Das tolerante Brandenburg / Preußen? Toleranzpolitik am Beispiel der böhmischen Exulanten in Brandenburg/Preußen


Seminararbeit, 2006

17 Seiten, Note: 1,7


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

A. Einleitung
I.1 Allgemeine Einleitung
I.2 Historischer Überblick

B. Hauptteil
II. Was ist Toleranz? – Der Versuch einer Definition
III. Die Böhmen in Berlin und Rixdorf 1732 und 1737
IV. Die Gründung der Weberkolonie Nowawes in den Jahren 1750/51
V. Das tolerante Brandenburg/Preußen eine Legende? – Ein Fazit

C. Anhang
VI. Literaturverzeichnis
1. Quellen, zeitgenössische Literatur und Quelleneditionen
2. Forschungsliteratur (ab 19. Jahrhundert)

A. Einleitung

I.1 Allgemeine Einleitung

Wenn heute im Bundesland Brandenburg – das geografisch nicht mit dem Kurfürstentum Brandenburg identisch ist, oder genauer gesagt nur Teile dessen umfasst – Rechtsextreme aus politischen oder rassistischen Motiven Gewalttaten begehen, sind Politiker jeder Couleur schnell bei der Hand mit Ratschlägen zur Besinnung auf die angebliche brandenburgisch-preußische Tugend der Toleranz.[1] Dieser Bezug in die unmittelbare Gegenwart macht es interessant zu beleuchten, ob und inwiefern es historisch gesehen in Brandenburg-Preußen Toleranz gegeben hat.

In einem ersten Schritt muss definiert werden, was unter Toleranz zu verstehen ist, ein aktives Tolerieren oder ein passives Erdulden. Hierzu werden der historische und der aktuelle Toleranzbegriff nebeneinander gestellt.

Der Staat Brandenburg-Preußen nahm im 17. und 18. Jahrhundert zahlreiche Flüchtlinge und sonstige Immigranten mit den verschiedensten Hintergründen auf. So kamen in die Mark Brandenburg neben zahlreichen Hugenotten, Niederländern und Salzburgern auch Böhmen, einige Juden sowie verschiedene andere kleinere und größere Gruppen. Für diese Arbeit wurden verschiedene böhmische Immigrantengruppen ausgewählt, die überwiegend hussitisch geprägt waren. Gebräuchliche Bezeichnung für die Religion der tschechisch-böhmischen Exulanten sind „Böhmische Brüder“[2], „Unität der Böhmischen Brüder“[3] und „Brüder-Unität“[4]. Wenn Schmelz die böhmischen Exulanten in Nowawes als „böhmisch-lutherisch“[5] bezeichnet, dürfte es sich um eine Ungenauigkeit handeln, die hier aber nicht näher untersucht wird, da religionswissenschaftliche Aspekte in dieser Arbeit keine bzw. nur eine sehr untergeordnete Rolle spielen. Deswegen wird im Folgenden davon ausgegangen, dass alle böhmischen Exulanten hussitisch geprägt waren und folglich zwar keine Katholiken waren, aber eben auch nicht evangelisch-lutherisch wie die Bevölkerungsmehrheit in Brandenburg/Preußen und nicht calvinistisch-reformiert wie das Herrscherhaus der Hohenzollern. Somit waren diese böhmischen Immigranten ein gewisser Sonderfall im Vergleich zu den calvinistischen Hugenotten und Niederländern.

Die gewählten Beispiele werden in einem sehr engen Zeitraum rund um die Gründung untersucht. Es soll nach Möglichkeit bei jedem Beispiel beantwortet werden von wem und warum die Initiative zur Gründung ausging, wer konkret wie die Ansiedlung wo durchführte, wie viele Personen angesiedelt wurden und wenn möglich welche „Sonderrechte“ sie erhielten.

I.2 Historischer Überblick

Im Inhaltsverzeichnis des Buches „Frühe Neuzeit“[6] verdichtet die Historikerin Völker-Rasor die Zeit nach dem Dreißigjährigen Krieg auf folgende Schlagworte: „Verdichtung von Herrschaft (Nach 1648)“. Die im Hauptteil behandelten Fallbeispiele fanden alle in der ersten Hälfte bzw. um die erste Hälfte des 18. Jahrhunderts – genauer gesagt zwischen den Jahren 1732 und 1752 – statt, fallen also in die Epoche der „Verdichtung von Herrschaft“. Das Ende der behandelten Periode fiel zwischen das Ende des Zweiten Schlesischen Krieges 1745 und den Beginn des so genannten Siebenjährigen Krieges – einer Art „ersten Weltkrieges“, da dieser Krieg auf drei Kontinenten und den Weltmeeren ausgefochten wurde. In diesem historischen Überblick, wird nur die europäische Perspektive beleuchtet, da die außereuropäischen Ereignisse nicht so bedeutsam für die untersuchten Entwicklungen waren. Begonnen wird dieser historische Überblick zu Beginn des 18. Jahrhundert mit einem Schwerpunkt auf Politikgeschichte und Entwicklung der politischen Philosophie.

Nach dem Dreißigjährigen Krieg galt eigentlich der Grundsatz „cuius regio, eius religio“.[7] Im Kurfürstentum Brandenburg wurde seit 1613 – dem Übertritt Kurfürst Johann Sigismunds zum Kalvinismus – von diesem Grundsatz abgewichen, da das Herrscherhaus kalvinistisch, die Mehrheit der Bevölkerung jedoch evangelisch-lutherisch war. Seit den Aufrufen Kurfürst Friedrich Wilhelms I. in den Jahren 1650 und 1661 Wüstungen zu günstigen Bedingungen zu „peupliren“, wurden immer wieder aus anderen Staaten des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation und anderen Staaten Europas Emigranten aufgenommen, die aber nur teilweise wie die Hugenotten (1685) oder die Salzburger Protestanten (1731) ihre Heimat aus Gründen religiöser Verfolgung verlassen mussten. Viele – gerade Niederländer, Pfälzer, Württemberger, Polen, Sachsen und Mecklenburger – kamen aber nur, weil sie mit wirtschaftlichen Privilegien angelockt wurden.[8] Die Historikerin Stefi Jersch-Wenzel spricht von einer „Einwanderungspolitik großen Stils“.[9] Diese Politik verfolgten seit dem Großen Kurfürsten alle brandenburgisch-preußischen Herrscher bis hin zu König Friedrich II. dem Großen.

In bzw. unmittelbar vor der untersuchten Periode verdienen insbesondere die folgenden Ereignisse erwähnt zu werden. Im Jahre 1701 wurde aus dem Kurfürsten Friedrich III. von Brandenburg, durch seine Krönung in Königsberg, der König Friedrich I. in Preußen. So wurde aus einem Kurfürsten ein König, was zumindest in Bezug auf den Titel einen Aufstieg bedeutete. Aus dem Großen Nordischen Krieg und dem Spanischen Erbfolgekrieg hielt sich das relativ arme Brandenburg-Preußen heraus. Dafür nutzte Friedrich II. die Gunst der Stunde und nahm Österreich in den beiden Schlesischen Kriegen von 1740 bis 1745 – unter Ausnutzung der Erbfolgestreitigkeiten um Maria Theresia – Schlesien ab. Durch die Einverleibung Ostfrieslands 1744, die Gewinne im Siebenjährigen Krieg (1756 – 1763) und erste Aufteilung Polens 1772 reihte Friedrich II. Preußen in die Riege der europäischen Großmächte ein.[10] Diese so genannte Bellizität der Epoche wird von Historikern heute als Indiz für unfertige Staaten gewertet.[11]

Auf geistesgeschichtlichem Feld hat die untersuchte Periode die Bewegung der so genannten Aufklärung geprägt. Der Beginn dieser Epoche wird auf 1680 datiert und als Ursprungsland wird England angesehen. Ansatzpunkt dieser Bewegung war die religiöse Situation dieser Zeit mit vier großen Kirchen – katholischer, anglikanischer, kalvinistischer und lutherischer. Der Staat hatte zum Beginn dieser Epoche meist noch Probleme die Untertanen einzubinden und betonte daher die Religion als einigendes Band – was auf der anderen Seite meistens Intoleranz gegenüber Andersgläubigen bedeutete. Die Frühaufklärer übten harte Kritik an diesen Tendenzen, die sich im Wesentlichen aus zwei Wurzeln begründete: erstens einer neuen Form der Bibelforschung und zweitens aus der Lehre vom Naturrecht. Schlüsselbegriff dieser Epoche war die „Vernunft“.[12]

B. Hauptteil

II. Was ist Toleranz? – Der Versuch einer Definition

Bevor in den folgenden Kapiteln bewertet werden kann inwiefern die Aufnahme von böhmischen Exulanten in Brandenburg/Preußen tatsächlich ein Akt der Toleranz war, muss erst einmal der Begriff der Toleranz geklärt werden. Im Folgenden wird sowohl der zeitgenössische als auch der moderne Toleranzbegriff beleuchtet.

Zur Geschichte des Toleranzbegriffes ist hier noch wichtig anzumerken, dass weder im Toleranzedikt von Mailand aus dem Jahre 313, noch im Toleranzedikt von Nantes im Jahr 1598 die Rede von tolerantia oder tolérance ist.[13] Im Edikt von Nantes wurden die Begriffe liberté de conscience, permission sowie concession gebraucht, um das auszudrücken, was heute in der Geschichtswissenschaft als Toleranz übersetzt wird.[14] In der Frühen Neuzeit, also im 16. bis 18. Jahrhundert, implizierte der Begriff Toleranz nicht die Gleichrangigkeit oder die Gleichwertigkeit verschiedener Wertesysteme – also auch Religionen – sondern Duldung oder Erdulden einer anderen Auffassung.[15] In Zedlers Lexikon gibt es zwar zahlreiche Stichwörter zum Thema Toleranz. Die meisten Stichwörter und Kurzartikel beziehen sich aber – wie auch der Hauptartikel – auf religiöse Toleranz.[16] Für Deutschland – genauer müsste hier wohl stehen das Heilige Römische Reich Deutscher Nation – führt der Artikel im Zedler als Beispiel an, dass sich die „drey Haupt=Religionen, als nehmlich der Römisch-Catholischen, der Evangelisch=Lutherischen und der Reformirten“ tolerieren würden.[17] Der Artikel verschweigt aber, dass diese Tolerierung in Deutschland meistens nur zwischen den Landesherren galt und nicht unbedingt für den Bürger oder Untertan in einem Land. Ergänzend ist an dieser Stelle noch anzumerken, dass in der Frühen Neuzeit – insbesondere im 16. und 17. Jahrhundert – die Haltung oder Meinung des Gegners in Religionsfragen als böswillig oder verblendet empfunden wurde und folglich sich die gerade herausbildenden Konfessionen oft mit gegenseitiger Intoleranz begegneten.[18]

[...]


[1] Kletzin 2003a, 5.

[2] Molnár 1987, 35; Molnár verwendet auch den Begriff „Brüder-Unität“.

[3] Winter 1957, 7.

[4] Motel 1987, 12; Molnár 1987, 35.

[5] Schmelz 2000, 30.

[6] Völker-Rasor 2000.

[7] Schmelz 2000, 9.

[8] Schmelz 2000, 16 mwN.

[9] Jersch-Wenzel, Stefi: Minderheiten in der preußischen Gesellschaft. In: Moderne Preußische Geschichte 1648-1947. Eine Anthologie. Band 2. Bearb. und hrsg. von Otto Büsch und Wolfgang Neugebauer. Berlin / New York, 1981, 486 ff. (zitiert nach: Schmelz 2000, 15).

[10] Völker-Rasor 2000, 46.

[11] Völker-Rasor 2000, 44.

[12] Völker-Rasor 2000, 45.

[13] Brunner 1990, 447.

[14] Brunner 1990, 447.

[15] Brunner 1990, 490; Zedler, 1118.

[16] Zedler, 1114-1118; Hauptartikel „Toleranz einer Religion oder widriger Religions=Verwandten“: Sp. 1115-1117.

[17] Zedler, 1115.

[18] Burkhardt 1985, 91.

Ende der Leseprobe aus 17 Seiten

Details

Titel
Das tolerante Brandenburg / Preußen? Toleranzpolitik am Beispiel der böhmischen Exulanten in Brandenburg/Preußen
Hochschule
Humboldt-Universität zu Berlin  (Institut für Geschichtswissenschaften)
Veranstaltung
PS 51310: Reformation und Konfessionalisierung in der Mark Brandenburg
Note
1,7
Autor
Jahr
2006
Seiten
17
Katalognummer
V80504
ISBN (eBook)
9783638785075
ISBN (Buch)
9783638796095
Dateigröße
428 KB
Sprache
Deutsch
Anmerkungen
Kommentar der Dozentin: Insgesamt schöne, gut formulierte und gegliederte Arbeit + differenzierte Argumentation! Anstelle des histor. Überblicks hätte ich mir eher einen Überblick über die gegenwärtige Forschungslage gewünscht, etwa zu dem von B. Kletzin hg. Sammelband oder dem Sammelband von Lademacher. Da es Ihnen gut gelingt, den historischen Toleranz-Begriff vom heutigen abzugrenzen bewerte ich die Arbeit (trotz der kleinen "Fehler" in der Einleitung) mit sehr gut.
Schlagworte
Brandenburg, Preußen, Toleranzpolitik, Beispiel, Exulanten, Brandenburg/Preußen, Reformation, Konfessionalisierung, Mark, Brandenburg
Arbeit zitieren
Thomas Keller (Autor:in), 2006, Das tolerante Brandenburg / Preußen? Toleranzpolitik am Beispiel der böhmischen Exulanten in Brandenburg/Preußen, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/80504

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