Afrika-Bilder - Zur Konstruktion einer Alterität


Bachelorarbeit, 2007

41 Seiten, Note: 1,1


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Fremdheit – Die Konstruktion einer Alterität
2.1 Eine Topografie des Fremden

3. Das Stereotyp – Ontologie und Potenzial
3.1 Stereotyp und Handeln
3.2 Rassismus und Stereotypen
3.3 Stereotyp und Fetischismus

4. Exotismus – Stereotyp und Konstruktion

5. Bilder aus / in der Ethnologie und Ethnografie
5.1 Wilde, Primitive und Naturvölker

6. Phantom Afrika – Bilder eines Ethnografen
6.1 Magie Afrikas – Magie in Afrika
6.2 Religion und Synkretismus
6.3 Fetische
6.4 Sexualität

7. Fetischismus und Kultur
7.1 Fetischismus und Macht

8. Nackte Tatsachen? Mapplethorpes Bilder

9. Fotografien der Wirklichkeit? – Bilder Afrikas
9.1 Beispiel: World Press Foto 2005

10. Konklusion

11. Bibliografie

1. Einleitung

Der Gedanke an ein fremdes Land weckt in uns Bilder, die die Gesellschaft und Kultur, in der wir leben, für uns vorherbestimmt hat. Es sind zusammengesetzte Bilder, die aus einem historischen Kontext heraus entstehen. Der Gedanke an Afrika, den dunklen Kontinent, weckt Bilder, die sich über Jahrhunderte hinweg entwickelt haben, die Afrika zugleich als Wiege der Menschheit und als primitiven, unzivilisierten Ort zeigen. Es ist ein Ort, über den nur die Wenigsten ausreichend Wissen verfügen, um ihn als den komplexen Ort zu verstehen, der er in Wirklichkeit ist. Dennoch wird der Wahrheitsgehalt von Afrika-Bildern nicht Gegenstand der vorliegenden Arbeit sein. Im Blickpunkt steht primär die Topografie des Anderen, an der sich die Identifizierung des Selbst und des Anderen orientiert.

Zentrale Fragestellungen dieser Arbeit sind dabei folgende: Wie entstehen Bilder von Fremden und ihren Kulturen? Wie wird diese Alterität konstruiert? Welche Rolle spielen Stereotypen dabei? Welche Fremdheitskonstruktionen gibt es im Zusammenhang mit Afrika? Bietet der Exotismus eine Möglichkeit zur Darstellung dieser Afrika-Bilder? Wo kommen diese Bilder her? Welchen Beitrag leistete die Ethnografie hierbei?

Angefangen mit der Fremdheitskonstruktion werden, anhand der Arbeiten von Hahn und Waldenfels, die dabei verlaufenden Prozesse beleuchtet. In Kapitel 2 wird geklärt, was Fremdheit bedeutet, wie diese konstruiert wird und welche Rolle das Ich und die Kultur bei der Konstruktion von Fremden einnehmen.

Ausgehend von dieser Definition der Fremdheitskonstruktion wird das Mitwirken von Stereotypen analysiert. Was bedeutet Stereotypie und wie funktioniert sie? Lippmann liefert hierzu die ersten Ansätze, welche in Kapitel 3 beleuchtet werden. Dabei wird ein Einblick in die Funktionsweise von Stereotypen gegeben. Schaff indessen untersucht die Auswirkungen von Stereotypen auf das menschliche Handeln, die kurz in Abschnitt 3.1 hinterfragt werden. Im Anschluss wird geklärt, wie Rassismus und Stereotypen (Abs. 3.2) miteinander agieren und wie Stereotypen und Fetischismus zusammenhängen (Abs. 3.3).

Das nächste Kapitel widmet sich einem spezifischen Stereotyp, dem Exotismus. Ich werde mich hierbei an SEGALENS Definition eines nicht hegemonialen Exotismus-Begriffs halten, der im Gegensatz zu dem in der Literatur verbreiteten Konzept steht. Auf die literarische Exotismuskonstruktion wird aber ebenfalls kurz eingegangen.

Kapitel 5 befasst sich mit dem Ursprung der Afrika-Bilder, die hauptsächlich aus den ethnografischen Aufzeichnungen entstanden sind. In Abschnitt 5.1 wird das Augenmerk auf die Klassifizierung der neu entdeckten Kulturen und Völker gelegt. Mit den Wortbezeichnungen gehen auch die damit verbundenen Konnotationen einher. Es wird ein bündiger Blick auf die Entwicklung dieser Klassifizierung geworfen.

Im anschließenden Kapitel 6 steht ein ethnografisches Werk im Mittelpunkt: ‚Phantom Afrika’ von Michel Leiris. Es ist ein eher außergewöhnliches ethnografisches Buch, das sich hauptsächlich aus den persönlichen Erfahrungen des Autors speist. Die Analyse beschäftigt sich mit den darin tradierten Bildern, die dem Leser zuteil werden. Insbesondere soll geklärt werden, inwiefern ethnografische Schriften ihren Beitrag zur Konstruktion einer Fremdheit leisten.

Im Zusammenhang mit Afrika partizipiert der Fetischismus an der alteritären Konstruktion, der sich in der Ethnografie wiederfinden lässt. Ethnografen und Ethnologen können sich nicht ihrer kulturellen und gesellschaftlichen Einflüsse entziehen, so dass diese ebenso in ihren Aufzeichnungen vorzufinden sind. Sie enthalten immer projektive Anteile ihrer selbst, wie Böhme konstatiert. Kapitel 7 liefert somit einen Überblick über die diversen Fetischismustheorien, die sich in den ethnologischen Schriften wiederfinden lassen. Eingangs wird aber zuerst die Etymologie des Begriffs „Fetisch“ geklärt, ebenso wie seine Entwicklung von einer abwertenden Bezeichnung für ein Objekt, das für religiöse bzw. schamanische Praktiken verwendet wurde, bis hin zu einem Konzept, das in der Psychoanalyse Einzug hielt. Damit einhergehend wird untersucht, wie der Fetischismus als Machtpraxis agiert und durch welche Mechanismen die Objekte fetischisiert werden.

Im Anschluss daran wird eine visuelle Darstellung von Fetischismus untersucht. Die wesentlichen Merkmale der Werke von dem amerikanischen Fotografen Robert Mapplethorpe und insbesondere eines seiner Bilder werden auf die fetischisierenden Praktiken hin analysiert.

Anschließend steht beispielhaft ein Pressebild für das aktuelle Medienbild Afrikas. Es ist das Gewinnerbild des World Press Foto Awards 2005, das unter Berücksichtigung von BARTHES Arbeiten zur Fotografie auf seine Konstruktion und Wirkungsweise hin untersucht wird.

Den Abschluss bildet eine Zusammenfassung der Ergebnisse und der behandelten Thesen.

2. Fremdheit – Die Konstruktion einer Alterität

Jeden Tag begegnen wir Fremden: auf der Straße, im Geschäft, im Bus, im Fernsehen. Menschen sind uns fremd, Dinge sind uns fremd, manchmal sind wir uns selber fremd. Doch was heißt Fremdsein überhaupt? Sind die Menschen, die ich treffe, von Natur aus fremd oder doch nur, weil ich sie mir als Fremde konstruiere? Alois Hahn ist in seiner Arbeit „Konstruktionen des Selbst, der Welt und der Geschichte“ (2000) genau auf dieses Phänomen eingegangen. Was ist Fremdheit und wie entsteht sie? Das sind seine zentralen Fragestellungen. Seine erste und meiner Meinung nach gewichtigste Diagnose lautet, dass Fremdheit keine Eigenschaft, sondern immer ein Akt der Zuschreibung ist. Der Andere wird aus eigener Sicht heraus konstruiert, aus dem Blick des Anderen bin ich der Fremde, womit jede Selbstzuschreibung einer Alterität bedarf.

Die Konstruktion der eigenen Identität verläuft immer in Abgrenzung zu dem, was man nicht ist. Fremdheit entsteht aus dem Standpunkt, der selbst eingenommen wird. Fremde gestatten Selbstidentifikation und erzeugen Ausgrenzung. Die Demarkationslinie zwischen dem Fremden und dem Eigenen entspringt Merkmalen wie z.B. Rasse, Religionszugehörigkeit und kulturelle Praktiken. Fremdheit ist ein Etikett, das ich dem Anderen aufzwinge (vgl. Hahn, 2000: 32): „Immer aber handelt es sich bei solchen Etikettierungen um Operationen der Etikettierenden und nicht lediglich um Konstatierung von Gegebenheiten, die auch ohne solche Operationen vorhanden wären.“ (ebd.: 32) Diese Etikettierungen arbeiten mit Unterschieden, die sie selbst produzieren. Sie sind nicht unbedingt beliebig, sondern entstehen im Kontext.

Der Arbeitskollege, mit dem ich jeden Tag arbeite und den ich so gut kenne wie meine Freunde, wird mir plötzlich fremd, wenn ich entdecke, wie er sich Richtung Mekka wendet und sein Gebet ausübt. Ein beliebiger Unterschied, wie es ihn zuhauf zwischen allen Menschen gibt, bestimmt auf einmal eine Demarkationslinie, die deutlich macht, dass dieser Arbeitskollege nicht nur anders ist, sondern mir fremd. Es besteht durchaus eine Differenz zwischen ‚fremd’ und ‚anders’. Fremd ist das, was mir unbekannt, neu und unvertraut ist. Fremdheitserfahrungen mache ich dann, wenn ich mit Unvertrautem konfrontiert werde. Fremdheit entsteht aber auch wegen der Unmöglichkeit eines völligen Fremdverstehens (vgl. ebd.: 34).

Der Verstehensprozess kann kein völliges Verständnis des Gegenüber garantieren, vielmehr kommt es zu einer Konstruktion des Anderen, die sich aus partiellen Eindrücken zusammensetzt: „Jemanden zu verstehen kann also nur heißen, nicht alles von ihm verstehen zu wollen, sondern sich vielmehr ein Bild von ihm zu machen oder (...) eine Beschreibung.“ (ebd.: 35) Diese fiktive Nicht-Fremdheit, wie Hahn sie nennt, kann in einigen Situationen zu einer fiktiven Form der unterstellten totalen Differenz werden. Diese Differenz kann zwischen einzelnen Personen herrschen, aber auch zwischen Nationen, Städten und gar ganzen Kulturkreisen in Erscheinung treten. Es gibt durchaus allgemeine Gemeinsamkeiten zwischen den Parteien und doch sind es gerade diese Berührungspunkte, die die Differenz im besonderen Maße hervorheben: „(...) indem das Bewusstsein, nur das überhaupt Allgemeine gemein zu haben, doch grade das, was nicht gemeinsam ist, zu besondrer [sic!] Betonung bringt.“ (Simmel, 1908: 690). Diese Unterscheidung ist nichts Individuelles, sondern den vielen Fremden gemeinsam. „Darum werden die Fremden auch eigentlich nicht als Individuen, sondern als die Fremden eines bestimmten Typus überhaupt empfunden (...)“ (ebd.: 690).

In der Gesellschaft ist Fremdheit ein problematischer sozialer Status.

„Es ist hier also der Fremde nicht in dem bisher vielfach berührten Sinne gemeint, als der Wandernde, der heute kommt und morgen geht, sondern als der, der heute kommt und morgen bleibt – sozusagen der potenziell Wandernde, der, obgleich er nicht weitergezogen ist, die Gelöstheit des Kommens und Gehens nicht ganz überwunden hat.“ (ebd.: 685)

Es gibt Grenzen zwischen denen, die ‚zu Hause’, und denen, die ‚in der Fremde’ sind (vgl. Hahn, 2000: 40).

Die soziale Funktion der Fremdheit kann zum Schutz vor einer Fremdbestimmung werden. Dieser Kontrollentzug ist wichtig für viele Prozesse in der Gesellschaft: Ökonomische Transaktionen, Prostitution und Telefonseelsorge sind nur einige Beispiele, an denen deutlich wird, dass Fremdheit eine Vorbedingung für das Zustandekommen dieser Prozesse ist (vgl. ebd.: 50).

Fremdheit ist auch ambivalent: Als Faszinosum erregt es die Fantasie der Menschen und bietet eine Verlockung, Bereicherung und nicht zuletzt eine Abwechslung. Als Tremendum wiederum bietet die Fremdheit eine mehrfache Bedrohung: Der Fremde ist ein potentieller Konkurrent im Kampf um Arbeit, Prestige und Aufmerksamkeit (vgl. ebd.: 43). Er kann aber auch unsere Weltauffassung ins Wanken bringen, unser Selbstverständnis erschüttern und wenn es soweit ist, dann wird die Welt uns fremd und wir uns vielleicht auch (vgl. ebd.: 45).

2.1 Eine Topografie des Fremden

Bernhard Waldenfels befasst sich in seiner Arbeit „Topographie des Fremden“ (1997) ebenfalls mit Ursachen und Prozessen der Fremdheitskonstruktion, erweitert diese aber um den Faktor des Eurozentrismus. So konstatiert er ebenso wie Hahn, dass die Differenz zwischen Eigenheit und Fremdheit nur ein Resultat einer Differenzierung ist. Diese Differenz entsteht aus der Präferenz des Eigenen, die das Selbst zum Bezugspunkt der Differenzierung macht (vgl. ebd.: 74).

Die Erfahrung des Fremden als Fremden impliziert eine Scheidung von ‚Ich’ und ‚Anderem’ bzw. von Europa und der Welt. Das Ich profiliert sich aus dem Du. „Fremderfahrung entpuppt sich als Abwandlung der Selbsterfahrung.“ (ebd.: 90) Das Zwischen bildet ein Netz von Relationen, in dem Knotenpunkte, Anschlussstellen und Verbindungswege existieren, aber kein zentraler Punkt. Das Zwischen erlaubt eine Differenzierung, die aus dem Verhältnis zum Anderen heraus entsteht (vgl. ebd.: 85). Bei der Unterscheidung von Eigenem und Fremden sind Zugänglichkeit und Unzugänglichkeit die wesentlichen Merkmale der Fremderfahrung (vgl. ebd.: 89).

Das Fremde ist das, was wir nicht kennen, vorausahnen und vergleichen können:

„Unvergleichlichkeit besagt in der Fremderfahrung etwas anderes, nämlich daß das Fremde als Fremdes jedem Vergleich entrückt ist, eben weil es gar nicht etwas ist, das wir vorwegnehmen, erwarten, erfassen oder bestimmen können.“ (Hervorhebung im Original, ebd.: 76)

Für Waldenfels existieren verschiedene Grade von Fremdheiten. Es gibt so viele Fremdheiten, wie Ordnungen bestehen. Die Grade der Fremdheit konstituieren sich in den folgenden drei Unterscheidungen:

a) Die alltägliche oder normale Fremdheit, die sich innerhalb einer Ordnung abspielt, also etwa in der Begegnung des Straßenpassanten. Es bleibt ein bestimmter Vertrautheitshorizont erhalten, in dem Bestimmungsraster vorhanden sind, die uns davor bewahren, unseren Lebensstil zu ändern (vgl. ebd.: 35 f.).
b) Die strukturelle Fremdheit betrifft alles, was sich außerhalb einer Ordnung befindet und wir nicht verstehen, beispielsweise eine andere Konfession oder eine fremde Sprache. Ordnungen, die eine andere Lebenswelt oder Lebensform erzeugen, lassen die Unterscheidung zwischen Eigen- und Fremdgruppe entstehen (vgl. ebd.: 36).
c) Die stärkste Form der Fremdheit findet sich in der radikalen Fremdheit. Sie versetzt uns außerhalb jede Ordnung und stellt nicht nur eine bestimmte Interpretation, sondern sogar jegliche Interpretationsmöglichkeit in Frage. „Hierher gehören Grenzphänomene wie Eros, Rausch, Schlaf oder Tod, die den Gang der Dinge, auch die Raum- und Zeitordnung durchbrechen, verdichtet zu einem Augenblick, der die Raum- und Zeitlosigkeit streift.“ (ebd.: 37)

Der bestehende Sinnhorizont wird überschritten, doch bleiben die außerordentlichen Phänomene immer in Bezug zu einer bestimmten Ordnung (vgl. ebd.: 37). In dem Bereich der radikalen Fremdheit befindet sich der Exotismus, der alles umfasst, was sich außerhalb unserer „geistigen Stimmung“ (Segalen, 1995: 20) niederlässt.

Die Ordnungen, in denen wir der Fremdheit begegnen, sind vom Eurozentrismus geprägt. Die Präferenz des Eigenen lässt sich auf den kulturellen Kreis ausweiten und deklariert alles Nicht-europäische als fremde Ordnung (vgl. Waldenfels, 1997: 80).

Der Umgang mit dem Fremden ist geprägt von der Aneignung des Unzugänglichen, dabei werden die Aneignungsbestrebungen von Formen der Zentrierung getätigt. Der Eurozentrismus bewerkstelligt es, „im Eigenen das Allgemeine und im Allgemeinen das Eigene wiederzufinden.“ (ebd.: 49) Dazu ist er ein besonderer Zentrismus, der sich nicht nur aus dem Ethnozentrismus speist, bei dem der eigene Stamm bzw. die Nation in Präferenz zum Fremden entgegengesetzt und das Eigene auf das Fremde zurückgeführt wird und sich damit zufrieden gibt. Der Eurozentrismus ist ebenso ein Logozentrismus, bei dem Eigenes und Fremdes einem Allgemeinsamen eingegliedert werden (vgl. ebd.: 49) und der es ermöglicht, „daß sich der Europäer als wahrer Kosmopolit erweist, der zugleich bei sich zu Hause in der Welt und in der Welt bei sich zu Hause ist.“ (ebd.: 136)

Bei einer zentristischen Aneignung des Fremden, gleichgültig aus welchem Zentrum heraus, geht es immer um eine vergleichende Aktion, die vollzogen wird und zwei Lebensformen in Bezug setzt, von denen die eine die andere als fremd kennzeichnet. Der Akt des Vergleichens ebnet den Unterschied zwischen Eigenem und Fremdem ein (vgl. ebd.: 50). Diese Einebnung vollzieht sich auch dann, wenn die Aneignung sich in pure Enteignung wandelt, wie den bloßen Exotismus. Dieser dient als Heterostereotyp zu einer Überschreibung von fremden Kulturen und fungiert somit als Hilfswerkzeug, das Unzugängliche und Unverständliche in einfachen Mustern in die Eigenwelt einzugliedern.

Bei der Konstruktion einer Fremdheit bedienen sich die Menschen diverser Mechanismen. Einer davon ist das Stereotyp, in dem sich die Imagination einer Alterität wiederfinden lässt. Was Stereotypen sind und wie sie funktionieren, wird im folgenden Abschnitt erläutert.

3. Das Stereotyp – Ontologie und Potential

Der Begriff Stereotypie (griech. steréos: starr, fest) stammt ursprünglich aus dem Druckwesen und der Pressetechnik und bezeichnet ein Verfahren, bei dem die Anfertigung von Druckplatten durch Abformung des aus einzelnen Lettern zusammengesetzten Schriftsatzes in Matrizen erfolgt. Diese Prozedur ermöglicht einen Massendruck, ohne einen erneuten Schriftsatz anfertigen zu müssen. In die Sozialwissenschaft sowie die Literatur- und Kulturwissenschaft wurde der Begriff erstmals von dem amerikanischen Journalisten Walter Lippmann in seinem 1922 erschienenen Buch „Public Opinion“ eingeführt. In diesem führte er auf, welche Rolle, die von den Massenmedien konstruierten Bilder für die öffentliche Meinung spielen (vgl. Nünning, 2004: 626). Lippmann stellt dar, wie Stereotypen in unseren Köpfen entstehen und welche Funktionen sie erfüllen.

Jeder von uns lebt und arbeitet in einer Welt, die nur einen kleinen Teil der Erde umfasst. Wir kennen nur diesen uns zugänglichen Part, in dem wir uns bewegen. Die Bilder, die wir uns von der Welt außerhalb unserer eigenen machen können, entstehen daraus, was andere uns über die unbekannten Gegenden und Menschen mitteilen. Aus diesen Berichten und aus Mangel an Zeit zu einer intensiveren und detaillierteren Auseinandersetzung mit diesen Teilen der Welt setzen wir uns unsere eigene, verkürzte und reduzierte Vorstellung der Außenwelt zusammen (vgl. Lippmann, 2002: 79). Stereotypen besitzen eine ökonomische Funktion: Es ist viel zeitsparender, die Dinge in Mustern zu sehen als in Details (vgl. ebd.: 88). „Instead we notice a trait which marks a well known type, and fill in the rest of the picture by means of the stereotypes we carry about in our heads.” (ebd.: 89)

Die Imagination der Außenwelt setzt sich wie folgt zusammen: „Few facts in consciousness seem to be merely given. Most facts in consciousness seem to be partly made.” (ebd.: 80) Der Beobachter und Konstrukteur dieser Fiktion selektiert die Fakten nach eigenem Ermessen, welches abhängig von seinem Standpunkt und seinen Sehgewohnheiten ist (vgl. ebd.: 80). Die von uns geschaffenen Bilder geben kein vollständiges Bild unserer Welt wieder, sind aber Bilder einer möglichen, vordefinierten Welt, in der wir uns anpassen.

“For the most part we do not first see, and then define, we define first and then see. In the greater blooming, buzzing confusion of the outer world we pick out what our culture has already defined for us, and we tend to perceive that which we have picked out in the form stereotyped for us by culture.” (ebd.: 81)

Stereotypen machen die Welt, in der wir uns wohl fühlen, fassbar. Sie vereinfachen die Repräsentation anderer Personen und Gruppen und erleichtern somit die alltägliche Interaktion mit unbekannten Menschen. Aufgrund unserer vorgefertigten Bilder besitzen wir erwartete und zu erwartende Verhaltensweisen.

Diese vereinfachten Denkmuster richten sich nicht nach Wahrheit oder Falschheit, sondern lediglich nach oberflächlichen Mustern, von denen auf Fakten zurückgeschlossen wird. Alles, was diese Konstruktion stört, wird als Attacke auf unser Weltbild wahrgenommen (vgl. ebd.: 95).

Das System der Stereotypen ist der Kern unserer persönlichen Tradition, die unsere Position in der Gesellschaft verteidigt. „It is the guarantee of our self-respect; it is the projection upon the world of our own sense of our own value, our own position and our own rights.“ (ebd.: 96) In unserer schnelllebigen und konfusen Welt picken wir uns das heraus, was die Kultur bereits für uns vordefiniert hat. Der Mensch abstrahiert von Einzelheiten und ordnet aufgrund eines Charakteristikums die Erscheinung einer bestimmten Kategorie zu, wobei er sich auf die Stereotypen stützt, die er im Kopf hat (vgl. ebd.: 89). Lippmann beschreibt diesen Prozess der Zuordnung folgendermaßen:

„The subtlest and most pervasive of all influences are those which create and maintain the repertory of stereotypes. We are told about the world before we see it. We imagine most things before we experience them. And those preconceptions, unless education has made us acutely aware, govern deeply the whole process of perception.” (ebd.: 89 f.)

Diese vordefinierten Konstruktionen markieren die Objekte als familiär oder fremd. Sie werden hervorgerufen durch kleine Zeichen, die zwischen einem wahren Inhalt und einem vagen Gleichnis variieren (vgl. ebd.: 90).

Stereotypen sind feststehende Gebilde, die sich durch Konstanz und Universalität auszeichnen. Schwer beeinflussbar, durchziehen sie alle Bereiche unseres Lebens. Falls einmal eine Erfahrung widersprüchlich zu den bestehenden Stereotypen erscheint, dann wird diese entweder als Ausnahme, die die Regel bestätigt, gesehen oder modifiziert, so dass diese neue Erfahrung in das Bild mit einfließt. Falls der Vorfall frappierend genug ist, kann es vorkommen, dass das gesamte Weltbild derjenigen Person in Frage gestellt wird (vgl. ebd.: 100). Für gewöhnlich nehmen wir aber nur die Fakten zur Kenntnis, die die Stereotypen unterstützen, nach denen wir die Welt beurteilen (vgl. ebd.: 119).

Es gibt aber durchaus auch Gefahren, die mit dem Gebrauch von Stereotypen einhergehen. Negativ konnotierte Stereotypen können ganz leicht in Vorurteile übergehen und zu Propagandamitteln werden. Eine unzureichende Auseinandersetzung mit den konstruierten Bildern unserer Welt und anderer Kulturen führt unweigerlich zu einer beschränkten Sichtweise, die zwar ökonomisch ist, aber nicht immer auf die Wirklichkeit verweist.

[...]

Ende der Leseprobe aus 41 Seiten

Details

Titel
Afrika-Bilder - Zur Konstruktion einer Alterität
Hochschule
Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf  (Medien- und Kulturwissenschaft)
Note
1,1
Autor
Jahr
2007
Seiten
41
Katalognummer
V82081
ISBN (eBook)
9783638847735
ISBN (Buch)
9783638845915
Dateigröße
612 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Afrika-Bilder, Konstruktion, Alterität
Arbeit zitieren
Bachelor of Arts Barbara Wawrzyniak (Autor:in), 2007, Afrika-Bilder - Zur Konstruktion einer Alterität, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/82081

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