Bewegung und Lernen

Evaluation: Auswirkungen von Bewegung in der Schule auf Konzentration, Merkfähigkeit und Befindlichkeit


Doktorarbeit / Dissertation, 2007

67 Seiten, Note: 2


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

Abkürzungsverzeichnis

1. Einleitung
1.1 Auswirkungen des Ausdauersports
1.1.1 Regionale Gehirndurchblutung
1.1.2 Neurogenese
1.1.3 Neurotransmitterbildung
1.1.4 Endorphine
1.2 Bewegter Unterricht
1.3 Fragestellung

2. Material und Methoden
2.1 Probanden
2.2 Methodik
2.2.1 Psychologische Verfahren
2.2.1.1 d2 Konzentrationstest
2.2.1.2 Positive And Negative Affects Schedule (PANAS)
2.2.1.3 Verbaler Merkfähigkeitstest (VM)
2.2.2 Studiendesign und –durchführung
2.2.2.1 Versuchsablauf
2.2.2.2 Testzeiten
2.2.2.3 Testabfolge
2.3 Statistische Analyse

3. Ergebnisse
3.1 Justus-von-Liebig-Schule
3.1.1 Beschreibung der Stichprobe
3.1.1.1 Sportliche Aktivität
3.1.1.2 Body Mass Index (BMI)
3.1.2 D2 Konzentrationstest
3.1.2.1 Anzahl der Fehler
3.1.2.2 Konzentrationsleistung
3.1.2.3 Gesamtzahl
3.1.3 Positive And Negative Affect Schedule (PANAS)
3.1.3.1 Positive Affect Schedule
3.1.3.2 Negative Affect Schedule
3.1.4 Verbaler Merkfähigkeitstest
3.2 Friedrich-List-Gymnasium
3.2.1 Beschreibung der Stichprobe
3.2.1.1 Sportliche Aktivität
3.2.1.2 Body Mass Index (BMI)
3.2.2 d2 Konzentrationstest
3.2.2.1 Anzahl der Fehler
3.2.2.2 Konzentrationsleistung
3.2.2.3 Gesamtzahl
3.2.3 Positive And Negative Affects Schedule (PANAS)
3.2.3.1 Positive Affect Schedule
3.2.3.2 Negative Affect Schedule
3.2.4 Verbaler Merkfähigkeitstest
3.3 Zusammenfassung der Ergebnisse

4. Diskussion

5. Zusammenfassung

6. Literaturverzeichnis

7. Anhang
7.1 Bewegungsprotokoll der Justus-von-Liebig Schule
7.2 Bewegungsprotokoll des Friedrich-List Gymnasiums
7.3 Abbildungsverzeichnis

1. Einleitung

Unsere Kinder bewegen sich immer weniger (BÖS 2003, BREITHECKER 2002, Eggert 2000, KLAES 2003) – „In Deutschland ist bereits jedes fünfte Kind übergewichtig, und die Tendenz ist steigend“ (KUBESCH 2002). Mit solchen Schlagzeilen weisen viele Autoren auf eine Entwicklung hin, die schon vor langer Zeit begonnen hat. Jugendliche betreiben zwar immer mehr Sport, dabei handelt es sich aber um Trendsportarten, die zwar von den Jugendlichen begeistert aufgenommen werden, die aber die fehlende Bewegung im Alltag nicht kompensieren können (BÖS 2003). „An die Stelle des Spielens im Sandkasten oder in der freien Natur rücken andere Beschäftigungen, die mehr und mehr drinnen stattfinden und zudem oft mediatisiert sind. Darüber hinaus zeigten die Werte eine epochale Veränderung: Kinder im Jahre 1995 spielen weniger im Freien und machen weniger großräumige Bewegungserfahrungen als Kinder im Jahre 1985 “(EGGERT et al. 2000). Die Folge ist, dass die Kinder sportmotorisch deutlich schwächer sind als noch vor 25 Jahren, wie eine Untersuchung von Bös eindrucksvoll darstellt (BÖS 2003). Er führte eine statistische Meta-Analyse sämtlicher Studien, die in diesem Zeitraum durchgeführt wurden durch und kam zu dem Ergebnis, dass die sportmotorische Leistung von 1975 bis 2000 um mehr als 10% abgenommen hat. Die deutlichsten Unterschiede waren in der Laufausdauer und der Beweglichkeit zu erkennen (BÖS 2003). Die WIAD-AOK-DSB-Studie zeigt, dass sich der in zahlreichen Untersuchungen berichtete Rückgang der körperlichen Leistungsbereitschaft bei Kindern und Jugendlichen in den letzten Jahren nicht nur fortsetzt, sondern möglicherweise sogar noch verstärkt. So ist allein bei den 10- bis 14- Jährigen seit 1995 ein Rückgang der Fitness um mehr als 20% zu verzeichnen (KLAES 2003). Es gibt Anzeichen, so Klaes, dass sich diese Entwicklung in jüngeren Jahrgängen besonders stark vollzieht, was sich nachhaltig auf die Gesundheit, Sozialverhalten und Lernvermögen der Jugendlichen auswirken wird.

Das Sportengagement von Kindern und Jugendlichen variiert laut Brinkhoff deutlich mit der sozialen Lage der Familie (BRINKHOFF 1998). So sind Kinder aus benachteiligten sozialen Lagen deutlich häufiger sportabstinent. Die Häufigkeit körperlicher Untätigkeit, d.h. die Verweigerung gegenüber jeglicher sportlicher Aktivität, ist, so Brinkhoff weiter, auch bezogen auf die Schultypen der Kinder und Jugendlichen unterschiedlich. Während Hauptschüler häufiger nicht sportlich aktiv sind, nehmen Realschüler eine Mittelposition ein und Gymnasiasten sind nur zu etwa 1/6 nicht sportlich aktiv (BRINKHOFF 1998). Programme der Gesundheitsförderung sollten deshalb schulbasiert sein, damit auch den ansonsten Benachteiligten Zugang verschafft werden kann.

Bisherige Studien beschäftigten sich mit der Auswirkung von Bewegung ganz unterschiedlicher Art. Bei den Probanden handelte es sich vor allem um sehr junge oder eher ältere Menschen. Im Folgenden sollen nun einige Interventionsstudien beispielhaft vorgestellt werden.

Das CHILT-Projekt von Graf zeigt Zusammenhänge zwischen körperlicher Aktivität und Konzentration im Kindesalter (GRAF et al. 2003), ein Einfluss auf die Konzentration konnte jedoch nicht gezeigt werden.

Wamser und Leyk untersuchten in ihrer Studie die Auswirkungen des „Bewegten Unterrichtes“ an Schülern einer Hauptschule der Jahrgangsstufen 6, 7, 8 und 9. Dabei stellten sie einen Anstieg der Konzentrationsleistung im „Bewegten Unterricht“ in der 2. bis 4. Schulstunde gegenüber einem Abfall der Konzentrationsleistung im „klassischen Unterricht“ fest. Darüber hinaus zeigte sich ein Geschlechtsunterschied: Die weiblichen Probanden wiesen im d2 Aufmerksamkeitstest niedrigere Werte für die Differenz Gesamtzahl-Fehler auf als die männlichen. Außerdem stellten sie fest, dass die Wirkung des „Bewegten Unterrichtes“ in der 3. und 4. Unterrichtsstunde am deutlichsten war (WAMSER 2003).

Breithecker und Dordel untersuchten „Bewegten Unterricht“ in einer Studie an Grundschülern (BREITHECKER 2002). Eine Versuchsgruppe nahm bewegten Unterricht mit Pausenhofaktivitäten an mobilen Bewegungsgeräten wahr. Eine weitere Versuchsgruppe wurde mit ergonomischen Arbeitsplätzen und bewegtem Arbeitsplatzverhalten konfrontiert. Der d2 Aufmerksamkeitstest ergab vor allem bei der zuletzt genannten Gruppe deutliche Steigerungen. Diese Untersuchungen weisen darauf hin, dass Bewegung einen positiven Einfluss auf kognitive Vorgänge - Konzentration und Aufmerksamkeit – haben könnte.

Die vorliegende Studie beschäftigt sich mit Probanden mit einem Altersdurchschnitt von 17 Jahren und liegt damit in einem Altersbereich, über den hinsichtlich der Auswirkungen von Bewegung wenig bekannt ist. Es soll untersucht werden, ob und wie sich die Auswirkungen von Ausdauersport und „Bewegtem Unterricht“ auf die Konzentration, Merkfähigkeit und die Befindlichkeit der Probanden unterscheiden. (Siehe Hypothesen Seite 8)

1.1 Auswirkungen des Ausdauersportes

Die den oben beschriebenen positiven Auswirkungen von körperlicher Aktivität zugrunde liegenden Prozesse sind bis heute nicht hinreichend geklärt. Im Folgenden sollen Erkenntnisse aus tierexperimentellen Untersuchungen sowie Studien am Menschen näher beleuchten, über welche Mechanismen körperliche Aktivität Einfluss auf kognitiven Fähigkeiten nehmen kann.

1.1.1 Regionale Gehirndurchblutung

Bewegung führt im Gehirn zu einer Steigerung der lokalen Durchblutung (HERHOLZ 1987). Noch in der ersten Hälfte der 1980er Jahre ging man davon aus, dass keine Form von muskulärer Beanspruchung die Durchblutung des Gehirns beeinflussen könne. Aufgrund der Bedeutung des Gehirns für den Organismus nahm man an, dass das Gehirn autonom funktioniere und konstant durchblutet sei. Bereits Ende der 1970er Jahre stellte man allerdings mittels positronenemissionstomographischen Untersuchungen fest, dass Mund oder Augenbewegungen und insbesondere Fingerbewegungen an Einzelstellen des Gehirns Durchblutungszunahmen auslösen (ROLAND 1981 a, HOLLMANN 2003). Bereits ab einer sehr geringen Belastungsstufe von 25 Watt auf dem Fahrradergometer konnten mittels PET signifikante Durchblutungssteigerungen in verschiedenen Gehirnabschnitten festgestellt werden (HERHOLZ 1987). Die Größenordnung der Durchblutungssteigerung betrug im Mittel 20%. Eine Belastung von 100 Watt ließ die mittlere Durchblutung gegenüber dem Ruhewert um circa 30% ansteigen (HERHOLZ 1987). Bei beiden Belastungsstufen ließ sich eine stärkere Durchblutungszunahme in der grauen Substanz gegenüber der weißen feststellen (Thomas 1989). Eine höhere Belastungsintensität führt zu einer stärkeren Durchblutung regionaler Gehirnbereiche, jedoch ohne dass eine lineare Beziehung besteht (HOLLMANN 2000).

Die vermehrte regionale Gehirndurchblutung könnte darauf hindeuten, „dass bei körperlicher Betätigung im Gehirn vermehrt neuronale Botenstoffe wie zum Beispiel Neuropeptide gebildet würden und der verstärkte Blutstrom die Aufgabe habe, so schnell und kompakt wie möglich an periphere Zielorte zu befördern.“ (HOLLMANN 1996 vgl. HOLLMANN et al. 1988, 1989, 1997, 2004)

Regelmäßige körperliche Bewegung führt vermutlich zu Ökonomisierungsprozessen im Gehirn wie es auch im Herz- Kreislauf- Bereich beobachtet wird (HOLLMANN 2000). So werden bei Marathonläufern beim Lernen hochsignifikant weniger Aktivitätsbereiche beobachtet als bei untrainierten Probanden, „insbesondere in präfrontalen Regionen war sogar keine Aktivierung erkennbar“ (HOLLMANN 2000).

Schmidt führt in seinen Untersuchungen diese geringere Aktivierung des präfrontalen Kortex bei trainierten gegenüber untrainierten Probanden auf ein effizienteres neuronales System zurück (SCHMIDT et al. 2001).

1.1.2 Neurogenese

„In früher Kindheit fördern koordinative Beanspruchungen den Erhalt von überschüssig vorhandenen Neuronen und die zugehörige Synapsenbildung. Das bietet Voraussetzungen für eine bessere intellektuelle Entwicklung.“ (HOLLMANN 2003). Hollmann erklärt dies genauer: Allgemeines Koordinations- und aerobes Ausdauertraining führen zu einer signifikanten Zunahme der Produktion an neurotrophen Faktoren (BDNF), speziell im Hippocampus, im Kortex und im Cerebellum (HOLLMANN 2003).

Eine ausreichende Menge an neurotrophen Faktoren ist die Grundvoraussetzung für die Langzeitpotenzierung (LTP) -dem synaptischen Analogon zum Lernen und Gedächtnis (HOLLMANN 2003). Körperliche Aktivität löst also eine Plastizitätsförderung aus und hat neuroprotektive Wirkung.

Neben dem verbesserten Lernvermögen werden durch Angiogenese Durchblutungsstörungen verringert. (HOLLMANN 2003) „Vermehrte bewegungstypische Beanspruchung eines Körperteils bewirkt eine Expansion der zugehörigen Repräsentation in der Hirnrinde.“(HOLLMANN 2003) „So besitzt muskuläre Tätigkeit einen maßgeblichen Einfluss auf Gehirnstrukturen und

-funktion.“(HOLLMANN 2003)

Van Praag untersuchte im Tierexperiment die Auswirkungen von Bewegung auf die Gehirne von Mäusen. Die Versuchstiere liefen 35 Tage lang 5-6 Kilometer täglich. Danach wurden sie getötet und die Anzahl der neugebildeten Nervenzellen im Gehirn wurde bestimmt. Bei den „Läufer“-Mäusen hatten sich wesentlich mehr voll funktionstüchtige Neuronen gebildet als bei den inaktiven Mäusen (VAN PRAAG 1999).

1.1.3 Neurotransmitterbildung

Die freie Aminosäure Tryptophan stellt eine Vorstufe von Serotonin dar, Tyrosin die Vorstufe von den Neurotransmittern Dopamin, Adrenalin und Noradrenalin. (HOLLMANN 1996). Doch weder Tryptophan noch Tyrosin können im Gehirn gebildet werden, so Hollmann weiter. Den einzigen Zugang zum Gehirn bildet die Blut-Hirnschranke. Dort stehen 3 verschiedene Transportsysteme bereit. Aromatische und verzweigtkettige Aminosäuren werden kompetitiv über einen Aminosäuretransporter für große, neutrale Aminosäuren befördert. Der periphere Plasmaspiegel bestimmt dabei die Größenordnung des Transportes. Ein Ausdauertraining erhöht die Aufnahme von verzweigtkettigen und aromatischen Aminosäuren in die Muskulatur, wodurch der Plasmaspiegel dieser Aminosäuren entsprechend sinkt (Vergl. BLOMSTRAND et al. 1991, STRÜDER et al., 1995, 1996 IN HOLLMANN et al. 1996). Dadurch steigt die Wahrscheinlichkeit, dass Tryptophan an der Bluthirnschranke einen Transporter besetzen kann, stark an, so Hollmann weiter. Dies ermöglicht eine verstärkte Umwandlung von Tryptophan im Gehirn zu Serotonin. Der Neurotransmitter Serotonin beeinflusst viele zentralnervös gesteuerte Funktionen: Er ist unter anderem beteiligt an der Regulation von Stimmung, Appetit, Schlaf, Schmerzverarbeitung und der zirkadianen Rhythmik.

Über die Beeinflussung der zentralen Neurotransmitter kann körperliche Aktivität direkt und kurzfristig Einfluss nehmen auf Denk- und Merkprozesse, sowie Konzentrationsfähigkeit und Wohlbefinden (HOLLMANN 1996, vergl. STRÜDER 1996).

Daraus folgert Hollmann, dass ein „Ausdauertraining spezifische Veränderungen im serotonergen System in Abhängigkeit von der Belastungsintensität und der Leistungsfähigkeit des Sportlers“ bewirkt (HOLLMANN 2003, vergl. STRÜDER 1997).

1.1.4 Endorphine

Bei den sogenannten Endorphinen oder opioiden Peptiden handelt es sich um Neurotransmitter. Eine hohe Belastungsintensität, die die Laktatwerte über ca 4mmol/l im arteriellen Blut steigen lässt, oder eine anaerobe Belastung, die länger als 60 Minuten andauert, rufen eine Zunahme der Endorphine im Blut hervor (HOLLMANN 1996, siehe auch HOLLMANN 2000). Hollmann zeigte in seinen Untersuchungen, „dass die Schwelle sowohl für die Schmerzintensität als auch für die Schmerztoleranz nach erschöpfender Belastung auf dem Fahrradergometer stark erhöht war.“(HOLLMANN 1996, siehe auch HOLLMANN 2000) Hollmann vermutet, dass die verstärkte Freisetzung von Endorphinen bei intensiver Arbeit die Aufgabe habe, dem Menschen die körperliche Belastung zu erleichtern und ihn durch eine Stimmungsverbesserung zu erneuter körperlicher Betätigung zu ermuntern. Allerdings müssen die Ergebnisse relativiert werden, da der Endorphinspiegel im Blutplasma gemessen wurde, ein Rückschluss auf die Konzentration im Gehirn ist fragwürdig. Endorphine könnten also einer Motivation zu vermehrter Bewegung dienen und weniger dazu, kognitive Funktionen zu beeinflussen.

1.2 Bewegter Unterricht und Bewegte Schule

Für den Begriff der „Bewegten Schule“ gibt es keine allgemeingültige Definition, vielmehr handelt es sich um einen Sammelbegriff. Darunter verbergen sich unterschiedliche Aspekte, die eine Änderung des Schulalltages fordern. Eine inhaltliche Abgrenzung gestaltet sich schwierig. Das Konzept der „Bewegten Schule“ beruht auf Erfahrungen von Pädagogen und Lehrern. In der vorliegenden Studie soll nun genauer auf den „Bewegten Unterricht“ eingegangen werden. Hierbei handelt es sich um einen Teilaspekt der „Bewegten Schule“.

Breithecker stellt die Hypothese auf, dass je jünger die Schüler sind, desto geringer sei auch deren Aufmerksamkeitsspanne, die dann mit zunehmendem Alter ansteige.

Bei den jüngsten Schülern (5 -7 Jährige) wird diese Zeit auf gerade mal 15 Minuten geschätzt, so Breithecker weiter. Würde diese Zeit ausgeschöpft, sinke die Aufmerksamkeit, und der Schüler verspüre das Bedürfnis sich zu bewegen, was im Widerspruch zur erwarteten Haltung vom still dasitzenden aufnahmebereiten Schüler stehe (BREITHECKER 2002).

Zur Lösung diesen Problems gibt Breithecker die ergonomische Gestaltung des Arbeitsplatzes und die Abstimmung von Tischen und Stühlen als ein wesentliches Element an. Bewegliche Sitz- und neigbare Tischflächen ermöglichten ein physiologisch dynamisches Sitzen, so Breithecker weiter. Die Bewegungsimpulse der Schüler werden aufgenommen und ein Wechsel zwischen Sitz- und Arbeitshaltung wird aktiv unterstützt. Die klassischen Schulmöbel seien deshalb wenig kindgemäß und stellten dadurch eine erhebliche psycho-physische Belastung dar, die sich dann in vielfältigen körperlichen Beschwerden äußerten (BRINKHOFF 1996).

Um dieser Entwicklung entgegen zu treten, schlägt Breithecker nun eine „Rhythmisierung des Schulalltages“ vor –ein Wechsel von Statik und Dynamik, Spannung und Entspannung, Belastung und Entlastung- nach individuellen psychosomatischen Bedürfnissen. Den dynamischen Anteil der Rhythmisierung stellten dabei die motorischen Aktivitäten dar. Breithecker meint weiter, Pausen gäben zwar die Option für motorische Aktivitäten, jedoch könnten individuelle Unterschiede eines Rhythmisierungsbedürfnisses nicht berücksichtigt werden. Um einer Abnahme der Konzentration und einer Zunahme an Unruhe in der Klasse vorzubeugen, schlägt Breithecker vor, entsprechende Bewegungs- oder Entspannungspausen in die Unterrichtsstunden einzubauen.

Das Spektrum der Aktivitäten, die sich unter dem Begriff des „Bewegten Unterrichtes“ anbieten, ist groß. Im Wesentlichen handelt es sich dabei um „Auflockerungsminuten“ (z.B. Fingerspiele, kleine Bewegungsgeschichten, Bewegungslieder und darstellende Spiele) und gymnastische Übungen (z.B. Aerobic sowie Dehnungs- und Kräftigungsprogramme für die Muskulatur) (WAMSER 2003). Dabei kann auch themenbezogenes Bewegen eingesetzt werden. Direkte Einflüsse auf kognitive Funktionen sind nicht nachweisbar, so Breithecker , jedoch sei mit der gezielten motorischen Förderung eine Steigerung des Schulerfolges zu beobachten. Diese Entwicklung, so vermutet Breithecker, sei auf eine größere Schulzufriedenheit, erhöhte Lernbereitschaft, gestärktes Selbstvertrauen, größere Frustrationstoleranz und besseres Sozialverhalten zurückzuführen.

1.3 Fragestellung

Das Ziel der vorliegenden Arbeit ist es, die Auswirkungen von Bewegung auf die Konzentration, Befindlichkeit und Merkfähigkeit zu untersuchen. Dabei soll die Intervention durch Ausdauersport und durch „Bewegten Unterricht“ jeweils mit Kontrollgruppen ohne Bewegung verglichen werden. Dazu wurden die Probanden dem d2 Konzentrationstest, dem PANAS (zur Erfassung der Befindlichkeit) und dem Verbalen Merkfähigkeitstest unterzogen.

Folgende Fragen sollen dabei geklärt werden:

- Welchen Einfluss hat täglicher Ausdauersport auf die Konzentration, die Befindlichkeit und die Merkfähigkeit der Probanden?
- Welchen Einfluss hat der Bewegte Unterricht auf die Konzentration, die Befindlichkeit und die Merkfähigkeit der Probanden?

2. Material und Methoden

2.1 Probanden

Alle Probanden für die nachstehende Studie entstammen der Sekundarstufe aus den folgenden Schulen: Friedrich-List-Gymnasium Asperg

Justus-von-Liebig-Schule Aalen

Gemäß den internationalen Konventionen von Helsinki wurden alle Probanden ausführlich über die Versuchsordnung und den Versuchsablauf aufgeklärt, und alle volljährigen Probanden und die Erziehungsberechtigten der jugendlichen Probanden gaben ihr schriftliches Einverständnis, an der Studie teilzunehmen.

Insgesamt nahmen 64 Probanden (45 weiblich, 19 männlich) mit einem Durchschnittsalter von 17 Jahren (Minimum 15, Maximum 19) teil.

Die Versuchsgruppe des Friedrich-List-Gymnasiums Asperg absolvierte ein tägliches Ausdauertraining in Form von Joggen und Fahrradfahren von jeweils mindestens 30 Minuten. Zusätzlich wurde an 5 Tagen in der Woche eine Mannschaftssportart wie Fußball oder Hockey gespielt. Ein ausführliches Protokoll der sportlichen Aktivitäten befindet sich im Anhang. Das Durchschnittsalter lag bei 17 Jahren (Minimum 16, Maximum 19). Tabelle 1 zeigt die Verteilung der Probanden auf die Versuchs- und die Kontrollgruppe.

Tabelle 1: Verteilung der Probanden des Friedrich-List-Gymnasiums Asperg auf die Versuchs- und die Kontrollgruppe

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Die Versuchsgruppe der Justus-von-Liebig-Schule Aalen führte bewegten Unterricht durch. An 3 Tagen in der Woche wurde jeweils eine Unterrichtsstunde 1-3 mal unterbrochen, um für circa 5 Minuten Bewegungspausen abzuhalten. Dabei wurden Elemente des Bewegten Unterrichtes wie das Planetenspiel, Geräuscheorchester, Macarena (Tanz), ein Song und ein Zettellauf durchgeführt (Beschreibung siehe Anhang). Versuchs- und Kontrollgruppe waren jeweils Parallelklassen.

Das Durchschnittsalter der Probanden lag bei 16 Jahren (Minimum 15, Maximum 18) und damit etwas niedriger als bei den Probanden des Friedrich-List-Gymnasiums.

Tabelle 2: Verteilung der Probanden der Justus-von-Liebig-Schule auf die Versuchs- und die Kontrollgruppe

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Bei der Auswahl der Versuchs- und Kontrollgruppe wurden folgende Kriterien verfolgt:

Die Anzahl der Probanden sollte möglichst groß sein, wobei die Versuchs- und Kontrollgruppe vergleichbar groß sein sollten. Die Geschlechterverteilung sollte zwischen Versuchs- und Kontrollgruppe ausgewogen sein. Eine vergleichbare Altersstruktur sollte angestrebt werden. Die Auswahl der Versuchs- und Kontrollprobanden sollte zufällig erfolgen. Darüber hinaus sollten vergleichbare Rahmenbedingungen für die Probandinnen und Probanden vorliegen.

2.2 Methodik

2.2.1 Psychologische Verfahren

2.2.1.1 d2 Konzentrationstest

Der d2 Konzentrationstest dient der Untersuchung der individuellen Aufmerksamkeit und Konzentrationsfähigkeit als Einzel- oder Gruppentest für den Altersbereich von 9 bis 60 Jahren. Der d2 Konzentrationstest gehört zu den so genannten Durchstreichtests; er misst Tempo und Sorgfalt des Arbeitsverhaltens bei der Unterscheidung ähnlicher visueller Reize in Form der Kleinbuchstaben d und p. Gemäß der Handanweisung (Brickenkamp 1981) werden die Probanden instruiert, alle mit 2 Strichen markierte Buchstaben d zu umkreisen. Ein p und ein d mit einem oder mehr als 2 Strichen dürfen dagegen nicht markiert werden. Der Testbogen enthält 14 Zeilen mit insgesamt 658 Zeichen. Unter Standardbedingungen stehen den Probanden 20 Sekunden pro Zeile zur Verfügung. Dann werden sie vom Versuchsleiter aufgefordert, umgehend mit der nächsten Zeichenreihe in der gleichen Weise weiter zu verfahren. In der vorliegenden Untersuchung wurde auf Empfehlung des Testautors (Brickenkamp 1981) für die leistungsstärkeren Probanden des JvL- Gymnasiums die Bearbeitungsdauer pro Zeile von 20 auf 15 Sekunden verkürzt. Dadurch sollte eine Differenzierung in hohen Leistungsbereichen ermöglicht werden. Die Testdurchführungszeit unter Standardbedingungen beträgt 4 Minuten 40 Sekunden, einschließlich Instruktionen dauert die Durchführung ca. 8 Minuten.

Für die Quantifizierung der Testergebnisse wurde folgende Verfahrensweise angewendet (vergleiche Brickenkamp 1981):

1. Errechnung der Leistungsmenge (GZ= Gesamtzahl aller bearbeiteten Zeichen)
2. Ermittlung des Fehlertyps 1 (Auslassungsfehler: d mit zwei Strichen ist nicht markiert)
3. Ermittlung des Fehlertyps 2 (Verwechslungsfehler: anderes Zeichen als d mit 2 Strichen ist markiert) Addition der Fehler vom Typ1 und Typ 2
4. Ermittlung der Konzentrationsleistung

2.2.1.2 Positive And Negative Affects Schedule (PANAS)

Bei dem Positive And Negative Affects Schedule handelt es sich um ein Selbsteinschätzungsverfahren zur Erfassung der Affektivität. Der Einsatzbereich liegt überwiegend in der Emotions- und Stressforschung. Der Test umfasst 20 Adjektive in zwei Subskalen „Positiver Affekt“ und „Negativer Affekt“. Jeweils 10 Adjektive beschreiben eher positive bzw. eher negative Empfindungen. Anhand einer fünfstufigen Skala von „gar nicht“ über „ein bisschen“, „einigermaßen“, „erheblich“ bis „äußerst“ wird die Intensität des Affektes eingeschätzt. Mit bis zu sechs verschiedenen Instruktionen kann der Itemsatz vorgegeben werden, die sich auf unterschiedliche Zeitintervalle beziehen. In der vorliegenden Studie wurde der zeitlich begrenzte Affekt durch die Anweisung „Geben Sie bitte an, wie Sie sich in der letzten Woche gefühlt haben.“ erfasst. Die Auswertung erfolgt über die Addition der Punktwerte der Items der jeweiligen Subskala.

2.2.1.3 Verbaler Merkfähigkeitstest (VM)

Dieser Test dient der Überprüfung des kurz- und längerfristigen Behaltens von verbalem Material. Dabei sollte sich der Proband die in einer Baubeschreibung enthaltenen Fakten über Personennamen, Zahlen und Begriffe einprägen. Die Einprägzeit beträgt 2 Minuten. Unmittelbar darauf wurde das Gelernte mittels gezielter Fragen überprüft, für deren Beantwortung 4 Minuten Zeit zur Verfügung stand. Danach wurde die Anzahl der richtigen Antworten ermittelt. Es wurde hier also das kurzfristige Behalten geprüft.

2.2.2 Studiendesign und –durchführung

Es gab drei Messzeitpunkte (t1,t2;t3). Die Probanden des Friedrich-List-Gymnasiums Asperg führten den d2 und den PANAS an allen drei Messzeitpunkten durch. Der Verbale Merkfähigkeitstest erfolgte lediglich an Messzeitpunkt 1 und 3.

Die Probanden der Justus-von-Liebig-Schule führten den PANAS zu allen drei Messzeitpunkten durch. Der d2 und der Verbale Merkfähigkeitstest wurden nur zum ersten und zum dritten Messzeitpunkt vorgenommen.

Tabelle 3: Psychologische Verfahren am Friedrich-List-Gymnasium

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Tabelle 4: Psychologische Verfahren an der Justus-von-Liebig-Schule Aalen

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

2.2.2.1 Versuchsablauf

Vor dem ersten Testdurchlauf wurden die Probanden gebeten sich zu wiegen, die Körpergröße zu messen und anhand eines Fragebogens die sportliche Aktivität (siehe 3. Kapitel: Ergebnisse) in ihrer Freizeit anzugeben.

Die Tests wurden beim Friedrich-List-Gymnasium in der Mittagspause durchgeführt. Die Probanden des „Bewegten Unterrichts“ wurden sofort im Anschluss an eine Unterrichtsstunde getestet. Um eine maximale Vergleichbarkeit zu gewährleisten, wurden die Test- und die Kontrollgruppe des „Bewegten Unterrichts“ im gleichen Fach, mit gleichem Inhalt von der gleichen Lehrerin betreut. Die Evaluation der Probanden fand in ihrem jeweiligen Klassenzimmer statt.

2.2.2.2 Testzeiten

Eine einmalige Anweisung von ca. 30 Minuten ging dem ersten Testdurchgang voraus.

1. PANAS ca. 5 Minuten
2. d2 (14 x 20 = 280 Sekunden) ca. 5 Minuten
3. Verbaler Merkfähigkeitstest ca. 8 Minuten
4. Gesamttestzeit ca. 18 Minuten

2.2.2.3 Testabfolge

1. PANAS
2.d2 Konzentrationstest
3. Verbaler Merkfähigkeitstest

2.3 Statistische Analyse

Die statistische Auswertung erfolgte Mittels dem Programm Statistica 7.1. Die deskriptive Beschreibung der Stichproben erfolgte mit Mittelwerten, Minima, Maxima und Standardabweichung, graphisch wurden Box-Whisker-Plots verwendet.

Zur Klärung, ob die Intervention einen Einfluss auf die Konzentration, Merkfähigkeit oder Befindlichkeit hat, wurde als nichtparametrisches Verfahren zum Vergleich für 2 unabhängige Gruppen (Versuchsgruppe versus Kontrollgruppe) der Mann-Whitney-U-Test durchgeführt. Zum Vergleich zweier gepaarter Stichproben (die Probanden vor und nach der Intervention) wurde der Vorzeichentest angewendet. Das Signifikanzniveau wurde mit p<0,05 festgelegt.

[...]

Ende der Leseprobe aus 67 Seiten

Details

Titel
Bewegung und Lernen
Untertitel
Evaluation: Auswirkungen von Bewegung in der Schule auf Konzentration, Merkfähigkeit und Befindlichkeit
Hochschule
Universität Ulm  (Transferzetrum für Neurowissenschaften und Lernen in Ulm)
Note
2
Autor
Jahr
2007
Seiten
67
Katalognummer
V80645
ISBN (eBook)
9783638811187
ISBN (Buch)
9783638812139
Dateigröße
3480 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Bewegung, Lernen
Arbeit zitieren
Dr. med. dent. Michael Ritteser (Autor:in), 2007, Bewegung und Lernen, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/80645

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