Die Transformation der Architektur von einem ingenieurswissenschaftlich geprägten Prozessionsraum der trägen Steine zu einem informationstechnologischen CTRL_space der intelligenten Pixel ist einer der vielen folgenschweren Effekte des Computerzeitalters.
Jede neue Stufe der Medienevolution organisiert den Mensch-Maschine-Verbund, den mancher Spätromantiker noch Gesellschaft nennt, mit dem Datum seiner Implementierung grundlegend um. Durch die Computerisierung bzw. die Digitalisierung der Architektur wird der Wechsel der Leitkriterien von Energie zu Information in der Architektur vollzogen, die Ziegelsteine einer streng statischen Hardscience verwandeln sich in informative Bildelemente (Picture Elements oder eben Pixel) einer virtuellen Realität, die noch das große Unbekannte unserer Zeit ist.
Der Ausgang dieser Transformation ist ungewiss und nicht vorhersehbar, die ihr anhaftenden utopischen Hoffnungen sind wie immer groß, die Befürchtungen ebenso. Diese Arbeit wird sich deshalb nur ganz sparsam in architekturtheoretischer Futurologie versuchen und viel mehr den Blick zurück praktizieren, um die Strategien und Funktionsweisen einer computerbasierten Architektur ansatzweise aufzudecken.
Der CTRL_space des CAAD (Computer Aided Architectural Design) ist eine fröhliche Raumkontrollierungsstrategie. Fröhlich, weil er zum Spielen mit und Entwerfen von utopischen ArchiÄsthetiken einlädt, weil er die kalte Maschine und ihre GUIs zum tanzen bringt, weil er Materie verflüssigt und dekonstruiert und letztendlich auch deshalb fröhlich, weil er im Gegensatz zu seinem bekannteren Bruder Public CTRL_space keine orwell’schen Horrorszenarien evoziert.
CAAD CTRL_space ist also eine Kulturtechnik des Tanzens in Fesseln. Das Besondere an dieser Gattung des CTRL_space ist das Paradoxahle, dass sich im Spannungsfeld von „fröhlich“ vs. „-kontrolle“ aufbaut: Die ästhetischen Neuheiten und Freiheiten sind nur möglich durch einen Quantensprung in Sachen Kontrolle. CAAD verdeutlicht eine der spektakulärsten Eigenschaften von Simulation mit dem Computer. Simulation vereint zwei konträre Momente: Die absolute Freiheit bei gleichzeitig perfekter Kontrolle.
Inhaltsverzeichnis
- 1.0. Einführung: Digitale Architektur / CAAD
- 1.1. Ereignishorizont des CTRL_space
- 2.0. Historische Herleitung einiger kulturtechnischer Vorraussetzungen von CAAD-Programmen
- 2.1. Standards I
- 2.1.1. Taylors Scientific Management
- 2.1.2. Optimierte Mensch-Maschine-Systeme
- 2.1.3. Leitbild: Der intelligente Gorilla im Iconwald
- 2.1.4. Zerstückelung von Arbeitsabläufen, analog/digital
- 2.1.5. „Achtung! Beobachtet diesen Mann!“
- 2.1.6. Digitalisierung des Schreibtisches
- 2.2. Standards II
- 2.2.1. Schlaglichter einer Geschichte der Standardisierung im Bauwesen
- 2.2.1.1. Vermessung der frühen Standardisierung
- 2.2.1.2. Pistolen, die die Welt verändern
- 2.2.1.3. Globaler Siegeszug: Institutionalisierung der Standardisierung
- 2.2.1.4. Standardisierung in Deutschland: DIN
- 2.2.2. Ernst Neufert und seine BEL/BOL
- 2.2.2.1. Differente Standards, formales Chaos
- 2.2.2.2. Die Luftwaffe solls richten (DIN 4171)
- 2.2.2.3. „Das Chaos gezwungen, Form zu werden.“
- 2.2.2.4. Schwingungsordnungen von Leib und Seele
- 2.2.2.5. BEL > ein kaltes Medium
- 2.2.2.6. Neuferts Zeichenmaschine
- 2.2.2.7. Der Mann ohne Eigenschaften
- 2.2.2.8. Wie viel BEL ist in CAAD?
- 2.3. Ordnung
- 2.3.1. Draw a distinction!
- 2.3.2. „Stile sind Lüge.“
- 2.3.3. Gitter, die die Welt bedeuten
- 2.3.4. Von Charakterköpfen und aufgeblähten Fischen
- 2.3.5. „Your map is about to go nova.”
- 2.3.6. Information Architecture
- 2.3.7. SNAP to grid
- 2.4. Implementierung: Digital CTRL_space
- 2.4.1. Sketchpad
- 2.4.2. Computing power by the acre
- Der Wandel der Architektur von einem ingenieurswissenschaftlich geprägten Prozessionsraum der trägen Steine zu einem informationstechnologischen CTRL_space der intelligenten Pixel.
- Die Entwicklung des Konzepts der Standardisierung in der Arbeitswelt und der Baukultur als Grundlage für den digitalen CTRL_space des CAAD.
- Die Rolle von Gitternetzen als ein mächtiges Instrument der Raumordnung und -strukturierung, das die präzise Kontrolle und Manipulation des Raumes ermöglicht.
- Die Implementierung des CTRL_space im Computer durch Programme wie Sketchpad und die damit einhergehende Automatisierung des architektonischen Entwurfsprozesses.
- Die Entstehung neuer ästhetischer Konzepte in der digitalen Architektur, wie z.B. der Blob-Architektur und der topologischen Deformation.
Zielsetzung und Themenschwerpunkte
Die Arbeit analysiert die Funktionsweise des Computer Aided Architectural Design (CAAD) als eine genuine Strategie der totalen Raumkontrolle, die durch die Implementierung mathematischer Konstruktionsverfahren im Computer ein visuell basierter Möglichkeitsraum eröffnet, der Raumkonstruktion, Raumtransformation und Raumsimulation ermöglicht.
Zusammenfassung der Kapitel
Die Arbeit beginnt mit einer Einführung in das Konzept der digitalen Architektur und der CAAD-Programme. Sie führt den Begriff des CTRL_space ein, der die computerbasierte Raumkontrolle beschreibt, die durch CAAD ermöglicht wird.
Kapitel 2 widmet sich den historischen Vorraussetzungen von CAAD-Programmen. Es werden verschiedene Kulturtechniken des Messens und der Standardisierung untersucht, die zur Entwicklung der digitalen Raumkontrolle führten. Besondere Aufmerksamkeit wird Taylors Scientific Management, Gilbreths Simultanbewegungskarten und Neuferts Bauentwurfslehre (BEL) gewidmet, welche die Standardisierung von Arbeitsabläufen, Bauteilen und Architekturformen vorantrieben. Das Kapitel beleuchtet auch die Rolle von Gitternetzen und deren Einfluss auf die Raumordnung, die Entwicklung der Zentralperspektive und die morphologische Transformation von Formen.
Kapitel 3 befasst sich mit der Implementierung des CTRL_space im Computer und untersucht die Funktionsweisen moderner CAAD-Programme. Es werden verschiedene Schlüsseltechnologien wie NURBS, Smart Objects und Keyframing erläutert, die die digitale Manipulation von Formen und die Erzeugung von virtuellen Räumen ermöglichen.
Kapitel 4 widmet sich den ästhetischen Konsequenzen von CAAD-Programmen und der Entstehung neuer Stilrichtungen in der digitalen Architektur. Es wird die Blob-Architektur und das Konzept der topologischen Deformation diskutiert, wobei auf die Rolle von Algorithmen, autogenerativen Systemen und den Einfluss von Programmen auf die Gestaltungsprozesse eingegangen wird.
Schlüsselwörter
Digitale Architektur, CAAD, CTRL_space, Standardisierung, Normierung, Gitternetz, Raumordnung, Raumkontrolle, Computer, Algorithmen, Autogenerative Systeme, Blob-Architektur, Topologische Deformation, Information Architecture, Virtuelle Realität, Cyberspace, Mensch-Maschine-Systeme, KI (Künstliche Intelligenz), MEMS.
- Arbeit zitieren
- Caspar Borkowsky (Autor:in), 2003, Digitale Architektur, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/81111