Kino und Fernsehen stellen in der heutigen Zeit nicht nur einen selbstverständlichen Teil des gesellschaftlichen Lebens dar, sondern werden auch als wichtige Kulturgüter erachtet. Das war nicht immer so: Seit der Erfindung des Kinematographen durch die Brüder Auguste und Louis Lumière (1895) wurden Filme zunächst als Sensation oder technisches Kuriosum auf Jahrmärkten und Varietés vorgeführt. Sie schienen den ungebildeten unteren sozialen Schichten vorbehalten und wurden deshalb von der offiziellen Kulturkritik wenig beachtet.
In den 1910er Jahren änderte sich die Situation jedoch: Produktionsweisen, Vertriebsstrukturen und Vorführbedingungen der Kinematographie passten sich der wachsenden Nachfrage an. In den Großstädten (zum Beispiel Berlin) gab es immer mehr feste Kinos. Der narrative Film löste nach und nach die bis dahin sehr kurzen filmischen Attraktionen ab, anspruchsvolle Stoffe und Themen aus der Literatur wurden für die Leinwand neu inszeniert. Vor dieser Entwicklung konnte sich nun auch das Bildungsbürgertum nicht länger verschließen. Schriftsteller, Journalisten, Theater- und Kulturkritiker begannen über die Rolle des Kinos in einem kulturellen Kontext zu diskutieren. Viele bekannte Autoren, darunter Alfred Döblin, Thomas Mann und Bertolt Brecht, meldeten sich zu Wort. Hauptsächlich beschäftigten sie sich mit den Eigenschaften und Ausdrucksmitteln des neuen Mediums und untersuchten die Frage nach seiner Abgrenzung zu Literatur, Theater oder Malerei. Die Debatte wurde in Zeitungen und Zeitschriften geführt.
Im Rahmen der vorliegenden Hausarbeit werden einige ausgewählte Beispiele aus der Kinodebatte ausführlich besprochen: Die Beiträge der Schriftsteller Egon Friedell („Prolog vor dem Film“, 1912), Georg Lukács („Gedanken zu einer Ästhetik des Kinos“, 1913) und Hugo von Hofmannstahl („Der Ersatz für die Träume“, 1921) beleuchten das Thema aus unterschiedlichen Blickwinkeln und setzen jeweils andere Schwerpunkte. Dennoch weisen sie gemeinsame Ansichten und sich überschneidende Gedanken auf. Die wichtigsten Aspekte werden in der Arbeit vorgestellt und miteinander in Beziehung gesetzt, um die jeweiligen Positionen der Autoren zum Kino zu verdeutlichen und – im Kleinen auf das Große verweisend –die Atmosphäre der gesamten zeitgenössischen Debatte wiederzugeben.
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
2. Kino als Ausdruck des Zeitgeistes
3. Kino und Theater
3.1 Das Wesen des Theaters
3.2 Das Wesen des Kinos
4. Wort und Bild
5. Schlusskommentar: Pro oder contra?
6. Literaturverzeichnis
1. Einleitung
Kino und Fernsehen stellen in der heutigen Zeit nicht nur einen selbstverständlichen Teil des gesellschaftlichen Lebens dar, sondern werden auch als wichtige Kulturgüter erachtet. Das war nicht immer so: Seit der Erfindung des Kinematographen durch die Brüder Auguste und Louis Lumière (1895) wurden Filme zunächst als Sensation oder technisches Kuriosum auf Jahrmärkten und Varietés vorgeführt. Sie galten als Domäne der ungebildeten unteren sozialen Schichten und wurden daher von der offiziellen Kulturkritik wenig beachtet.
In den 1910er Jahren änderte sich die Situation jedoch: Produktionsweisen, Vertriebsstrukturen und Vorführbedingungen der Kinematographie passten sich der wachsenden Nachfrage an. In den Großstädten (zum Beispiel Berlin) etablierten sich in großer Zahl feste Lichtspielhäuser. Der narrative Film löste nach und nach die bis dahin sehr kurzen filmischen Attraktionen ab, anspruchsvolle Stoffe und Themen aus der Literatur wurden für die Leinwand neu inszeniert. Vor dieser Entwicklung konnte sich nun auch das Bildungsbürgertum nicht länger verschließen. Schriftsteller, Journalisten, Theater- und Kulturkritiker begannen über die Rolle des Kinos in einem kulturellen Kontext zu diskutieren. Viele bekannte Autoren, darunter Alfred Döblin, Thomas Mann und Bertolt Brecht, meldeten sich zu Wort.[1]
Hauptsächlich beschäftigten sie sich dabei mit den spezifischen Eigenschaften und Ausdrucksmitteln des neuen Mediums und erörterten die Frage nach seiner Abgrenzung zu den traditionellen Ausdrucksformen wie Literatur, Theater oder Malerei. In den ersten Jahren der Auseinandersetzungen wurde das Kino meist völlig abgelehnt, da es als bedrohlich für die bestehenden Künste empfunden oder mit Kultur- und Werteverfall gleichgesetzt wurde. Nach und nach gewann es jedoch immer mehr prominente Fürsprecher, auch wenn die Meinungen hinsichtlich der Akzeptanz des Kinos als Kunstform lange weiterhin geteilt blieben.
Das Forum dieser „Kinodebatte“ bildeten übrigens die Zeitungen und Zeitschriften der 1910er und 1920er Jahre. Damit war sie nicht nur auf einen kleinen elitären Kreis von Fachleuten beschränkt: Theoretisch hätte sich auch jeder interessierte Leser daran beteiligen können, was aber – wie sich herausstellte – kaum vorkam.
Im Rahmen der vorliegenden Hausarbeit sollen nun einige ausgewählte Beispiele aus der Kinodebatte ausführlich besprochen werden: die Beiträge der Schriftsteller Egon Friedell („Prolog vor dem Film“, 1912), Georg Lukács („Gedanken zu einer Ästhetik des Kinos“, 1913) und Hugo von Hofmannstahl („Der Ersatz für die Träume“, 1921). Diese drei Texte beleuchten das Thema aus unterschiedlichen Blickwinkeln und setzen jeweils andere Schwerpunkte, dennoch weisen sie gemeinsame Ansichten und sich überschneidende Gedanken auf, welche im Rahmen der folgenden Untersuchungen dargelegt werden sollen. Die Arbeit wird die wichtigsten Aspekte vorstellen und miteinander in Beziehung setzen, um die Position der Autoren zum Kino zu verdeutlichen und – im Kleinen auf das Große verweisend – die Atmosphäre der gesamten zeitgenössischen Debatte wiederzugeben.
2. Kino als Ausdruck des Zeitgeistes
Das Leben zu Anfang des 20. Jahrhunderts ist enormen Entwicklungen unterworfen. Die Industrien expandieren und die Bevölkerungsdichte in den Großstädten nimmt aufgrund des Anschwellens der Arbeitermassen stetig zu. In immer kürzeren Abständen werden immer mehr technische Neuerungen und Maschinen auf den Markt gebracht, welche die Effizienz der Fabriken und Produktionsstätten verstärken. Zudem wird die Gesellschaft mobiler – mit Hilfe von Autos, Zügen und Bussen lassen sich große Entfernungen neuerdings in sehr kurzer Zeit zurücklegen. Das hat auch Folgen für die kulturelle Struktur in den Metropolen: „Der im 18. Jahrhundert nur in der Stadt realisierbare Drang nach Bildung [tritt] nun zurück hinter dem Wunsch nach Unterhaltung und Zerstreuung.“[2]
Auch Egon Friedell nimmt diese gesellschaftlichen Umbrüche wahr. Er stellt fest, dass das Leben um ihn herum immer mehr beschleunigt, was er aber nicht nur auf die zunehmende Industrialisierung und die neuen Fortbewegungsmittel bezieht. Tatsächlich glaubt er diese Entwicklung auch in der zwischenmenschlichen Kommunikation und im Bereich der Erziehung zu erkennen; der verbale Austausch wird auf das Nötigste beschränkt und sogar in der Ausbildung können nur noch ausgewählte Fakten vermittelt werden: „Unsere gesamte Zivilisation steht unter dem Grundsatz: le minimum d’effort et le maximum d’effet. Schon in der Schule beginnt ja bei uns heutzutage die Erziehung zum Extrakt“.[3] Die Neigung zum „Extrakt“ ist auch ein Merkmal des neuen Mediums, denn durch seine technischen Möglichkeiten ist es in der Lage, zahlreiche Gefühle, Stimmungen und Erlebnisse mit nur wenigen Bildern und in nur kurzer Zeit zu vermitteln. Die Darsteller benötigen keine theatralischen Gesten, sondern können sich mit dezenter Mimik und reduzierten Bewegungen ausdrücken. Aufgrund des Fehlens von Dialogen und aufwendigen Plots kann das abgebildete Geschehen zwar fragmentarisch und daher schwer verständlich werden, dadurch aber im ästhetischen Sinne für eine interessante Vieldeutigkeit sorgen. Das Kino ist für Friedell ein Spiegel der Gesellschaft, es besitzt „etwas Knappes, Präzises, Militärisches“ (FP 43). Der Begriff „militärisch“ verweist dabei schlaglichtartig auf die Stimmung im Deutschen Kaiserreich am Vorabend des Ersten Weltkrieges (der Text stammt von 1912), charakterisiert aber auch die technische Exaktheit des neuen Mediums und dessen Sogwirkung: Der Rezipient ist gezwungen, dem Geschehen auf der Leinwand zu folgen, weil er sich der Geschwindigkeit und der mechanischen Perfektion der Bilder kaum entziehen kann.
Auch wenn Friedell vorgibt, für das Kino sprechen zu wollen: Vor allem möchte er seine Zuhörer darauf aufmerksam machen, dass sich die Frage, ob das neue Medium nun positiv oder negativ zu bewerten sei, tatsächlich erübrige, denn schließlich könne seine Erfindung sowieso nicht mehr rückgängig gemacht werden. Ein moderner und aufgeschlossener Mensch, der mit der Zeit geht, sollte diese Neuerung deshalb tolerieren und den Umgang mit ihr erlernen. Dementsprechend verurteilt der Autor auch Ansichten, die das Kino mit Geistlosigkeit und kulturellem Verfall gleichsetzen: „Es ist eigentlich eine Ungezogenheit, über sein Zeitalter zu schimpfen, und es ist eine Dummheit, denn die Sache läßt sich ja doch nicht ändern.“ (FP 42) Wie die Eisenbahn, den Plattenspieler oder das Telefon betrachtet er letztlich auch das Kino nur als eine weitere technische Erfindung, welche eine Gesellschaft positiv verändern kann, wenn man sie richtig einzusetzen weiß. In diesem Zusammenhang lobt er die Hauptstadt Berlin, die zwar noch nicht viel Stil und kulturellen Glanz verheißt, aber ein „Zentrum der modernen Zivilisation“ (FP 43) darstellt, indem sie Technik und Fortschritt repräsentiert – einen Fortschritt, zu dem eben auch Kinematographen und Lichtspielhäuser gehören.
Georg Lukács respektiert den Film ebenfalls als außergewöhnliche Innovation mit reichlich Potential. Deshalb missfällt ihm, wie im Rahmen der Kino-Debatte teilweise versucht wird, das neue Medium in „alte, unpassende Kategorien“[4] einzuordnen, obwohl es doch einen ganz eigenen Charakter besitzt. Wie Friedell erkennt auch er einen anhaltenden gesellschaftlichen Trend, in den sich das Kino mit seiner speziellen Form gut einfügt. Anders als jener stellt er jedoch keinen Bezug zwischen Lebenstempo und neuem Medium her, sondern beschäftigt sich nur mit dem kulturellen Zeitgeist: „Der unüberwindliche Drang zum Amüsement hat das Drama von unseren Bühnen so gut wie völlig verdrängt.“ (LG 117) Er bedauert, dass das Theaterpublikum des frühen 20. Jahrhunderts nur noch leichte Stoffe bevorzugt, anstatt sich weiterhin an den klassischen (griechischen) Dramen interessiert zu zeigen. Den Erfolg des Films kann er hingegen nachvollziehen, da dieser die weit verbreitete Sehnsucht nach Ablenkung und oberflächlichem Spaß stillen kann, indem er mit einer ganz eigenen Sprache arbeitet und auch aus Geschichten mit wenig Tiefgang ein visuelles Ereignis zaubert. Ähnlich wie Friedell stellt auch Lukács die öffentlichen Diskussionen um Wert und Unwert der neuen Erfindung zur Disposition und wünscht sich indirekt von den Kritikern, das Kino endlich als Ausdruck des nicht mehr aufzuhaltenden Fortschritts (vielleicht sogar als gesellschaftliche Bereicherung) zu akzeptieren, „es so zu nehmen, wie es ist“ (LG 112).
[...]
[1] Vgl. Anton Kaes (Hg.): Kino-Debatte. Texte zum Verhältnis von Literatur und Film 1909-1929. Tübingen: Max Niemeyer 1978.
[2] Kaes (1978): Kinodebatte, S. 5.
[3] Egon Friedell: Prolog vor dem Film. In: Anton Kaes (Hg.): Kino-Debatte. Texte zum Verhältnis von Literatur und Film 1909-1929. Tübingen: Max Niemeyer 1978, S. 44. Von nun an werden Zitate aus diesem Beitrag im laufenden Text mit Sigle (FP) nachgewiesen.
[4] Georg Lukács: Gedanken zu einer Ästhetik des Kinos. In: Anton Kaes (Hg.): Kino-Debatte. Texte zum Verhältnis von Literatur und Film 1909-1929. Tübingen: Max Niemeyer 1978, S.112. Zitate aus diesem Aufsatz werden von nun an im laufenden Text mit Sigle (LG) nachgewiesen.
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