Die Krise der EWG in den 60er Jahren


Seminararbeit, 2002

24 Seiten, Note: 1,0


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

I. Einleitung

II. Die politische Situation zu Beginn der 60er Jahre

III. Die Fouchet – Pläne

IV. Das England – Veto

V. Die Politik des leeren Stuhls und der Luxemburger Kompromiss

VI. Zusammenfassung

VII. Literaturverzeichnis

I. Einleitung

Die 60er Jahre waren ein ereignisreiches Jahrzehnt für die europäische Integration. Die europäische Gemeinschaft befand sich in einer Phase der Neuordnung und damit gleichzeitig der Krise. Dabei gab es drei herausragende Ereignisse: Die Fouchet - Pläne, das England - Veto Frankreichs und der Luxemburger Kompromiss. Diese drei Krisen waren exemplarisch für die Kernprobleme der europäischen Integration, die hier zum ersten Mal deutlich hervortraten.

Durch ein geändertes politisches Umfeld fehlte der europäischen Integration plötzlich eine treibende Kraft zur ihrer Verwirklichung. Die Ursachen und Folgen dieser Entwicklung werden im nächsten Abschnitt eingehender beleuchtet.

An den Krisen selbst werde ich die zentrale These dieser Arbeit festmachen. Sie lautet:

Die Krise der EWG in den 60er Jahren ist auf den Kampf zweier unterschiedlichen Vorstellungen, wie ein geeintes Europa organisiert sein sollte, zurückzuführen: das Intergouvernementale gegen das supranationale Konzept.

Für den Begriff des Intergouvernementalismus werden synonym die Begriffe ‚Nationalstaatlichkeit’ und ‚Europa der Vaterländer’, für Supranationalismus der Begriff ‚Föderalismus’ verwendet.

Jene These kann mit Sicherheit nicht als alleiniger Erklärungsansatz für die Entwicklung der EWG von 1960-70 gelten. So gibt es verschiedene andere Theorien, die sich mit ihr ergänzen oder erweitern, wie die Andrew Moravcsiks[1], der die Krisen hauptsächlich aus ökonomischen Gründen heraus erklärt. Ich denke jedoch, dass die unterschiedlichen Integrationsvorstellungen gerade das Verhalten der zwei Hauptakteure[2] Frankreich und Deutschland zu dieser Zeit erklären können.

Um die These zu überprüfen wird jede der drei Krisen mit folgendem Fragenkomplex untersucht:

- Wer waren die Verursacher der Krisen und welche Gründe hatten sie?
- Wie wurden die Krisen überwunden?
- Stellten die Krisen eine Bedrohung für die EWG und damit die europäische Integration dar?
- Welche Bedeutung hatten die Krisen für die weitere Entwicklung der EWG?
- Lassen sich intergouvernementale oder föderale Aspekte finden?

Die Ergebnisse der Fragen sollen anschließend die These belegen oder widerlegen und Erklärungen für die Ereignisse des untersuchten Jahrzehnts geben können.

Politische Situation zu Begin der 60er Jahre

Um die Ereignisse der 60er Jahre besser verstehen zu können, ist es wichtig, zuvor die politische Gesamtsituation, in der sich die europäischen Länder befanden, zu betrachten.

Die europäische Einigung machte solange Fortschritte, wie der Krieg unübersehbar seine Spuren auf dem Kontinent hinterlassen hatte und die europäischen Staaten, egal ob sie auf der Sieger- oder Verliererseite gestanden hatten, von den zwei großen Weltmächten eingeschlossen waren. Beide Seiten diktierten praktisch den Integrationsprozess oder machten ihn zur Vorraussetzung für wirtschaftliche (und politische) Wiederaufbauhilfe.

Diese Ausgangslage änderte sich zum Ende der 50er Jahre. Auf der einen Seite wurde Europa von dem Zusammenbruch seiner Kolonialreiche erschüttert und hatte nun nach dem Verlust von internationalem Ansehen durch die zwei Weltkriege zusätzlich einen direkten Machtverlust zu beklagen. Frankreich lag bis 1962 mit Algerien im Krieg und England verlor zunehmend seinen Einfluss im Commonwealth. Europa verlor an militärischer und politischer Bedeutung und sah sich gleichzeitig einer Vielzahl neuer Staaten gegenüber.

Auf der anderen Seite konnten die europäischen Länder einen Bedeutungszuwachs in wirtschaftlicher und finanzieller Hinsicht verbuchen. Durch den wirtschaftlichen Aufschwung in Westeuropa erhielten die europäischen Mitglieder der NATO mehr Einfluss gegenüber den USA. Der äußerte sich in dem Wunsch nach mehr Eigenständigkeit und größerem Mitspracherecht.

Insgesamt wurde der äußere Druck, der bisher die Integration forciert hatte, schwächer. Der wirtschaftliche Aufschwung der EWG-Länder ließ die Gefahr einer innenpolitischen Machtübernahme durch Kommunisten unwahrscheinlich werden und die Anbindung an das transatlantische Bündnis mit seinem atomaren Schutzschild vermittelte Sicherheit gegenüber einer militärischen Aggression der Sowjets. Diese reagierten auf die Entwicklungen in Europa ohnehin durch einen Umschwung der sowjetischen Politik von der direkten militärischen Konfrontation hin zu einem wirtschaftlichen Wettbewerb mit dem Westen.

Durch diese neue Ausgangslage wurde der Status Quo der europäischen Einigung in Frage gestellt. Es gab keine offensichtlichen gemeinsamen Ziele mehr, die Integration geriet ins Stocken. Nationale Interessen gewannen wieder die Oberhand und gingen einher mit der Angst vor dem Verlust der nationalen Souveränität und Identität. Es kam zu einer Spaltung der Europäer in zwei Lager: den Supranationalisten, welche die gegenwärtige Integration als nicht ausreichend ansahen und den Intergouvernementalisten, welche die Lösung für die kommenden Herausforderungen in einer Lockerung des Bündnissystems und Konzentration auf die nationalen Interessen sahen.

Der „Verzehrungseffekt der Integration“ schien größer geworden zu sein als die „integrative Kraft“, die den Prozess bisher angetrieben hatte.

Was für die westeuropäischen Staaten galt, nämlich ein Bedeutungszuwachs innerhalb des transatlantischen Bündnisses, lässt sich auch über die mitteleuropäischen Staaten sagen. Auch ihre Stellung innerhalb des Warschauer Pakts verbesserte sich aufgrund internationaler Entwicklungen. Durch den sowjetisch-chinesischen Konflikt entstand ein gewisser politischer Freiraum, der unter anderem zu dem Austritt Albaniens aus dem Warschauer Pakt 1968 führte. Es handelte sich bei den Ländern entlang des Eisernen Vorhangs also nicht unbedingt nur um Satellitenstaaten.

Die USA waren wie die UdSSR ebenfalls in einer schwierigen politischen Lage. Ihre Wirtschaft sah sich einer Krise gegenüber, die traditionellen Absatzmärkte stagnierten und die Staatsschulden stiegen stark an. Präsident Kennedy versuchte gleichzeitig eine ehrgeizige Entwicklungshilfepolitik aufzubauen, um so dem zunehmenden Einfluss des Kommunismus auf die Länder der dritten Welt entgegen zu wirken und neue Absatzmärkte für die eigene Wirtschaft zu sichern. Nachdem sich die Kuba-Krise als noch nie da gewesene Bedrohung für die USA herausgestellt hatte, bemühte sich Kennedy um eine Politik des Dialoges mit dem Ostblock, die auch in Europa von Frankreich unter de Gaulle angestrebt wurde.

Die Reaktion der beiden Großmächte auf die wachsende Selbstständigkeit und Unabhängigkeit der europäischen Länder von ihren beiden Machtblöcken führte zu unterschiedlichen Reaktionen. Die USA bemühten sich um den Ausbau der transatlantischen Partnerschaft als Grundlage der Beziehung zu Westeuropa und räumten den Mitgliedsstaaten mehr Mitspracherechte in der NATO ein. Die UdSSR dagegen setzte auf eine starke wirtschaftliche Integration mit den Ostblockstaaten und gewährte deren kommunistischen Parteien gleichzeitig mehr Rechte für diese Zusammenarbeit.

II. Die Fouchet – Pläne

Im November 1961 erarbeitete der französische Botschafter Fouchet einen Plan nach Vorgaben des Staatspräsidenten de Gaulles, der „einen allgemeinen politischen Rahmen der Zusammenarbeit zwischen den EWG-Staaten“[3] schaffen sollte. Er beinhaltete eine Union der Mitgliedsstaaten vor allem in den Bereichen Außenpolitik, Verteidigung und Kultur, die neben den bestehenden Gemeinschaften existieren sollte und durch einen Rat der Regierungschefs geführt werden sollte. Dieser Rat war definiert durch das Einstimmigkeitsprinzip bei Abstimmungen und der Verantwortlichkeit vor den nationalen Parlamenten. Daneben sollte eine „Politische Kommission“ mit Sitz in Paris eingerichtet werden.

Nachdem dieser Plan von den übrigen EWG-Mitgliedern, allen voran die Beneluxstaaten, abgelehnt wurde, legte Frankreich ein Jahr später einen zweiten Plan vor, der dem ersten inhaltlich entsprach, aber um weitere Vorschläge ergänzt wurde. Demnach sollte parallel zum bereits bestehenden Ministerrat ein „Netzwerk von Ministerkomitees“ geschaffen werden und eine Kooperation in der gemeinsamen europäischen Außen- und Verteidigungspolitik, die außerhalb der NATO stattfinden sollte.

Auch dieser Vorschlag wurde von den übrigen Mitgliedern abgelehnt, da Frankreich eindeutig versuchte, eine intergouvernementale Richtung bei dem Integrationsprozess einzuschlagen, die den Vorstellungen der übrigen Staaten nicht entsprach.

Die Fouchet – Pläne stellten keine unmittelbare Krise dar, da sie kaum Veränderungen in der EWG bewirkten und Frankreich sie schnell wieder aufgegeben hatte, aber sie waren ein Schlüsselereignis für den weiteren Integrationsverlauf. Zum ersten Mal wurde deutlich, wie sehr sich de Gaulles Vorstellungen von einem vereinten Europa von denen der anderen Mitlieder unterschieden.

Verursacher der Krise war Frankreich unter de Gaulle. Der französische Präsident versuchte durch die Pläne seine Vorstellung eines Europas der Vaterländer umzusetzen. Sie waren so angelegt, dass sie für die wichtigsten europäischen Institutionen, wie dem Ministerrat und der Kommission, ein intergouvernementales Pendant schufen, das die Aufgaben des bereits existierenden supranationalen Organs übernehmen konnte. Dabei wurde Wert auf das Einstimmigkeitsprinzip gelegt und die nationalen Parlamente sollten weiterhin die Legitimitätsquelle bleiben.

Von einer Überwindung der Krise kann in diesem Fall kaum gesprochen werden, da es sich nicht um eine echte Krise gehandelt hat, sondern um einen Versuch Frankreichs, seine Integrationsvorstellungen vertraglich in den Gemeinschaftsrahmen einzufügen. Es ist dabei an dem entschiedenen Widerstand der übrigen EWG-Mitglieder gescheitert und hat nach dem zweiten Plan 1962 keine weiteren Versuche unternommen um seine Vorstellungen auf diese Art und Weise durchzusetzen. Stattdessen hat Frankreich den supranationalen Kurs der Mehrheit akzeptiert und auf andere Arten versucht, diesen zu beeinflussen.

Dass die Fouchet – Pläne eine Bedrohung für die EWG darstellten lässt sich kaum behaupten. Hätte Frankreich die Pläne nicht so schnell wieder verschwinden lassen, sondern auf ihre Umsetzung bestanden, hätte es durchaus zu einer handfesten Krise innerhalb der EWG kommen können, die im Extremfall mit Austritt der unterlegenden Länder geendet wäre. Dies ist aber völlig spekulativ, da Frankreich keinesfalls eine solch drastische Strategie verfolgt hatte. Die Fouchet – Pläne waren eher ein Test, wie weit die Mitglieder zu Kompromissen bei der Integrationspolitik bereit sind und sie sollten Frankreichs Position deutlich machen, um als spätere Verhandlungsbasis zu dienen.

Eine Bedeutung für die weitere Entwicklung der EWG lässt sich nur schwer feststellen. Nachdem die Pläne gescheitert waren wurden sie für keine weiteren Versuche, die Zusammenarbeit zu gestalten, benutzt. Sie verursachten jedoch einen ersten Schock in der Gemeinschaft und zeigten die großen Unterschiede in den Vorstellungen der Länder. Sie waren ein erstes Anzeichen für die zukünftigen Krisen.

Die Pläne stellten ein klares, intergouvernementales Konzept für die weitere Entwicklung Europas dar, das als Basis für die Vertreter des Antiföderalismus diente. Sie waren in vielen Bereichen, wie der Organisation des Ministerrates und der Kommission, diametral zu den Römischen Verträgen, die die Ausgangslage für die Föderalisten bildeten. Auch wenn die Umsetzung der Pläne unwahrscheinlich war (auch in den Augen de Gaulles)[4], so hatten die Nationalstaatlichen zunächst einmal klare Position zu ihren weiteren Integrationsvorstellungen bezogen.

III. Das England-Veto

Im Jahr 1961 begann die englische Regierung mit der EWG Beitrittsverhandlungen aufzunehmen. Die Gründe für den Kurswechsel in der englischen Politik sind vielfältiger Natur. Der Premierminister Macmillan hatte erkannt, dass das von England initiierte Vorhaben der europäischen Freihandelszone EFTA nicht aufgehen würde. Die wirtschaftlichen Probleme in Großbritannien konnten durch sie nicht gelöst werden. Die EWG dagegen konnte für sich einen stetig wachsenden wirtschaftlichen Erfolg verbuchen. Macmillan schien zudem sehr langfristig zu planen. So kann der Beitrittsversuch als Strategie auf die sinkende Bedeutung des Handels mit dem Commonwealth und die steigende Bedeutung der europäischen Wirtschaftszone gesehen werden.[5] Denn bis 1965 hatten sich die britischen Exporte in das Commonwealth und in der EWG angeglichen, mit steigender Tendenz für die EWG-Exporte. Zudem war die EFTA als Druckmittel gedacht, um eine bessere Verhandlungsposition gegenüber der EWG zu erreichen und war daher keine langfristige Komponente in der britischen Planung.[6] Daneben hatte die Regierung mit einem wachsenden Anteil des Agrarbudgets am Gesamthaushalt zu kämpfen, wofür die Agrarpolitik der EWG eine viel versprechende Lösung zu sein schien.[7]

Des Weiteren gab es politisch-strategische Gründe EWG-Mitglied zu werden. England war es nicht gelungen, seine Vermittlerrolle zwischen den Supermächten aufrecht zu erhalten. Nach dem Absturz eines amerikanischen Spionageflugzeugs über der Sowjetunion und der darauf folgenden diplomatischen Krise konnte sich England nicht als Vermittler durchsetzen. Mit dem Beitritt zur EWG hofften die Briten, wieder eine führende Rolle in der internationalen Politik einzunehmen und eventuell zum Generalvertreter der Gemeinschaft aufzusteigen.[8]

[...]


[1] Siehe Andrew Moravcsik, Choice for Europe

[2] Vgl. Reinhold Biskup, Einheit in der Vielfalt, 54

[3] Weidenfeld, Werner, Europa von A-Z, 401

[4] Siehe Andrew Moravcsik, Choice for Europe, 182

[5] Vgl. Andrew Moravcsik, Choice for Europe, 165

[6] „Its [EFTA] ‚prime purpose’, said Edward Heath, was to bring the EC to negotiation a bilateral agreement.“

nach Andrew Moravcsik, Choice for Europe, 170

[7] Vgl. Oliver Bange, The EEC Crisis, 10

[8] Vgl. Andrew Moravcsik, Choice for Europe, 166

Ende der Leseprobe aus 24 Seiten

Details

Titel
Die Krise der EWG in den 60er Jahren
Hochschule
Universität Mannheim  (Fakultät für Sozialwissenschaften)
Veranstaltung
Proseminar: Politische Geschichte der europäischen Integration im gesamten Europa
Note
1,0
Autor
Jahr
2002
Seiten
24
Katalognummer
V8072
ISBN (eBook)
9783638151528
Dateigröße
570 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
EWG, Krise, de Gaulle, England-Veto, Luxemburger Kompromiss
Arbeit zitieren
Nils Dressel (Autor:in), 2002, Die Krise der EWG in den 60er Jahren, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/8072

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