Frauen in der türkischen Re-Islamisierungsbewegung


Term Paper, 2006

25 Pages, Grade: 2-


Excerpt


Inhalt

I. Einleitung

II. Der Rahmen
1. Begriffsdefinitionen
2. Ein kurzer geschichtlicher Aufriss der türkischen Republik
3. Die Rolle der Frau in der türkischen Republik

III. Hauptteil
1. Die Re-Islamisierung der Bevölkerung und der Aufstieg der
islamistischen Parteien
2. Islamistische Frauen
3. Frauen in den islamischen Parteien
4. Zwischen Religiosität und Feminismus
5. Der kleine Unterschied…

IV. Fazit
1. Zusammenfassung
2. Kommentar

V. Anhang: Literaturverzeichnis

I. Einleitung

Die zunehmende Präsenz des Islams im öffentlichen Leben – in den Ländern mit muslimischer Bevölkerungsmehrheit sowie in den Minderheitengemeinden in den westlichen Ländern – erweckt etwa seit den 1970er Jahren ein stetig zunehmendes Interesse der Medien und der westlichen Öffentlichkeit. Während zuvor europäische und amerikanische Wissenschaftler im festen Glauben an den linear-evolutionären Fortschritt und die wissenschaftliche Aufklärung den Religionen tendenziell ein langsames aber stetiges Versinken in der Bedeutungslosigkeit vorausgesagt hatten, belehren die Muslime sie überall auf der Welt eines Besseren, indem sie ihren Glauben immer mehr zum sichtbaren Gegenstand des täglichen Lebens und auch der Politik machen.

Eine besonders hervorstechende Rolle spielen dabei die muslimischen Frauen. Das islamischste aller Kleidungsstücke, das Kopftuch, ist zu einer Art Flagge der islamistischen Bewegungen geworden. Dies muss nicht verwundern, ist die Verschleierung[1] doch auf den ersten Blick und schon von weitem zu erkennen. Vor allem wird sie von den Frauen – und ihren männlichen Mitstreitern – oft als bewusstes Symbol der Entscheidung für eine explizit islamische Lebensweise dargestellt.

Die oben beschriebenen Entwicklungen gelten, wie gesagt, tendenziell für die gesamte muslimische Gesellschaft in allen Ländern. Die Türkei stellt dabei keine Ausnahme dar, doch handelt es sich hier um einen besonders interessanten Fall – hat sich die Republik doch in ihrer Verfassung streng dem Laizismus verschrieben. Umso ausgeprägter lässt sich der zunehmende Erfolg islamistischer Bewegungen und Parteien beobachten und interpretieren.

Diese Arbeit widmet sich speziell der Rolle der Frauen in den islamistischen Bewegungen. Welchen Stellenwert haben sie gegenüber ihren männlichen Kollegen? Welche Aufgaben erfüllen sie noch, abgesehen von der Flaggenwirkung ihrer Kleidung? Welche Ziele verfolgen sie? Sind es die gleichen wie die der Männer? Wie lauten ihre Argumente, wie sehen sie sich selbst? Diese Fragen sollen in dieser Arbeit untersucht und möglichst beantwortet werden.

Denn möglicherweise sind die traditionellen Antworten, die nahe liegenden, längst überholt. Die aktiv islamistische Frau ist aus dem Schatten der Bedeutungslosigkeit des häuslichen Bereichs – den die (männliche) islami(sti)sche Ideologie ihr explizit zuweist – hinausgetreten und übernimmt eine deutliche eigene Rolle in der Verbreitung und Verwirklichung ihrer religiösen und politischen Vorstellungen. Diese Entwicklung möchte ich mit dieser Arbeit verfolgen.

II. Der Rahmen

1. Begriffsdefinitionen

Spätestens seit dem 11. September 2001 ist alles, was auch nur entfernt mit dem Thema Islam und dessen Radikalisierung zu tun hat, ein sehr sensibles geworden. Die reißerische Berichterstattung vieler Medien schürt die Angst der Bevölkerung vor islamistischem Terror und erweckt teilweise den Eindruck, jedem bekennenden Muslim, jeder Kopftuch tragenden Muslima sei es prinzipiell zuzutrauen, Selbstmordattentate zu verüben oder zumindest die Einführung der Sharia in Europa zu fordern. Ich halte es daher für sehr wichtig, präzise mit den sensiblen Begriffen dieses Themas, wie Islamismus, Fundamentalismus und Re-Islamisierung, umzugehen. Bei dem Versuch, diese Ausdrücke sauber zu definieren, stieß ich jedoch auf das Problem, dass sich selbst renommierte Nachschlagewerke nicht immer einig sind. Es handelt sich bei ihnen um relativ neue Begriffe, die einem Wandel im Sprachgebrauch unterliegen. Ich kann daher nicht behaupten, dass die von mir gegebenen Definitionen die letztendlich richtigen sind. Für diese Arbeit jedoch sollen sie so gelten wie beschrieben.

Islamismus. Duden und Brockhaus sind sich einig, dass der Islamismus die „im westlichen Sprachgebrauch“ gebräuchliche „Bezeichnung für die dem islamischen Fundamentalismus zugrunde liegende Ideologie“ sei.[2] Auch das „Kleine Islam-Lexikon“ der Bundeszentrale für politische Bildung verweist lediglich auf den Fundamentalismus, als dessen Synonym der Islamismus gebraucht werde.[3] Während der Begriff in der entsprechenden religionswissenschaftlichen und soziologischen Fachliteratur ständig und relativ wertneutral gebraucht wird, ist er in vielen Nachschlagewerken, die vor Mitte der 1990er Jahre gedruckt wurden, gar nicht vertreten. Ich verwende ihn in dieser Arbeit entsprechend der oben beschriebenen Definition des Brockhauses.

Fundamentalismus. Auch dieser Begriff des hat in den letzten Jahren durch den sehr häufigen Gebrauch in den Medien einen Bedeutungswandel erfahren. Ursprünglich als Eigenbezeichnung evangelikal-christlicher Kreise in den USA des frühen 20. Jahrhunderts entstanden, bezeichnet der Begriff mittlerweile ähnliche Erscheinungen in allen Religionen. Das „Kleine Islam-Lexikon“ definiert den islamischen Fundamentalismus als „das Streben nach einer reinigenden Reform bestehender Glaubensinhalte und religiöser Praktiken vor dem Hintergrund der eigenen Vorstellung von den grundsätzlichen Prinzipien und Normen [des Islams]. Die Fundamentalisten sehen ihre Auslegung der heiligen Texte als die einzig gültige an.“[4] Die meinem Verständnis nach beste Zusammenfassung liefert die Enzyklopädie „Religion in Geschichte und Gegenwart“ (RGG):

„Als isl. F. bez. ein Großteil der islamwiss. Forschungslit. eine Tendenz, die seit den 60er Jahren des 20. Jh. in Politik und Gesellschaft fast aller mehrheitlich von Muslimen bewohnten Staaten auffällig an Einfluß gewonnen hat und auch in der isl. Diaspora Mittel- und Westeuropas verbreitet ist. Anhänger des isl. F. bevorzugen meist die Selbstbezeichnung ‚Islamisten’. (…) Sie [verfechten] eine von vielen Muslimen nicht geteilte Sonderinterpretation [des Islam]. (…) Charakteristisch für Anhänger des isl. F. ist die Überzeugung, mit dem Islam ein absolut und zeitlos gültiges, in sich geschlossenes ‚System’ von Erklärungsmustern und Handlungsanweisungen für die polit. und soziale Wirklichkeit zu besitzen, das die persönliche Lebensführung jedes einzelnen sowie das Zusammenleben in Gesellschaft und Staat erschöpfend regelt und für sämtliche in diesen Bereichen denkbaren Probleme die bestmöglichen Lösungen bereithält. Dieses integralistische Religionsverständnis geht mit einer dualistischen Weltsicht einher, nach der dessen Anhänger das Wahre und Gute schlechthin repräsentieren, alle Anders-denkenden (…) letztlich besiegt werden müssen. (…) Keineswegs alle isl. Fundamentalisten sind gewaltbereit.“[5]

Re-Islamisierung. Hierbei handelt es sich dem „Kleinen Islam-Lexikon“ zufolge vor allem um eine Erscheinung der 1970er Jahre, als die islamischen Länder begannen, „als Gegenmodell [zur westlichen Lebensweise] eine eigene arab.-islam. Identität zu formulieren“, aus dem Gefühl heraus, „der Westen und die westlichen Ideologien hätten ‚versagt’“.[6] Der Brockhaus und sogar die RGG führen diesen Begriff gar nicht auf, und der Duden gibt lediglich die Schreibweise ohne nähere Erklärung vor.[7] Ich selbst benutze diesen Begriff in dieser Arbeit als wertneutrale Bezeichnung für die Tendenz zur verstärkten Hinwendung der muslimischen Bevölkerung zu islamischen Werten, islamischer Lebensweise und der islamischen Religion.

Festzuhalten bleibt also, dass ein Islamist mehr oder weniger automatisch auch ein Fundamentalist ist, was noch lange nicht bedeutet, dass er – oder sie – Gewaltakte befürwortet. Islamisten bzw. Fundamentalisten sind in der Re-Islamisierungsbewegung aktiv, die allerdings auch von weniger extremistischen Muslimen mitgetragen wird.

2. Ein kurzer geschichtlicher Aufriss der türkischen Republik

Bei ihrer Gründung im Jahr 1923 ist die türkische Republik, gemessen an ihren Vorbildern, den westeuropäischen Staaten, ein wirtschaftlich und gesellschaftspolitisch rückständiges Land mit einer langen, wechselvollen Geschichte. Schon seit der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts hatte das Land durch die so genannten tanzimat -Reformen den Anschluss an den Westen gesucht. Staatsgründer Mustafa Kemal Atatürk setzte das Projekt fort, die Türkei zu einer modernen Nation zu machen. Sultanat und Kalifat wurden abgeschafft, der Laizismus Staatsdoktrin und schließlich in der Verfassung von 1937 festgeschrieben. Den Islam, den er, wie viele Menschen seiner Zeit, für die Ursache der türkischen Rückständigkeit hielt, verbannte Atatürk in die Privatsphäre. Die junge Republik bekam ein Rechtssystem nach europäischem Vorbild, Frauen wurde das Wahlrecht erteilt. Atatürks Nachfolger Ismet Inönü führte 1945 das Mehrparteiensystem ein und bereitete damit die Entwicklung hin zur Demokratie vor. Da diese nur unvollständig gelang und die Demokratische Partei (Demokrat Partisi) im folgenden Jahrzehnt ihre Herrschaft mit korrupten Mitteln auszubauen begann, putschte im Jahr 1960 das Militär mit der Begründung, Atatürks Ziele wahren zu wollen. In der Folgezeit unterbrachen weitere Militärputsche 1971 und 1980 die demokratische Entwicklung.

Seit den 1970er Jahren befand sich das Land auch in einer wirtschaftlichen und sozialen Krise. Eine nicht unbeträchtliche Masse der Bevölkerung suchte in den überlieferten Werten des Islams Halt. Die islamistische Nationale Heilspartei (Milli Selamet Partisi, MSP) unter Necmettin Erbakan errang bei den Wahlen von 1973 einen Achtungserfolg mit 11,8 Prozent der Stimmen und wurde – für ein kurzes Jahr – Koalitionspartner der von Atatürk gegründeten Republikanischen Volkspartei (Cumhuriyet Halk Partisi, CHP). Die innenpolitische und soziale Lage beruhigte sich nicht und weitete sich zu bürgerkriegsähnlichen Zuständen aus. Der Militärputsch von 1980 stellte Ruhe und Ordnung – allerdings teilweise auf Kosten der Menschenrechte – wieder her.

Nachdem das Militär die Regierungsgeschäfte drei Jahre später wieder an die zivilen Parteien übergeben hatte, wurden unter Präsident Turgut Özal demokratische Reformen forciert, die jedoch durch eine extreme Inflation und andere wirtschaftliche und soziale Probleme erschwert wurden. Anfang der 1990er Jahre sorgte die so genannte Kurdenfrage für Terror von Seiten der separatistischen Bewegung der ethnischen Minderheit und für massive Gewalt von Seiten des türkischen Staats. Die zunehmenden Sympathien für die Re-Islamisierungsidee manifestierten sich 1995 im Wahlsieg der islamistischen Wohlfahrts-Partei (Refah Partisi, RP), Erbakans Nachfolge-Partei der MSP. Erbakan wurde Ministerpräsident, musste allerdings schon im Juni 1997 zurücktreten. Die RP wurde vom Verfassungsgericht aufgelöst. Die sofort als Nachfolgerin gegründete Tugend-Partei (Fazilet Partisi, FP) wurde bei den Wahlen von 1999 nur die drittstärkste Partei. Die Regierung bildete eine Koalition aus demokratischen und nationalistischen Parteien unter dem Ministerpräsidenten Bülent Ecevit. Auch diese Regierung zerbrach wegen massiven internen Unstimmigkeiten, Korruptionsvorwürfen und einer umfassenden Finanz- und Wirtschaftskrise und führte 2002 zu vorgezogenen Neuwahlen. Diese erbrachten der neuen, aus dem gemäßigteren Flügel der FP hervorgegangenen Partei für Gerechtigkeit und Entwicklung (Adalet ve Kalkınma Partisi, AKP) überraschend die absolute Mehrheit. Nach einigen rechtlichen Verwicklungen konnte der Parteivorsitzende Recep Tayyıp Erdoğan im März 2003 das Amt des Ministerpräsidenten antreten, das er bis heute (August 2006) innehat.

3. Die Rolle der Frau in der türkischen Republik

Die Rolle der Frau in der türkischen Öffentlichkeit hat sich mit der Gründung der Republik und seitdem massiv verändert. Die traditionelle anatolische und islamische Trennung der Geschlechter und die Beschränkung der Frauen auf den häuslichen Bereich wurden von Atatürk und den Säkularisten bekämpft und zu einem bemerkenswerten Teil auch geändert.

Atatürks Reformen verordneten den türkischen Frauen gleichsam die Emanzipation von oben. Es waren nicht die Frauen selbst, die ihre neuen Rechte erkämpften, sondern es waren Männer, Politiker, Väter und Ehemänner, die sie ihnen im Glauben an die Fortschrittlichkeit der Gleichberechtigung überreichten.[8] Erst seit den 1980er Jahren kann von einer autonomen feministischen Bewegung in der Türkei gesprochen werden.[9]

[...]


[1] Der Begriff der Verschleierung ist ein nicht ganz unproblematischer, dem in verschiedenen Kontexten unterschiedliche Bedeutung beigemessen wird. In dieser Arbeit wird er einfach mit dem wie auch immer gearteten Tatbestand des Kopftuchtragens gleichgesetzt und je nach Bedarf näher erläutert.

[2] Brockhaus. Enzyklopädie in 24 Bänden. 20. überarbeitete und aktualisierte Auflage. Leipzig und Mannheim 2000. Vgl. auch Der Duden. Großes Wörterbuch der deutschen Sprache in zehn Bänden. 3., völlig neu bearbeitete und erweiterte Auflage. Herausgegeben vom Wissenschaftlichen Rat der Duden-Redaktion. Duden Verlag Mannheim 1999.

[3] Vgl. Ralf Elger (Hg.): Kleines Islam-Lexikon. Geschichte. Alltag. Kultur. Bundeszentrale für politische Bildung, Bonn, 42006, S. 147

[4] Kleines Islam-Lexikon, S. 107

[5] Hans-Dieter Betz u.a. (Hgs.): Religion in Geschichte und Gegenwart. Handbuch für Theologie und Religionswissenschaft. 4. völlig neu bearbeitete Auflage. Band drei: F – H. Mohr Siebeck Verlag Tübingen 2000.

[6] Kleines Islam-Lexikon, S. 274

[7] Auch wenn der Duden in Deutschland allgemein als maßgebliche Institution zur Festlegung korrekter Schreibweisen angesehen wird, werde ich mich nicht an seine Vorgabe halten und das Wort ‚Re-Islamisierung’, statt, wie angegeben, „Reislamisierung“ schreiben. (Der Duden. Großes Wörterbuch der deutschen Sprache in zehn Bänden. 3., völlig neu bearbeitete und erweiterte Auflage. Herausgegeben vom Wissenschaftlichen Rat der Duden-Redaktion. Duden Verlag Mannheim 1999.)

[8] Vgl. Nilüfer Göle: Republik und Schleier. Die muslimische Frau in der modernen Türkei. Istanbul 1991. S. 97.

[9] Vgl. Göle, S. 101.

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Details

Title
Frauen in der türkischen Re-Islamisierungsbewegung
College
University of Hannover  (Historisches Seminar)
Course
Türkei, Deutschland und Islam
Grade
2-
Author
Year
2006
Pages
25
Catalog Number
V80350
ISBN (eBook)
9783638870962
File size
528 KB
Language
German
Keywords
Frauen, Re-Islamisierungsbewegung, Türkei, Deutschland, Islam
Quote paper
Lena Marie Hahn (Author), 2006, Frauen in der türkischen Re-Islamisierungsbewegung, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/80350

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