Annexion als Fortschritt?

Wirtschaftspolitische Kontinuität und Brüche in Hannover beim Übergang vom Königreich zur preußischen Provinz


Hausarbeit (Hauptseminar), 2007

29 Seiten, Note: 1,3


Leseprobe


Gliederung der Arbeit

Einleitung

1. Wirtschaft und Wirtschaftspolitik in Hannover bis
1.1Wirtschaftliche, soziale und demographische Situation am Vorabend der Annexion
1.2. Die welfische Wirtschaftspolitik im Königreich Hannover – Ein Überblick

2. Reformfähiges Preußen vs. reformunfähiges Hannover?
2.1. Grundzüge preußischer Integrationspolitik in Hannover
2.2. Projektbezogener Vergleich in drei Beispielen
2.2.1. Die Gewerbepolitik
2.2.2. Die Eisenbahnpolitik
2.2.3. Die Bauernbefreiung

3. Aufschwung durch überlegene Wirtschaftspolitik?
3.1. Preußische Liberalisierungspolitik und wirtschaftlicher Aufschwung
3.2. Weitere Erklärungen für die wirtschaftliche Entwicklung der Provinz Hannover

Fazit

Literaturverzeichnis:

Einleitung

Drängende Probleme, die sich aus der komplexen wirtschaftlichen und sozialen Dynamik des 19. Jahrhunderts ergaben, konnten in der bis 1866 selbständigen Provinz Hannover scheinbar erst unter preußischer Ägide überwunden werden. Diese Gleichzeitigkeit von wirtschaftlicher Entwicklung und politischer Zäsur wird häufig mit der wirtschafts- wie allgemeinpolitischen Reformfähigkeit der jeweiligen Systeme gleichgesetzt. Wegen der spürbaren, nahezu konstant zunehmenden Verbesserung der allgemein- und in der Regel auch individualwirtschaftlichen Situation[1] wird der weitgehend liberalisierenden Wirtschaftspolitik Preußens nicht nur für Hannover eine besonders hohe Integrationsleistung zugeschrieben.[2] Die vorliegende Arbeit untersucht, inwieweit sich dieser scheinbare Gegensatz zwischen fortschrittlichem preußischen Liberalismus und reaktionär-kurzsinniger welfischer Wirtschaftspolitik bei näherer Betrachtung regionaler und (inter-) „nationaler“ ökonomischer wie politischer Rahmenbedingungen aufrecht erhalten lässt und worin sich eventuelle Bestätigungen begründen. In einem ersten Abschnitt soll hierzu die wirtschaftliche und demographische Ausgangssituation am Vorabend der Annexion mitsamt der welfischen Wirtschaftspolitik vorgestellt werden. Das zweite Kapitel beschäftigt sich mit der preußischen Integrationspolitik im Allgemeinen und mit der Liberalisierungspolitik in Hannover im Speziellen. Letztere soll an hand dreier Reformbeispiele von besonders großer politökonomischer Bedeutung dargestellt und auf ihre Kontinuität bzw. Andersartigkeit mit der welfischen Wirtschafspolitik[3] untersucht werden. Das dritte Kapitel versucht schließlich, den Einfluss des Dargestellten an der insgesamt positiven wirtschaftlichen Entwicklung in der Provinz Hannover zu isolieren sowie dafür verantwortliche innen- und außenpolitische, binnen- und weltkonjunkturelle Rahmenbedingungen zu beleuchten. Die Erforschung der hannoveranschen Wirtschaft in Königreich und Provinz hatte, gemessen an der Zahl der Publikationen, ihren Höhepunkt Anfang/Mitte der 1980er Jahre.[4] Wesentliche Neuerungen ergaben sich seither erst wieder in letzten zehn Jahren mit eher spezialisierten Studien.[5] Als besonders wertvoll für die historische Wirtschaftsforschung dürften sich statistische Daten-sammlungen erweisen, die seit kurzer Zeit auch für das hannoversche Königreich vorliegen.[6]

1. Wirtschaft und Wirtschaftspolitik in Hannover bis 1866

In diesem Kapitel sollen einführend die wirtschaftliche Entwicklung und die welfische Wirtschaftspolitik bis 1866 dargestellt werden. Ziel des Abschnitts ist es, die Startbedingungen zu skizzieren, die den preußischen Annektoren 1866 gegenübertraten sowie einen problemorientierten Eindruck von den Grundsätzen welfischer Politik zu gewinnen.

1.1 Wirtschaftliche, soziale und demographische Situation am Vorabend der Annexion

Mitte der 1860er Jahre war Hannover ein noch stark agrarisch geprägter, kaum industrialisierter 2,5-Millionen-Staat. Die überwiegende Mehrheit der Bevölkerung lebte und arbeitete mit veralteten Produktionsmethoden in der Landwirtschaft,[7] während das Gewerbe vielfach noch in Manufaktur und Heimarbeit verrichtet wurde und insgesamt sehr handwerklich und kaum industriell geprägt war.[8] Erste industrielle Ansätze gab es zwar schon seit 1840 in Form von Maschinenbau, Montan- und Textilindustrie, allerdings waren die dafür benötigten Geräte und Maschinen kaum verbreitet. Dies lässt sich anhand von statistischen Erhebungen des deutschen Zollvereins von 1861 belegen.[9] So standen beispielsweise nur etwa 15 der insgesamt 540 Hochöfen auf dem Gebiet des Zollvereins in der Provinz Hannover. Von etwa 14000 Streckenkilometern im gesamten Zollverein befanden sich nur etwa 400 in Hannover - ein Wert, der sich allerdings nicht wesentlich von den meisten anderen „deutschen“ Staaten unterschied.[10] Geographisch begleitet wurde die Industrialisierung von allmählich entstehenden regionalen und städtischen Zentren, in denen sich ab Mitte der 1840er Jahre erste kleinere Fabriken ansiedelten. Sie boten nicht nur Arbeitsplätze für die Dorfbewohner, sondern waren zudem wichtige Abnehmer agrarischer Produkte. Gleichzeitig wurde diese ökonomische wie demographische Stadt-Land-Verbindung mit der Ausweitung des Trassennetzes und dem günstigeren Absatz von Vieh und Getreide zunehmend ausgedehnt.[11]

Bevölkerungszunahme und Urbanisierungsprozess in nennenswertem Umfang setzten statistischen Angaben zufolge in Hannover erst nach der Annexion, dann allerdings regional stark unterschiedlich ein.[12] Die wenigen „Industriestädte“[13] boten dafür bis zum Ende des Königreichs schlicht zu wenig Produktionsumfang, was zu einem großen Teil an den Beschränkungen der Freizügigkeit lag.[14] Mit der zunehmenden Industrialisierung, u.a. ausgelöst durch die liberale preußische Gewerbepolitik,[15] begann sowohl der Bevölkerungszuwachs als auch die Urbanisierung – von 1864 bis 1910 stieg die Bevölkerung um insgesamt etwa 50% auf etwa 3,5 Millionen Einwohner an. Getragen wurde diese Entwicklung hauptsächlich von den Industriestädten, deren Bevölkerung sich teilweise verdoppelte oder sich gar, wie im Fall von Hannover-Stadt, verdreifachte. Der negative Wanderungssaldo Niedersachsens geht größtenteils auf die überseeischen Auswanderungen zurück – im Zeitraum von Mitte der 20er bis Mitte der 60er Jahre emigrierten etwa 40% des Geburtenüberschusses in das überwiegend US- amerikanische Ausland.[16] Weder konnte die hannoversche Landwirtschaft ausreichend Produktivitätssteigerungen erreichen, um die zusätzliche Bevölkerung zu ernähren, noch gab es im Gewerbe ausreichend Arbeitsplätze.[17] Die soziale Lage der Landbevölkerung war größtenteils schlecht. Den größten Teil der Landbevölkerung stellten nicht mehr die Bauern, sondern die sogenannte unterbäuerliche, weil landarme Bevölkerung.[18] Ihr bescheidenes Auskommen hatten sie hauptsächlich in der Heimarbeit und im Ernteeinsatz im benachbarten Holland, dem sogenannten Hollandgang, da die allermeisten der Bauernhöfe gerade genug Arbeit und Nahrung für die Besitzerfamilie ergaben.[19] Ihre Lage verschärfte sich mit den ab Ende der 20er Jahre sinkenden Getreidepreisen und der zunehmenden Konkurrenz durch Maschinen und Baumwollspinnereien. Diese soziale Problematik führte Anfang der 1830er Jahre zu vereinzelten Aufständen, die ihrerseits erste Landreformen nach sich zogen, allerdings kaum zu einer Verbesserung der Lebensumstände der Mehrzahl der Landbevölkerung führten[20] Die Lebenssituation der Industriearbeiter unterschied sich davon kaum. Auch hier kam es zu dem aus anderen Industriestädten bekannten sozialen Missständen, auch wenn diese in Folge der verspäteten Industrialisierung erst Ende der 70er Jahre zu einem Massenphänomen wurden.[21]

1.2. Die welfische Wirtschaftspolitik im Königreich Hannover – Ein Überblick

Das Steuerwesen des Königreichs Hannover wurde zwar nach den weiträumigen Unruhen von 1830/31 ein wenig zu Gunsten der Unterschichten reformiert,[22] spiegelte aber insgesamt die politischen Kräfteverhältnisse und das wirtschaftliche Domänensystem der vorfranzösischen Zeit wider - eine Entwicklung, die besonders unter dem stark reaktionären Georg V. noch verstärkt wurde. So verlangte zum Beispiel die 1856 reformierte Häusersteuer eine jährliche Abgabe von 1/6 Taler bei 100 Taler Kapitalwert, wobei die festgeschriebene Obergrenze der Abgaben von 40 Talern hauptsächlich die Besitzer großer Grundstücke begünstigte. Ähnlich differenziert-progressiv[23] angelegt und die Oberschicht begünstigend war auch die überwiegende Mehrheit der persönlichen direkten Steuern angelegt, die 1859 erstmals in einem einzigen Gesetz zusammengefasst wurden.[24] Zu den wichtigsten wirtschaftspolitischen Reformen in der Landwirtschaft zählen die Bauernbefreiung sowie weitere liberalisierende Agrarreformen, die allesamt erst im Zuge der Julirevolution von 1830 in Angriff genommen wurden.[25] Direkt mit dieser Gesetzgebung hängt auch die Errichtung der Landeskreditanstalt von 1842 zusammen, eine der ersten Banken in Hannover. Ihre Aufgabe war es, den nur langsam vorankommenden Ablösungsprozess der Ländereien zu beschleunigen, was zwar in Teilen gelang, die regional sehr heterogene Entwicklung allerdings nicht vollständig abschließen konnte.[26] Die Notwendigkeit ihrer Gründung verweist indes auf einen grundsätzlichen Mangel der Hannoverschen Wirtschaft schon zu Kurfürstenzeiten: das fehlende Bankenwesen.[27] Zwar gab es schon seit Anfang des 19. Jahrhunderts vereinzelte Sparkassen, jedoch waren diese – wie übrigens auch die Landeskreditanstalt – in ihrem Einfluss stark beschränkt.[28] So durfte die Landeskreditanstalt nur Bauern einen Kredit geben. Neben solchen institutionellen Beschränkungen war insbesondere das mangelnde Kapitalvolumen der Kreditanstalten dafür verantwortlich, dass kein flächendeckendes Kreditsystem etabliert werden konnte oder die Konjunktur auf andere Weise hätte reguliert werden können, etwa durch eine vernünftige Notenpolitik – angesichts der zu Zeiten des Königtums so schlecht entwickelten Industrie in Hannover eigentlich eine drängende Notwendigkeit. Erst die 1857 erfolgte Gründung der Hannoverschen Bank für Handel und Gewerbe markiert hier eine Kehrtwende, auch wenn diese angesichts der immensen Herausforderung der weltweiten Rezession nicht sonderlich erfolgreich agieren sollte.[29]

Wie im Folgenden ersichtlich wird, war diese Vernachlässigung des Bankenwesens mit seiner großen Bedeutung für den Strukturwandel keineswegs ein Einzelfall, sondern kann durchaus symptomatisch für die in Hannover verhältnismäßig lang praktizierte Skepsis gegenüber aufkommenden Wirtschaftsformen angesehen werden. Vor dem sehr späten Beitritt zum Zollverein[30] versuchte Hannover, die eigene wirtschaftliche und damit auch politische Stellung durch eher regionale Bündnisse wie dem Steuerverein und dem Mitteldeutschen Zollverein[31] zu stärken. Gerade hier lässt sich die Bedeutung von eigenstaatlichen Elementen der Wirtschaftspolitik erkennen: Die Befürchtung konservativer Kreise in den Ständekammern wie auch den Vertretern des Handwerks war, dass der mit einer Mitgliedschaft im Zollverein verbundene Wegfall von einträglichen Privilegien längerfristig auch zu einem zunehmenden Verlust der außenpolitischen Eigenständigkeit führen könnte.[32] Ein weiter wichtiger Grund für die anfänglichen und insbesondere von Herrscherseite nie ganz abgelegten Abneigungen gegenüber dem Zollverein waren die engen Handelsbeziehungen mit England, die aus der engen dynastischen Verbindung mit dem dortigen Herrscherhaus, insbesondere aus der Zeit der Personalunion, hervorgegangen sind und durch die nun gültigen Zollbestimmungen erheblichen Schaden nehmen mussten.[33] Hannover trat 1851 eher widerwillig als einer der letzten Staaten dem bereits 1833 beschlossenen und 1834 in Kraft getretenen Zollverein bei. Wesentliche Gründe dürften letztendlich vor allem Preußens im Gegenzug erbrachte Anerkennung der Thronfolge des blinden Georg V. und der Gewährung von Sonderzollrechten zu finden sein.[34] Auffällig an der hannoverschen Gewerbepolitik ist die starke Fokussierung auf das Handwerk, dessen noch stark zünftlerisch geprägte Privilegien in der Zeit des gesamten Königreichs nur sehr schwach beschnitten wurden. Liberalisierungsbestrebungen in einer eigens dafür vorgesehenen neuen Gewerbeordnung konnten trotz mehrerer Anläufe vor allem aufgrund des Widerstandes in den Zünften bzw. der konservativ geprägten Ständeversammlung nicht verwirklicht werden.[35] Eine neue Gewerbeverfassung gelang zwar 1848, beinhaltete wegen dieser politischen Konstellation aber kaum Liberalisierungen. Diese Vorraussetzungen konnten erst nach der Annexion geändert werden. Dass solche Liberalisierungstendenzen über die angestrengten Reformen hinaus schon wesentlich früher nötig gewesen wären, zeigt deutlich der oben beschriebene unterentwickelte Zustand der hannoverschen Industrie.

2. Reformfähiges Preußen vs. reformunfähiges Hannover?

Das folgende Kapitel behandelt die wirtschaftspolitische Entwicklung im Königreich und in der Provinz Hannover. Zentral ist hierbei die Frage, ob erst die Absetzung des welfischen Regimes dringende Reformen ermöglichte oder ob bzw. in welchem Umfang diese bereits zu Zeiten des Königtums angestoßen wurden. Um einen ebenso tiefgreifenden wie umfassenden Eindruck zu gewinnen, soll hierfür die hannoversche Wirtschaftspolitik beider Regime an drei für den Strukturwandel besonders bedeutenden Beispielen skizziert werden: der Gewerbe- und Eisenbahnpolitik sowie der Bauernbefreiung. Dem soll zunächst ein kurzer Eindruck von der preußischen Integrationspolitik[36] mit dem Schwerpunkt auf Hannover vorausgehen.

2.1. Grundzüge preußischer Integrationspolitik in Hannover

Die 1866 annektierten Provinzen waren in Wirtschafts- und Verwaltungsstruktur höchst unterschiedlich organisiert und entwickelt und sollten so schnell wie möglich in die wirtschaftliche und soziale Struktur des Reiches eingegliedert werden. Gemein war diesen Gebieten höchstens die kleinstaatliche Orientierung und die daraus im Verhältnis zu den alten preußischen Provinzen resultierende industrielle Rückständigkeit.[37] Das Königreich Hannover nahm hierbei administrativ und wirtschaftlich eine Spitzenposition ein. Es war zudem das größte dieser Gebiete und das einzige, das ohne administrativ bedingte Grenzverschiebungen übernommen wurde.[38] Die Unterschiede zu den alten preußischen Provinzen sollten laut Bismarck mittels einer „schonenden Integration mit Chancen für eine schnelle Assimilierung“ verringert werden.[39] Für diese Haltung war nicht nur Hannovers geographische Größe und Lage verantwortlich, die Integration war gleichzeitig auch ein internationales Prestigeprojekt: Die Annexion nicht nur von der überwiegenden Mehrzahl der Hannoveraner abgelehnt, sondern auch von preußischen Nationalen und gesamteuropäischen Adelskreisen als unrechtmäßig kritisiert. Sogar der preußische König Wilhelm I wollte Hannover aufgrund seiner legitimistischen Gesinnung zunächst nicht annektieren, sondern „lediglich“ sehr große Gebietsabtretungen erwirken.[40] Unter diesem Rechtfertigungszwang erscheint es durchaus plausibel, dass Bismarck sich auf höhere Ziele berief. Im Fall Hannover war es die nationale Einigung Deutschlands, der „deutsche[r] Beruf Preußens“.[41] Diese Auseinandersetzungen erklären zu großen Teilen den behutsamen Integrationskurs, der die preußische Politik im Folgenden prägen und zu einigen besonders weit gehenden Privilegien führen sollte, die auch der hannoverschen Wirtschaft zu Gute kamen.[42]

Bereits im Besatzungsjahr, dem sogenannten Diktaturjahr, wurde daher - neben allen polizeilichen Härten und weiteren starken Belastungen für die Bevölkerung wie der Einquartierungspflicht[43] - dem Leiter der Militärverwaltung ein Zivilkommissar an die Seite gestellt, der die administrative und die wirtschaftliche Assimilierung beaufsichtigen sollte.[44] Die Berufung des in Hannover sehr beliebten Stolberg-Wernigerode zum Oberpräsidenten war ein weiterer Schritt auf dem Weg zur politischen Normalisierung, der bald auch die ersten Wahlen zum hannoverschen Provinziallandtag, zum kommunalen Städtetag und zur Konstituante des Norddeutschen Bundes folgen sollten. Personell und strukturell wurde das bestehende Verwaltungssystem auf den unteren und mittleren Ebenen nach dem Prinzip der Kreiseingesessenheit beibehalten, wodurch die hannoversche Verwaltung von sachverständigem Personal weitergeführt werden konnte.[45] Auch die Verfassung des Norddeutschen Bundes, 1871 weitgehend als Reichsverfassung übernommen, entspricht dieser Tendenz: Trotz ihres stark unifikatorischen Charakters bot diese vor allem mit der Institution des Bundesrates durchaus eigenstaatlichen Spielraum.[46] Die Provinziallandtage der 1866 annektierten Provinzen waren überdies die ersten, denen einzelne Steuerhoheiten gewährt wurden. Diese partielle Steuerhoheit und die weitgehende administrative Autonomie führten dazu, dass die Ressourcen der eigenen Wirtschaft im Land blieben. Dadurch entstand zu den Verhältnissen im Zollverein kein allzu großer Bruch und die rückständigen Provinzen gewannen Zeit, sich umzustrukturieren. Dieses „Modell Hannover“[47] wurde auf alle weiteren 1866 und 1871 annektierten Gebiete übertragen. All diese Faktoren sollten wesentlich dazu beitragen, dass die Befürchtung, nach dem Verlust der politischen Eigenständigkeit auch wirtschaftlich an der industriell weit überlegenen innerdeutschen Konkurrenz, zugrunde zu gehen, sich als weitgehend unbegründet erweisen sollte.

2.2. Projektbezogener Vergleich in drei Beispielen

Der vorgegebene Rahmen der Arbeit bedingt den kursorischen Charakter der folgenden konkretisierenden Darstellung preußischer Integrationspolitik. Diese konzentriert sich daher auf die zentralen wirtschaftspolitischen Maßnahmen vor und unmittelbar nach der Annexion.

[...]


[1] Dies kann bei allen Schwankungen der Entwicklung und ihrer teils sehr unterschiedlicher Interpretation als einheitliches Fazit bezeichnet werden (vgl. u.a. Weichlein 2004, Lerner 1969).

[2] Vgl. u.a. Aschoff 1987: 101 ff., Weichlein 2004: 37 ff.

[3] „Welfisch“ soll im Folgenden insbesondere politische Handlungen und Zustände bezeichnen und zuordnen, die von der königlichen Regierung in Hannover vor der Annexion verursacht wurden (vgl. auch Aschoff 1987: 1 ff.).

[4] Besonders zu erwähnen sind Kaufhold 1984, Niemann 1984, Achilles 1978 und Schneider/Seedorf 1989.

[5] U.a. Mohr 2001, Meschkat-Peters 2000, Denzel 2000.

[6] Denzel/Kaufhold 1998. Für statistische Erhebungen zum Kaiserreich vgl. Hohorst et. al. 1978.

[7] Diese Gruppe umfasste 1861 etwa 440.000Beschäftigte, während im Handwerk etwa 55.000, in der Industrie etwa 30.000 arbeiteten (vgl. Niemann 1984. 388 f.).

[8] Vgl. allg. Schubert 1997; Aschoff 1987: 19 ff.

[9] Vgl. Denzel/Kaufhold 1998: 64 ff. Treue 1966: 38 ff.

[10] Vgl. Meschkat-Peters 2000: 613 f. Im Anhang ihrer Darstellung findet sich eine detaillierte Karte zur historischen Entwicklung des hannoverschen Eisenbahnnetzes.

[11] Vgl. Schneider 1999.

[12] Vgl. Denzel/Kaufhold 1998: 14.

[13] 1866 waren dies lediglich die Städte Delmenhorst, Braunschweig, Harburg, Wilhelmshaven, Hannover sowie das Harzgebiet (vgl. Niemann 1984: 391).

[14] Vgl. Kap. 2.2. dieser Arbeit.

[15] Vgl. Kap. 2.2. sowie Kap. 3.1. dieser Arbeit.

[16] Vgl. Niemann 1984: 391 f. Am ausführlichsten Wächter 1959: 8.

[17] Die hohe Anziehungskraft gerade der US- Wirtschaft dürfte neben ihrem höheren technischen Entwicklungsstand und der damit verbundenen besseren Versorgungssituation vor allem auf dem sogenannten Homestead-Act zurückzuführen sein, der auch Immigranten Landnahme ermöglichte (ebenda.: 34).

[18] Vgl. Schneider/Seedorf 1989: 60 f.

[19] Ebenda.

[20] Vgl. Schneider/Seedorf 1989: 63 ff. Zu den resultierenden Landreformen vgl. Kap. 2.2.3. dieser Arbeit.

[21] Vgl. Niemann 396 ff.

[22] Oberschelp 1988: 298.

[23] Für die Häusersteuer errechet Oberschelp (1988: 298 f. ) ein Verhältnis von 111, 5: 1 zwischen höchstem und niedrigstem Steuersatz, für die Gewerbesteuer Steuersatz von 300: 1, die in jeweils 12, bzw. 15 Steuerklassen verteilt sind.

[24] Einkommen unter 140 Talern sowie grundsätzlich alle Unter-16-Jährigen sowie die mediatisierten Fürsten und Mitglieder der königlichen Familie blieben von Steuerzahlungen befreit ( Vgl. Oberschelp 1988: 298).

[25] Vgl. allg. Schneider/Seedorf 1989 sowie Kap. 2.2.3. dieser Arbeit

[26] Ebenda 102 ff.

[27] Oberschelp 1982: 230. Trotz mehrerer Entwürfe, die teilweise auf hochrangig besetzte staatlich eingesetzte Ausschüsse zurückgingen, Petitionen der 1815 dazu gewonnenen Provinzen und einer Fürsprache durch die Ständeversammlung 1819 konnte das Projekt nie realisiert werden. Sparaufkommen wurden weiterhin zu Hause gehortet, Kredite privat vergeben (ebd.: 227 ff.).

[28] Oberschelp 1982: 230.

[29] Oberschelp 1988: 300.

[30] Hannover trat 1851 als einer der letzten Staaten dem bereits 1833 beschlossenen und 1834 in Kraft getretenen Zollverein bei. (vgl. Hahn 1984: 160 f.).

[31] Der Mitteldeutsche Handelsverein wurde 1828 zwischen Hannover, Sachsen, Kurhessen und weiteren Staaten gegründet und von Österreich gefördert. Der Steuerverein wurde 1834 zwischen Hannover, Oldenburg, Braunschweig und Lippe gegründet. Hannover war weiterhin Unterzeichner der Elbschifffahrtsakte von 1821 und der Weserschiffahrtsakte von 1823, die beide durchgängig hohe Schifffahrtszölle garantierten (vgl. Denzel 2000: 9 ff.).

[32] Ebenda: 47 ff.

[33] Vgl. Hahn 1985: 165 f.

[34] Preußen selbst war zu dieser Zeit auf Verbündete angewiesen: Um seine wirtschaftliche und politische Führungsrolle zu behaupten, musste ein Beitritt Österreichs bei dem Zusammenschluss von Zoll- und Steuerverein verhindert werden, was mit der Einbindung Hannovers, der Vormacht im Steuervereins auch gelingen solle (Oberschelp 1988: 238 f.).

[35] Vgl. Mohr 2001: 70 ff.

[36] „Preußische“ Politik bezeichnet im Kontext dieser Arbeit nicht nur diejenige des Bundesstaates Preußen, sondern auch des Norddeutschen Bundes und des Kaiserreichs, was sich aus der dominierenden Position Preußens in diesen Staatsgebilden rechtfertigt.

[37] Vgl. Lerner 1969: 130 ff.

[38] Vgl. Barmeyer 1984a: 346 f.

[39] Vgl. Barmeyer 1976: 398.

[40] Vgl. Barmeyer 1973: 303 ff.

[41] Vgl. Barmeyer 1976: 400.

[42] Maatz (1970) teilt den hannoverschen Integrationsprozess in insgesamt drei Phasen: 1.) 1866-1871, Phase der Verschmelzung - diplomatische, administrative und wirtschaftspolitische Sonderstellung. 2.) 1871-1890 Hannover nimmt keine Sonderstellung mehr ein. 3.) 1890-1898. In Bismarcks politischem Denken spielt Hannover kaum eine Rolle mehr.

[43] Vgl. Aschoff 1987: 26 ff.

[44] Vgl. Aschoff 1987: ebd., 89 ff.

[45] Vgl. Barmeyer 1984b: 126 ff. Kreiseingesessenheit impliziert die Besetzung der Stellen mit heimischem Personal (vgl. Barmeyer 1984a).

[46] Vgl. Herrigel 1996: 116 f.

[47] Darunter fiel unter anderem die Hoheit über die Einkommens- und Vermögenssteuer (vgl. Hauser 1984: 482).

Ende der Leseprobe aus 29 Seiten

Details

Titel
Annexion als Fortschritt?
Untertitel
Wirtschaftspolitische Kontinuität und Brüche in Hannover beim Übergang vom Königreich zur preußischen Provinz
Hochschule
Universität Leipzig  (Historisches Seminar)
Veranstaltung
Innenpolitische Probleme der Bismarckzeit
Note
1,3
Autor
Jahr
2007
Seiten
29
Katalognummer
V80841
ISBN (eBook)
9783638885157
Dateigröße
551 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Annexion, Fortschritt, Innenpolitische, Probleme, Bismarckzeit
Arbeit zitieren
Martin Tröster (Autor:in), 2007, Annexion als Fortschritt? , München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/80841

Kommentare

  • Noch keine Kommentare.
Blick ins Buch
Titel: Annexion als Fortschritt?



Ihre Arbeit hochladen

Ihre Hausarbeit / Abschlussarbeit:

- Publikation als eBook und Buch
- Hohes Honorar auf die Verkäufe
- Für Sie komplett kostenlos – mit ISBN
- Es dauert nur 5 Minuten
- Jede Arbeit findet Leser

Kostenlos Autor werden