Fallstudie zum Todespfleger von Sonthofen

Konsequenzen für die pflegerische Praxis


Wissenschaftliche Studie, 2007

22 Seiten, Note: 1


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

I. Vorwort

II. Hauptteil
1. Der Todespfleger von Sonthofen: Stefan L
1.1 Der biographische Hintergrund
1.1.1. Lebenslauf
1.1.2 Die Persönlichkeitsstruktur des Täters
1.2. Das berufliche Umfeld
1.3. Das Motiv zu den Taten
2. Die juristische Erfassung der Fälle
2.1 Die Opfer
2.2 Die „Mordwaffe“
2.3 Das Geständnis
2.4 Die Anklage der Staatsanwaltschaft
2.5 Das Urteil
3. Andere Fälle von Patiententötungen
3.1 Dokumentation von Patiententötungen in der Historie
3.2 Amerikanische Dunkelfeldstudie
3.3 Durchgängige Merkmale der Patiententötungen
4. Der Umgang mit dem Sterben früher und heute
5. Konsequenzen für die Pflege
5.1 Die besondere Verantwortung von Stationsleitungen und Vorgesetzten
5.2 Vorbeugemaßnahmen
5.2.1 Betriebliche Gesundheitsförderung
5.2.2 Supervision
5.2.3 Balint-Gruppen
5.2.4 Fortbildungen zu Trauern, Sterben und Tod

III. Schlussbetrachtung

Literaturverzeichnis

I. Vorwort

Seit April 1999 arbeite ich auf der Medizinisch-/Neurologischen Intensivstation des Leopoldina-Krankenhauses in Schweinfurt.

Da die Intensivstation oft eine Schnittstelle zwischen Leben und Tod einnimmt, habe ich sehr häufig mit Sterbebegleitung, Sterben und Tod zu tun.

Die einzelnen Schicksale, die dahinter stehen, bewegen mich oft sehr. Die Betreuung und Begleitung der Angehörigen gestaltet sich oft schwierig, da viele von ihnen einen geliebten Menschen verlieren. Die Tränen und der Schmerz, die einen Sterbeprozess begleiten, gehen auch an mir nicht immer spurlos vorüber.

Immer wieder stelle ich mir die Frage, ob das, was wir mit diesen Patienten tun, noch menschenwürdig ist und ob das Leben, das sie nach dem Aufenthalt auf der Intensivstation erwartet, wirklich erstrebenswert und lebenswert ist.

Ich weiß: In Frage stellen ist die eine Sache, die Konsequenzen daraus ziehen eine ganz andere. Der Krankenpfleger Stephan L. hat dies getan und sich zum Richter über Leben und Tod erhoben. Er gibt an, aus Mitleid gehandelt zu haben. Jedoch nur die wenigsten Opfer waren lebensbedrohlich erkrankt, bei einigen war bereits die Entlassung geplant. Demnach lautet die Anklage auf 16-fachen Mord, zwölffachen Totschlag und lediglich ein Fall von Tötung auf Verlangen.

Ihm werden außerdem noch zwei Fälle der gefährlichen Körperverletzung und fünffacher Diebstahl zur Last gelegt.

Durch eine Radiomeldung bin ich auf dieses interessante und hochbrisante Thema meiner Facharbeit gestoßen, in der von der Gerichtsverhandlung gegen den Todespfleger von Sonthofen berichtet wurde. Er wurde als Bestie dargestellt, die in einer beispiellosen Tötungsserie unzählige Opfer mit einem Medikamentencocktail niedergespritzt hat. Es hat mich zutiefst erschüttert, dass er scheinbar unbemerkt 28 Menschen ums Leben bringen konnte.

Was kann also Pflegekräfte, deren berufliche ethische Verpflichtung Lebenserhaltung und Leidensminderung ist, dazu bringen, solche Taten auszuführen? Welche Persönlichkeit muss auf welches Arbeitsumfeld treffen, dass solche Greueltaten geschehen können?

Solche und ähnliche Pressemeldungen, die in letzter Zeit vermehrt durch die Medien in reißerischer Manier verbreitet werden, schockieren die Öffentlichkeit und schmälern deren Vertrauen in die Pflege. Unser Berufsbild wird beschmutzt und der gesamte Pflegebereich diffamiert. Viele Patienten sind mir und meinen Kollegen in hilfloser Situation ausgeliefert und in jeder Hinsicht auf uns angewiesen. Unsere Arbeit beruht auf einer Vertrauensbasis, denn die Patienten vertrauen sich uns an oder werden von ihren Angehörigen in unsere Obhut gegeben. Dieses sensible Verhältnis wird durch solche Horrormeldungen nachhaltig gestört.

Ein besonders wichtiger Aspekt meiner Arbeit wird auch sein, Parallelen zu ähnlichen Fällen herauszuarbeiten, Möglichkeiten zur Verhinderung solcher Vorfälle aufzuzeigen, Warnsignale zu erkennen und entsprechend zu handeln. Gerade der Stationsleitung kommt hier eine enorme Verantwortung zu.

Es gibt mit Sicherheit auch mehrere Möglichkeiten solchen Vorfällen vorzubeugen. Einige werden in dieser Facharbeit von mir diskutiert.

II. Hauptteil

1. Der Todespfleger von Sonthofen: Stefan L.

1.1 Der biographische Hintergrund

1.1.1. Lebenslauf

Die von Stephan L. begangenen Verbrechen lassen uns unter anderem nach den biographischen Hintergründen dieses Menschen fragen.

In den ersten Lebensjahren war Stephan L. sehr stark vom Verhalten seiner Mutter geprägt. Vor der Geburt war seine Mutter so übermäßig besorgt um die Gesundheit des ungeborenen Kindes, dass sie in den letzten sechs Schwangerschaftswochen 13 Fruchtwasserspiegelungen durchführen ließ.[1]

Holzhaider berichtet, dass die Mutter mit dem noch nicht einjährigen Kind wöchentlich Hunderte von Kilometern von einem Arzt zu anderen gefahren sei. Die Ärzte hätten allerdings keine nennenswerten Krankheitssymptome feststellen können; zu vermuten ist, dass Stephans Mutter ihre eigene Sensibilität für psychosomatische Erkrankungen auf das Kind projiziert hat.[2]

„Stephans Eltern wurden geschieden, als der Junge dreieinhalb Jahre alt war. Die Mutter heiratete wenige Monate später ein zweites Mal, die leiblichen Eltern stritten um das Sorgerecht für das Kind“[3]

Stephan zeigte starke Verhaltensauffälligkeiten, er attackierte andere Kinder und auch Erzieherinnen im Kindergarten.[4] Die Mutter schickte ihn in eine Schule für körperlich und geistig Behinderte. Sie behauptete, er habe einen frühkindlichen Hirnschaden und sei somit ein Spastiker.[5]

Als Stephan L. sieben Jahre alt war, erkämpfte sich sein Vater das Sorgerecht.

Vier Jahre lang, während der gesamten Grundschulzeit, war Stephan L. in Behandlung bei einer Kindertherapeutin u.a. wegen seiner Wutanfälle und um die tief greifende Störung zu behandeln.[6]

Die Realschule absolvierte er ohne Probleme. Er engagierte sich bei der Wasserwacht und beim Jugendrotkreuz.[7]

Seinen Zivildienst leistete er im Rettungsdienst ab. Dort begleitete er Patienten auf Krankentransporten vom Altersheim ins Klinikum und wieder zurück. Der Alltag in den Heimen setzte ihm so zu, dass er seinem Vater versprach, ihn unter keinen Umständen einmal in ein Heim zu geben.[8]

Er wollte Rettungsassistent werden, man riet ihm aber davon ab, da es auf dem Arbeitsmarkt kaum Stellen gebe. Also wurde er Krankenpfleger und schloss die dreijährige Berufsausbildung in der Krankenpflegeschule in Ludwigsburg mit guten Ergebnissen ab. Im zweiten Ausbildungsjahr verliebte er sich in eine Kollegin, die Kinderkrankenschwester werden wollte.[9] Am Ende seiner Ausbildung formulierte er seine Lebensziele: “Heiraten, Familie, ein Haus im Allgäu“.[10]

Er zog, dem Wunsch seiner mittlerweile Verlobten folgend, nach Gunzesried im Allgäu. Seine erste Anstellung im OP der Urologie im Klinikum Kempten, wo er sich zum OP-Pfleger ausbilden lassen wollte, währte nicht lange. Er kam weder mit seinen Kollegen noch mit seinem Vorgesetzten, Chefarzt Rudolf Gumpinger zurecht, nach dessen Ansicht er nicht ins Team gepasst hat und für den Job nicht geeignet war.[11]

Deshalb suchte er sich eine neue Arbeitsstätte und bewarb sich an der Klinik in Sonthofen, wo er am 6. Januar 2003 seine Stelle als Krankenpfleger auf der Station 1 der Inneren Abteilung antrat. Schon wenige Wochen später tötete er zum ersten Mal einen Patienten.[12]

Der Todespfleger Stephan L. ist jetzt 27 Jahre alt; er hat mit 25 Jahren begonnen, Menschen umzubringen. Er hat dies fast 1 ½ Jahre unbemerkt getan. Er ist nun rechtskräftig verurteilt und ihm wurde auch ein Berufsverbot erteilt.

1.1.2 Die Persönlichkeitsstruktur des Täters

Nach Holzhaider sagt Stephan L. von sich selbst, er sei ein richtiger Teufel gewesen.[13]

Durch die Trennung der Eltern empfand er eine innere Zerrissenheit, denn er konnte nur verlieren, entweder die Mutter oder den Vater.[14]

Als Stephan sieben Jahre alt war, nahm ihn der Vater zu sich; Stephan begann damit, sich mit Süßigkeiten voll zu stopfen. Er aß und aß und konnte nicht satt werden. Er wurde sehr groß und auch sehr fett; wurde er gehänselt, schlug er einfach zu.[15]

[...]


[1] vgl. Holzhaider, Hans: Der Pfleger, der den Tod brachte www.sueddeutsche.de/panorama/artikel/669/70599/print.html

[2] vgl Holzhaider, Hans: a. a. O.

[3] Holzhaider, Hans: a. a. O.

[4] vgl. Holzhaider, Hans: a. a. O.

[5] vgl. Holzhaider, Hans: a. a. O.

[6] vgl. Holzhaider, Hans: a. a. O.

[7] vgl. Holzhaider, Hans: a. a. O.

[8] vgl. Kaiser, Simone:Todespfleger: Er half noch bei der Wiederbelebung www.faz.net/s/Rub77CAECAE94D7431F9EACD163751D4CFD/Doc~EE80D...

[9] vgl. Holzhaider, Hans: a. a. O.

[10] vgl. Kaiser, Simone: a. a. O.

[11] vgl. Kaiser, Simone: a. a. O.

[12] vgl. Kaiser, Simone: a. a. O.

[13] vgl. Holzhaider, Hans: a. a. O.

[14] vgl. Holzhaider, Hans: a. a. O.

[15] vgl. Holzhaider, Hans: a. a. O.

Ende der Leseprobe aus 22 Seiten

Details

Titel
Fallstudie zum Todespfleger von Sonthofen
Untertitel
Konsequenzen für die pflegerische Praxis
Note
1
Autor
Jahr
2007
Seiten
22
Katalognummer
V80462
ISBN (eBook)
9783638841108
ISBN (Buch)
9783638890984
Dateigröße
547 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Fallstudie, Todespfleger, Sonthofen
Arbeit zitieren
Barbara Lediger (Autor:in), 2007, Fallstudie zum Todespfleger von Sonthofen, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/80462

Kommentare

  • Noch keine Kommentare.
Blick ins Buch
Titel: Fallstudie zum Todespfleger von Sonthofen



Ihre Arbeit hochladen

Ihre Hausarbeit / Abschlussarbeit:

- Publikation als eBook und Buch
- Hohes Honorar auf die Verkäufe
- Für Sie komplett kostenlos – mit ISBN
- Es dauert nur 5 Minuten
- Jede Arbeit findet Leser

Kostenlos Autor werden