"Grobes Verschulden" im Sinne von § 173 AO

Eine Auseinandersetzung mit den durch die Finanzgerichtsbarkeit entschiedenen Fällen


Hausarbeit, 2007

23 Seiten, Note: 1,0


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. „Grobes Verschulden“ im Sinne von § 173 AO
2.1 „Grobes Verschulden“ des Steuerpflichtigen – Entscheidungen durch die Rechtssprechung
2.1.1 Nichtbeantwortung ausdrücklich gestellter Fragen
2.1.2 Rechtsirrtum – fehlerhafte rechtliche Würdigung
2.1.3 Einspruchsversäumnis in der Rechtsbehelfsfrist
2.2. „Grobes Verschulden“ des Vertreters – Entscheidungen der Rechtssprechung

3. Fazit

Literaturverzeichnis:

1. Einleitung

Die Abgabenordnung AO 1977 der Bundesrepublik Deutschland ist ein grundlegendes Gesetz für das deutsche Steuerrecht. Im Vordergrund stehen hierbei nicht wie bei den Einzelsteuergesetzen (z.B. EStG, KStG) materielle Vorschriften zur konkreten Bestimmung und Berechnung der Steuer, sondern vielmehr Vorschriften zur Erhebung und Festsetzung einer Steuer, zur Vollstreckung, für außergerichtliche Rechtsbehelfs-verfahren, Straf- und Bußgeldvorschriften sowie –verfahren.

Dieses Gesetz bildet die verfahrenstechnische Grundlage für die Beziehung zwischen der Finanzbehörde und dem Steuerpflichtigen, wobei hier die Rechte und Pflichten der Verfahrensbeteiligten vorgeschrieben sind. So ist bspw. der Steuerpflichtige verpflichtet, „...Angaben in den Steuererklärungen (...) wahrheitsgemäß nach bestem Wissen und Gewissen [gegenüber der Finanzbehörde] zu machen.“ (§ 150 II AO)

Nach der Erklärung aller steuerlich relevanten Sachverhalte und Tatsachen aus dem betreffenden Besteuerungszeitraum durch den Steuerpflichtigen sowie einer Prüfung und Würdigung (oder zumindest Kenntnisnahme) dieser durch die Finanzbehörde, wird ein für beide Seiten bindender Steuerbescheid durch die Finanzbehörde erlassen. Ist die durch den Steuerbescheid festgesetzte Steuerlast nach Meinung des Steuerpflichtigen auf Grund von Fehlern in den Besteuerungsgrundlagen (bspw. Nichtanerkennung von erklärten Betriebsausgaben/Werbungskosten) oder durch eine abweichende rechtliche Würdigung eines Sachverhalts durch die Finanzbehörde zu hoch angesetzt worden, kann er im Wege des Rechtsbehelfsverfahrens Einspruch (§ 347 AO) gegen den Bescheid einlegen. Die Frist hierzu beträgt einen Monat ab Bekanntgabe des Steuerbescheids. Nach Ablauf dieser Frist tritt die Bestandskraft ein, mit dem Ziel, Rechtssicherheit für den Steuerpflichtigen zu schaffen. „Der formalrechtsstaatliche Vertrauensschutzgrundsatz begründet die Bestandskraft von Steuerverwaltungsakten [(u. a. Steuerbescheide)], nach der wirksame Verwaltungsakte nur noch unter besonderen Voraussetzungen [(Hervorhebung durch d. Autor)] zum Nachteil des Bürgers aufgehoben oder geändert werden dürfen...“[1] „Indessen garantiert das behördliche Verfahren, insb. das Massenverfahren in Steuersachen, nicht in gleicher Weise wie etwa ein Gerichtsverfahren Rechtsrichtigkeit. Daher besteht grds. ein öffentliches Interesse an der Korrektur von Verwaltungsakten, die Gesetzmäßigkeit und Gleichmäßigkeit der Besteuerung verletzen.“[2] Als Grundlage hierzu dienen die sogenannten Korrekturvorschriften, welche für Steuerbescheide und ihnen gleichgestellte Bescheide in den §§ 164 II, 165 II, 172 ff. AO geregelt sind.

Nach § 173 I AO sind Steuerbescheide aufzuheben oder zu ändern, soweit Tatsachen oder Beweismittel nachträglich bekannt werden, welche zu einer höheren (Nr. 1) oder niedrigeren (Nr. 2) Steuer führen. Da Tatsachen oder Beweismittel mit steuerlicher Relevanz in der Sphäre des Steuerpflichtigen liegen und er umfangreiche Aufklärungs- und Mitwirkungspflichten hat, hat der Gesetzgeber eine Hürde für die Anerkennung der nachträglich bekannt gewordenen Tatsachen oder Beweismittel eingefügt, welche zu einer niedrigeren Steuer führen. Im Rahmen der abgegebenen Erklärungen und der Finanzbehörde zur Verfügung gestellten Informationen und Sachverhalte sowie des Rechtsbehelfsverfahrens hat der Steuerpflichtige hinreichend Möglichkeiten, alle steuermindernden Tatsachen und Beweismittel geltend zu machen. Aus diesem Grund sind nachträglich bekannt gewordene Tatsachen oder Beweismittel, welche zu einer niedrigeren Steuer führen, nur bei der Verneinung eines groben Verschuldens seitens des Steuerpflichtigen anzuerkennen.

Gegenstand dieser Arbeit ist der Begriff des “groben Verschuldens“ im Sinne der Korrekturvorschrift des § 173 I Nr. 2 AO mit einer Auseinandersetzung einiger der durch die Finanzgerichtsbarkeit in dieser Frage entschiedenen Fällen.

Zu Beginn steht die Klärung und Definition des Begriffs des “groben Verschuldens“. Es folgt der Versuch, eine gewisse Systematik von durch die Finanzgerichtsbarkeit entschiedenen Fälle an Hand von Gemeinsamkeiten zu erstellen. Die Frage nach dem Vertretenmüssen eines groben Verschuldens eines Vertreters durch den Steuerpflichtigen, wird als Teil dieser Arbeit ebenfalls behandelt. Den Schluss bildet ein zusammenfassendes Fazit des behandelten Themas.

2. „Grobes Verschulden“ im Sinne von § 173 AO

Nach § 173 I Nr. 2 S. 1 AO sind Steuerbescheide aufzuheben oder zu ändern, „soweit Tatsachen oder Beweismittel nachträglich bekannt werden, die zu einer niedrigeren Steuer führen und den Steuerpflichtigen kein grobes Verschulden daran trifft, dass die Tatsachen oder Beweismittel erst nachträglich bekannt werden.“ Als grobes Verschulden hat der Steuerpflichtige Vorsatz (Wissen und Wollen) und grobe Fahrlässigkeit zu vertreten. „Grob fahrlässig handelt der Stpfl., wenn er die Sorgfalt, zu der er nach seinen persönlichen Kenntnissen und Fähigkeiten verpflichtet und imstande ist, in ungewöhnlichem Maße und in nicht entschuldbarer Weise verletzt...“.[3] Diese Definition lässt natürlich Raum für Interpretationen, wie weit die Sorgfaltspflichten reichen und ab wann eine Verletzung dieser vorliegt, noch dazu in ungewöhnlichem Maße und in nicht entschuldbarer Weise. Hier spielen die persönlichen, individuellen Kenntnisse und Fähigkeiten des Steuerpflichtigen eine nicht unwesentliche Rolle in der Beurteilung. Hierbei handelt es sich im Wesentlichen um eine Tatfrage, ob eine grobe Fahrlässigkeit zu bejahen ist, und somit ist zunächst einmal auf die Umstände des jeweiligen Einzelfalles abzustellen. Im Allgemeinen ist bei Fehlern des Steuerpflichtigen davon auszugehen, dass es sich um ein Versehen oder leichte Fahrlässigkeit handelt, wenn dem keine andersdeutigen Indizien entgegenstehen. Den Nachweis der Erfüllung des Tatbestandes eines groben Verschuldens hat nach herrschender Meinung[4] die Finanzbehörde zu führen.

Zu beurteilen ist hier, ob die sich im Wesentlichen aus den §§ 90, 149, 150 AO ergebenden Mitwirkungs- und Sorgfaltspflichten des Steuerpflichtigen durch ein von ihm zu verantwortendes grobes Verschulden verletzt worden sind.

Sollten der Steuerpflichtige und das Finanzamt im Wege des Korrekturverfahrens die Frage des Tatbestandes eines groben Verschuldens nicht abschließend unter Anwendung der bisherigen Rechtssprechung und entwickelten Grundsätze klären können, ist der nächste Schritt eine Klage (wenn gewollt) seitens des Steuerpflichtigen vor dem Finanzgericht.

Aber nach einer bald dreißigjährigen Rechtssprechung zu dieser Problematik hat sich gezeigt, dass sich wohl viele Streitfälle auf eine begrenzte Anzahl von Gründen und Ursachen beschränken, weshalb der Steuerpflichtige ein grobes Verschulden zu vertreten hat. Zu erkennen ist dies wohl am besten bei einem Vergleich verschiedener Werke der einschlägigen Literatur.[5] Natürlich soll dies nicht bedeuten, dass somit schon alle Fragen gestellt und auch beantwortet sind.

2.1 „Grobes Verschulden“ des Steuerpflichtigen – Entscheidungen durch die Rechtssprechung

Mit Hilfe von Entscheidungen der Finanzgerichtsbarkeit wird im Folgenden versucht zu zeigen, wann und weshalb den Steuerpflichtigen ein grobes Verschulden trifft, sowie eine gewisse Systematisierung vorzunehmen. Eine kurze Auseinandersetzung mit einzelnen Fällen und den gefällten Urteilen soll nachvollziehbar zeigen, aus welchen Gründen den Steuerpflichtigen in diesen gleichgelagerten Fragen ein grobes Verschulden trifft und damit eben letztendlich eine Anerkennung steuermindernder Ausgaben verneint wird.

Als abschließend ist dieser Überblick nicht zu werten, da natürlich Fälle unerwähnt bleiben, die mit den hier zitierten inhaltlich nicht zu vergleichen sind. Das würde den Rahmen dieser Arbeit auf Grund der Masse sprengen, wegen so mancher besonderer Einzelumstände des jeweiligen Falles und dies zusätzlich zu mehreren in vielen unterschiedlichen Formen.

2.1.1 Nichtbeantwortung ausdrücklich gestellter Fragen

Die Kommunikation zwischen dem Steuerbürger und der Finanzbehörde zur alljährlichen Einkommensveranlagung und Besteuerung findet in aller Regel über amtliche Vordrucke statt. Auf diesen Formularen werden dem Steuerpflichtigen eine Vielzahl von Fragen zu verschiedenen Themen mit steuerlicher Relevanz gestellt, welche er zu beantworten hat. Dies aber natürlich nur, sofern ein die jeweilige Frage betreffender Vorgang oder Sachverhalt im Veranlagungszeitraum existent war. So muss ein Steuerpflichtiger mit Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit bspw. keine Angaben zum Weg Wohnung-Arbeitsstätte machen, wenn er von einem Heimarbeitsplatz aus seine tägliche Erwerbsarbeit verrichtet.

Die Konzeption der Steuerformulare soll dem im Steuerrecht nicht vorgebildeten Steuerpflichtigen dabei helfen, alle relevanten Tatsachen, Beweismittel und Sachverhalte gegenüber der Finanzbehörde kundzutun, um eine objektive Besteuerung der Leistungsfähigkeit nach zu gewährleisten. Dies ist auch notwendig, ist doch ein Großteil der benötigten Informationen in der Sphäre des Steuerpflichtigen angesiedelt. Deshalb hat der Gesetzgeber dem Steuerpflichtigen Mitwirkungspflichten auferlegt, da die Finanzbehörden ohne eine konstruktive Unterstützung keine den Steuergesetzen entsprechende korrekte Besteuerung durchführen können. Da es außerdem eindeutig im Interesse des Steuerpflichtigen liegt[6], steuermindernde Ausgaben geltend zu machen, trifft ihn die Pflicht, dafür Sorge zu tragen, dass diese in der Veranlagung berücksichtigt werden. Auf Grund der in den Formularen gestellten Fragen kann der Steuerpflichtige in der Regel erkennen, was von Bedeutung ist und von welchen Informationen, sofern sie vorhanden sind, die Finanzbehörde Kenntnis erlangen muss.

Macht der Steuerpflichtige keine Angaben zu einer ausdrücklich gestellten Frage, obwohl es in dieser Hinsicht Aktivitäten gab oder Tatsachen vorhanden sind, kann der Finanzbeamte diese verständlicherweise nicht würdigen und bei der Veranlagung berücksichtigen. Nach Erlassen und Eintritt der Bestandskraft des Bescheids ist dieser, bis auf Ausnahmen (Korrekturvorschriften), nicht mehr änderbar. Meldet der Steuerpflichtige steuermindernde Tatsachen auf Grund ihm später zugegangener Informationen oder Unterlagen im Zusammenhang mit den nicht getätigten Angaben und will diese nachträglich anerkannt haben, stellt sich die Frage nach der Erfüllung des Tatbestandes eines groben Verschuldens.

In dieser Frage entschied ein Finanzgericht[7] schon im Jahr 1980 (Inkrafttreten der AO im Jahr 1977 mit einer Geltungswirkung für ergangene Bescheide aus davor datierenden Veranlagungszeiträumen), dass eine Steuervergünstigung auf Grund der nachträglich geltend gemachten Tatsache anzuerkennen ist, wobei dem Steuerpflichtigen kein grobes Verschulden am nachträglichen Bekanntwerden anzulasten sei. Mit der Revision[8] beim Bundesfinanzhof rügte die Finanzbehörde eine Verkennung des Begriffs des groben Verschuldens durch das Finanzgericht. Ein grobes Verschulden des Steuerpflichtigen sei zu bejahen. Der Bundesfinanzhof hatte zu prüfen, ob das Finanzgericht bei seinen Feststellungen zur Fahrlässigkeit des Steuerpflichtigen den Rechtsbegriff der groben Fahrlässigkeit und die sich daraus ableitenden Sorgfaltspflichten richtig erkannt hat. Der Bundesgerichtshof verneinte dies, hob die Vorentscheidung auf und wies die Klage ab. Das Finanzgericht hatte den Fall dahingehend gewürdigt, dass dem Steuerpflichtigen auf Grund der Kompliziertheit der Thematik sowie einer erstmaligen Betätigung, und somit auch erstmaligen Möglichkeit der Inanspruchnahme einer Steuervergünstigung, (also Unkenntnis in diesem Fall) nur ein einfaches Verschulden anzulasten sei. Es hat aber nach Auffassung des Bundesfinanzhofs die dem Steuerpflichtigen auferlegten Sorgfaltspflichten verkannt. Nach § 150 II S. 1 AO sind „die Angaben in den Steuerklärungen (...) wahrheitsgemäß nach bestem Wissen und Gewissen zu machen.“ Dies setzt voraus, dass der Steuerpflichtige die gestellten Fragen gewissenhaft und sorgfältig durchliest sowie beantwortet. Grob schuldhaft handelt er regelmäßig dann, wenn er die Fragen in Anbetracht seiner persönlichen Kenntnisse und Fähigkeiten hätte beantworten können, dies aber nicht getan hat.

[...]


[1] Lang, J., in: Tipke/Lang, Steuerrecht. 18. völlig überarbeitete Auflage, § 4 Tz. 54, S.

74, Köln 2005

[2] Lang, J., in: Tipke/Lang, a.a.O. § 21 Tz. 381, S. 922

[3] Loose, in: Tipke/Kruse, Abgabenordnung Finanzgerichtsordnung Kommentar,

§ 173 AO Tz. 76, Lfg. 110 August 2006, Verlag Dr. Otto Schmidt, Köln

[4] vgl. bspw. Ausführungen zur Entscheidung des BFH v. 10.8.1988, IX R 219/84,

BStBl II 1989, S. 131; Loose, in: Tipke/Kruse, a.a.O. Tz. 85

[5] vgl. bspw. Dt. wissenschaftliches Institut d. Steuerberater e.V., AO-Handbuch. Ab-

gabenordnung Finanzgerichtsordnung 2006, S. 616 Fortsetzung Fußnote 1 von S.

615, Verlag C. H. Beck; Loose, in: Tipke/Kruse, a.a.O. Tz. 76; Kühn/Hofmann,

Abgabenordnung Finanzgerichtsordnung. Nebengesetze, 17. völlig neubearbeitete

Auflage, S. 478, Verlag Schäffer Poeschel 1995

[6] Und natürlich im Sinne des Gesetzes, da eine Besteuerung der Leistungsfähigkeit nach

erfolgen soll. Dies bedeutet eine Besteuerung der die gesetzlich anerkannten Ausga-

ben übersteigenden Einnahmen abzgl. zu gewährender Steuervergünstigungen. (Anm.

d. Autors)

[7] veröffentlicht in: Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 1980, S. 531

[8] BFH 29.6.1984, VI R 181/80; BStBl 1984 II S. 693

Ende der Leseprobe aus 23 Seiten

Details

Titel
"Grobes Verschulden" im Sinne von § 173 AO
Untertitel
Eine Auseinandersetzung mit den durch die Finanzgerichtsbarkeit entschiedenen Fällen
Hochschule
Fachhochschule für Wirtschaft Berlin
Veranstaltung
Steuerverfahrenslehre
Note
1,0
Autor
Jahr
2007
Seiten
23
Katalognummer
V82048
ISBN (eBook)
9783638892605
ISBN (Buch)
9783656202653
Dateigröße
466 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Grobes, Verschulden, Sinne, Steuerverfahrenslehre
Arbeit zitieren
Georg Kranewitz (Autor:in), 2007, "Grobes Verschulden" im Sinne von § 173 AO, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/82048

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