Ende der fünfziger Jahre entstand die deutsche Berufsbildungshilfe, die zu dieser Zeit noch nicht über eine „grundsätzliche entwicklungspolitische Fundierung dieses Ansatzes“ verfügte. Etwa 10 Jahre später, im Jahre 1969, sollte dieser Mangel durch ein sog. Sektorkonzept kompensiert werde. Dieses Konzept ist eine Sammlung von Richtlinien, das in seiner Summe eine strategische Handlungsanleitung darstellt. Heraus-gegeben wurde das Sektorkonzept, wie auch seine Nachfolger 1986 und 1992, vom Bundesministerium für Zusammenarbeit. Das Entstehen dieser Nachfolger zeugt von einem konzeptionellen Wandel in der Berufsbildungshilfe.
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In 1992 the German Ministry of Cooperation published new guidelines for the field of Technical Vocational Education and Training Cooperation. This became necessary because the previous guidelines were strongly criticised so they had to be replaced. The effect of this conceptional change was a huge turn of the methods in carrying out the projects. The former projects were created as a demonstration to show the advantages of the German Dual (Cooperative) System. After the projects ended suc-cessful the Dual System had to replace the traditional system of the re-spective development country. Those projects had only small relations to their relevant environmental systems, so they were repeatedly compared with “development islands”. The sustainability of these projects was poor. The new methods prefer an intervention on three different levels, the pol-icy-, the organizational- and the implementation level. The traditional Technical Vocational Education and Training System has no longer to be replaced but it has to be extended with components of the Dual System. In that way the sustainability of the projects should be increased. This treatise wants to find an answer to the question how the new methods of Technical Vocational Education and Training Cooperation look like. To investigate this an example project is regarded in this paper. The “Muba-rak-Kohl-Initiative” (MKI) is the actual project of a forty year old history of technical cooperation between Egypt and Germany. The aim of this project is to enhance the productivity of the Egypt economy as a hole. By looking at the concept of the MKI the author tries to find an answer to the main question of this treatise.
Inhalt
Einleitung und Problemstellung
1. Projektkonzeptionen der GTZ
1.1 Einleitung
1.2 Das 86er Sektorkonzept
1.3 Kritik am 86er Sektorkonzept
1.4 Informeller Sektor
1.5 Das 92er Sektorkonzept
1.6 Fazit
2. Systemberatung als Konzept
2.1 Einleitung
2.2 Verständnis der Systemberatung im 92er Sektorkonzept
2.3 Kritik an der Auslegung der Systemberatung im 92er Sektorkonzept
2.4 Argumente pro und contra Systemberatung
2.5 Organisationsentwicklung als Fundament für Systemberatung
2.6 „Systemische“ Systemberatung
2.7 Fazit
3. Sozioökonomische Rahmenbedingungen des Projektes
3.1 Einleitung
3.2 Bevölkerung
3.3 Religion
3.4 Staat
3.5 Wirtschaft
3.6 Allgemeine und berufliche Bildung
4. Mubarak-Kohl-Initiative
4.1 Einleitung
4.2 Entstehung des Projektes
4.3 Organisationsstruktur
4.4 Projektziele und Phaseneinteilung
4.5 Projektkonzeption
4.6 Evaluation und Zielerreichung
4.7 Fazit
Zusammenfassung und Resümee
Summary
Literaturverzeichnis
Abkürzungsverzeichnis
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Einleitung und Problemstellung
Ende der fünfziger Jahre entstand die deutsche Berufsbildungshilfe, die zu dieser Zeit noch nicht über eine „grundsätzliche entwicklungspolitische Fundierung dieses Ansatzes“[1] verfügte. Etwa 10 Jahre später, im Jahre 1969, sollte dieser Mangel durch ein sog. Sektorkonzept kompensiert werde. Dieses Konzept ist eine Sammlung von Richtlinien, das in seiner Summe eine strategische Handlungsanleitung darstellt. Herausgegeben wurde das Sektorkonzept, wie auch seine Nachfolger 1986 und 1992, vom Bundesministerium für Zusammenarbeit. Das Entstehen dieser Nachfolger zeugt von einem konzeptionellen Wandel in der Berufsbildungshilfe.
Einhergehend mit diesem Paradigmenwechsel veränderte sich die Methodik der Projektdurchführung der Berufsbildungshilfe. Noch im Sektorkonzept von 1986, das als Richtlinie für Projekte der Berufsbildungszusammenarbeit vom Bundesministerium für Zusammenarbeit herausgegeben wurde, wird die sog. Einzelprojektmaßnahme favorisiert. Konkret heißt das, dass einzelne Einrichtungen für Ausbildungs-, Umschulungs- oder Weiterbildungsmaßnahmen errichtet wurden. Die Einzelprojekte sollten als Modellvorhaben für das Entwicklungsland den Nachweis erbringen, dass die Maßnahmen auch für den Rest des Landes nutzbringend sind. Diese Projekte sollten in der Regel die Vorzüge des deutschen Dualen Ausbildungssystems herausstellen, dass das Ausbildungssystem des jeweiligen Entwicklungslandes nach erfolgreichem Projektabschluss ablösen sollte. Die Ausbreitung dieser Maßnahme sollte durch einen erhofften Multiplikatoreffekt erzielt werden. Falls der Multiplikatoreffekt nicht wie erwünscht eingetreten wäre, so hätte das Projekt immer noch als Demonstration Nutzen gebracht.[2]
Die Einrichtungen wurden von deutscher Seite erreichtet und mit Ausrüstung bestückt.[3] Sie standen i.d.R. in keinem direkten Zusammenhang mit anderen Bildungsträgern. Partnerschaften und Kooperationen mit der Wirtschaft und anderen Trägern sollen erst stattfinden, wenn das Projekt abgeschlossen und in die Verantwortung des Entwicklungslandes übergegangen ist, wenngleich ein loser Kontakt mit der Wirtschaft bereits früher angestrebt wurde, um beispielsweise für einen adäquaten Absolventenverbleib zu sorgen.[4] Durch Post-Ex-Evaluationen der Projekte wurde der Ansatz der Beratung in Einzelprojekten als wenig nachhaltig eingestuft. Im ersten Abschnitt des ersten Kapitels werden die Richtlinien in Form des Sektorkonzeptes von 1986 vorgestellt, um die konzeptionelle Grundlage der Einzelprojektmaßnahmen herauszuarbeiten.
Nach der Veröffentlichung dieses Sektorkonzeptes meldeten sich einige Kritiker zu Wort, die eine Überarbeitung des Konzeptes forderten. Ihre Hauptkritikpunkte werden ebenfalls im ersten Kapitel behandelt. Als Folge der Kritik wurde 1992 ein neues Sektorkonzept veröffentlicht, das die Mängel des alten beheben sollte. Die Neufassung beinhaltet eine Erweiterung der Richtlinien auf die Armutsbekämpfung, die aus der Sicht der Kritiker des vorangegangenen Sektorkonzeptes zu wenig Berücksichtigung fand. Insbesondere dem sog. Informellen Sektor, der in den meisten Entwicklungsländern zwar geduldet, jedoch nicht offiziell anerkannt ist, obgleich er in der Regel einen Großteil der Arbeitsplätze stellt, wird im Sektorkonzept von 1992 ein erhöhter Stellenwert beigemessen. Ein eigener Abschnitt wird sich im ersten Kapitel mit dem Informellen Sektor befassen, in dem den Fragen nachgekommen werden soll, wie er entstand, wie sein gegenwärtiger Zustand ist und wo Ansatzpunkte für eine Intervention in ihm ausgemacht werden können.
Um Menschen, die im Informellen Sektor leben, zu erreichen, erschien die Methodik der Einzelprojektmaßnahme den Kritikern ungeeignet, da sie nicht direkt auf Massenwirksamkeit ausgerichtet ist. Es bedurfte folglich eines neuen Konzeptes, das auch die Erreichung derjenigen Menschen ermöglicht, die nicht über den offiziellen, formellen Weg an den Projekten partizipieren können, um so einen Beitrag zur Armutsbekämpfung zu leisten. Dieses neue Konzept, das Grundlage der neuen Ansätze der Berufsbildungshilfeprojekte werden sollte, wird zum Ende des ersten Kapitels vorgestellt. Neben der direkten Armutsbekämpfung gab es noch eine weitere wichtige Motivation zur Erstellung eines neuen Konzeptes. Sie beruht auf der Steigerung der Nachhaltigkeit der Projekte.
Die Folge des neuen Sektorkonzeptes war die Ablösung der Einzelprojektmaßnahmen zugunsten eines systemberatenden Ansatzes. Einer Antwort auf die Frage näherzukommen, wie sich dieser neue konzeptionelle Ansatz der internationalen Berufsbildungshilfe ausgestaltet, ist das Hauptanliegen dieser Arbeit. In diesem Zusammenhang ist besonders auf die Differenzierung der Begrifflichkeit der „systemischen“- und der „Systemberatung“ großer Wert zu legen, da beide zwar ähnlich klingen, jedoch in ihrer Bedeutung völlig unterschiedlich sind. Die Systemberatung bezieht sich auf die Beratungsleistungen auf mehreren operationalen Ebenen. Diese Ebenen wurden in Makroebene, Mesoebene und Mirkoebene unterteilt. Die Makroebene beinhaltet die höchste politische Entscheidungsebene, die für die Projektdurchführung relevant ist, wie beispielsweise Ministerien. Die Mesoebene steht für die Ebene auf der die organisatorischen Entscheidungen für die Projekte getroffen werden und die Mikroebene steht für die operationale oder Durchführungsebene der Projekte. Anders als bei den Einzelprojekten die sich allein auf die Mikroebene konzentrierten, wird in der neuen Konzeption Beratung auf allen drei Ebenen durchgeführt, um auf diese Weise die Nachhaltigkeit der Projekte zu verbessern.
Der in diesem Kontext verwendete Begriff der „systemischen Berufsbildungsberatung“ leitet sich aus der soziologischen Systemtheorie von Niclas Luhmann ab. Ziel dieser ist es, komplexe Zusammenhänge wie gesellschaftliche und politische Systeme im Model zu vereinfachen, um sie so zu analysieren und auf Interventionsmöglichkeiten hin zu untersuchen. Die Reduktion komplexer Systeme zu einem vereinfachten Model kann mittels Analyse des Systems bewältigt werden, die die relevanten Strukturen und Prozesse eines Systems offenlegt.[5]
Die Auslegung der Systemberatung sowie ihr Nutzen für die Projekte der Berufsbildungshilfe werden seit Jahren in der Fachwelt diskutiert. Im zweiten Kapitel soll deshalb der Frage nachgegangen werden, wie das gegenwärtige Verständnis der Systemberatung in der Berufsbildungshilfe ist und ob durch die Erweiterung durch theoretische Komponenten der Systemtheorie seine Wirksamkeit ggf. erhöht werden kann. Darüber hinaus soll in diesem Kapitel geklärt werden, was sich sowohl die Geberseite als auch die Nehmerseite von dem neuen Ansatz erhofft. In diesem Kapitel sollen außerdem die theoretischen Grundlagen erarbeitet werden, mittels derer die konzeptionelle Einordnung und Bewertung eines BerufsbildungsProjektes ermöglicht werden soll.
Nachdem in den beiden ersten Kapiteln der Arbeit die konzeptionellen und theoretischen Grundlagen der Berufsbildungshilfe erarbeitet wurden, wird in den beiden folgenden Kapiteln ein konkretes Projekt vorgestellt. Der im zweiten Kapitel behandelte systemberatende Ansatz setzt die Auseinandersetzung des Projektes mit seiner Umwelt voraus. Aus diesem Grund sollen im dritten Kapitel die sozioökonomischen Rahmenbedingungen des Projektes vorgestellt werden, um so seine Einbettung in den landesspezifischen Zusammenhang zu gewährleisten.
Bei dem Projekt handelt es sich um die Mubarak-Kohl-Initiative. Sie ist eine Kooperation zwischen der deutschen Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit und dem ägyptischen Staat, mit dem Ziel duale Ausbildungsstrukturen in Ägypten einzuführen. Im vierten Kapitel der Arbeit wird zunächst die Entstehung des Projektes sowie seine Organisationsstruktur beschrieben. Durch die Vorstellung der Projektziele sowie der Projektkonzeption soll der Frage nachgegangen werden, ob und wie die neuen systemberatenden Ansätze des Sektorkonzeptes von `92 umgesetzt wurden. Durch die Projektkonzeption dieses konkreten Vorhabens lassen sich Schlussfolgerungen auf die zentrale Frage dieser Arbeit ziehen.
Durch die Auswertung der internen und externen Evaluation des Projektes wird schließlich zum Ende des vierten Kapitels die Zielerreichung und damit der Erfolg, der ein nachhaltiges Wirken des Projektes voraussetzt, untersucht. Die Frage nach der Zielerreichung des Vorhabens ist ebenfalls relevant, da sie Rückschlüsse auf den Erfolg der Projektkonzeption zulässt.
In der Zusammenfassung, am Ende der Arbeit, werden schließlich die herausgearbeiteten Ergebnisse im Hinblick auf die eingangs formulierte Fragestellung noch einmal zusammengefasst und interpretiert.
Kapitel 1
1 Projektkonzeptionen der GTZ
1.1 Einleitung
In diesem Kapitel werden die Richtlinien zur konzeptionellen Gestaltung der Berufsbildungsprojekte der GTZ vorgestellt. Sie wurden als Sektorkonzept von 1992 veröffentlicht[6]. Um die Entstehung dieses Grundsatzpapiers zu verdeutlichen ist es notwendig, das vorherige Sektorkonzept von 1986 näher zu betrachten[7]. Jenes löste nach seiner Verabschiedung heftige Diskussionen aus, da es entwicklungspolitisch als ein Rückfall in die 60-er Jahre interpretiert wurde[8][9]. Um dieser Diskussion Rechnung zu tragen wurde das 92-er Sektorkonzept veröffentlicht, das bis heute seine Gültigkeit besitzt. Dieses Kapitel behandelt die Fragestellung, wie sich die konzeptionelle Gestaltung der Berufsbildungshilfemaßnahmen zwischen 1986 und 1992 gewandelt hat.
Ein weiterer Aspekt, der in diesem Kapitel behandelt wird, ist die Frage, warum sich die Konzeption ändern musste. Aus diesem Grund wird die Diskussion nach der Veröffentlichung des Sektorkonzeptes exemplarisch dargestellt. Die Hauptargumente der Kritiker des Sektorkonzeptes von 1986 liefern wichtige Argumente zur Klärung dieser Frage. In einem eigenen Abschnitt wird die Problematik des Informellen Sektors behandelt. Seine Vernachlässigung war einer der Hauptkritikpunkte der Kritiker. Diese Kritik hatte einen maßgeblichen Einfluss auf die Entestehung des neuen Konzeptes.
1.2 Das 86er Sektorkonzept
Verabschiedet als Grundsatzpapier für Planung, Durchführung und Bewertung von Projekten besaß das 86-er Sektorkonzept (SK’86) seine Gültigkeit im Bereich der internationalen Berufsbildungszusammenarbeit[10]. Die in ihm manifestierten Richtlinien befassten sich ausschließlich mit „der Berufsbildung für industriell/handwerkliche und Dienstleistungsberufe sowie für die Unternehmens- und Betriebsführung.“[11] Die dem Sektorkonzept zugrundeliegende Theorie sah eine der Voraussetzungen für industrielle Entwicklung in der fortschreitenden Arbeitsteilung, was die Forderung nach „Ausbau der Industrie und des Dienstleistungssektors neben der Landwirtschaft“[12] deutlich macht. Dazu wurde die Erhöhung der fachlichen Differenzierung sowie eine Erhöhung der fachlichen Kompetenz derjenigen Personen angestrebt, die in den Berufsbildungsprojekten ausgebildet wurden. Im Vordergrund stand das Ausbildungssystem des jeweiligen Entwicklungslandes (EL) aber auch der Umschulung und der Weiterbildung wurde Bedeutung beigemessen.[13]
Die Berufsbildungshilfe wurde vom SK’86 als „eine der Rahmenbedingungen, ohne die eine eigenständige Wirtschaftsentwicklung nicht denkbar ist“[14] dargestellt, wobei aber auch gesehen wurde: „Gewerbliche Berufsbildung allein kann jedoch keine Entwicklung der gewerblichen Wirtschaft in Gang bringen. Fehlen weitere wesentliche Rahmenbedingungen, so bleibt auch die Ausbildung ohne Nutzen.“[15] Das SK’86 empfiehlt die jeweilige Ausgangslage des Partnerlandes zu analysieren und nennt als Orientierungspunkt den Stand der Entwicklung und der Tradition des Ausbildungssystems. In diesem Zusammenhang wird auch erstmalig der Informelle Sektor erwähnt[16], der einer der Kernpunkte der Debatte im Anschluss an die Veröffentlichung des Sektorkonzeptes `86 werden sollte.
Die Verfasser des SK’86 machten bei der Analyse der Ausgangslage von Berufsbildungsprojekten auf drei Faktoren aufmerksam, die sich in der Vergangenheit als besonders problematisch für den Erfolg herausgestellt hatten. Zum einen wurde die mangelnde Orientierung an der Nachfrage der Wirtschaft in Bezug auf qualifiziertes Personal genannt, zum anderen gab es Finanzierungsprobleme bei den Ausbildungseinrichtungen. Als letztes wurde der sogenannte „white collar complex“[17] als ein enormes Hemmnis für die Erfolgsaussichten von Berufsbildungsprojekten genannt.[18]
Der Schwerpunkt der bis dahin geleisteten Berufsbildungshilfe (BBH) lag auf den modernen technischen und kaufmännischen Berufen sowie im Fremdenverkehrswesen und der Unternehmensführung, schloss aber auch Bürotätigkeiten mit ein.[19] Sowohl die landwirtschaftlichen als auch die Dienstleistungsberufe werden im SK`86 nicht als Ansatzpunkte für BBH-Maßnahmen genannt.
Neben der reinen Ausbildung spielte auch die Weiterbildung eine Rolle in der Entwicklungszusammenarbeit (EZ). Die große Nachfrage nach Beratung durch die GTZ bestätigt die Richtigkeit ihrer Einschätzung, dass die Etablierung dualer Strukturen in den Partnerländern ein Garant für erfolgreiche EZ sind. In diesem Zusammenhang wird zu ersten Mal die große Wirkung der Systemberatung angeführt, die in Form von zentraler Systemberatung als Möglichkeit der Steigerung der Effizienz der Projektmaßnahmen genannt wird.[20]
Bei den von den Verfassern des SK’86 formulierten Zielen ist besonders auf die angestrebte „Entstehung einer mittleren Schicht von Fach- und Führungskräften...“ hinzuweisen. Die Fixierung auf die Herausbildung einer solchen Schicht dient den Kritikern des SK`86 in der späteren Diskussion als Nährboden.
Ein weiteres wichtiges Ziel, das in dem Konzept von 1986 genannt wird, ist die Massenwirksamkeit der Ausbildung, wozu die Verfasser das Duale System (DS) als besonders geeignet beschreiben: „Die Erfahrung hat gezeigt, dass ein dual strukturiertes Bildungssystem (praktische Ausbildung in der Regel im Betrieb; Theorie-Unterricht im überbetrieblichen Zentrum) wegen der Vorteile der betrieblichen Ausbildung den Anforderungen nach Bedarfsorientierung und Finanzierbarkeit auf Dauer am ehesten gerecht wird. Daher sind duale Strukturen anzustreben...“[21]
Nachdem die Verfasser des SK`86 die Ziele der BBH-Maßnahmen definiert haben, gehen sie zu den konkreten Grundsätzen der Durchführung über. Demnach ist eine Ausbildung sowohl qualitativ als auch quantitativ an der Nachfrage zu orientieren. Zur Vermittlung nicht berufsfeldrelevanter Qualifikationen schreiben sie: „Allgemeinwissen wird nur soweit vermittelt, als dies unbedingt notwendig ist.“[22]
Die Nachfrageseite, also die Industrie, das Handwerk sowie das sonstige Gewerbe sind in das Ausbildungssystem zu integrieren, weshalb es den Verfassern sinnvoll erscheint, die Ausbildungsstätten an Standorten zu etablieren, die sich durch eine verhältnismäßig hohe wirtschaftliche Aktivität auszeichnen. Im weiteren beschreiben die Verfasser des SK’86 die Erfordernisse eines Berufsbildungsprojektes im Hinblick auf eine nachhaltige Lösung des Finanzierungsproblems, wobei erneut die Vorteile des Dualen Systems (DS) hervorgehoben werden, indem durch die Mitfinanzierung der Ausbildung durch die Betriebe der Staat entlastet wird.[23]. Sie deuten außerdem auf die Wichtigkeit eines möglichst hohen Multiplikatoreffektes der einzelnen Modellvorhaben hin, die für die Verbreitung und somit auch für den Erfolg der Projekte von größter Relevanz sind.[24]
Die konzeptionelle Ausgestaltung der Maßnahmen werden zwar bereits in den oben vorgestellten Richtlinien deutlich, die Verfasser des SK`86 widmen sich ihr aber auch konkret an mehreren Stellen[25]. Den Kern der Projekte bildet die Errichtung von schulischen Ausbildungszentren. Ergänzt wird dieser Ansatz zum einen durch Weiterbildungsmaßnahmen für Lehrer und Ausbilder und zum anderen durch die Einbeziehung der Betriebe, wodurch die duale Komponente gestärkt werden soll. Durch eine „zentrale Systemberatung“[26] soll ebenfalls ein höherer Wirkungsgrad der Maßnahmen erreicht werden. Diese Systemberatung bezieht sich auf die isolierte Beratung einzelner Akteure im Berufsbildungssystem, wie es die angeführten Projektbeispiele im SK`86 zeigen. Da alle diese Maßnahmen nicht mit anderen vernetzt sind, sondern relativ verbindungslos arbeiten, können sie als Einzelmaßnahmen bezeichnet werden.
1.3 Kritik am 86er Sektorkonzept
In dem folgenden Abschnitt soll die Kritik am SK’86 behandelt werden, die sich in der Hauptsache mit den beschriebenen Punkten des Konzeptes befasst. Die Kritik und die damit einhergehende Diskussion über die Richtlinien sind deshalb von Bedeutung, weil sie im April 1988 eine Sachverständigenanhörung initiierten, die als Ergebnis die Überarbeitung des SK’86 hatte.[27]
Als die größten Kritiker dürften Schleich, Karcher, Axt[28] und Rathenberg[29] angeführt werden. Schleich, Karcher, Axt und Overwien veröffentlichten mit dem Aufsatz „Das neue Sektorkonzept für die Entwicklungszusammenarbeit in der gewerblichen Berufsbildung des BMZ – eine kritische Würdigung“[30] die erste in dieser Arbeit behandelte Kritik. Zu Beginn des Aufsatzes bringen die Autoren die Wichtigkeit eines neuen Sektorkonzeptes zum Ausdruck, da das vorige bereits seit 1969 gültig war. Gleichzeitig warnen sie davor, dass auch das neue Sektorkonzept eine so lange Zeit die Richtlinien für Berufsbildungsprojekte stellt.[31] Die Kritiker hielten es für dringend notwendig, die Richtlinien von 1969 abzulösen, da es sich gezeigt hat, dass die deutsche BBH Schwächen erkennen ließ, gegen die es etwas zu tun galt. Im einzelnen waren das die Zielgruppenverfehlung der BBH, die Vermittlung von irrelevanten Qualifikationen, praxisferne Ausbildungen sowie das Ausbleiben einer Wirkung gegen die Verarmung durch die Projekte.[32] An diesen Punkten setzt die Kritik der Autoren an dem 86er Sektorkonzept an, da es die wichtigsten Erkenntnisse der entwicklungspolitischen Diskussion der vergangenen Jahre nicht berücksichtigt: „Dieses Papier ist ein Rückschlag und eine herbe Enttäuschung für die vielen engagierten Menschen aus allen politischen Lagern...“[33] Selbst die gemeinsame Erklärung der Faktionen SPD, CDU und FDP im deutschen Bundestag, die die deutsche Entwicklungspolitik auf die Eckpfeiler Grundbedürfnisbefriedigung, Armutsbekämpfung und Selbsthilfeförderung verpflichteten, wurden nicht mit in das Konzept aufgenommen. „Das Sektorkonzept fällt kurz gesagt in die 60-er Jahre zurück...“[34]
Die dem Sektorkonzept zugrundeliegende Modernisierungstheorie, die die Arbeitsteilung als Hauptindikator für industrielles Wachstum ausmacht und dem SK’86 zugrunde liegt, wurde ebenfalls als veraltet kritisiert. Vor allem die in der Theorie implizierte Gleichstellung von Industrialisierung und Entwicklung wurde in Frage gestellt.[35] Im Gegenteil habe die Arbeitsteilung sogar zu einer Polarisierung der Bevölkerung in wenige Reiche und viele Arme geführt, die Landflucht verstärkt und schließlich die EL in eine tiefe Schuldenkrise geführt.
Ein weiterer wichtiger Kritikpunkt am SK’86 ist die technologische Gleichsetzung der Industrie und des Handwerks, das besonders gefördert werden soll. Bei der Konzeptionierung einer Ausbildung müssen diese Bereiche jedoch voneinander getrennt behandelt werden, da die einseitige Vermittlung industrierelevanter Ausbildungsinhalte für den Handwerkssektor eine Fehlqualifizierung der Absolventen zur Folge haben könnte.[36] Als nächstes nehmen sich die vier Autoren der Beschränkung der BBH allein auf die Betriebe des modernen Wirtschaftssektors an, die sie als „schlicht elitär“[37] einstufen. Sie machen auf den Informellen Sektor aufmerksam, dem oft mehr als 50 % der gesamten Erwerbstätigen in den Ballungszentren der EL angehören. „Um sie geht es auch, wenn von Grundbedürfnisbefriedigung oder Armutsbekämpfung die Rede ist. Um sie geht es im 86er Sektorkonzept ausdrücklich nicht.“[38] Im weiteren Verlauf der Kritik wird den Verfassern des SK’86 Eurozentrismus vorgeworfen, der sich in der Forderung nach der Einführung dualer Strukturen in EL, ohne die bestehenden Strukturen der EL zu berücksichtigen, manifestiert. Damit im Zusammenhang steht auch der o.g. Kostenvorteil, den das Duale System für nachhaltige Finanzierung von BB-Projekten haben soll. Die Kritiker verweisen darauf, dass die Kosten durch die Einführung dualer Strukturen keinesfalls geringer, sondern lediglich anders aufgeteilt werden.[39] Die aus dem SK’86 herauszulesende Unternehmensbezogenheit stößt bei den vier Autoren ebenfalls auf harsche Kritik: “Besonders problematisch ist die völlig einseitige Unternehmensorientierung des Sektorkonzeptes. Von den Problemen derjenigen, die einen Ausbildungsplatz und vor allem einen Arbeitsplatz suchen und ihn nicht finden, wird im Papier nicht gesprochen, stattdessen immer von den Problemen der Unternehmer.“[40]
Die Maßgabe des SK’86, Allgemeinwissen nur insoweit zu vermitteln als es dringend erforderlich ist, wird von den Kritikern als „schlicht reaktionär“[41] bewertet, da ihrer Meinung nach die Allgemeinbildung als Vorraussetzung für den Erwerb von Kompetenzen anzusehen ist.
Als Ergebnis der Kritik bleibt festzuhalten, dass die im SK’86 beschriebene Ausrichtung der BBH einen unzureichenden Beitrag zur Armutsbekämpfung erbringt und darüber hinaus die Bevölkerung eher in wenige Reiche und viele Arme polarisiert. Die Autoren fordern eine Überarbeitung des Konzeptes unter Einbeziehung verschiedener Non-Government-Organizations (NGO’s) und unter stärkerer Berücksichtigung des Informellen Sektors bei der Ausarbeitung des neuen Konzeptes.[42]
Diese massive Kritik am gerade erst veröffentlichten Sektorkonzept provozierte seine Verteidigung. Dieser nahmen sich kurze Zeit darauf Arnold und Burk in dem Aufsatz „Der Streit um die Berufsbildung für die Dritte Welt – Rehabilitierung der offiziellen Berufsbildungshilfe“[43] an. Im Kern dieser Verteidigungsschrift des SK’86 geht es den beiden Autoren darum, die Hauptkritikpunkte an dem Konzept, die sie als Eliteförderung, Zielgruppenverfehlung, Absolventenarbeitslosigkeit und Eurozentrismus identifizieren[44], zu entkräften. Zuerst wenden sie sich jedoch der geforderten Einbeziehung der Förderung des Informellen Sektors in das Sektorkonzept zu. Ihrer Meinung nach wurde von den Kritikern sowohl der Bedarf an deutscher BBH im Informellen Sektor als auch die schlichte Möglichkeit in diesen Sektor effektiv zu agieren zu einseitig betrachtet. Die Tatsache, dass sich das SK’86 mit den Belangen berufsspezifischer Einrichtungen, nicht aber mit der Etablierung landesweiter Ausbildungssysteme beschäftigt, überfordert ihrer Auffassung nach das Sektorkonzept.[45]
[...]
[1] Greinert, W.-D.; Heitmann, W.: Zur Strategie der Entwicklung von Berufsbildungssystemen in Ländern der Dritten Welt, Berlin, 1995, S.4.
[2] BMZ, Sektorkonzept für die Entwicklungszusammenarbeit von gewerblicher Berufsbildung, Bonn, 1986, S. 50 f.
[3] Vgl. ebenda, S. 42.
[4] Vgl. ebenda, S. 49.
[5] Vgl. Dröge, R.: Sektorstudien und Systementwicklung. In: Heitmann, Greinert: Analyseinstrumente in der Berufsbildungszusammenarbeit, Berlin, 1995, S.42 f.
[6] BMZ, Sektorkonzept Berufliche Bildung, Bonn, 1992.
[7] BMZ, Sektorkonzept für die Entwicklungszusammenarbeit von gewerblicher Berufsbildung, Bonn, 1986.
[8] Vgl. Stockmann, R.: Zum Wandel der deutschen Berufsbildungshilfe: Ein Vergleich zwischen Entwicklungs- und Bildungstheorie, Förderprogrammteil und Implementation, in: Vierzig Jahre Berufsbildungszusammenarbeit mit Ländern der Dritten Welt, Baden-Baden, 1997.
[9] 1969 wurden die ersten allgemeinen Grundsätze der deutschen Berufsbildungshilfe unter dem Titel „Die technische Hilfe der Bundesrepublik auf dem Gebiet der gewerblichen Berufsausbildung in Entwicklungsländern“ vom Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit herausgebracht. Dieses erste Sektorkonzept von 1969 war weniger umfassend als seine Nachfolger (die Sektorkonzepte von 1986 und 1992), stellte jedoch die ersten Richtlinien für die konzeptionelle Umsetzung von Berufsbildungsprojekten dar.
[10] BMZ, Sektorkonzept für die Entwicklungszusammenarbeit von gewerblicher Berufsbildung, Bonn, 1986, S. 39.
[11] Zitat, ebenda, S. 39.
[12] Ebenda S. 40.
Siehe auch: Stockmann, R.: Zum Wandel der deutschen Berufsbildungshilfe: Ein Vergleich zwischen Entwicklungs- und Bildungstheorie, Förderprogrammteil und Implementation, in: Vierzig Jahre Berufsbildungszusammenarbeit mit Ländern der Dritten Welt, Baden-Baden, 1997, S.15.
[13]. BMZ, Sektorkonzept für die Entwicklungszusammenarbeit von gewerblicher Berufsbildung, Bonn, 1986, S. 40.
[14] Ebenda, S. 40.
[15] Ebenda, S. 40.
[16] Vgl. ebenda, S. 41.
[17] Der Ausdruck „white collar comlex“ steht synonym für das Streben nach höherer Berufsbildung, die es dem Einzelnen ermöglichen soll einen Beruf zu ergreifen, in dem er nicht handwerklich arbeiten muss, da handwerkliche Berufe in vielen EL einen sehr geringen gesellschaftlichen Stellenwert haben.
[18] BMZ, Sektorkonzept für die Entwicklungszusammenarbeit von gewerblicher Berufsbildung, Bonn, 1986, S. 41.
[19] Vgl. ebenda, S. 42.
[20] Vgl. ebenda,. S. 42.
[21] Ebenda, S. 43 f.
[22] Ebenda, S. 45.
[23] Vgl. ebenda, S. 48.
[24] Vgl. ebenda, S. 50 f.
[25] Vgl. ebenda, S. 42, 46, 49ff.
[26] Ebenda, S.42.
[27] Vgl. Stockmann, R.: Zum Wandel der deutschen Berufsbildungshilfe: Ein Vergleich zwischen Entwicklungs- und Bildungstheorie, Förderprogrammteil und Implementation, in: Vierzig Jahre Berufsbildungszusammenarbeit mit Ländern der Dritten Welt, Baden-Baden, 1997, S.24.
[28] Karcher W.; Axt, H.-J.; Overwien, B.; Schleich, B.: Das neue Sektorkonzept für die Entwicklungszusammenarbeit der gewerblichen Berufsbildung des BMZ - eine kritische Würdigung. In: Ausbildungs- und Beschäftigungskrise in der Dritten Welt, Franfurt a.M., 1987, S93-104.
Siehe auch: Karcher W.; Axt, H.-J.; Schleich, B.: Profiltreu oder Lernfähig? Zur Diskussion um die deutsche Berufsbildungshilfe. In: Entwicklung und Zusammenarbeit, Jg. 29, H.3, S10-12.
[29] Rathenberg, E.: Ist unsere Berufsbildungshilfe noch auf dem richtigen Weg? Ein Beitrag um die gegenwärtige Diskussion um die Reform. In: Entwicklung und Zusammenarbeit, Jg. 28, H. 12, 1987, S. 14-17.
[30] Vgl. Karcher, W.; Axt, H.-J.; Schleich, B.: Profiltreu oder Lernfähig? Zur Diskussion um die deutsche Berufsbildungshilfe. In: Entwicklung und Zusammenarbeit, Jg. 29, H.3, 1988, S10-12.
[31] Vgl. ebenda, S. 93.
[32] Vgl. ebenda, S. 93 f.
[33] Ebenda, S. 94.
[34] Ebenda, S. 94.
[35] Vgl. ebenda, S. 95.
Siehe auch: Stockmann R.: Zum Wandel der deutschen Berufsbildungshilfe: Ein Vergleich zwischen Entwicklungs- und Bildungstheorie, Förderprogrammteil und Implementation, in: Vierzig Jahre Berufsbildungszusammenarbeit mit Ländern der Dritten Welt, Baden-Baden, 1997, S.15.
[36] Vgl. ebenda, S. 96.
[37] Vgl. ebenda, S. 97.
[38] Zitat, ebenda, S. 98.
[39] Vgl. ebenda, S. 98.
[40] Ebenda, S. 99.
[41] Ebenda, S. 98.
[42] Vgl. ebenda, S. 103.
[43] Vgl. Arnold, R.; Burk, H.: Der Streit um die Berufsbildung für die Dritte Welt – Rehabilitierung der offiziellen Berufsbildungshilfe. In: Entwicklung und Zusammenarbeit, Jg. 28, H. 12, 1987, S. 14-17.
[44] Vgl. ebenda, S. 103.
[45] Vgl. ebenda, S. 14.
- Arbeit zitieren
- Magister Artium Michael Becker (Autor:in), 2001, Systemische Berufsbildungsberatung vs. Beratung in Einzelprojekten, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/80802
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