Gibt es genuin politische neben den standardmäßigen ökonomischen Ursachen für Staatsverschuldung?


Hausarbeit (Hauptseminar), 2004

34 Seiten, Note: 1,0


Leseprobe


Inhalt

1 Einleitung

2 Staatsverschuldung: Definition und ökonomische Ursachen
2.1 Ökonomische Ursachen der Staatsverschuldung und ihre Folgen:

3 Politisch – institutionelle Ursachen der Staatsverschuldung
3.1 Der Einfluss von Parteien auf die Staatsverschuldung
3.2 Der politische Konjunkturzyklus
3.3 Die strategische Rolle der Staatsverschuldung
3.4 Der Einfluss der „Größe“ der Regierung auf die Höhe der Defizite
3.5 Institutionelle Unterschiede im Budgetprozess als Ursache für nationale Variationen beim Schuldenstand?
3.5.1 Die Aushandlung des Budgetprozesses
3.5.2 Die Rolle des Parlamentes im Budgetprozess
3.5.3 Die Umsetzung des Haushaltsgesetzes
3.5.4 Hypothesen und empirische Befunde
3.6 Weitere politisch-institutionelle Ursachen
3.6.1 Direktdemokratie
3.6.2 Das Alter der Demokratie
3.6.3 Konzertierung zwischen Arbeit und Kapital
3.6.4 Die Unabhängigkeit der Zentralbank

4 Schlussbemerkungen

1 Einleitung

Beginnend mit der Stagflation infolge der Ölpreisschocks 1972 wuchsen in nahezu allen OECD-Ländern die öffentlichen Schulden, da aufgrund gestiegener Arbeitslosigkeit steigende Ausgaben nunmehr stagnierenden beziehungsweise rückläufigen Einnahmen gegenüber standen.

Dass Staatsverschuldung auch heute noch immer ein hochaktuelles Phänomen ist, wird an drohenden Strafverfahren wegen Verstoßes gegen die Maastrichter Stabilitätskriterien gegen Deutschland und Frankreich sowie an der prekären Finanzlage von Bund, Ländern und Gemeinden exemplarisch deutlich.

Staatsverschuldung hat eine Reihe negativer Folgen[1], die in der ökonomischen Literatur kaum bestritten werden. So führt die Finanzierung des Defizits zu Zinszahlungen an die Inhaber staatlicher Anleihen, die wiederum aus Steuern bezahlt werden, deren Erhebung zu einer starken Verzerrung wirtschaftlicher Anreize führt. Schließlich wachsen mit steigender Verschuldung die Kosten der Tilgung und die dafür aufzuwendenden Mittel, welche dann anderen Bereichen staatlicher Politik nicht mehr zur Verfügung stehen . Auch aus diesen Gründen ist beispielsweise für Stoiber der „Schuldenabbau (...) die Mutter aller Reformen.“.[2]

Fraglich ist jedoch, wie diese Schulden abgebaut werden können. Ein Vergleich der Schuldenstände der OECD-Länder, wie er in Schaubild 1 dargestellt ist, macht deutlich, dass die Höhe der Schuldenstände zwischen den Ländern stark variiert und dass in einigen Ländern die Schulden stetig stiegen, in anderen dagegen das Tempo der Entwicklung wesentlich langsamer war und in Einzelfällen durchaus auch Senkungen zu verzeichnen waren.

Eine Analyse politischer Ursachen für diese unterschiedliche Performanz, kann eine Antwort darauf geben, inwieweit die politischen Akteure hier überhaupt steuernd tätig werden können. Diese Antwort ist das Ziel der vorliegenden Arbeit.

Schaubild 1

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Quelle: Franzese (Anm. 28), S.23.

In Punkt 2 werde ich zunächst kurz den Begriff der Staatsverschuldung definieren sowie ihre standardmäßigen ökonomischen Ursachen darstellen und deren tatsächliche Bedeutung anhand empirischer Untersuchungen untermauern.

Punkt 3 widmet sich dann möglichen politisch-institutionellen Ursachen der Staatsverschuldung. Die hierzu existierenden und von mir behandelten Theorien lassen sich grob in drei Gruppen einteilen: Eine Gruppe sucht die Ursachen von Staatsverschuldung im demokratischen Prozess des Parteienwettbewerbs, der durch wiederkehrende Wahlen bedingt ist. Hierzu gehören die Punkte ‚Der Einfluss von Parteien auf die Verschuldung’, ‚Der Politische Konjunkturzyklus’ sowie die Theorie des ‚Strategischen Einsatzes der Verschuldung’. Die zweite Gruppe sucht die Gründe in den kollektiv-irrationalen Ergebnissen individuell-rationalen Handelns. In einem solchen Dilemma befinden sich beispielsweise politische Akteure, wenn sie aus allgemeinen Steuereinnahmen ihre spezifische Klientel bedienen. Variationen zwischen den Ländern ergeben sich nach diesem Ansatz aus den unterschiedlichen Maßnahmen, dieses Dilemma aufzulösen. Die dritte Gruppe sieht die Ursachen vor allem in der Fähigkeit beziehungsweise Unfähigkeit von Regierungen, auf fiskalische Rigiditäten zu reagieren und versucht damit Variationen zu erklären. Dabei haben alle vorgestellten Theorien gemein, dass sie im Sinne der Rational Choice Theorie den Akteuren rationales, eigennutzmaximierendes und strategisches Handeln unterstellen.

Unter Rückgriff auf neuere, vergleichende politökonomische Studien, insbesondere von Wagschal, Franzese sowie Hallerberg und von Hagen, werde ich neben den theoretischen Ausführungen auch empirische Untersuchungsmodelle und deren Ergebnisse vorstellen. Dabei wird deutlich werden, dass mit hoher Wahrscheinlichkeit zentrale politische Variablen wie das Wahlsystem und Institutionen, wie beispielsweise Direktdemokratie, aber auch das Verhältnis von Arbeit und Kapital im Zusammenspiel mit der sektoralen Struktur einer Volkswirtschaft und einer unabhängigen Zentralbank die Höhe der Staatsverschuldung wesentlich beeinflussen können.

Punkt 4 widmet sich schließlich der abschließenden Beantwortung der Fragestellung.

2 Staatsverschuldung: Definition und ökonomische Ursachen

Staatsschulden sind Finanzschulden, die auftreten, wenn die laufenden Einnahmen des Staates nicht ausreichen, um die laufenden Ausgaben zu decken. Dadurch entsteht ein jährliches Haushaltsdefizit, die sogenannte Nettoneuverschuldung. Davon ist der Schuldenstand als Bestandsgröße zu unterscheiden, der genau der Summe der Nettoneuverschuldungen in den vorangegangen Perioden entspricht.[3]

Die Unterscheidung der Größen Defizite und Schuldenstand ist wichtig, weil das Ergebnis einer Analyse der Ursachen von Staatsverschuldung wesentlich von der Wahl der Untersuchungsgröße abhängt.[4] Für die vorliegenden Arbeit wird die Staatsverschuldung als Bezeichnung für alle vom Staat in Geld zu begleichenden Schuldverpflichtungen sowie für den Prozess, der zur Anhäufung der Staatschulden führt und diese aufrecht erhält, benutzt.[5]

2.1 Ökonomische Ursachen der Staatsverschuldung und ihre Folgen:

Als ökonomische Ursachen von Staatsverschuldung kommen zentrale makroökonomische Größen wie Wirtschaftswachstum, Inflationsraten, Arbeitslosenquote, Einbindung in den internationalen Handel sowie die Handelsbilanz in Frage. Von Interesse sind auch die Sparquote, die Investitionstätigkeit sowie die Höhe der staatlichen Beschäftigung.[6] Es leuchtet ein, dass geringes Wirtschaftswachstum mit niedrigeren Steuereinnahmen für den Staat einhergeht und so bei gleichbleibenden oder gar steigenden Ausgaben für höhere Defizite sorgt. Hohe Arbeitslosigkeit erhöht durch die gesetzliche Verpflichtung zur Zahlung von Arbeitslosengeld die Staatsausgaben.

Wagschal[7] hat einige dieser Variablen in einem Querschnittsvergleich für den Zeitraum 1960 bis 1992 für die OECD-Länder hinsichtlich ihres Einflusses auf die Höhe der Staatsverschuldung überprüft. Danach ist die Höhe der Arbeitslosenquote der stärkste Erklärungsfaktor für die Höhe der Defizite, ein etwas schwächerer hingegen für den Schuldenstand, wobei zu berücksichtigen ist, dass letzterer als Bestandsgröße das Ergebnis vorangegangener Perioden darstellt. Daneben wirkt der sogenannte „Misery-Index“, bestehend aus der Summe von Inflationsrate und Arbeitslosenquote, besonders stark auf Defizite und Schuldenstand. Das heißt, „Je höher der ökonomische Problemdruck, desto höher sind in der Tendenz die Defizite und Schuldenstände.“[8]

Ökonomische Ursachen allein können die eingangs dargestellten Variationen jedoch nicht erklären, denn:

„(...) the countries are all advanced industrial democracies, all are members of the OECD, and all have very high levels of per capita income. (...) While the economies of the OECD countries are relatively similar, their institutions (such as electoral laws, party structure, budget laws, central bank laws, degree of decentralisation, political stability, and social polarization) are quite different.”[9].

3 Politisch – institutionelle Ursachen der Staatsverschuldung

Politisch-institutionelle Ursachen für Staatsverschuldung kommen überhaupt nur deshalb in Betracht, weil ein Anstieg (oder der ausbleibende Abbau) von Staats ausgaben bei gleichbleibenden oder sogar rückläufigen Einnahmen nur das Ergebnis politischer Entscheidungen sein kann.

Im folgenden werden zunächst die Theorien dargestellt, die eine Erklärung für Staatsverschuldung im Parteienwettbewerb suchen. Daran schließen sich die Theorien an, die Tsebelis in den „collective action approach“ und den „policy inertia approach“ unterteilt[10]. Ersterer sucht die Ursachen in den irrationalen Ergebnissen kollektiven Handelns der politischen Akteure, wohingegen letzterer die Erklärung in der Schwierigkeit sucht, „(...) to change an unsustainable status quo when there are too many parties in government.“[11]

3.1 Der Einfluss von Parteien auf die Staatsverschuldung

Nach der Parteiendifferenztheorie von Hibbs haben die Wähler unterschiedlicher Parteien verschiedene Politikpräferenzen. Da die Hauptziele von Parteien Wählerstimmenmaximierung und Ämter sind, tendieren politische Parteien dazu, die Präferenzen ihrer Klientel umzusetzen.[12] Aus diesen Annahmen folgt, dass sich linke Regierungen stärker verschulden als rechte, weil ihre Klientel geringe Arbeitslosenraten mehr schätzt als geringe Inflationsraten. In Zeiten hoher Arbeitslosigkeit resultiert dies in höheren Ausgaben und damit Defiziten. Da die Klientel linker Parteien eher einkommensschwach sind, haben sie eine höhere Präferenz für Sozialleistungen, was sich ebenfalls defizitsteigernd auswirken kann. Außerdem unterstütze die Tatsache, dass linke Regierungen eher keynesianische Wirtschaftspolitik durchführen, die (standardmäßige) Hypothese, dass sich linke Regierungen stärker verschulden als rechte.

Ein anderes theoretisches Bild ergibt sich jedoch, wenn man Elemente der Parteiendifferenztheorie mit der sogenannten ‚Steuerglättungshypothese’ kombiniert. Letztere trifft folgende Annahmen:[13] Die Regierung eines Landes ist ein wohlwollender sozialer Planer, der in einer gegebenen Periode einen bestimmten Betrag ausgeben muss, den er aus Steuern auf Arbeitseinkommen bezieht. Da diese Steuern Arbeitsangebot und –nachfrage beeinflussen, werden sie als verzerrend betrachtet. Um diesen verzerrenden Effekt zu vermeiden, versucht die Regierung, den Steuersatz auf einem optimalen Niveau konstant zu halten. Steigt das Ausgabenniveau der Regierung, müssten eigentlich auch die Steuern steigen. Da dies nicht gewollt ist, greift die Regierung auf Defizite zurück, die in Phasen niedriger Ausgabenniveaus durch die entsprechenden Überschüsse ausgeglichen werden. Wesentliche Folgerung dieser Hypothese ist, dass eine Regierung grundsätzlich die Wahl zwischen höheren Steuern und Defizitfinanzierung hat.

Da Parteien diejenige Politik implementieren, die den Präferenzen ihrer Wähler entspricht, werden sich bürgerliche Parteien nach der „parteipolitischen Steuerglättungshypothese“ aus folgenden Gründen eher verschulden als linke:

Zwar sind bürgerliche Parteien an einem ausgeglichenen Budget interessiert, aber ebenso an niedrigen Steuern, die vor allem ihrer Klientel zugute kommen. Um das Ziel der Wiederwahl zu erreichen, werden sich bürgerliche Regierungen für die eher spürbare Maßnahme ‚Steuersenkung’ entscheiden, was bei einem gegebenen Einnahmeniveau defizitsteigernd wirkt. Linke Regierungen hingegen optieren eher für höhere Steuern, da ihre Klientel von diesen nur in geringerem Ausmaß betroffen ist.[14]

[...]


[1] Vgl.: Samuelson, Paul A.; Nordhaus, William D. (1998): Volkswirtschaftslehre, Übersetzung der 15. Auflage, Wirtschaftsverlag Carl Ueberreuter, Wien/Frankfurt, S. 726 ff.

[2] Die Tageszeitung vom 3.12.2003, S. 7.

[3] Manche Ökonomen berücksichtigen darüber hinaus auch „implizite“ oder „prospektive“ Schuld. Diese bezeichnet Rentenversprechungen oder andere Zahlungen zugunsten der heute lebenden Generation, die jedoch nur zum Teil durch Beiträge und Steuern gedeckt sind und somit als Staatsschulden zulasten künftiger Generationen verstanden werden. Siehe: Blankart, Charles B. (2001) : Öffentliche Finanzen in der Demokratie. 4. Auflage, Vahlens Handbücher der Wirtschafts- und Sozialwissenschaften, Verlag Vahlen, München, S. 353 f.

[4] Wagschal, Uwe (1996): Staatsverschuldung. Ursachen im internationalen Vergleich (Opladen: Leske + Budrich), S. 24.

[5] vgl.: Schmidt, Manfred (1992): Staatsverschuldung. in: Lexikon der Politik, Band 3, Hrsg.: Nohlen, Dieter

[6] Wagschal, 1996 (Anm. 4), S. 35.

[7] Ebenda, S. 171 ff.

[8] Ebenda, S. 173.

[9] Alesina, Alberto; Perotti, Roberto (1995): The Political Economy of Budget Deficits. in: IMF Staff Papers, Vol. 42, No.1 (March 1995), S. 2 f.

[10] Tsebelis, George (2002): Veto-Players: How Political Institutions Work, Princeton University Press, S. 188.
Meines Erachtens sollte diese Differenzierung nicht zu statisch gesehen werden. Zwar ist die theoretische Unterscheidung wichtig für differenzierte empirische Ergebnisse, aber die „Trägheit der Politik“ ist doch ebenfalls ein kollektiv-irrationales Ergebnis individuell rationalen Handelns, nämlich, dass keiner der Beteiligten bereit ist, die Kosten der Änderung eines unhaltbaren Status quo seiner Klientel aufzuerlegen, weil nicht sicher ist, dass die anderen Akteure es ihm gleich tun.

[11] Ebenda, S. 189.

[12] vgl.: Wagschal, Uwe (1998a): Parties, Party Systems and Policy Effects. in: Pennings, Paul; Lane, Jan-Erik (Eds.): Comparing Party Systems Change: Routledge, S. 62 f.

[13] siehe: Alesina; Perotti (Anm. 9), S. 5 f.

[14] vgl. Wagschal, Uwe (1998b): Politische und institutionelle Determinanten der Staatsverschuldung. in: Zeitschrift für Wirtschaftspolitik, Jg. 47, Heft 2 (Lucius & Lucius, Stuttgart), S. 225.

Ende der Leseprobe aus 34 Seiten

Details

Titel
Gibt es genuin politische neben den standardmäßigen ökonomischen Ursachen für Staatsverschuldung?
Hochschule
Universität Potsdam  (Wirtschafts- und Sozialwissenschaftliche Fakultät)
Veranstaltung
Institutionelle Schranken von Staatstätigkeit
Note
1,0
Autor
Jahr
2004
Seiten
34
Katalognummer
V80234
ISBN (eBook)
9783638870009
ISBN (Buch)
9783638870023
Dateigröße
597 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Gibt, Ursachen, Staatsverschuldung, Institutionelle, Schranken, Staatstätigkeit
Arbeit zitieren
Martin Weber (Autor:in), 2004, Gibt es genuin politische neben den standardmäßigen ökonomischen Ursachen für Staatsverschuldung?, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/80234

Kommentare

  • Noch keine Kommentare.
Blick ins Buch
Titel: Gibt es genuin politische neben den standardmäßigen ökonomischen Ursachen für Staatsverschuldung?



Ihre Arbeit hochladen

Ihre Hausarbeit / Abschlussarbeit:

- Publikation als eBook und Buch
- Hohes Honorar auf die Verkäufe
- Für Sie komplett kostenlos – mit ISBN
- Es dauert nur 5 Minuten
- Jede Arbeit findet Leser

Kostenlos Autor werden