„Eine trostlose Gegend!“ Mit diesen Worten beschrieb Annette von Droste-Hülshoff im Jahre 1845 die Gegend, auf der nur kurze Zeit später der bedeutendste Industriebezirk Europas entstehen sollte – das Ruhrgebiet. Allerdings wirkt die Industrie in den Beschreibungen von Droste-Hülshoff noch fern. Und dies zu einer Zeit, als an der Saar die Industrielle Revolution allen Anschein nach längst angelaufen zu sein scheint, wie der verstörte Zeitzeuge August Becker nur wenige Jahre später zu berichten wusste: „Durch den schwarzen, fußhohen Kot watet man an zahllosen Fabrikgebäuden, Arbeiterwohnungen und Wirtshäusern vorüber bis nach dem preußischen Ort Sulzbach, wo die Industrie an allen Ecken und Enden ihren Wohnsitz aufgeschlagen hat.“ So war es auch Koks der Saarregion, mit der die erste deutsche Lokomotive von Nürnberg nach Fürth angetrieben wurde, während im Ruhrgebiet noch kein einziger Kokshochofen arbeitete. Bislang hat die Geschichtswissenschaft die unterschiedlichen Verläufe der Industrialisierung beider Regionen allerdings noch nicht umfangreicher verglichen. Doch auch sie bescheinigt dem Saarland gegenüber dem Ruhrgebiet einen wesentlichen Vorsprung hinsichtlich der Industrialisierung in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts.
Hat das Ruhrgebiet seine Industrialisierung zunächst verschlafen? Diese Frage versucht die vorliegende Arbeit zu beantworten, indem sie das späte Einsetzen der Industrialisierung an der Ruhr mit der „Erfolgsstory“ der Saarregion vergleicht. Hierzu sollen die von Ralf Banken für die Industrialisierung der Saarregion herausgearbeiteten Ursachen früher institutioneller Wandel, Bergbau als staatlich stimulierter Schlüsselsektor und das Vorhandensein energieintensiver Branchen beschrieben und für das Ruhrgebiet in der Zeit von den 1790ern bis in die 1850er Jahre untersucht werden. Wenn - wie im Falle der Industrialisierung des Ruhrgebiets - behauptet wird, dass etwas verschlafen wurde, so impliziert dies ein Vorliegen persönlichen Versagens. In dieser Arbeit soll daher zudem überprüft werden, ob die späte Industrialisierung des Ruhrgebiets auf Versäumnisse innerhalb der Region zurückzuführen ist.
Inhaltsverzeichnis
- Einleitung
- „Institutionelle Revolution“ an Saar und Ruhr
- Zum Konzept der „Institutionellen Revolution“ und ihre Auswirkung auf die Industrialisierung
- „Institutionelle Revolution“ in der Saarregion
- „Institutionelle Revolution“ im Ruhrgebiet
- Steinkohlenbergbau als staatlich stimulierter Schlüsselsektor
- Bedeutung der Steinkohle für die Industrialisierung
- Saarbergbau
- Lagerstätten und Beschaffenheit der Steinkohle
- Der Einfluss des Staates auf den Saarbergbau
- Absatzverhältnisse
- Steinkohleveredlung
- Ruhrbergbau
- Lagerstätten und Beschaffenheit der Steinkohle
- Der Einfluss des Staates auf den Ruhrbergbau
- Die Einführung des Direktionsprinzips
- Folgen des Direktionsprinzips
- Widerstand gegen das Direktionsprinzip
- Liberalisierung
- Entfaltung des Ruhrbergbaus
- Absatzverhältnisse
- Steinkohleveredlung
- Energieintensiver Branchen im regionalen Industrialisierungsprozess
- Zur Rolle energieintensiver Branchen im Industrialisierungsprozess
- Energieintensive Branchen in der Saarregion
- Eisenindustrie
- Glas- und Keramikindustrie
- Energieintensive Branchen im Ruhrgebiet
- Eisenindustrie
- Eisenerzbasis
- Eisengießerei, Puddel- und Gussstahlverfahren
- Roheisenherstellung
- Nichteisenmetall- und Glasindustrie
- Eisenindustrie
- Geographische Voraussetzungen für energieintensive Branchen
- Fazit
Zielsetzung und Themenschwerpunkte
Die vorliegende Arbeit hat zum Ziel, die späte Industrialisierung des Ruhrgebiets im Vergleich mit der frühen Industrialisierung der Saarregion zu erklären. Hierzu werden die Ursachen für die Industrialisierung beider Regionen - ein früher institutioneller Wandel, der Steinkohlenbergbau als staatlich stimulierter Schlüsselsektor und das Vorhandensein energieintensiver Branchen - beschrieben und untersucht.
- Institutioneller Wandel in der Saarregion und im Ruhrgebiet
- Bedeutung des Steinkohlenbergbaus als Schlüsselsektor in beiden Regionen
- Rolle energieintensiver Industriezweige in der Industrialisierung der Saarregion und des Ruhrgebiets
- Einfluss von geographischen Bedingungen auf die Entwicklung der Industrien in beiden Regionen
- Vergleich der Industrialisierungsprozesse an Saar und Ruhr
Zusammenfassung der Kapitel
Die Einleitung stellt die Forschungsfrage nach den Ursachen für die verspätete Industrialisierung des Ruhrgebiets im Vergleich zur frühen Industrialisierung der Saarregion. Das zweite Kapitel untersucht die Rolle des „institutionellen Wandels“ als Ursache für die Industrialisierung. Das Saarland profitierte von der frühen Einführung einer liberalen Wirtschaftsverfassung während der französischen Besatzung, während das Ruhrgebiet unter der Herrschaft des Großherzogtums Berg weniger von diesen Reformen profitierte. Das dritte Kapitel widmet sich dem Steinkohlenbergbau als Schlüsselsektor. Die Saarregion profitierte von einem starken staatlichen Engagement im Bergbau, während der Ruhrbergbau durch das Direktionsprinzip gehemmt wurde. Im vierten Kapitel werden die energieintensiven Branchen in beiden Regionen analysiert. Die Saarregion verfügte aufgrund ihrer geographischen Voraussetzungen über eine lange Tradition energieintensiver Industriezweige wie Eisen und Glas, während das Ruhrgebiet in dieser Hinsicht eher ein Nachzügler war.
Schlüsselwörter
Die Arbeit behandelt die Industrialisierung des Ruhrgebiets und der Saarregion im 19. Jahrhundert. Wichtige Schlüsselbegriffe sind "institutioneller Wandel", "Steinkohlenbergbau", "Schlüsselsektor", "energieintensive Branchen", "Direktionsprinzip" und "Geographische Voraussetzungen". Die Arbeit untersucht die Ursachen für die frühe Industrialisierung der Saarregion und die verspätete Industrialisierung des Ruhrgebiets.
- Arbeit zitieren
- Johann Mair (Autor:in), 2007, Die verschlafene Industrialisierung? Die verspätete Industrialisierung des Ruhrgebiets im Spiegel des regionalen Entwicklungsmusters der Saarregion, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/81190