Europas Aufstieg zur Wirtschaftsmacht

Warum Europa China überholte


Seminararbeit, 2005

26 Seiten, Note: 1,7


Leseprobe


Gliederung

І. Einleitung

ІІ. Klima und Geographie

ІІІ. Gesellschaftliche Strukturen
1. Technik
2. Religion
3. Rechtssicherheit
4. Bildung

ІV. Resümee

V. Literaturverzeichnis

І. Einleitung

Stellen wir uns ein Gebiet vor, welches weder die fruchtbarste noch die am dich-testen bevölkerte Gegend der Welt war. Die politische Struktur zeichnete sich durch eine Vielfalt an kleinen, unbedeutenden Königreichen und Fürstentümern, Markgraf-schaften und Stadtstaaten aus. Auch in den Bereichen Kultur, Mathematik, Technik oder der Navigation konnte fragliches Territorium keine Überlegenheit für sich pro-klamieren[1]. Dennoch gelang diesem Teil der Erde, mit seiner verstreuten und unkul-tivierten Bevölkerung etwas außergewöhnliches, nämlich die Initiierung eines un-aufhaltsamen Prozesses wirtschaftlicher Entwicklung und technologischer In-novation[2]. Resultat dieses dynamischen Wandels war der langfristige Aufstieg zu einer weltweiten Vormachtstellung.

Die beschriebene, faszinierende Entwicklung ist die holzschnittartige Zusammen-fassung der europäischen Wirtschaftsgeschichte seit der frühen Neuzeit. Doch wa-rum erlebte die neuzeitliche Wirtschaftsentwicklung gerade in Europa ihren Durchbruch?

Der Aufstieg Europas grenzt an ein Wunder, wenn man bedenkt welchen Vorsprung

der asiatische Raum noch im 14. Jahrhundert zu verzeichnen hatte. China hatte ein bedeutendes Niveau technischen und wirtschaftlichen Fortschritts erreicht. Pro Kopf der Bevölkerung hatte China einen Vorsprung von 20 % vor Europa. Eine beachtens-werte Erfindung war unter anderem eine mit Wasserkraft betriebene Hanf-spinnmaschine, die es mit jeder europäischen Erfindung bis ca. 1700 aufnehmen konnte. Weiterhin verfügte China über eine signifikante Eisenproduktion. Gegen Ende des 11. Jahrhunderts erreichte die Produktion in ihrer Summe einen Maximal-wert von 150.000 Tonnen pro Jahr. Dieses Niveau erreichte Europa erst im Jahre 1700[3].

In der vorliegenden Arbeit soll der Versuch unternommen werden, die Faktoren he-rauszuarbeiten, welche den eindrucksvollen Aufstieg Europas begünstigten. Die Struktur meiner Arbeit orientiert sich im wesentlichen an zwei Hauptpunkten. Der erste Abschnitt beschäftigt sich mit Klima und Geographie, während sich der zweite Teil mit den besonderen gesellschaftlichen Strukturen auseinandersetzt. Somit geht es, wenn man die Dinge grob vereinfachen möchte, um natürliche Bedingungen, die als gegeben hingenommen werden mußten und um die Gestaltungskraft des Menschen. Dabei fällt es immer wieder schwer, strikte Abgrenzungen vorzunehmen, da letztendlich alle Faktoren zusammenwirkten und gemeinsam die Entwicklung beeinflußten. Der Faktor Geographie und Klima ist in diesem Kontext sehr interessant. Die Unterschiede zwischen europäischen und asiatischen Landschaften haben die wirtschaftliche und politische Entwicklung maßgeblich beeinflußt. Während es in Asien riesige homogene Gebiete gibt, wie z.B. die Ebenen des Ganges oder die des Gelben Flusses, zeichnet sich das kleinflächige Westeuropa durch relativ dicht beieinander liegende Gebiete, mit Unterschieden in Bodenqualität, Niederschlag und sonstigen Witterungsbedingungen, aus.

In Asien standen daher im Endeffekt große Kerngebiete für die Staatenbildung zur Verfügung. Diese waren zentralistischen Strukturen nicht abträglich. Im Gegensatz dazu haben in Westeuropa schwieriges Gelände, Berge und Wälder die Kerngebiete, trotz kurzer Entfernung, voneinander getrennt. Europäische Fürsten konnten in der Folge nur über kleine Territorien herrschen. Macht und Einfluß waren damit in Europa fragmentiert. Diese Ausgangslage beförderte die Herausbildung dezentraler Strukturen[4]. Weiterhin soll in der vorliegenden Arbeit der Einfluß des Klimas untersucht werden. David Landes verweist in diesem Zusammenhang darauf, daß es in Europa Winter gibt, die kalt genug sind, um Krankheitserreger und Seuchen zu unterdrücken. Das Vorhandensein von regelmäßigen Niederschlägen sowie ein gemäßigtes Klima, welches die Produktivität begünstigt, sind weitere wichtige Faktoren, welche ich beleuchten möchte[5].

Nachdem sich der erste Teil der Arbeit auf Faktoren konzentriert, die vom Menschen nicht beeinflußt werden können, möchte ich mich im zweiten Teil damit beschäftigen, welche Auswirkungen die jeweilige gesellschaftliche Struktur auf die Entwicklung hatte. Im Detail geht es um Fragen der wirtschaftlichen und technischen Entwicklung, die vor dem Hintergrund der abweichenden gesellschaftlichen Strukturen in Europa und Asien analysiert werden sollen. Welche Rolle spielten Religion, Rechtssicherheit und Bildung? Im Rahmen des Aspekts der Religion, setze ich mich mit Max Webers These über den Protestantismus und den resultierenden Auswirkungen religiöser Vorstellungen auf die europäische Wirtschaftsentwicklung auseinander[6]. Im Sinne einer ausgewogenen Darstellung, gilt mein Augenmerk anschließend der Entwicklung im islamischen Raum, bevor ich mich mit den wirtschaftlichen und sozialen Folgen des Hinduismus in Indien befasse.

Der Punkt Rechtssicherheit thematisiert die notwendigen institutionellen Rahmenbedingungen für wirtschaftliches Wachstum. In diesem Kontext muß speziell die Konkurrenzsituation der diversen europäischen Herrscher bzw. der Gegensatz von Stadt und Land betrachtet werden. Vorhersehbare Abgaben und die Sicherung der Eigentums- und Verfügungsrechte waren eine wichtige Voraussetzung, um Handel und Wohlstand in den eigenen Herrschaftsbereich zu locken[7]. Inwieweit dies in Europa und Asien geschah und welche Folgen sich daraus ergaben, wird Gegenstand dieses Teils der Arbeit sein. Im weiteren Verlauf der Erörterung steht der Aspekt der Bildung im Blickfeld der Betrachtungen. In Europa und seinen Tochtergesellschaften sind die moderne Wissenschaft und die Demokratie entstanden. Jedoch müssen wir, bei aller Bewunderung für die „westliche“ Wissenschaft, konstatieren, daß China über einen riesigen Vorsprung verfügte. Die chinesische Zivilisation hatte eine bemerkenswerte technische Frühreife. Riesige Bibliotheken waren schon sehr zeitig etabliert. Bereits im 11. Jahrhundert wurde in China mit beweglichen Lettern eine große Anzahl an Büchern gedruckt[8]. Die Entwicklung des Bildungssektors in Europa und Asien, gerade in Hinblick auf den Unterschied der Gesellschaftsstrukturen, soll in diesem Teil der Arbeit nachvollzogen und erklärt werden.

Zum Abschluß der Einleitung möchte ich noch auf die Literaturlage zu sprechen kommen. Es gibt zu diesem Thema eine sehr große Anzahl an Publikationen. In meiner Arbeit verwende ich schwerpunktmäßig den Klassiker „Das Wunder Europa“ von Eric Lionel Jones, „Wohlstand und Armut der Nationen“ von David Landes und „Aufstieg und Fall der großen Mächte“ von Paul Kennedy. Weiterhin ist das Buch „Wirtschaftsgeschichte“ von Max Weber[9] ebenfalls eine unverzichtbare Überblicks-darstellung. Wertvolle Ausarbeitungen zum Thema Religion habe ich, wie im voran-gegangenen Text bereits zitiert, bei Erich Weede in seinem Buch „Asien und der Westen“ gefunden. Die Entwicklung der Technik, insbesondere der Kriegstechnik, beschreibt William H. McNeill[10] in seiner umfangreichen Darstellung „Krieg und Macht“. Die Ursprünge der modernen Wissenschaft beleuchtet Alfred North Whitehead in seinem Buch „Wissenschaft und moderne Welt“[11]. Einen guten Einstieg in die Gesamtthematik, aber auch bezüglich Detailfragen, wie z.B. Klima und Geographie, bietet die strukturanalytische Darstellung „Die vorindustrielle Gesellschaft“ von Patricia Crone[12].

ІІ. Klima und Geographie

„Vielleicht am auffälligsten ist, daß die meisten unterentwickelten Länder in den tro-pischen und subtropischen Zonen liegen, zwischen dem Wendekreis des Krebses und dem des Steinbocks. Neuere Autoren setzen sich über diesen Umstand allzu leichtfertig hinweg und betrachten ihn als weitgehend zufällig. Das zeigt, wie tief bei uns der Hang sitzt , optimistisch an die Probleme heranzugehen, und wie schwer wir uns damit tun, zur Kenntnis zu nehmen, wie sehr sich die Ausgangsbedingungen der heutigen armen Länder von denen unterscheiden, mit denen sich die fortgeschritte-neren Länder in der Zeit vor ihrer Industrialisierung konfrontiert sahen“[13].

Dieser Ausspruch weist explizit auf den Zusammenhang zwischen Klima und wirt-schaftlicher Entwicklung hin. Im folgenden Text werde ich detailliert auf diese Prob-lematik eingehen und sie in den Gesamtkontext der europäischen Wirtschaftsent-wicklung einordnen. Zunächst ist es unstrittig, daß es auf der Welt ein großes Re-pertoire an Temperaturen und Temperaturmustern gibt, welche je nach Standort, Höhenlage und Neigungswinkel der Sonneneinstrahlung variieren. Die Natur reagiert entsprechend darauf, indem sich die Tiere in kalten Gefilden einfach zusammenrollen und Winterschlaf halten. In der heißen, erbarmungslosen Wüstensonne gibt es den Effekt, daß sich die dort heimischen Tiere, wie z.B. Eidechsen und Schlangen, kühle Plätze unter Felsen oder unter der Erdoberfläche suchen. Der Mensch geht diesen Extremen im Normalfall aus dem Weg[14]. Vordergründig betrachtet, schien Europa zunächst keine vom Klima begünstigte Region zu sein. Ein Grieche aus Sizilien bemerkte im 1. Jahrhundert v. Chr. über Gallien: „Da das gemäßigte Klima von tiefer Kälte gestört wird, kann das Land weder Wein noch Öl anbauen“. In späteren Jahrhunderten kam es zu ähnlichen Aussprüchen, die das rauhe Klima als negativen Standortfaktor brandmarkten. Jedoch gab es auch positive Seiten. Die Bewässerung der Felder erforderte im Gegensatz zu Ägypten gerade keine Kanäle, sondern erfolgte auf natürliche Art und Weise durch regelmäßigen Niederschlag. Dadurch war die europäische Landwirtschaft viel weniger arbeitsintensiv und wurde von Naturkatastrophen sowie politischen Tragödien weniger tangiert. Die Erfindung des Pfluges, zwischen dem 8. und 11. Jahrhundert, machte die innereuropäischen Böden, gemessen am Arbeitsaufwand, zu den fruchtbarsten der Welt[15].

Obwohl es auch im innereuropäischen Klima Unterschiede gibt, ist es dennoch Allgemeingut, daß in großen Teilen Europas kalte Winter vorherrschend sind. Dieses Klima, welches im vorangegangenen Text, in Bezug auf Gallien, als „rauhes Klima“ bezeichnet wurde, hatte aber nicht nur negative Begleiterscheinungen, sondern auch einschneidende Vorteile. Nördliche Winter ließen schädlichen Organismen, welche sich in Boden und Wasser aufhielten, keine Chance. Durch das Pflügen des Bodens konnte die Kontrolle über die Bodenschmarotzer noch verbessert werden. Außerdem ermöglichte der Pflug eine Aktivierung von genügend Bodennährstoffen, um bessere Erträge erzielen zu können. Der Pflug ist aber nur ein Teil der Erklärung, wie es zu besseren Erträgen kam. Der andere Teil betrifft einmal mehr die klimatischen Rahmenbedingungen der nördlichen Hemisphäre, welche sich durch eine geringe Verdunstung sowie über das Jahr verteilte Niederschläge auszeichnen.

Der Vorteil von kalten Wintern ist offensichtlich, wenn man als Kontrast die asiatische Entwicklung gegenüberstellt. Die ersten Beschreibungen über menschliche Wurmkrankheiten entstanden im China der Sung-Dynastie. So war es gängige Praxis, Fäkalien in Gewässer einzuleiten. China wurde auf diese Weise zum Weltreservoir von Lungen-, Leber- und Darmsaugwürmern[16]. Der europäische „Kältevorteil“ war deshalb elementar wichtig, um bestimmte Krankheiten gar nicht erst aufkommen zu lassen und somit Seuchen zu verhindern. Westeuropa hatte zudem den Vorteil, daß es zwar kalt, aber nicht zu kalt war. Die Temperaturen sind im westlichen Teil von Europa auch im Winter noch gemäßigt, sodaß es möglich war, das ganze Jahr Ackerbau zu betreiben. So übersteigt die mittlere Wintertemperatur im Küstenbereich Norwegens, welcher sich zwischen dem 58. und dem 71. Grad nördlicher Breite befindet, den Mittelwert von Vermont oder Ohio, obwohl diese 20 Grad näher am Äquator liegen. Ein weiterer Vorteil des europäischen Klimas besteht darin, daß der Niederschlag nicht nur, wie bereits beschrieben, sehr regelmäßig fällt, sondern, daß er sehr selten in Wolkenbrüche ausartet[17]. Fraglich ist, ob die Erklärungsansätze, bezüglich eines Vorteils für Europa, ausreichend sind, da der Mensch in der Lage ist, sich an die Gegebenheiten anzupassen. McNeill verweist im Zusammenhang mit der asiatischen Hygieneproblematik darauf, daß es die chinesische Bevölkerung immer besser verstand, erfolgreich in warmen, feuchten Landstrichen zu leben und sich an den Befall durch Mikroparasiten anzupassen[18].

Die eindeutige Zuschreibung eines Vorteils für eine bestimmte Region ist nur schwer möglich, da es auch in Europa schockartige Epidemien gab, an die die Bevölkerung nicht angepaßt war und wodurch die Bevölkerungszahl signifikant verringert wurde. Für die vorliegende Untersuchung ist diese Abwägung jedoch unerheblich. Vielmehr sollen die klimatischen Verhältnisse in Asien und Europa als objektiv gegeben angesehen werden und der Zusammenhang zwischen Klima und gesellschaftlicher Entwicklung betrachtet werden.

[...]


[1] Kennedy, Paul, 1989: Aufstieg und Fall der großen Mächte, Frankfurt am Main, 29-30.

[2] Ebd., 48.

[3] Jones, Eric L., 1991: Das Wunder Europa, Tübingen, 231-232.

[4] Weede, Erich, 2000: Asien und der Westen, Baden-Baden, 226-227.

[5] Landes, David S., 1999, Wohlstand und Armut der Nationen, Berlin, 32-33.

[6] Weber, Max, 1973: Die protestantische Ethik, München, 297, 337.

[7] Weede, Erich, 2000: Asien und der Westen, Baden-Baden, 231.

[8] Kennedy, Paul, 1989: Aufstieg und Fall der großen Mächte, Frankfurt am Main, 32.

[9] Weber, Max, 1991: Wirtschaftsgeschichte, Berlin.

[10] McNeill, William H., 1984: Krieg und Macht, München.

[11] Whitehead, Alfred N., 1984: Wissenschaft und moderne Welt, Frankfurt am Main.

[12] Crone, Patricia, 1992: Die vorindustrielle Gesellschaft, München.

[13] Seers, Dudley/ Joy, Leonard (Hrsg.), 1971: Development in a Divided World, Harmondsworth, 78.

[14] Landes, David S., 1999, Wohlstand und Armut der Nationen, Berlin, 22.

[15] Crone, Patricia, 1992: Die vorindustrielle Gesellschaft, München, 167-168.

[16] Jones, Eric L., 1991: Das Wunder Europa, Tübingen, 7.

[17] Landes, David S., 1999, Wohlstand und Armut der Nationen, Berlin, 33.

[18] McNeill William H., 1976: Plagues and Peoples, Garden City, New York.

Ende der Leseprobe aus 26 Seiten

Details

Titel
Europas Aufstieg zur Wirtschaftsmacht
Untertitel
Warum Europa China überholte
Hochschule
Technische Universität Dresden
Note
1,7
Autor
Jahr
2005
Seiten
26
Katalognummer
V82186
ISBN (eBook)
9783638887540
ISBN (Buch)
9783638887717
Dateigröße
472 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Europas, Aufstieg, Wirtschaftsmacht
Arbeit zitieren
Stephan P. Hönigschmid (Autor:in), 2005, Europas Aufstieg zur Wirtschaftsmacht, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/82186

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