"Ein zu vernachlässigendes Gremium.“- Das Verhältnis von BILD-Zeitung und Deutscher Presserat


Seminararbeit, 2006

21 Seiten, Note: 1,7


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Der Konflikt

2. Meinungsführer und Organ der Freiwilligen Selbstkontrolle
2.1 Selbstverständnis des Presserats
2.2 Selbstverständnis der BILD-Zeitung

3. Konfliktpotential
3.2 Die Wallraff-Affäre
3.3 BILD und der Presserat heute
3.3.1 Die bildblog.de Affäre
3.3.2 Außenansicht des Presserats

4. Zukunftsaussichten – Reformen

1. Der Konflikt

Seit Jahren schwelt ein Konflikt zwischen der größten deutschen Zeitung, der BILD-Zeitung, und dem einzigen autorisierten Selbstkontrollorgan der deutschen Presse, dem Presserat. So brachte es der FAZ.net Autor Stefan Niggemeier im Januar 2006 auf den Punkt.[1]

Im Zusammenhang mit der Miles & More-Affäre im Jahr 2002 ging der Chefredakteur der BILD, Kai Diekmann, sogar soweit, die „Sinnhaftigkeit dieser Institution“ in Frage zu stellen und bezeichnete den Presserat sarkastisch als „Gralshüter der sauberen Recherche“.[2]

Wieder einmal hatte der Presserat die Zeitung aus dem Axel Springer Verlag aufgrund seiner journalistischen Praktiken gerügt. Die BILD-Zeitung ist das Presseobjekt, das von dem Organ der Freiwilligen Selbstkontrolle mit Abstand am öftesten gerügt wurde und wird: So wurde im Jahr 2003 die BILD-Zeitung zum Abdruck von 5 öffentlichen Rügen verpflichtet – von insgesamt 20 ausgesprochenen Rügen des Presserats in diesem Jahr.[3]

Die wichtigsten Stationen dieses Konflikts mit seinen Anfängen in der ersten Phase der (Beschwerde-)Arbeit des Presserats bis heute soll in dieser Arbeit dargestellt werden. Dazu muss auch ein Blick auf das Selbstverständnis der beiden Konfliktparteien geworfen werden.

Gleichzeitig soll versucht werden aufzuzeigen, warum dieser Konflikt schon seit Jahrzehnten schwelt und im Fazit, wie eine Änderung der Verhältnisse herbeigeführt werden könnte.

2. Meinungsführer und Organ der Freiwilligen Selbstkontrolle

2.1 Selbstverständnis des Presserats

„Seit 50 Jahren steht der Deutsche Presserat für die Berufsethik der Journalisten und Verleger und eine freie Presse ein. Der Presserat hat sich damit als erfolgreiches Modell der Selbstkontrolle in der Demokratie behauptet."

Fried von Bismarck, Sprecher des Deutschen Presserats[4]

Seit seiner Gründung 1956 als Reaktion auf ein geplantes Bundespressegesetz, das staatliche Aufsichtsinstanzen für die Presse vorsah, sieht sich der Presserat als „repräsentative Gesamtvertretung der deutschen Presse“, die sich die Verteidigung der Pressefreiheit und die Einhaltung der Grenzen derselben verschrieben hat. Seit Beginn der Tätigkeit geht er auch den Beschwerden von Außenstehenden nach, erst 1972 wurde jedoch die Beschwerdeordnung verabschiedet.[5]

Seit der Krise zum Ende der 1970er Jahre (siehe 3.2 Die Wallraff-Affäre) und seiner Neugründung 1985 besteht der Presserat als Trägerverein: Die Mitglieder sind der Bundesverband Deutscher Zeitungsverleger, der Verband Deutscher Zeitschriftenverleger, der Deutsche Journalisten Verband und die Deutsche Journalistinnen- und Journalisten Union in der ver.di.[6]

Heute sieht sich der Presserat selbst als Vorbild für viele Einrichtungen der freiwilligen Selbstkontrolle vor allem in den jüngeren europäischen Demokratien.[7] Zu den Zielen des Presserates zählt, das Ansehen der deutschen Presse zu wahren, für die Pressefreiheit und den ungehinderten Zugang zu Nachrichtenquellen einzutreten sowie Missstände im Pressewesen zu erkennen und zu beseitigen.[8] Gleichzeitig sieht sich der Presserat für die Entwicklung von publizistischen Grundsätzen und Richtlinien für die journalistische Arbeit zuständig.

Den Erfolg des Presserates misst er selbst daran, dass die deutsche Legislative bisher keine Gesetze zur Definition und Eingrenzung journalistischer Arbeit erlassen hat.[9] Statt an Gesetzen soll sich die Presse an einer in den Publizistischen Grundsätzen (Pressekodex) festgeschriebenen Berufsethik orientieren: Der Pressekodex beinhaltet Punkte wie die Wahrung der Menschenwürde in der Berichterstattung, die Aufrechterhaltung einer gründlichen und fairen Recherche ohne Vorurteile, die Achtung von Privatleben und Intimsphäre, die Vermeidung unangemessen sensationeller Darstellung von Gewalt und Brutalität sowie die Wahrung des Jugendschutzes. Auch die klare Trennung von Anzeigen und redaktionellem Text schreibt der Pressekodex vor sowie die Unterlassung von Diskriminierung aufgrund des „Geschlechts, einer Behinderung oder Zugehörigkeit zu einer rassischen, ethnischen, religiösen, sozialen oder nationalen Gruppe“[10].

Verstöße gegen den Pressekodex ahndet der Presserat, meist nach dem Eingang einer Beschwerde durch eine Privatperson, einen Verein oder Verband, durch verschiedene Sanktionen: Bei geringen Verstößen kann ein Hinweis ausgesprochen werden; bei einem gröberen Verstoß wird eine Missbilligung ausgesprochen; Die stärkste Sanktion ist die Rüge: Die öffentliche Rüge soll dabei in der jeweiligen Publikation veröffentlicht werden, bei einer nicht-öffentlichen Rüge verzichtet man, z.B. aus Opferschutzgründen, darauf.[11] Rund 700 der deutschen Verlage haben sich zum Abdruck der Rügen verpflichtet, was in etwa 95% der in Deutschland erscheinenden Auflagen an Zeitungen und Zeitschriften abdeckt[12], jedoch beinhaltet diese Selbstverpflichtung keinen juristischer Zwang. Von den Verlegern und Journalisten wird stattdessen verantwortliches Handeln eingefordert. In diesem Selbstverständnis begründet sich in den Augen des Presserats dessen Stärke. Der Presserat versteht sich nicht als „Standesgerichtsbarkeit“ sondern als moralische Instanz – die die Beachtung ihrer Beschlüsse nicht erzwingen will.[13] Der Deutsche Presserat, so der Sprecher Lutz Tillmanns, will nicht der Schiedsrichter der Presseberichterstattung sein, sondern er sieht sich vielmehr als „ein Spieler unter vielen“.[14] Das Besondere sei nur, dass sie die einzige institutionalisierte Einrichtung freiwilliger Selbstkontrolle seien.[15] Darauf begründet sich eine gewisse Machtposition, die der Presserat jedoch nicht für seine Überzeugungen ausnutzen will: Die Entscheidungen des Presserats sollen ein Leitfaden für Journalisten sein und präventiv wirken. Sie sind als Meinungsäußerung zu verstehen.[16]

2.2 Selbstverständnis der BILD-Zeitung

„BILD ist die Erfolgsstory der größten Zeitung Europas.

BILD wird jeden Tag von über zwölf Millionen Menschen gelesen. Vom Bundeskanzler bis zum Bauarbeiter.

BILD hat täglich die höchste Einschaltquote aller deutschen Medien.

BILD ist 30 Zeitungen in einer. BILD ist Sport-Blatt und City-Führer, Service-Guide und Polit-Magazin.

BILD liebt den Leser. BILD ist sein bester Freund. (...)

BILD ist jeden Tag 100 Überraschungen. Wer BILD liest, BILDet sich seine Meinung.“[17]

Mit diesen Worten beschreibt Kai Diekmann, Chefredakteur der BILD-Zeitung, die Boulevardzeitung, die die größte Leserzahl in Europa besitzt, auf der Internetseite des Axel Springer Verlags. 1952 von Axel Springer in Hamburg gegründet, beherrschen Fotos und große Schlagzeilen die Seiten der Boulevardzeitung.[18] Seit Jahrzehnten gehört sie zu den Meinungsmachern in der deutschen Medienlandschaft. Kai Diekmann ist sich der Tragweite dieser Position bewusst:

„Massenmedien – und das gilt nicht nur für die BILD – haben großen Einfluss. Daher tragen wir Tag für Tag besondere Verantwortung, nicht nur gegenüber unseren 12,3 Millionen Lesern.“[19] Diese Verantwortung drücke sich vor Allem dadurch aus, dass die Redakteure der BILD-Zeitung bei jeder Schlagzeile die persönlichen oder politischen Konsequenzen, die sich aus dem Aufmacher ergeben können, berücksichtigen würden.[20] Dass die Zeitung trotzdem das Ziel jeder vierten Rüge des Deutschen Presserats ist, begründet Diekmann mit der Anzahl der Leser der Zeitung – die potentielle Anzahl an Beschwerdeführern sei einfach proportional größer als die einer Zeitung mit nur 100.000 Lesern. „Umgekehrt steht die BILD-Zeitung bei der Zahl der zurückgewiesenen Beschwerden an erster Stelle“ , unterstreicht er seine Ansicht.[21]

Diekmann ist also der Ansicht, dass das Problem der Presseratsrügen ein rein arithmetisches ist. Da im Grunde seiner Meinung nach nur noch die BILD-Zeitung in der Lage sei, Öffentlichkeit zu erzeugen sei es gerade ihre verfassungsmäßige Aufgabe, z.B. das Fehlverhalten der Regierenden aufzuzeigen. Die BILD-Zeitung habe den Anspruch, schneller Themen aufzugreifen und näher am Geschehen dran zu sein als andere Medien – durch die exklusiven Meldungen garantierten sie so „einen Informationsvorsprung, den kein anderes Medium bietet.“[22] Dabei sieht er die BILD-Zeitung nicht nur in den Themenbereichen Boulevard oder Sport vorne, sondern auch in Politik und Wirtschaft. Trotzdem bleibt für ihn das „schwere Thema, leicht und unterhaltsam gedreht“ als „Boulevard at its best“ das hauptsächliche Standbein der redaktionellen Berichterstattung der BILD-Zeitung.[23] Auch für die BILD-Zeitung als der Meinungsführer gibt es jedoch Grenzen in der Berichterstattung: „Das Privatleben ist tabu.“ Jedoch, so Diekmann, gelte das nicht für diejenigen, die mit ihrem Privatleben das Licht der Öffentlichkeit suchten.[24]

[...]


[1] Niggemeier, Stefan: Zur Sache, Kätzchen. In: Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung. 22.01.2006

[2] ebd.

[3] Deutscher Presserat e.V.: Jahrbuch des Deutschen Presserats 2004 mit der Spruchpraxis des Jahres 2003.

[4] www.presserat.de

[5] http://50jahre.presserat.de/1967-1976.262.0.html

[6] http://www.presserat.de/Wir_ueber_uns.wir.0.html

[7] http://50jahre.presserat.de/Vorbild_der_Medienselb.255.0.html

[8] http://www.presserat.de/Wir_ueber_uns.wir.0.html

[9] ebd.

[10] Deutscher Presserat in Zusammenarbeit mit den Presseverbänden: Publizistische Grundsätze (Pressekodex). Fassung vom 02.03.2006

[11] http://www.presserat.de/Beschwerde.beschwerde.0.html

[12] Gottzmann, Nicole: Möglichkeiten und Grenzen der freiwilligen Selbstkontrolle in der Presse und Werbung. Der Deutsche Presserat und der Deutsche Werberat. München: C.H. Beck Verlag 2005 S.141

[13] http://50jahre.presserat.de/Vorbild_der_Medienselb.255.0.html

[14] Niggemeier, Stefan: Presserat. Zur Sache, Kätzchen. In: Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung. 22.01.2006

[15] ebd.

[16] ebd.

[17] http://www.axelspringer.de/inhalte/angebot/inhalte/zeitung/ueberreg/bild/bild.htm

[18] Brumm, Dieter: Sprachrohr der Volksseele? Die BILD-Zeitung. In: Thomas, Michael Wolf (Hg.): Porträts der deutschen Presse. Berlin: Verlag Volker Spiess 1980 S.137

[19] http://www.persoenlich.com/interviews/show_interviews_content.cfm?interviewsID=207

[20] http://www.persoenlich.com/interviews/show_interviews_content.cfm?interviewsID=207 04.08.2006

[21] ebd.

[22] ebd.

[23] ebd.

[24] ebd.

Ende der Leseprobe aus 21 Seiten

Details

Titel
"Ein zu vernachlässigendes Gremium.“- Das Verhältnis von BILD-Zeitung und Deutscher Presserat
Hochschule
Ludwig-Maximilians-Universität München  (Institut für Kommunikationswissenschaft)
Veranstaltung
Seminar Medienlehre
Note
1,7
Autor
Jahr
2006
Seiten
21
Katalognummer
V80259
ISBN (eBook)
9783638878678
ISBN (Buch)
9783638878715
Dateigröße
529 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Gremium, Verhältnis, BILD-Zeitung, Presserat, Medienlehre
Arbeit zitieren
Ina Fuchshuber (Autor:in), 2006, "Ein zu vernachlässigendes Gremium.“- Das Verhältnis von BILD-Zeitung und Deutscher Presserat, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/80259

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