Die Idee einen Bericht über die Pädagogik Maria Montessoris zu verfassen rührt aus einem mehrwöchigem Praktikum in einem Montessori- Kinderhaus. Dabei kam ich zum ersten Mal mit diesem Erziehungskonzept in Berührung, es faszinierte mich sehr. Die Gelegenheit zu einer tiefen Auseinandersetzung mit der Montessori- Pädagogik ergab sich während Suche nach einem geeigneten Thema zum Vordiplom.
Dieser Bericht beinhaltet die Bedingungen und Prinzipien einer Erziehung des Kleinkindes in der dafür vorgesehenen Einrichtung, dem Kinderhaus. Der erste Teil der Abhandlung erfolgt auf theoretischen Grundlagen. Der Begriff Früherziehung wird näher erklärt, daraufhin eine kurze Biographie Maria Montessoris erstellt und anschließend ein Überblick über grundlegende Inhalte und Positionen der Pädagogik gegeben. Spricht man von Montessori- Pädagogik, dann fällt häufig der Begriff: Entwicklungsmaterial. Tatsächlich nimmt dieses in der Methodik eine wichtige Stellung ein. Im weiteren Verlauf dieser Arbeit kommt speziell der Wahrnehmungsschulung mit dem entsprechenden Sinnesmaterial besondere Bedeutung zu. Maria Montessori hat zusammen mit Friedrich Fröbel schon lange vor der modernen Kleinkindpädagogik, die pädagogische Bedeutung der Früherziehung, die Phase des Unbewußten für die Persönlichkeitsentwicklung und die nicht zu unterschätzende Rolle der Eltern/ Erzieher, insbesondere der Liebe und Zärtlichkeit für die Entwicklung von Selbst- und Wertvertrauen -Urvertrauen- erkannt. Ebenfalls bedeutsam war die Erkenntnis über die Bedeutung der frühen sensomotorischen Förderung, was bei Montessori aber eher theoretisch blieb. Sie selbst führte ihre pädagogischen Erfolge auf die Entdeckung der Polarisation der Aufmerksamkeit zurück, welches sie bei einem dreijährigen Kind entdeckt hatte. Durch intensives Beobachten entwickelte sie dann Bedingungen und Materialien, die Konzentration- und Bildungsfähigkeit ermöglichen und erleichtern. In jahrzehntelanger Arbeit entstand schließlich eine neue Pädagogik, eine neue Sicht des Kindes als konzentrationsfähiges, aktives Wesen, das seine Persönlichkeit selbst aufbaut, wenn es eine pädagogisch vorbereitete Umgebung und neuen Erzieher hat, der dem Kind hilft bei der Unabhängigkeit und der Entwicklung erforderlicher Kompetenzen (= Prozeß der "Normalisation").
Der zweite Teil dieser Arbeit geht auf die heutige Bedeutung der Montessori- Pädagogik ein - allgemeine Aussagen und Kritik sowie meine praktischen Erfahrungen fliessen hier ein.
Gliederung
I Einleitung
II Früherziehung der Montessori- Pädagogik
1. Antropologische und pädagogische Grundlagen
1.1 Was ist Frühförderung bzw. Früherziehung?
1.2 Kurzbiographie Maria Montessoris
1.3 "Normalisation" und "Deviation"
1.3.1 Maria Montessoris Grundpositionen
1.3.2 Der einheitliche Typus des Kindes
1.4 Prinzipien der Pädagogik
1.4.1 Vorbereitete Umgebung
1.4.2 Arbeit und Freie Wahl
1.4.3 Polarisation der Aufmerksamkeit
1.5 Sensible Perioden
1.5.1 Herkunft und Theorie
1.5.2 Pädagogische Bedeutung
1.5.3 Die Phase von 0- 6 Jahren
1.5.4 0- 3 Jahre
1.5.5 3- 6 Jahre
2. Wahrnehmungsschulung durch das Sinnesmaterial
2.1 pädagogisch- didaktische Funktion
2.1.1 Ästhetik
2.1.2 Aktivität
2.1.3 Begrenzung
2.1.4 Fehlerkontrolle
2.2 Lehrmittel zur Schulung der Wahrnehmung
2.2.1 Entdecken von Kontrasten, Identitäten und Abstufungen
2.2.2 Material visueller und auditiver Unterscheidungsmöglichkeiten
2.3 Konkrete Sinnesübungen mit entsprechenden Materialien
2.3.1 Tastsinn
2.3.2 Sensibilität für Farben
2.3.3 Unterscheidung von Dimensionen
2.3.4 Der Sinn für Geräusche
2.3.5 Barischer Sinn
2.3.6 Temperatursinn
2.3.7 Geruchssinn
2.3.8 Geschmackssinn
3. Die Rolle des Erziehers
3.1 Aufgaben des Erziehers
3.2 Durchführung der Lektionen
III Die heutige Bedeutung der Montessori- Pädagogik
1. Allgemeine Aussagen und Kritik
2. Das Katholische Kinderhaus in Bautzen
3. Der Alltag im Kinderhaus
4. Das Sinnesmaterial
IV Resümee
V Literatur- und Quellenverzeichnis
I Einleitung
Die Idee einen Bericht über die Pädagogik Maria Montessoris zu verfassen rührt aus einem mehrwöchigem Praktikum in einem Montessori- Kinderhaus. Dabei kam ich zum ersten Mal mit diesem Erziehungskonzept in Berührung, es faszinierte mich sehr. Die Gelegenheit zu einer tiefen Auseinandersetzung mit der Montessori- Pädagogik ergab sich während Suche nach einem geeigneten Thema zum Vordiplom.
Dieser Bericht beinhaltet die Bedingungen und Prinzipien einer Erziehung des Kleinkindes in der dafür vorgesehenen Einrichtung, dem Kinderhaus. Der erste Teil der Abhandlung erfolgt auf theoretischen Grundlagen. Der Begriff Früherziehung wird näher erklärt, daraufhin eine kurze Biographie Maria Montessoris erstellt und anschließend ein Überblick über grundlegende Inhalte und Positionen der Pädagogik gegeben. Spricht man von Montessori- Pädagogik, dann fällt häufig der Begriff: Entwicklungsmaterial. Tatsächlich nimmt dieses in der Methodik eine wichtige Stellung ein. Im weiteren Verlauf dieser Arbeit kommt speziell der Wahrnehmungsschulung mit dem entsprechenden Sinnesmaterial besondere Bedeutung zu. Maria Montessori hat zusammen mit Friedrich Fröbel schon lange vor der modernen Kleinkindpädagogik, die pädagogische Bedeutung der Früherziehung, die Phase des Unbewußten für die Persönlichkeitsentwicklung und die nicht zu unterschätzende Rolle der Eltern/ Erzieher, insbesondere der Liebe und Zärtlichkeit für die Entwicklung von Selbst- und Wertvertrauen -Urvertrauen- erkannt. Ebenfalls bedeutsam war die Erkenntnis über die Bedeutung der frühen sensomotorischen Förderung, was bei Montessori aber eher theoretisch blieb. Sie selbst führte ihre pädagogischen Erfolge auf die Entdeckung der Polarisation der Aufmerksamkeit zurück, welches sie bei einem dreijährigen Kind entdeckt hatte. Durch intensives Beobachten entwickelte sie dann Bedingungen und Materialien, die Konzentration- und Bildungsfähigkeit ermöglichen und erleichtern. In jahrzehntelanger Arbeit entstand schließlich eine neue Pädagogik, eine neue Sicht des Kindes als konzentrationsfähiges, aktives Wesen, das seine Persönlichkeit selbst aufbaut, wenn es eine pädagogisch vorbereitete Umgebung und neuen Erzieher hat, der dem Kind hilft bei der Unabhängigkeit und der Entwicklung erforderlicher Kompetenzen (= Prozeß der "Normalisation").
Im zweiten Teil dieses Berichtes wird auf die heutige Bedeutung der Montessori- Pädagogik eingegangen. Dazu lassen sich allgemeine Aussagen und Kritik, sowie meine praktischen Erfahrungen mit dem Alltag und den Kindern im Kinderhaus Bautzen treffen.
II Früherziehung in der Montessori- Pädagogik
1 Anthropologische und pädagogische Grundlagen
1.1 Was ist Frühförderung/ Früherziehung?
Frühförderung bzw. Früherziehung bezieht sich auf die Entwicklung eines Kindes von Geburt an bis zum sechsten Lebensjahr. Demzufolge schließt Früherziehung das Säuglings-, Kleinkind- sowie das Vorschulalter ein. Einige Wissenschaftler und Experten sind der Meinung, dass Früherziehung erst mit dem dritten Lebensjahr erfolgen sollte, weil das Kind in den ersten drei Jahren hauptsächlich der Pflege und Betreuung bedarf. Heute wird der Begriff Frühförderung zum größten Teil in der Rehabilitationspädagogik verwendet, wenn man von Kindern diesen Alters spricht, die Störungen in ihrer psychischen oder / und physischen Entwicklung aufweisen und besonderer psychologischer, pädagogischer und motorischer Hilfe und Förderung bedürfen (vgl. Oswald, Paul/ Schulz- Benesch, Günter, Herder- Verlag, Freiburg, Basel, Wien 1989).
Für ein "normales", gesundes Kind ohne Auffälligkeiten in den ersten Lebensjahren bedeutet Früherziehung eine erziehende und pflegerische Pädagogik. In erster Linie betrifft dies die Familie des Kindes, sie ist primärer Ort der Entwicklung. Ab dem dritten Lebensjahr haben Eltern die Möglichkeit ihr Kind in den Kindergarten oder anderen entsprechenden Einrichtungen tagsüber von ausgebildeten Erziehern betreuen zu lassen. Hier in Institutionen beginnt Früherziehung also erst ab dem dritten Lebensjahr. Früherziehung beinhaltet nicht allein Pflege und Betreuung, sondern auch Erziehung und Bildung. Während dieser frühkindlichen Phase sind Kinder sehr beeinflußbar und sensibel, in dieser Zeit lernen sie zu gehen, sauber zu werden, die Sprache unserer Kultur u.v.m. Vor etwa 50 Jahren erst begann der Mensch Interesse an der frühkindlichen Entwicklung zu zeigen und schien sich der wichtigen Bedeutung dieser Zeit, welche grundlegend für die weitere Entwicklung zum Erwachsenen ist, bewußt zu werden. So zählt auch erst der Kindergarten und deren Alternativen (Kinderhaus, Waldorf- Kiga, Kindertagesstätte, Kinderladen) seit 1970 zum Elementarbereich des Bildungswesens (Kindergarten- und Vorschulpädagogik) mit einem eigenständigen, familienergänzenden Bildungsauftrag, welcher die öffentliche Erziehung von Kindern zwischen drei und sechs Jahren charakterisiert. Vorallem im Vorschulalter prägen
sozio- emotionale, sprachlich- kommunikative und kognitive Entwicklungsprozesse das kleine Kind. Wird diese natürliche Entwicklung, deren Verlauf nach heutiger Sicht kontinuierlich ist, nicht genutzt und gefordert, kann es zu Störungen und Auffälligkeiten kommen, welche irreversibel sind. Frühkindliche Institutionen sollten besonders im Vorschulalter günstige Bedingungen für einen guten Start in die Grundschule schaffen. Gefahren der Unterforderung, Verwöhnung und Fehlerziehung müssen dabei gebannt, und Fähigkeiten im musischen, sprachlichen, emotionalen, praktisch- kognitiven sowie motorisch- gestalterischen Bereich gefordert und gefördert werden. Neben Lernangeboten kommt einer besonderen Bedeutung aber auch immer noch dem Spiel zu (vgl. Helmig, Helene, Herder- Verlag, Freiburg 1958).
Ziel der Früherziehung ist die körperliche Entwicklung, Kompetenz, Autonomie und Kooperationsbereitschaft des Kindes zu einer "gesunden" Persönlichkeit. Je nach Träger der Institutionen werden auch andere Zielvorstellungen formuliert und bestimmte Konzepte gewählt.
1.2 Kurzbiographie Maria Montessoris
Am 31.08. 1870 wird Maria Montessori als Tochter eines Offiziers in Chiaravalle in Arcona geboren. Seit 1882 lebt Familie Montessori in Rom, Maria besucht die technische Schule für Jungen (Vorstufe des heutigen Gymnasiums) und studiert danach gegen den Willen der Eltern als erste Frau Italiens Medizin an der Universität Rom.1896 legt sie ihr Staatsexamen ab, promoviert und nimmt eine Assistentenstelle an der psychiatrischen Universitätsklinik in Rom an. Von 1898 bis 1900 übernimmt Maria Montessori die Leitung der "Scoula Ortofrenica", einer Schule zur Ausbildung von Heilpädagogen. Zu dieser Zeit hält sie sich auch in Paris auf und studiert die Werke der französischen Psychiater Jean- Marc Gaspard Itard (1775-1838) und Edouard Séguin (1812-1880), bei denen sie wichtige Anregungen für ihre Pädagogik findet. Um 1900 bilden wirtschaftliche und soziale Krisen den Hintergrund ihrer Initiativen zugunsten ausgebeuteter Kinder in sizilianischen Minen. Weiterhin studiert sie Psychologie und Philosophie an der Universität Rom und ist von 1904-1908 Professorin für Anthropologie an derselben Universität. Am 06.01. 1907 eröffnet das erste Kinderhaus ("Casa dei bambini") für verwahrloste Kinder in San Lorenzo, einem Slum- ähnlichen Viertel in Rom. Mit
Übernahme dieser Institution bringt Montessoris ihr Gedankengut für die Gestaltung der Umgebung ein und verwendet das Material und ihre Methode für behinderte Kinder, erstmals bei nichtbehinderten Kindern. In diesem Kinderhaus beginnt ihre Pädagogik zu reifen. 1909 erscheint ihr erstes Buch "Il methodo", in dem sie die Erkenntnisse aus teilnehmenden Beobachtungen und ihrer aufbauenden Prinzipien niederschreibt. In den nächsten Jahren überträgt Maria Montessori die Leitung der nun verbreiteten Kinderhäuser Helferinnen, widmet sich ganz der Ausbildung der Erzieher sowie der Veröffentlichung vieler Schriften, u.a. "Kinder sind anders." 1936. Das Interesse der Öffentlichkeit ist so enorm, dass die Pädagogin zu vielen Vorträge reist, weltweit Montessori- Kongresse einberufen und- Gesellschaften gegründet werden. Am 06.05.1952 stirbt Maria Montessori in der holländischen Provinz Noordwijk- an- Zee. Zu Lebzeiten und für ihre Nachwelt hat sie eine besondere pädagogische Methode entwickelt, die heute, wie früher viele Anhänger und Gegner findet und die wie keine andere so heftige Diskussionen auslöste. Maria Montessori, die selbst keine Familie gründete, ihren Sohn erst mit 15 Jahren aus der Pflege zu sich holte und nie geheiratet hat, verfolgte ihr ganzes Leben pädagogische, politische und religiöse Ziele, wobei ihre wissenschaftlichen Interessen und ihre religiöse Überzeugung nicht gegensätzlich waren. Trotz ihres persönlichen katholischen Glaubens machte sie ihre Lehre von keiner bestimmten Religion abhängig. Ihr höchstes Ziel war die Weltfriedens- Gesellschaft (vgl. Helmig, Helene: Montessori- Pädagogik - Ein moderner Bildungsweg in konkreter Darstellung. Herder- Verlag, Freiburg im Breisgau 1977).
1.3 "Normalisation" und "Deviation"
1.3.1 Maria Montessoris Grundpositionen
Die Position Maria Montessoris im Vergleich zu anderen Erziehern, wie z.B. Fröbel (1782-1852) ist einzigartig. Besonders interessant ist die Verästelung der Anwendungsmöglichkeiten ihrer Methode über die reguläre Schulerziehung hinaus. Montessori- Pädagogik wird angewandt in Heimen, Kinderbetreuungszentren, Einrichtungen für geistig und/ oder körperlich behinderte Kinder u.a. In diesem Bericht wird die frühkindliche Erziehung im Montessori- Kinderhaus im Vordergrund stehen (vgl. Montessori, Maria, Herder- Verlag, Freiburg im Breisgau 1972).
Maria Montessori war keine Theoretikerin. Ihre Pädagogik basiert auf teilnehmenden Beobachtungen, die sie überall in ihren Kinderhäusern machte und die sie als Grundlage ihrer praktischen Anweisungen und theoretischen Abhandlungen betrachtete. Aufgrund ihrer geduldiger, direkter Beobachtungen und Erfahrungen mit Kindern leitete sie Grundphänomene ab, die für die menschliche Entwicklung notwendig schienen und hielt daran fest, dass sie das Kind "entdeckt" habe. Bei diese Entdeckung hatte ihr philosophischer und anthropologischer Einblick entscheidenden Anteil. Und was war nun diese Entdeckung? Was macht die Pädagogik dieser außergewöhnlichen Frau aus? Die Antwort darauf liegt in einer grundlegend neuen Auffassung gegenüber dem Kind und seiner Entwicklung. In gewisser Weise hat Montessori das Kind "neu entdeckt", d.h. die Funktion des Kindes und der Kindheit für die menschliche Persönlichkeit. Zum Einen betrachtete sie das Kind als Menschen mit Persönlichkeit, der Achtung und Beachtung der sozialen Rechte verdient. Zum Anderen lag Montessoris besondere Eigenschaft im tiefen Respekt vor der schöpferischen Produktivität. Sie sah die Aufgabe des Menschen darin, das Werk der Schöpfung mit Hilfe der Intelligenz auf Erden fortzusetzen, d.h. den Menschen zu einer eigenständigen Persönlichkeit zu machen. Für diese Entwicklung hat das Kind und dessen Kindheit grundlegende Bedeutung. Die Kindheit ist die reichste Zeit des Menschen, hier entwickelt sich der Mensch zu einer Persönlichkeit. Voraussetzung dafür ist die schöpferische Produktivität, die eigene Tätigkeit des Kindes, nur so kann sich Persönlichkeit aufbauen (vgl. Montessori, Maria, Klett- Verlag, Stuttgart 1952).
Noch heute glaubt man z.T., dass der Erwachsenen das Kind formen kann, dass dies die Pflicht und Aufgabe des Erziehers sei, dem Kind und seiner eigenen schöpferischen Kraft und Tätigkeit wird nur der geringste Teil dieser Arbeit zugewiesen. Das Kind wird allein zum Objekt der Erziehung gemacht. Montessori kritisierte diese Auffassung in jeder Form und "fand ein neues Kind", wobei sie die Kindheit als Stadium des Menschseins ansah. Nach Montessoris Sichtweise besitzt das Kind keine verkleinerten Merkmale des Erwachsenen, wie von der Menschheit allgemein angenommen. Das Kind wächst sein eigenes Leben, das seinen
Sinn in sich selbst hat, welches den Erwachsenen formt. Nicht der Einfluß des Erwachsenen, sondern allein der schöpferische Wille ein Mensch zu werden, eine sittliche Persönlichkeit aufzubauen, drängt das Kind zur Entwicklung (vgl. Helmig, Helene, Herder- Verlag, Freiburg 1958).
So wie der Körper wächst, entwickelt und wächst auch der Geist des Kindes. Der Erwachsene soll dem Kind zur gesunden Bildung seiner Persönlichkeit verhelfen, ihn nicht versuchen zu formen und unterdrücken, so wie es Jahrhunderte erfolgte. Daraus ergeben sich die Grundsätze der Pädagogik Montessoris: Freiheit, Unabhängigkeit und Selbständigkeit. "Hilf mir es selbst zu tun!" ist der wichtigste Leitsatz, der diese Pädagogik charakterisiert. Das Kind soll unabhängig vom Erwachsenen werden, freie Entscheidungen treffen und Probleme selbständig lösen. Der Erwachsene soll Vorbereitungen für diese Entwicklung treffen und helfend eingreifen, wenn nötig, den Erfahrungen des Kindes aber nicht im Wege stehen. Damit wird ein inneres Gleichgewicht geschaffen, was zu persönlicher Stärke führt, die einerseits einen individuellen Menschen hervorbringt und sich andererseits trotzdem in die Gesellschaft einfügen kann (vgl. Helmig, Helene, Herder- Verlag, Freiburg 1958).
1.3.2 Der einheitliche Typus des Kindes
Seit Jahrhunderten teilt die Gesellschaft Kinder in drei Gruppen ein. Zur ersten Gruppe gehören die Kinder, deren Fehler kontrolliert werden müssen, andere Kinder sind solche, die gut = passiv sind und als Vorbild dienen und als dritte Gruppe sind solche Kinder zu sehen, die als überlegen betrachtet werden. Diese Gruppen treten dann auf, wenn sich das Kind nicht gemäß nach seinen Bedürfnissen und Möglichkeiten entfalten kann. "Heilung" kann nur im Kinderhaus mit den entsprechenden Bedingungen erfolgen, hier konzentrieren sich alle Energien, es treten keine Abweichungen der Charaktermerkmale dieser Gruppen auf. Die Fehler der schwachen und starken Kinder werden ausgemerzt, böse/ schlechte Eigenschaften werden überwunden, das Gute entwickelt sich (vgl. Oswald, Paul/ Schulz- Benesch, Günter, Herder- Verlag, Freiburg, Basel, Wien 1989).
Tatsache ist, dass es nur einen Typus des Kindes gibt, ein tiefes starkes, einheitliches Wesen
mit Charakterzügen, welche von den sich entfaltenden Energien gesteuert werden (Das neue Kind!). Ein "normalisiertes" Kind, dass charakterisiert ist als arbeitsam, ruhig, diszipliniert, voll von Liebe und Interesse sowie explosiv in Eroberungen. Das Kind erlebt innere Freude sowie Gesundheit des Körpers und der Psyche. Die Einteilung der Kinder- Gruppen ist nach Montessori- Auffassung also nicht wahr (vgl. Oswald, Paul/ Schulz- Benesch, Günter, Herder- Verlag, Freiburg, Basel, Wien 1989).
Als "Normalisation" bzw. als "normalisiertes" Kind umschreibt Montessori die neue Sicht vom Kind, das zum Aufbau einer unabhängigen Persönlichkeit fähig und frei ist, seine Begabungen, Interessen und Stärken zu entfalten. Dieser Prozeß erfolgt durch aktive Selbstverwirklichung. Einerseits nach Maßstab, der im Kind wirkenden Entwicklungsbedingungen (Anlagen- und Reifungsgesetze), andererseits nach Maßstab der objektiven Kultur und Geschichte (wandelnde Gesetze der Gesellschaft und fortschreitender Entwicklung). "Normalisation" bedeutet nicht das "ideale Kind", sondern vielmehr das Optimum an Entwicklungsmöglichkeiten des Individuums zwischen seinen Anlagen und den vorhandenen konkreten Lebens- und Entwicklungsbedingungen. Freiheit, Wahl, vorbereitete Umgebung und besonders Konzentration sind einige dieser Bedingungen. Dies zu erreichen, fordert Montessori den erwachsenen Menschen auf, das Kind in sozialer Wirklichkeit, in seinen Entwicklungsgesetzen und -bedürfnissen zu erforschen, respektieren und entsprechend zu erziehen. Eine falsche Sicht des Kindes führt zu Ignoranz, Verkennung und Unterdrückung der Entwicklungsbedürfnisse und -möglichkeiten. Dazu zählt auch die Sicht mancher Erzieher, die Seele des Kindes passiv, von der Leitung der Erwachsenen völlig abhängig zu machen und so zu erziehen (vgl. Schmutzler, Hans- Joachim: Herder- Verlag, 1991). Dies führt zu dem Glauben die Seele des Kindes sei "... ein leeres Gefäß, das mit Inhalt erfüllt werden muß." (1. Zitat: Schmutzler, Hans- Joachim: Herder- Verlag, 1991, S. 94)
Auf diese Sichtweise und Erziehung reagiert das sich unverstanden- fühlende Kind mit einer Reaktion, die Montessori als "Deviation" bezeichnet, dieser Schlüsselbegriff ist der Gegensatz zur "Normalisation". Das Kind wird in seiner natürlichen Entwicklung gehemmt und dauerhaft gestört. Die Kampfstellung gegenüber dem Erwachsenen und der Neigung zum "Bösen" kommt zum Ausdruck. Entmutigung, Minderwertigkeitsgefühle, Unterwürfigkeit, Faulheit, Abhängigkeit von Belohnung/ Bestrafung sowie Zerstreutheit und Langeweile macht sich breit. Diese Kinder streben nach Besitz und Macht, geben sich Phantasien und
Tagträumereien hin, sind aggressiv, launenhaft, schüchtern und lügen. Da sind Hände, die nicht arbeiten, aber dennoch nie ruhig bleiben, ein Geist, der sich von der Wirklichkeit entfernt und ein Körper, der sich ohne Ordnung bewegt. Die Energien des Kindes teilen sich und es entsteht keine stabile Persönlichkeit (vgl. Helmig, Helene, Herder- Verlag, Freiburg im Breisgau 1977).
Das "normalisierte" Kind dagegen hat folgende Charakterzüge: Ordnungsliebe (Bedürfnis einmal erkannte Strukturen der äußeren Realität zu erhalten), Liebe zur Arbeit, Fähigkeit zur spontanen Konzentration, Liebe zur Wirklichkeit, spontane Selbstdisziplin, Liebe zur Stille und Einzelarbeit, Gehorsam, Unabhängigkeit und Initiative, gegenseitige Hilfe und Freude. "Normalisation" ist nicht Werk des Erwachsenen, sondern das der Umwelt und des Materials. Erst durch Auseinandersetzung mit der Umwelt und der eigene Tätigkeit/ Arbeit mit dem Material kann sich starke Persönlichkeit aufbauen. Der Erwachsene muß dem Kind dabei helfen und ihm beistehen, aber keine überflüssige Hilfe leisten
1.4 Prinzipien der Pädagogik
Damit sich das Kind optimal entfalten kann fordert Montessori eine vorbereitete Umgebung, die Freiheit des Kindes in der Wahl seiner Beschäftigung, innere und äußere Ordnung sowie einen "neuen Erzieher". Dann kann das Kind sich völlig konzentrieren, somit zu einem inneren Gleichgewicht und einer normalen Entwicklung seiner Persönlichkeit gelangen (vgl. Montessori, Maria, Klett- Verlag, Stuttgart 1952).
1.4.1 Vorbereitete Umgebung
Die vorbereitete Umgebung ist ein sehr wichtiger Aspekt der Montessori- Pädagogik. Der Erzieher hat die Aufgabe die Umgebung im Kinderhaus für die Kindergruppe, die aus Kindern unterschiedlichen Geschlechts, Alters, Kultur und Leistungsniveau besteht, vorzubereiten. Das erste Kinderhaus in Rom, welches Montessori einrichtete, hatte
charakteristische Merkmale, die nie zuvor von Pädagogen eingesetzt wurden. Ihre Idee eine entsprechenden Umgebung mit beweglichem Mobiliar für die Kinder zu entwerfen, wurde mit viel Kritik aufgenommen. Montessori bestellte kleine Tische in unterschiedlicher Größe und Form (dreieckig, oval, vieleckig), kleine Stühlchen, Sessel und Hocker, Teppiche, Türklinken. Offene Regal und Schränke, in Höhe der Kinder, wurden von ihr in Auftrag gegeben, damit Materialien erreichbar und stets zugänglich sind. Möbel aller Art sollten leicht und einfach zu tragen sein, damit die Kinder sie jederzeit rücken konnten, wo sie auch sitzen wollten. Außerdem wurden Sanitär- Anlagen und Wachbecken mit Ablagen für Seife, Lappen Zahnputzbecher, Bürste usw. angefertigt (vgl. Montessori, Maria, Quelle und Meyer Verlag, Heidelberg und Wiesbaden 1988).
Die gesamte Einrichtung wurde so an die Kräfte und Proportionen der Kinder angepaßt. Für die unterschiedlichen Angebote wird ausreichend Platz geschaffen um Einzelarbeitsplätze zu garantieren. Zu Montessoris Zeiten war diese Idee der Einrichtung eine Sensation, heute ist es die Regel und gar nicht anders vorstellbar (vgl. Montessori, Maria, Quelle und Meyer Verlag, Heidelberg und Wiesbaden 1988).
Ziel dieses neuen Vorhabens war es, den Kindern eine hohe Flexibilität, Freiheit und Selbständigkeit einzuräumen, damit sie kreativ, schöpferisch tätig werden konnten.
Kritik erfuhr Montessori über die traditionelle Auffassung, die Kinder könnten die beweglichen Möbelstücke hin und her werfen, es gäbe ein riesigen Radau und Zerstörung ist vorprogrammiert. Allen bösen Zungen zum Trotz nahmen die Kinder diese Umgebung freudig an und anstatt die Einrichtung zu zerstören, lernten sie den richtigen Umgang damit. Natürlich klappt nicht alles auf Anhieb, ein Stuhl fällt auch einmal um, doch alle Möbelstücke wurden vorsichtig und ruhig auf den Boden zurück gestellt, das Anstoßen an die beweglichen Möbel nahm ab. Die Koordination der Bewegungsabläufe wurde so geschult und verbessert. Zerbrechliche Dinge, wie Teller, Tassen, Gläser oder Vasen hielten die Kleinen vorsichtig in den Händen, fällt doch einmal etwas um oder herunter, wird das Kind sofort auf sein Fehlverhalten aufmerksam und kann sich verbessern. So lernt sich das Kind zu bewegen ohne Schaden anzurichten, es lernt Geschicklichkeit (vgl. Montessori, Maria, Klett- Verlag, Stuttgart 1952).
In der Familie werden Kindern häufig Tätigkeiten verboten oder vom Erwachsenen übernommen, mit der Begründung: Du bist noch zu klein, ich räume den Stuhl auf! Doch wie sollen Kinder den Umgang mit Geschirr und anderen zerbrechlichen Dingen lernen und sich
durch Übung verbessern, mit diesem "Beschützerinstinkt" der Erwachsenen? Im Kinderhaus haben sie die Möglichkeit dazu, indem ihnen eine freundliche, liebevolle Arbeitsatmosphäre geschaffen wird, die Lust auf Kreativität und Arbeit macht. Deshalb, so Montessori, sind die "Vorbereitung der Umgebung und die Vorbereitung des Lehrers [...] das praktische Fundament unserer Erziehung." (2. Zitat: Holstiege, Hildegard: Herder- Verlag, 1994, S. 128) Nur durch die entsprechende "Interaktion mit seiner Umwelt" ist der Aufbau der Persönlichkeit möglich. Aufgabe des Erziehers ist es die Voraussetzungen dafür zu schaffen (vgl. Holstiege, Hildegard: Herder- Verlag, 1994).
Die richtig vorbereitete Umgebung des Kinderhauses besitzt zweifache Wirkung, zum einen hat sie Offenbarungscharakter für das entdeckende Lernen, zum anderen lockt sie durch ihre Eigenart die kindliche Eigenart hervor, enthüllt diese und kann so eine "Erweiterung der Persönlichkeit" ermöglichen. Montessori dazu: "Das Kinderhaus vorallem muß so gestaltet sein, dass in allem das Kind sich aufgefordert fühlt, tätig sein zu wollen, mit zu schaffen und zugleich sich seine eigene Bewegung zu erwerben." (3. Zitat: Helmig, Helene: Herder- Verlag, 1977, S. 29). Die Vorbereitete Umgebung ist Grundlage für das freie Ausdrücken der Bedürfnisse und Neigungen der Kinder, so kann auch spontane Aktivität geschaffen werden. Kriterien sind außerdem Helligkeit, Verzicht auf überflüssige Räume, versperrende Dinge, große Außenanlage mit Garten und Sandecke, sowie die Nähe zur Montessori- Schule (vgl. Holstiege, Hildegard: Herder- Verlag, 1994).
Neben den Möbelstücken, bemühte sich Montessori auch der Verschönerung des Kinderhauses, schließlich verbrachten und verbringen viele Kinder die meiste Zeit des Tages in der Einrichtung. Fenster sollen bunt bemalt werden, Bilder der Natur und des Glaubens, Kreuze an die Wände gehängt, Vasen mit frischen Blumen, Zweigen und Kräuter in den Raum gestellt, die Dinge des alltäglichen Gebrauchs sowie das Entwicklungsmaterial für Übungen der Sinne und Bewegung geordnet nach den Lernangeboten in den Regalen und Schränken verstaut werden. In jedem Raum soll sich eine funktionstüchtige Kinderküche mit entsprechendem Geschirr, Besteck und alltäglichen Dingen eingerichtet befinden. In der anderen Hälfte sollen in abgetrennten Bereichen des Zimmers Spielzeug,- Bau,- Mal- und Bastelecken entstehen. Alle Materialien und Spielsachen findet man in bestimmter Ordnung an, ist ein Gegenstand nicht an seinem Platz, fällt das sofort auf. Jeder Fehler, die die Kinder in dieser Umgebung tätigen, hinterläßt seine Spuren, ist sofort sichtbar und verlangt der Korrektur (vgl. Montessori, Maria, Klett- Verlag, Stuttgart 1952).
1.4.2 Arbeit und Freie Wahl
Freiheit ist grundlegendes Prinzip der Pädagogik Montessoris. Freie Wahl bedeutet, dass den Kindern im Kinderhaus nicht vorgeschrieben wird, was sie zu einer bestimmten Zeit spielen/ arbeiten sollen. Die Kinder können ihre Beschäftigung und das entsprechende Arbeitsmaterial bzw. Spielzeug frei wählen, ohne dass die Erzieherin eingreift. Die Bewegungsorgane werden koordiniert, welche durch einen fremden, aufgezwungenen Willen nicht so gut beherrscht werden könnten. Durch teils spontane, teils überlegte Entscheidung entwickelt sich direkte Individualität und das Kind kann sich in interessante, selbst- gewählte Aufgaben vertiefen. So entsteht auch freiwillige Ordnung und Disziplin (vgl. Montessori, Maria, Herder- Verlag, Freiburg, Basel, Wien 1994).
Mit freier Wahl kann sich das innere Bedürfnis nach einer bestimmten Tätigkeit äußern und wird befriedigt. Dann arbeitet das Kind auch voller Freude - Individualität wird gefördert, denn jedes Kind hat andere Bedürfnisse. Ist diese individuelle Entwicklung gestört, verläuft diese nicht normal (vgl. Oswald, Paul/ Schulz- Benesch, Günter, Herder- Verlag, Freiburg, Basel, Wien 1989).
Erzieher im Kindergarten schreiben den Kindern teilweise vor, womit sich die Gruppe oder der Einzelne beschäftigt, damit wird dem Kind die Möglichkeit genommen selbst zu entscheiden, Initiative und echtes Interesse wird verhindert. Das Kind wird einer Freiheit entraubt, die ihm gleichzeitig die Möglichkeit zur Selbständigkeit nimmt. Als Folge dieser "Entmündigung" und direkter Aufforderung durch den Erzieher erntet man Trotz und Gegenwehr. Montessori kritisiert genau den Aspekt, dass Erwachsene dem Kind zu wenig zutrauen und ihm daher die unterschiedlichsten alltäglichen Dinge abnehmen. Ist aber Freiheit gegeben, kann das Kind unabhängig gegenüber der unterdrückenden Energie des Erwachsenen sein. Die Selbständigkeit des Kindes kommt einer Befreiung gleich (vgl. Montessori, Maria, Herder- Verlag, Freiburg, Basel, Wien 1994).
Freiheit bedeutet aber nicht, dass das Kind tun und lassen kann, was es will. Bei Störungen und Mißbrauch des Lernmaterials greift der Erzieher sanft und dynamisch ein. "Die Freiheit unserer Kinder hat als Grenze die Gemeinschaft, denn Freiheit bedeutet nicht, dass man tut, was man will, sondern Meister seiner selbst zu sein." (4. Zitat: Montessori, Maria: Quelle und Meyer Verlag, 1988, S. 25).
[...]
- Arbeit zitieren
- Diplom-Pädagogin Melanie Schöpcke (Autor:in), 2002, Zur Frühförderung in der Montessori-Pädagogik unter besonderer Berücksichtigung der Wahrnehmungsschulung, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/81501
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