle unsere Entscheidungen und daraus resultierenden Handlungen könnten nicht frei getroffen worden sein (oder werden können), d.h. die Vorstellung eines freien Willens einer Person, welche jenes angesprochene Denken und Überlegen zur Entscheidungsfindung anstellt und demgemäss zu handeln versucht, ist selbst eine mindestens unzutreffende Vorstellung. Wenn diese skeptische These wahr sein sollte, sind die Konsequenzen gravierend.

Ausgehend von den Einwänden, die durch diese Form des Determinismus bezüglich der Annahmen von Freiheit in unseren alltäglichen Entscheidungen erhoben werden, haben sich zwei verschiedene Antworten herausgebildet, welche sich mit dem Begriff des Kompatibilismus bzw. Inkompatibilismus beschreiben lassen. Während die Kompatibilisten die Auffassung vertreten, die deterministischen Zweifel in Bezug auf unsere menschliche Freiheit ließen sich mit einem angemessenen Verständnis von Verantwortungszuschreibung vereinbaren[33] , bestreiten Vertreter des Inkompatibilismus diese Möglichkeit. Folgerichtig wird in dieser zweiten Perspektive argumentiert, unsere Verantwortungspraxis wäre aufgrund einer bisher irrigen Annahme (Es gäbe nämlich einen freien Willen oder mindestens eine freie Entscheidung) ihrer Rechtfertigung beraubt, d.h. die Vorstellung einer Person mit allen ihren Einstellungen und moralischen Überzeugungen, sich selbst sowie andere für verantwortlich zu halten, muss aus diesem Grund auf die eine oder andere Art und Weise mindestens modifiziert, wenn nicht aufgegeben werden.

Es lassen sich an dieser Stelle nicht alle Facetten dieser Auseinandersetzung zwischen den Befürwortern und Gegnern dieser Position einerseits und den Begründungen für die Rechtfertigung einer Verantwortungspraxis auf beiden Seiten andererseits detailliert ausführen, doch die formulierte Herausforderung an ein Verständnis von Verantwortung im Zusammenhang mit Freiheit scheint zwei zentrale Momente zu besitzen. Erstens ist die bisher gegebene Bestimmung einer Freiheit vielleicht tatsächlich unzureichend bezüglich ihrer rechtfertigenden Kraft, denn es ist einleuchtend, dass man im Falle einer Handlung nach dem ‚in der Lage sein‘ prinzipiell fragen kann. Sollten also möglicherweise Bedingungen vorliegen, die unsere diagnostizierten „reactive attitudes“[34] als fremdbestimmten und extern gesteuerten Ausdruck von Verantwortung charakterisieren lassen, sind in der Tat die beschriebenen Konsequenzen folgerichtig. Die bisher gegebene Bestimmung von Freiheit lässt diese Möglichkeit durchaus zu.

Zweitens gewinnt die inkompatibilistische Herausforderung eine besondere intuitive Kraft durch die Beobachtung von alltäglichen Inkonsistenzen in einer bestimmten Beschreibung von uns selbst als Menschen sowie unserem gewöhnlichen Verständnis von Entscheidungen und einer darin involvierten Freiheit. Zwei prägnante Fälle lassen sich hier angeben. Zum einen scheint unkontrovers, dass eine Person im Laufe ihrer Entwicklung unzähligen determinierenden Einflüssen unterliegt, die biologischer, sozialer, ökonomischer und kultureller Art sind. „People do not make themselves to be the way they are.“[35] Anders ausgedrückt gibt es offensichtlich kein Problem mit dem banalen Eingeständnis, dass wir als menschliche Individuen innerhalb von sozialen Gemeinschaften in diesem bestimmten Sinn ziemlich exakt so sind, wie wir aufgrund jener vielfältigen Einflüsse ‚determiniert‘ wurden. Die Inkonsistenz oder besser scheinbare Paradoxie tritt nun durch den Umstand hervor, dass eine Person dennoch kein Problem verspürt, sich selbst irgendwie als frei entscheidendes und handelndes Wesen aufzufassen und sein grundlegendstes Selbstverständnis darauf gründen[36] .

[...]


[1] Diese Abgrenzung dient hier nur einer ersten groben Orientierung und wird unter dem Aspekt verschiedener Verwendungsweisen (Kap. 2.2) eingehender analysiert. Im Einzelnen ist dabei von besonderem Interesse, in welchem Verhältnis beide Aspekte zueinander stehen.

[2] Auf diese Erklärung wird allerdings kurz im Zusammenhang mit Verantwortung als moralisches Urteil verwiesen (Kap.2.2.2).

[3] Dieser begriffsgeschichtliche Hinweis findet sich unter dem Stichwort Verantwortung in: Metzler 1999, 627.

[4] Vgl. Kant in „Die Metaphysik der Sitten“: „Zurechnung (imputatio) in moralischer Bedeutung ist das Urteil, wodurch jemand als Urheber (causa libera) einer Handlung, die alsdann Tat (factum) heißt und unter Gesetzen steht, angesehen wird [...]“ Kant-Werke Bd. 17, XXIX.

[5] Diese Überlegung wird unter dem Aspekt von Handlungen als Gegenstand von Verantwortung (Kap. 2.3.) näher ausgeführt.

[6] Es ist wichtig, bei dieser Beschreibung von Verantwortung2 noch eine weitere Unterscheidung im Auge zu behalten. Einerseits verwenden wir den Ausdruck „verantwortlich“ direkt als moralisch positive Charakterisierung, andererseits beschreiben wir durch zahlreiche moralische Ausdrücke (verwerflich, lobenswert, bedauerlich, großartig usw.) indirekt Verantwortlichkeit. An dieser Stelle wird der direkte und der indirekte moralische Ausdruck von Verantwortung zusammengefasst, weil beiden eine moralische Beurteilungsdimension zugrunde liegt. Das Augenmerk liegt dabei sicherlich auf dem häufigeren Fall des indirekten Ausdrucks, vor dessen Hintergrund der direkte Wortgebrauch einen speziellen Fall moralischen Urteils bildet.

[7] P. Strawson, Freedom and Resentment (1963), in: Fischer/Ravizza 1993, 49.

[8] Schnädelbach 1992b, 94.

[9] Im Sommer 2006 entlief ein Braunbär namens Bruno in der Alpenregion zwischen Österreich und Deutschland. Während die Behörden damit beschäftigt waren, ihre Verantwortung wahrzunehmen und einer Gefahr durch das Verhalten des Tieres entgegen zu wirken, stilisierte die medial geführte öffentliche Diskussion eine emotional gefärbte Beurteilung über das ‚arme Tier‘ und bezeichnete den Umgang der Behörden als moralisch unverantwortlich.

[10] Eine weitere Möglichkeit der Beschreibung zeigt sich in einer ‚Verantwortung gegenüber etwas‘, wobei hier eine spezifisch moralische Dimension, insbesondere bei Fragen nach Schuld, von vornherein in den Blick genommen wird. An dieser Stelle soll es jedoch zunächst um die formalen Grundlagen unserer Verwendung von Verantwortung gehen, weswegen auf diese Beschreibung hier vorerst noch nicht eingegangen wird.

[11] In diesem weiten Wortsinn kann man das Äußern von Sätzen ebenfalls als eine spezielle Form von Handlungen auffassen, welche wir als Sprechhandlungen bezeichnen. Der Begriff der Handlung als Gegenstand von Verantwortung umfasst hier also auch das Sprechen.

[12] Insbesondere ist problematisch, von welcher Art die Konsequenzen sind bzw. wie sie beschrieben werden: vermeidbar oder unvermeidbar, kurz- oder langfristig, partiell oder universal. Unterschiedliche Beschreibungen führen offensichtlich zu unterschiedlichen Auffassungen von Verantwortung für diese Konsequenzen. Eine detaillierte Einführung findet sich in: Fischer/Ravizza 1998, Kap. 4.

[13] Dieser Punkt wird erneut von Wichtigkeit sein, wenn es um die Bedingungen geht, welche erfüllt sein müssen, um einen Akteur mit dem Status „verantwortlich für diese Handlung“ auszuzeichnen (siehe auch Kap. 3).

[14] Eine Bejahung der Frage, ob Dispositionen Gegenstand von Verantwortung sind, legen bspw. die Ausführungen von H. Jonas zu einem Prinzip Verantwortung nahe. Vgl. „Im Gegenteil muss der Täter nicht nur sein Tun, sondern auch die Überzeugung, die es ihm in diesem Lichte erscheinen lässt, verantworten.“ Jonas 1979 S. 211

Andererseits erscheint Verantwortung in dieser Konzeption selbst als eine Art von Disposition: „Und nun liegt es im Wesen unserer moralischen Natur, dass der Appell, wie die Einsicht ihn vermittelt, eine Antwort in unserem Gefühl findet. Es ist das Gefühl der Verantwortlichkeit.“ Jonas 1979, 162.

[15] Jonas 1979, 157.

[16] Diese Fokussierung des Gegenstandes von Verantwortung auf Handlungen hat vor allem methodische Gründe mit Hinblick auf Wahrheitsimplikationen in einem adäquaten Konzept von Verantwortung. Im Hintergrund dieser Perspektive steht dabei eine Analyse formaler Voraussetzungen für Verantwortung. Dabei muss vorerst die Frage nach bspw. der „Verantwortung gegenüber der Geschichte“ unbehandelt bleiben, ohne sie zugleich notwendigerweise auszuschließen.

[17] Habermas 1981, 30.

[18] Einen guten begrifflichen Einstieg in den Begriff der Handlung sowie in die hier behandelte Thematik insgesamt bietet M. Weber. Vgl. hierzu: „’Handeln’ soll dabei ein menschliches Verhalten [...] heißen, wenn und insofern als der oder die Handelnden mit ihm einen subjektiven Sinn verbinden. [...] Sinnhaftes, d.h. verstehbares, Handeln [...].“ Weber Gesammelte Werke, Soziologische Grundbegriffe, §1 ff.

[19] Die Kontroverse darüber, wann und inwiefern jemand verantwortlich ist für eine konkrete Handlung, offenbart dabei einen interdisziplinären Charakter. Gerichte müssen über die Zurechnungsfähigkeit angeklagter Subjekte entscheiden, medizinische Gutachten sollen klären, ob jemand in der Lage war, die Handlung auszuführen, Psychologen und Biologen befinden über die Bewusstheit einer Handlung für die Person, welche die Verantwortung übernehmen soll, Soziologen werfen kritisch biographische und gesellschaftliche Determinanten für Verantwortung in die Diskussion und Ökonomen schließlich versuchen, durch Funktionsbeschreibungen Verantwortung in Arbeitsverhältnissen zu konturieren. In jedem dieser Felder lassen sich dabei verschiedene strittige Positionen kennzeichnen, auf die jedoch hier nur hingewiesen werden kann.

[20] Vgl. bspw. die Ausführungen von Hegel in den Grundlinien der Philosophie des Rechts §36: „Die Persönlichkeit enthält überhaupt die Rechtsfähigkeit und macht den Begriff und die selbst abstrakte Grundlage des abstrakten und daher formellen Rechtes aus. das Rechtsgebot ist daher: sei eine Person und respektiere die anderen als Personen. in: Hegel - Werke Bd. 7, 91.

[21] Vgl. Bayertz 1995, 5ff.

[22] Dieser Gedanke wird erneut und vertiefend ausgeführt im Exkurs zu Verantwortung und Person (Kap.3.4.) Aus diesem Grund soll der skizzierte Zusammenhang hier eher einer ersten Orientierung im Verhältnis zwischen der Zuschreibung von Verantwortung und dem Status Person dienen.

[23] Fischer/Ravizza 1993, 4.

Vgl. auch I. Kant: “Person ist dasjenige Subjekt, dessen Handlungen einer Zurechnung fähig sind” in: Metaphysik der Sitten, Einleitung XXII.

[24] Aristoteles 1991, 157.

[25] ebd., 151.

[26] ebd., 155.

[27] Vgl. hierzu auch die Ausführungen von J.M. Fischer und M. Ravizza: „These conditions are „negative“ in the sense that they indicate two ways in which an agent can fail to be morally responsible: ignorance and force. These conditions can be traced back to Aristotle, and we shall call them the „Aristotelian“ conditions.“ Fischer/Ravizza 1998, 12.

[28] Strawson (1963) in: Fischer/Ravizza 1993, 46.

[29] ebd., 47.

[30] ebd., 61.

[31] vgl. Galen Strawson: „...freedom is nothing more than a matter of being able to do what one wants or chooses or decides or thinks right or best to do, given one‘s character, desires, values beliefs (moral or otherwise), circumstances, and so on.“ in: Fischer/Ravizza 1993, 90.

[32] insb. der neurobiologische Determinismus hat in letzter Zeit die These von der Unfreiheit unseres Willens und damit unserer Handlungen nachdrücklich vertreten. Vgl. hierzu G. Roth 2001.

[33] Innerhalb dieser Auffassung gibt es allerdings weitreichende Divergenzen über die adäquate Verbindung zwischen unserem Verständnis von Freiheit und dem Konzept von Verantwortung. Eine übersichtliche Darstellung der Diskussion zwischen verschiedenen kompatibilistischen Positionen bietet hierbei U. Pothast (Hg.) Seminar: Freies Handeln und Determinismus 1978

[34] Strawson (1963) in: Fischer/Ravizza 1993, 53. P. Strawson versteht unter diesem Begriff jene zahlreichen wechselseitigen Erwartungen, Einstellungen und Gefühle, die in allen Kontexten von (moralisch beurteilender) Verantwortung zwischen Personen entstehen.

[35] Galen Strawson in: Fischer/Ravizza 1993, 77.

[36] Galen Strawson beschreibt beispielhaft, welche Gedanken und Annahmen für jemanden folgen, der von der inkompatibilistischen Konsequenz für sein Selbstverständnis ausgeht, alle seine Entscheidungen seien auf die eine oder andere Weise determiniert, d.h. hier er wäre nicht Urheber von Entscheidungen: „For the sense of self he naturally has [...] is irremediably incompatible with any deep acceptance of the idea that all he is and does is determined. [...] The question may be completely unreal for him, so long as he concentratedly applies the thought of determinism to himself. [...] One cannot decide not to decide anything on the grounds that one cannot decide anything. [...] But this too will involve a decision - a decision to try to think nothing. So it will not really be his decision, in his view.” Das Dilemma dieses Gedankenexperiments legt nahe, wie grundlegend unser Selbstverständnis auf einer Vorstellung von Freiheit gegründet ist. in: Fischer/Ravizza 1993, 82ff.

Ende der Leseprobe aus 88 Seiten

Details

Titel
Verantwortung und Wahrheit
Hochschule
Humboldt-Universität zu Berlin  (Institut für Philosophie)
Note
1,6
Autor
Jahr
2007
Seiten
88
Katalognummer
V80135
ISBN (eBook)
9783638821810
ISBN (Buch)
9783638832717
Dateigröße
870 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Verantwortung, Wahrheit
Arbeit zitieren
Kai Lehmann (Autor:in), 2007, Verantwortung und Wahrheit, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/80135

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