Die Rückkehr der Gewalt? Gewaltformen, -dimensionen, -wirkungsmodelle und -faszination im Kontext des fiktiven Films

Am Beispiel von Eli Roths "Hostel", 2006


Hausarbeit, 2007

44 Seiten, Note: 1,7


Leseprobe


Inhalt

1. Einleitung

2. Zum Gewaltbegriff, den verschiedenen Dimensionen der Gewalt, den Wirkungsthesen und den Problemen der Gewaltwirkungsforschung.
2.1 Dimensionen der Gewalt
2.2 Eine Kritik an Galtungs Konzeption der strukturellen Gewalt
2.3 Beispiele und mögliche Konsequenzen einer negativen Medienwirkung
2.4 Medienwirkungsthesen und Probleme

3. Faszination, Geschichte und Anziehungskraft der Gewaltdarstellungen
3.1 Was fasziniert, vor allem jugendliche, an medialer Gewaltdarstellung?
3.2 Faszinierbarkeit durch Gewalt in der Geschichte:
3.3 Moral und Gesellschaft
3.4 Der wirtschaftliche Aspekt
3.5 Thematik und Inszenierung des Horrors

4. Analyse unter dem Aspekt der Gewaltformen in HOSTEL, 2006 als exemplarisches Beispiel für den neuen, extremen Horrorfilm
4.1 Zur Handlung, der Geschichte des Films
4.2 Formen der Gewalt und ihre Inszenierung

5. Fazit und Ausblick

Anhang:
Literaturverzeichnis:
Film
Sequenzprotokoll - "HOSTEL" - Eli Roth 2006

1. Einleitung

"Die blödsinnigen und irrealen Filmphantasien sind die Tagträume der Gesellschaft, in denen ihre eigentliche Realität zum Vorschein kommt, ihre sonst unterdrückten Wünsche sich gestalten."[1] Der niederländische Regisseur Paul Verhoeven antwortete auf die Frage, warum er Gewalt in seinen Filmen immer so drastisch darstellt: „Na, weil ich sie hasse. Ich will das Verhalten der Menschen zeigen. Und wenn man auf das 20. Jahrhundert zurückblickt, merkt man, dass wir die gewalttätigste Spezies dieser Erde sind.“[2] In dieser Hausarbeit werde ich auf die Frage eingehen, ob Gewalt überhaupt wirken (z.B. abschrecken) kann, wie die Faszination geschichtlich determiniert ist und welche Formen es gibt. Hierbei werde ich die fiktive, filmisch inszenierte Gewalt betrachten und andere Formen (z.B. in der Pornographie) auslassen. Neben aktuellen Beispielen der Debatte um mögliche Medienwirkung werde ich als exemplarisches Beispiel für filmisch inszenierte Gewalt den kontrovers diskutierten Horrorfilm Hostel auf seine Formen der Gewalt untersuchen. Da es sich um ein kaum überschaubares Forschungsgebiet handelt, habe ich die Thematik teilweise auf einige der grundlegenden und im Bezug auf die Fragestellung relevanten Erkenntnisse und Thesen eingegrenzt.

2. Zum Gewaltbegriff, den verschiedenen Dimensionen der Gewalt, den Wirkungsthesen und den Problemen der Gewaltwirkungsforschung.

Gewalt lässt sich definieren als ein „[…]subjektiver Akt der bloßen physischen Beschädigung oder ein Angriff auf Leib und Leben (mit dem Töten als extremster Form), der eben diese Konsequenzen intendiert.“[3] Der norwegische Politologe und Soziologe Johan Galtung erweiterte diese Definition von Gewalt wie folgt:

„Gewalt liegt dann vor, wenn Menschen so beeinflusst werden, dass ihre aktuelle somatische und geistige Verwirklichung geringer ist als ihre potentielle Verwirklichung.“[4] „Gewalt wird hier definiert als die Ursache für den Unterschied zwischen dem Potentiellen du dem Aktuellen, zwischen dem, was sein könnte, und dem, was ist.“[5] Gewalt vergrößert den Abstand zwischen dem Potentiellen und dem Aktuellen. Beispiel: Sollten Naturkatastrophen eines Tages vermeidbar sein, aber trotzdem stattfinden und Menschen sterben, liegt nach also eine Art von Gewalt vor. Wenn das Aktuelle vermeidbar ist und as Potentielle also größer ist als das Aktuelle, dann liegt Gewalt vor.[6]

Eine andere Definition liefern Theunert und Schorb: Gewalt ist „[…]die Manifestation von Macht und/oder Herrschaft, mit der Folge und/oder dem Ziel der Schädigung von einzelnen oder Gruppen von Menschen.“[7] Hier wird noch einmal der Zusammenhang von Macht, Herrschaft und Gewalt beschrieben, der in z.B. in der medialen Darstellung einer Folterung seine eindeutige Legitimation erhält. Den Gewaltbegriff im Bezug auf die Medien grenzen Kepplinger und Dahlem 1990 weiter ein: „Gewaltdarstellung im engeren Sinn, Gewalt legitimierende Darstellung im weiteren Sinn, Darstellung realer Gewalt, Darstellung fiktionaler Gewalt, Natürliche Gewaltdarstellung, künstliche Gewaltdarstellung.“[8] Galtung wiederum differenziert den komplexen Gewaltbegriff systematisch, indem er mit der der Kategorie der strukturellen Gewalt auf gesellschaftliche Gewaltverhältnisse verweist, die nicht primär in personaler Verschuldung und Verantwortung liegen. Gewalt ist als Einfluß vorzustellen. Hierbei wird vorausgesetzt, dass es etwas gibt, das beeinflusst, etwas, das beeinflusst wird und eine „[…]praktische Methode der Einflussnahme.“[9] Bei Menschen also das Subjekt, Objekt und die Aktion, also ein interpersonales Einflussverhältnis. Bei dieser Konzeption von Gewalt spricht Galtung von einer vollkommenen Form. Wenn jedoch Subjekt oder Objekt oder beides fehlt, spricht er von unvollkommenen, verkürzten Formen.[10]

2.1 Dimensionen der Gewalt

Die physische und psychische Gewalt: Durch physische Gewalt wird einem Menschen physischer Schmerz zugefügt, wobei das Extrem die Tötung ist. Eine weitere, sinnvolle Unterteilung ist in „[…],biologische Gewalt’[…]“ und „[…],physische Gewalt an sich’[…]“ vorzunehmen.[11] Werden bei der ersten Unterteilung die potentiellen physischen Fähigkeiten vermindert, wird bei letzterer die Bewegungsfreiheit des Menschen eingeschränkt (z.B. bei einem Gefangenen, der zwar nicht in seiner physischen Fähigkeit reduziert wird, durch die eingeschränkte Freiheit trotzdem physischer Gewalt unterliegt). Galtung bemerkt weiter, dass die Unterscheidung zu psychischer Gewalt wesentlich markanter bzw. ausschlaggebender ist, da sie sich gegen die Psyche eines Menschen richtet. Formen psychischer Gewalt können bei Lügen beginnen und über Drohungen bis hin zu Gehirnwäsche führen. Die Wirksamkeit von psychischer Gewalt liegt in der Verquickung der verschiedenen Formen untereinander, die jeweils durch ihre Kombination verstärkt werden können (z.B. Beleidigung, Drohung, Missbrauch usw.).[12]

Eine weitere Dimension ist die der ‚negativen und positiven Einflussnahme’. Hierbei ist es wichtig, dass ein Mensch nicht nur durch restriktive Maßnahmen beeinflusst werden kann (Bestrafung), sondern auch durch positive Einflussnahme (Belohnung durch den Beeinflusser). Galtung bezeichnet diese Form der Einflussnahme als Gewalt, da „[...]das Endergebnis immer so aussehen kann, dass Menschen effektiv daran gehindert werden, ihre Möglichkeiten auszuschöpfen.“[13] Beispielhaft hierfür steht die Konsumgesellschaft: der Konsumierende wird für Konsum belohnt, während derjenige, der es nicht tut, „[…] nicht ausdrücklich bestraft[…]“ wird.[14] Gerade in einer leistungsorientierten Gesellschaft unterliegen die Menschen diesen Formen von negativer und positiver Einflussnahme, also einer Form der Manipulation, mehr oder weniger stark. Galtung bezeichnet diesen Faktor als weniger essentiell, wobei er seine Berechtigung im Nachhinein dadurch erfährt, dass die Erweiterung des Gewaltbegriffs in diese Richtung eine „[...]weitaus bessere Diskussionsgrundlage gewährleistet.“[15]

Als weitere Dimension, die der Objektbezogenheit, d.h. gibt es ein Objekt, das verletzt worden ist, oder nicht? Diese Form kann als eine Art der psychischen Gewalt bezeichnet werden, so wird bei Androhung von ungezielten Schlägen oder Atomwaffenversuchen (durch eine Person, Gruppe oder Nation), zwar niemand direkt verletzt, dennoch handelt es sich um die „[...]Androhung von Gewalt und die indirekte Drohung mit menschlicher Gewalt[...].“[16] Hier wird auch die Lüge mit einbezogen, die zwar kein Objekt erreicht, aber dennoch eine Form der Gewalt darstellt. Diese Unterform der Gewalt ist aber kaum von Bedeutung. Ein weiterer Unterpunkt dieser Gewaltform ist die Zerstörung von Gegenständen, die als ‚degenerierte’ Form von Gewalt zu bezeichnen ist. Sie ist aber prägnant: So kann die Androhung von Gewalt gegen einen Person mit der vorherigen Zerstörung (oder die bloße Ankündigung des Vorhabens) bestimmter Gegenstände, die für diese Person ggf. einen gewissen Wert darstellen, einhergehen. Das wäre eine Form von psychischer Gewalt.

Der objektbezogenen folgt logisch die subjektbezogene Dimension, d.h. gibt es ein handelndes Subjekt (Person) oder nicht? Bei dieser Dimension wird der essentielle Ansatz (s.o.) von vollkommener und unvollkommener Gewalt näher betrachtet und bestimmt. Hierbei wird unterteilt in personale oder direkte (durch eine erkennbare Subjekt-Objekt Beziehung manifestierte) Gewalt (vollkommene, d.h. bei der es einen Akteur, ein handelndes Subjekt gibt) und strukturelle oder indirekte Gewalt (unvollkommene, hier gibt es keinen Akteur). Beide Fälle beinhalten die gleichen Konsequenzen für die Opfer (von Manipulation bis Tötung), unterscheiden sich aber im Vorhandensein bzw. der Möglichkeit der Rückführung auf konkrete Akteure/Personen. So gibt es bei personaler Gewalt einen Akteur, auf den mögliche Konsequenzen zurückzuführen sind. Im Fall der strukturellen (indirekten) Gewalt kann die Gewalt aber durch das bestehende System ausgeübt werden und sich ggf. durch ungleiche Machtverhältnisse (und deren Folgen) zeigen. Gerade für die Form der strukturellen Gewalt beispielhaft sind die ungleiche Verteilung von Ressourcen (und die Entscheidungsgewalt darüber), Bildungschancen, Kapitalverteilung usw.. Der anfangs erwähnte Unterschied zwischen dem Aktuellen und dem Potentiellen macht die Dimension der strukturellen Gewalt noch einmal klar „[...]wenn Menschen in einer Zeit verhungern, in der dies objektiv vermeidbar ist[...]“.[17] Hierbei ist eine Zusammenfassung bzw. Umbezeichnung der strukturellen/indirekten Gewalt in soziale Ungerechtigkeit sinnvoll.[18] Zwei mögliche Gesellschaftsformen werden bestimmt, die statische- und die dynamische Gesellschaft.[19] In der Statischen wird strukturelle Gewalt als gegeben (stabilisierend) hingenommen wobei Formen der personalen Gewalt registriert werden. In der Dynamischen wird personale Gewalt negativ bewertet, aber weniger problematisch im Gegensatz zur strukturellen Gewalt, die nur schwerlich toleriert werden kann und das System in Bewegung versetzt. Von diesem Standpunkt aus betrachtet würden also kapitalistische Staatsformen als statisch und sozialistische als dynamisch klassifiziert werden. Beide Formen von Gewalt sind empirisch voneinander unabhängig, die eine setzt die andere nicht voraus. Dennoch besteht immer die Möglichkeit, „[...]dass manifeste strukturelle Gewalt die Voraussetzung für latente Gewalt ist.“[20]

Wenn es um die Schuldfrage geht, ist die Frage nach intendierter oder nicht intendierter Gewalt zu stellen (5. Dimension). Ist die Gewalt intendiert, gab es eine Intention? Hierzu bemerkt Theunert, dass „[…] auch wenn kein Ziel erkennbar ist, aber eine Folge sichtbar, liegt Gewalt vor.“[21]

Als letzte Dimension ist die traditionelle Unterscheidung von zwei Arten von Gewalt, der manifesten oder der latenten, zu nennen. „Manifeste Gewalt, ob personale oder strukturelle, ist sichtbar, wenngleich nicht direkt sichtbar, da die theoretische Gesamtheit der potentiellen Verwirklichung auch noch zum Bild gehört.“[22] Latente Gewalt ist, wie der Name impliziert, eine Form, die nicht präsent ist (aber vorhanden), dennoch aber leicht zum Vorschein kommen kann (z.B. Diskriminierung).[23] Das Maß der aktuellen Verwirklichung nimmt durch die Labilität der Situation ab bzw. kann nicht durch stabilisierende Mechanismen gefestigt werden. Verstärkung der Gewalt kann somit durch die Vergrößerung des Potentiellen sowie durch die Verringerung des Aktuellen zustande kommen.

Auf eine weitere Differenzierung, gerade im Bezug auf die Darstellung, sind Formen von so genannter ‚sauberer’ und ‚schmutziger’ Gewalt. Bei ‚schmutziger’ Gewalt wird dem Rezipienten nichts vorenthalten und die Folgen der Tat werden (immer häufiger in ausschweifender Drastik) ausführlich gezeigt. ‚Saubere’ Gewalt hingegen überlässt der Fantasie des Zuschauers die Folgen und tangiert ggf. seine Vorstellungskraft. Beispielhaft wäre eine Szene mit Kettensäge, hier kann das Gemetzel in aller Ausführlichkeit visualisiert werden oder die Kamera schwenkt weg und der Zuschauer kann sich anhand der Tonspur ein Bild (im Kopf) vom Geschehen machen.[24] Galtung liefert mit der Gewaltbegriffsbestimmung und den Dimensionen der Gewalt einen opferorientierten Zugang (im Gegensatz zum täterorientierten Ansatz). Denn, ob eine ausführender Akteur erkennbar ist oder nicht, „Gewalt [...] hat immer Opfer, die durch sie Schädigungen erfahren“.[25] Somit findet nach Galtung ein Perspektivwechsel statt, den auch andere Autoren für sinnvoll erachten. „Nicht mehr eine Gewalthandlung, verbunden mit der Absicht eines Täters ist- wie im traditionellen Gewaltverständnis- zentrales Bestimmungskriterium für Gewalt, sondern im Zentrum stehen die Schädigung und Leiden der gesellschaftlichen Subjekte, die durch Gewalt hervorgerufen sind“.[26]

Bezüglich der späteren Analyse des Films Hostel ist die Betrachtung des menschlichen Körpers unter dem Aspekt der personalen, physischen Gewalt interessant.[27] Galtung verweist auf einen ‚Input’ in Form von Nahrung, Luft usw. und auf den ‚Output’ in Form von Bewegung (physisch). Die physische Aktion kann wiederum durch die Psyche beeinflusst, also z.B. gestärkt werden. Hierdurch wird die Problematik der Abgrenzung von psychischer und physischer Gewalt beispielhaft.

„Zum Menschen gehört es, dass Menschen von Menschen eingestuft werden müssen, d.h. es wird immer ein Element von Rangfolge geben.“[28]

In den Formen der personalen und strukturellen Gewalt ist auch noch eine weitere Differenzierung notwendig. Galtung unterscheidet sechs Faktoren zur Aufrechterhaltung der strukturellen Gewalt bzw. der ungleichen Verteilung: Die lineare Rangordnung, das azyklische Interaktionsmuster (es gibt nur einen richtigen Weg der Interaktion innerhalb der Verbindung der Akteure untereinander), die Korrelation zwischen Rang und Stellung, die Kongruenz der Systeme, die Konkordanz der Ränge und die hohe Rangverknüpfung der Ebenen.[29] Ein wichtiger Faktor für die Wahrnehmung von Gewalt sind Deutungsmuster, sie entscheiden darüber „[...]was als Gewalt angesehen wird und welche Gewalt negativ oder positiv sanktioniert oder gerechtfertigt ist (Notwehr).“[30] Personale Gewalt ist somit immer in sozialen Handlungen (die in unterschiedlichen sozialen Umfeldern auch jeweils verschieden angesehen werden) eingebunden und orientiert sich ggf. an Normen und Werten des Rezipienten der immer auch Ursachen bzw. Motive für Gewalthandlungen in dem dargebotenen Medium sucht (sie ist somit nicht isoliert zu betrachten, sondern immer Kontextabhängig). Daher besteht hier auch die theoretische Möglichkeit einer Identifikation mit dem Täter.

Vollbrecht zählt einige Faktoren auf, die die Wahrnehmung von Gewalt als solche beeinflussen kann. Hierzu zählt unter anderem wie realistisch das Gezeigte ist, die Ausführlichkeit der dargestellten Gewalt und ihre eventuelle Legitimation im Rahmen der Geschichte und der Lebensumstände des Täters. Ob die direkten oder indirekten Folgen der Opfer gezeigt werden oder ob eine ironische Distanzierung vorliegt (die ggf. zur Abschwächung der dargestellten Gewalt beiträgt) ist ebenfalls von Bedeutung. Weiter Faktoren sind das Verhalten von Dritten in den jeweiligen Situationen und in wieweit der Zuschauer einbezogen wird in das Wissen der Figuren im Film. Abschließende, essentielle Faktoren bestehen darin ob die Gewalt generell gerechtfertigt ist, was der Auslöser für diese Handlungen ist, die Inszenierung der Gewalt und inwieweit und ob die Gewalt verherrlicht wird (wasgeradeimHorrorfilmvonInteresseist).[31]

2.2 Eine Kritik an Galtungs Konzeption der strukturellen Gewalt

Theunert kritisiert hierbei, dass Galtung nicht genauer sagt, wer die Gesellschaftsnormen bestimmt und weiter seine nicht-Beachtung möglicher potentieller Gesellschaftsstrukturen (auch aus historischen Gesichtspunkten heraus). „Die Grundlage des zur Feststellung struktureller Gewalt vorgeschlagenen ‚Potentialität-Aktualitäts-Vergleichs‘ bleibt unbestimmt.“[32] Dennoch wird in der Forschung auf Galtungs Ergebnisse und Thesen verwiesen.

2.3 Beispiele und mögliche Konsequenzen einer negativen Medienwirkung

Immer wieder brechen Individuen aus der regulierten Gewaltnorm aus und treten mit ihren Taten in das Licht der schockierten Öffentlichkeit. Am 12.02.1993 quälen und töten zwei 10-jährige einen zweijährigen Liverpooler, sie hatten zuvor das Video Childs Play 3 gesehen.[33] Die BZ fordert die Verbrennung und Vernichtung aller indizierten Filme um „unseren Kindern die Unschuld wiederzugeben“. „Kinder des Satans“ (Die Welt am 11.Mai 1993) töten, durch einen ‚Ritualmord’ ihren Mitschüler. Zwei Jahre später ermordet ein 14-jähriger einen 7-jährigen, kocht und trinkt sein Fett um fliegen zu können, wie der Held in Warlock.[34][35] Ein weiteres Beispiel aus jüngster Vergangenheit ist der Amoklauf Robert Steinhäusers am 26.04.2002 in Erfurt, der (laut Medien) ebenfalls seine Freizeit mit dem Konsum von Gewaltmedien verbrachte. Als weitere nachahmenswerte Vorbilder für Gewalttaten werden oft Filme wie Natural Born Killers und Freitag der 13. genannt.[36] Diese Liste lässt sich noch durch diverse Gewaltfilme und Computerspiele (aktuelles Verbotsvorhaben für sog. ‚Killerspiele’) ergänzen. Da es aber genug bekannte Beispiele gibt und immer wieder neue Meldungen hinzukommen, sollen die genannten an dieser Stelle zur Veranschaulichung genügen.

Mit zunehmender Häufigkeit wird in den populären Massenmedien über Bluttaten (meist von Kindern oder jugendlichen) berichtet, die auf den vorherigen Konsum von gewalthaltigen Medienangeboten zurückzuführen sind. Um dem Massenpublikum die Rezeption so einfach wie möglich zu machen, gehen die Meinungsmacher (allen voran Politiker und Boulevardmagazine) großteils von monokausalen Zusammenhängen bezüglich Medienkonsum und Straftat aus. Die Medien werden immer gerne als Übeltäter und Schuldige der Straftaten bezeichnet. Dieser Fakt macht die aufwändige Suche, nach den weitaus komplexeren Ursachen für die Tat scheinbar sehr einfach. Gerade der Gewaltfilm, oft in Form des Horrorfilms, wird in den sehr kurz gehaltenen ‚schwarzen Listen’ der schuldigen Medien immer wieder aufgeführt. Weitere potentielle ‚Verursachermedien’ sind Black-Metal-Musik (allen voran Marilyn Manson) und natürlich ‚Killerspiele‘. Immer wieder beliebt, immer wieder angezweifelt, aber auch immer wieder in den Headlines präsent nach potentiell durch Medien motivierten Gewalttaten. Von gewalthaltigen Büchern ist eher selten die Rede.

Natürlich sollte nicht unerwähnt bleiben, dass Straftäter in Befragungen oft einen erhöhten Gewalt- und vor allem Pornofilmkonsum vor der Tat hatten. Auch sind Zusammenhänge des Tathergangs bzw. der eigentlichen Ausführung nicht zu leugnen. Filme werden oft auch als Vorbilder für bestimmte Tatabläufe angegeben. Daraus aber zu schließen, dass die Tat monokausal aus dem Konsum des Mediums heraus entstanden ist und nicht wesentlich mehr Faktoren (Disposition, Geschlecht, soziokulturelles Umfeld und Vergangenheit, Milieu, Persönlichkeitsstruktur, um nur einige wenige zu nennen) das Verhalten beeinflusst haben, ist schlichtweg als falsch anzusehen. Eine weitaus komplexere Verkettung zahlreicher Umstände muss zur Bestimmung der Motivation herangezogen und wissenschaftlich untersucht werden. Das Medien ‚irgendwie’ wirken (können) ist unbestritten, die Tragweite ihrer oft suggerierten Wirkungskraft bleib untersuchungs- und diskussionswürdig und somit weiterhin umstritten.

[...]


[1] Siegfried Kracauer, Kult der Zerstreuung, 1926

[2] Carles Matamores, Paul Verhoeven: Kommerziell, na und?, 2007

[3] Ralf Vollbrecht, Einführung in die Medienpädagogik, Klaus Hurrelmann und Jürgen Ölkers (Hgg.), Beltz Verlag, 2001, 167

[4] Johan Galtung, Strukturelle Gewalt, Beiträge zur Friedens- und Konfliktforschung, Freimut Duve (Hgg.), Rowohlt Taschenbuch Verlag GmbH, 1975, 9

[5] Galtung (Anm. 4), 9

[6] Galtung (Anm. 4), 9

[7] Theunert, Schorb, 1982, 323, in Helga Theunert, Gewalt in den Medien- Gewalt in der Realität, Institut Jugend Film Fernsehen (Hgg.), KoPäd Verlag, 2.Aufl., 1996, 59

[8] Vgl. Kepplinger, Dahlem, 1990, in Galtung (Anm. 4), 167

[9] Galtung (Anm. 4), 10f

[10] Vgl. Galtung (Anm. 4), 10

[11] Galtung (Anm. 4), 11

[12] Vgl. Theunert (Anm. 7), 90

[13] Galtung (Anm. 4), 11

[14] Galtung (Anm. 4), 11

[15] Galtung (Anm. 4), 11

[16] Ebd., 12

[17] Galtung (Anm. 4), 13

[18] Vgl. ebd., 13

[19] Vgl. ebd., 15f

[20] Galtung (Anm. 4), 26

[21] Theunert (Anm. 7), 60

[22] Galtung (Anm. 4), 14

[23] Galtung (Anm. 4), 167

[24] Vgl. Grimm, 1999, 436, in: Lothar Mikos „Beobachtete Gewalt- Mediale Gewaltformen“, in: Susanne Bergmann, Mediale Gewalt. Eine reale Bedrohung für Kinder?, GMK (Hgg.), AJZ-Dr. & Verlag, 2000, 66

[25] Theunert (Anm. 7), 78

[26] Ebd., 75

[27] Hostel, USA, 2006, von Eli Roth

[28] Galtung (Anm. 4), 25

[29] Vgl. Galtung (Anm. 4), 21

[30] Galtung (Anm. 4), 163

[31] Vgl. Vollbrecht (Anm. 3), 164-166

[32] Theunert (Anm. 7), 93

[33] Childs Play 3 (Chucky, die Mörderpuppe), 1991, Jack Bender

[34] Vgl. Verena Metze-Mangold, Auf Leben und Tod- Die Macht der Gewalt in den Medien, Wilhelm von Sternburg (Hgg.), Aufbau Taschenbuch Verlag, 1997, 23-35

[35] Warlock, 1989, Steve Miner

[36] Natural Born Killers, 1995, Oliver Stone und Freitag der 13., 1980, Sean S. Cunningham

Ende der Leseprobe aus 44 Seiten

Details

Titel
Die Rückkehr der Gewalt? Gewaltformen, -dimensionen, -wirkungsmodelle und -faszination im Kontext des fiktiven Films
Untertitel
Am Beispiel von Eli Roths "Hostel", 2006
Hochschule
Universität Siegen
Veranstaltung
Von einfahrenden Zügen und Marsinvasionen oder: Über die 'Wirkung' von Medien
Note
1,7
Autor
Jahr
2007
Seiten
44
Katalognummer
V81379
ISBN (eBook)
9783638853088
ISBN (Buch)
9783638852227
Dateigröße
1001 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Rückkehr, Gewalt, Gewaltformen, Kontext, Films, Zügen, Wirkung, Medien, Gewaltdimensionen, Hostel, Wirkungsmodell, Gewaltlust, Angstlust, Gewaltfaszination, Eli Roth, Horror, Splatter, Folter, Strukturelle Gewalt, saubere Gewalt, schmutzige Gewalt, immanente Gewalt, Galtung, Szenenprotokoll, Medienanalyse, Medienpädagogik
Arbeit zitieren
Bastian Bammert (Autor:in), 2007, Die Rückkehr der Gewalt? Gewaltformen, -dimensionen, -wirkungsmodelle und -faszination im Kontext des fiktiven Films, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/81379

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