Die Entstehung der kaufmännischen Angestelltenschaft von der vorindustriellen Zeit bis zum Angestelltenversicherungsgesetz

Ein Überblick


Hausarbeit, 2007

22 Seiten, Note: 2,0


Leseprobe


Inhalt

1. Einleitung

2. Die Entwicklung der kaufmännischen Angestelltenschaft
2.1 Vom Privatbeamten zum Angestellten
2.2 Herausbildung eines Ethos und Chancen der frühen Angestellten
2.3 Die Metamorphose der Angestelltenschaft seit der Industriellen Revolution

3. Die kaufmännischen Angestellten im Deutschen Kaiserreich
3.1 Die Entstehung von Verbänden und Gewerkschaften
3.2 Das Angestelltenversicherungsgesetz

4. Schlussteil

5. Quellen- und Literaturverzeichnis
5.1 Monographien
5.2 Zeitschriftenaufsätze

1. Einleitung

Die frühe Geschichte und Entwicklung der Angestelltenschaft in der vorindustriellen Zeit sowie der ethisch – moralische und berufliche Wandel des Ethos der unselbstständigen Erwerbstätigen während der Ausdehnung der Industriellen Revolution im Deutschen Reich wurde bis in die Gegenwart in wissenschaftlichen Publikationen kaum erschlossen. Aufgrund dieser Tatsache sind Merkmale und Datierungen der Entstehungsgeschichte der kaufmännischen Angestellten im Industrialisierungsprozess in der Mitte des 19. Jahrhunderts schwer fassbar. Allerdings erkannte die moderne historische und soziologische Forschung seit dem späten 1970er Jahren die Notwendigkeit der Darstellung und Bearbeitung dieses Themenkomplexes. Infolgedessen widmen sich führende Historiker auf dem Gebiet der Wirtschafts- und Sozialgeschichte verstärkt der Erschließung bisher nahezu unberücksichtigter Bereiche bezüglich der Geschichte der Beamten und Angestellten vom 18. bis zum 20. Jahrhundert.[1] Vordergründig wird dabei die Familienstruktur der Angestelltenschaft sowie die zunehmende Feminisierung und Amerikanisierung der typischen Tätigkeitsfelder der unselbstständigen Erwerbstätigen seit dem späten 19. Jahrhundert bearbeitet.[2]

Zur Herausprägung der Angestelltenschaft in der Phase der Industriellen Revolution hingegen ist weiterhin kaum Literatur vorhanden.[3] Da gerade diese Epoche der Entwicklung der deutschen Angestellten m. E. das Fundament des modernen Selbstverständnisses unselbstständiger Erwerbstätiger darstellt und daher unabdingbare Voraussetzung für die Erschließung der Geschichte der Angestelltenschaft ist, behandelt die vorliegende Ausarbeitung das Thema „Die Entstehung der kaufmännischen Angestelltenschaft von der vorindustriellen Zeit bis zum Angestelltenversicherungsgesetz“. Zentrale Fragestellungen sind dabei die Gründe für den sprunghaften Aufstieg der Angestelltenschaft bis hin zur Entstehung der modernen Angestelltengesellschaft[4], Ursachen für die traditionelle, scharfe Abgrenzung zwischen den unselbstständigen Erwerbstätigen und den Arbeitern nach innerbetrieblichen Regelungen sowie die frühe gewerkschaftliche Organisation der Angestellten und deren Erfolgsaussichten in der Realisierung des Angestelltenversicherungsgesetzes anno 1911.

Als besonders relevant für die Bearbeitung der genannten Fragestellungen erwiesen sich zwei frühe Werke zur Entwicklung der deutschen Angestelltensoziologie von Karl Bücher[5] und Georg Adler.[6] Aufgrund der Darstellung der sozialen Lage der Handlungsgehilfen im nationalökonomischen, d.h. staats – interventionistischen Sinne in Adlers Publikation aus dem Jahre 1891 und der günstigeren Literaturlage[7] wird sich die vorliegende Ausarbeitung verstärkt mit der Entwicklung der kaufmännischen Angestelltenschaft auseinandersetzen, obgleich etwa in der Bearbeitung des Wandels des beruflichen Ethos[8] oder der Erläuterung der Realisierung des Angestelltenversicherungsgesetzes[9] ebenso die Geschichte der technischen Angestellten dargestellt werden muss.

Darüber hinaus erschien die Dissertation von Manfred Dittrich[10] bezüglich der statistischen Auswertung der Entstehungsgeschichte der deutschen Angestelltenschaft als deutlich geeignet, obgleich einige Angaben aufgrund des Veröffentlichungsdatums des Werkes mehrmals auf Aktualität geprüft werden mussten.

In der knappen Gegenüberstellung der Angestellten und Arbeiter[11] wurden zudem vor allem Publikationen des Historikers Rolf Engelsing verwendet, um die Unterscheidungsmerkmale und Ursachen für die scharfe Abgrenzung beider beruflicher Gruppen erkennbar zu machen.[12]

Das entscheidende Charakteristikum der vorliegenden Arbeit liegt folglich nicht in der Darstellung der Geschichte der gesamten Angestelltenschaft vom 18. bis zum 20. Jahrhundert; vielmehr soll die Ausarbeitung Probleme, Tendenzen und historische Verknüpfungspunkte deutlich machen und darüber hinaus als Überblick über die Entwicklung der kaufmännischen Angestellten Anreize für eine weitere Bearbeitung dieses Themas liefern.

2. Die Entwicklung der Angestelltenschaft

2.1 Vom Privatbeamten zum Angestellten

„Die Angestellten haben weit später als die Bauern und Kaufleute, die Handwerker und Arbeiter Bedeutung in der Wirtschaft und Gesellschaft erlangt. (…) Diese Entwicklung hat vielfältige Ursachen.“[13] Tatsächlich dehnte sich die beruflich – gesellschaftliche Schicht der frühen Angestellten erst nach dem Ende des 17. Jahrhunderts aus – vor allem bedingt durch den verstärkten Seehandel mit Amerika. So verdoppelte sich etwa die Angestelltenzahl in Bremen zwischen 1750 und 1800.[14]

Darüber hinaus besaßen die Angestellten der vorindustriellen Zeit weder einen homogenen Ursprung noch eine einheitliche Interessenlage in den jeweiligen Unternehmen. Dies begründete sich in der Zusammenfassung unselbstständiger Erwerbstätiger aus unterschiedlichen Berufen und Positionen als Privatbeamte[15]. Die Terminologie dieses Begriffes ergibt sich aus der allgemeinen Stellung und der Berufsauffassung der frühen Angestelltenschaft als „Diener am Unternehmen“ und somit faktisch als Parallele zu den Beamten als „Diener des Staates“.

Im späten 18. Jahrhundert galten der Handel und häusliche Dienste als Domäne der unselbstständigen Erwerbstätigen. So waren Buchhalter, Kassierer, Schreiber und Kopisten zunächst klassische, aber weniger stark ausgeprägte Handelsgesellschaftsberufe, deren Komplexität erst mit der Bevölkerungsexplosion in der Mitte des 19. Jahrhunderts in Europa einsetzte. Die typischen Tätigkeitsfelder der Angestellten wurden bis zur Ausweitung der Industriellen Revolution auf den europäischen Kontinent von Männern dominiert. Aufgrund der vorherrschenden landwirtschaftlichen Prägung – de facto war Deutschland bis zur Gründung des Deutschen Reiches 1870/71 und der einsetzenden wirtschaftlichen Konjunktur der Industrie ein Agrarstaat[16] - blieb die Zahl der unselbstständigen Erwerbstätigen gering. Erst in der Mitte des 19. Jahrhunderts setzte bedingt durch die zunehmende Urbanisierung und dem daraus resultierenden steigenden Anspruch auf Dienstleistungen im kaufmännischen Angestelltensektor ein Wachstum ein.[17]

Abbildung 1: Verteilung der wesentlichen Berufsgruppen mit Angestelltentitel (1925)[18]

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Quelle: nach Kadritzke, U.: Angestellte – Die geduldigen Arbeiter. Zur Soziologie und sozialen Bewegung der Angestellten. Frankfurt am Main/Köln 1975, S. 173 (Tabelle 8).

Bereits in der frühen Phase der Entwicklung der handelsgesellschaftlichen Erwerbstätigen bildete sich eine streng hierarchische Ordnung mit divergierenden Tätigkeitsfeldern, Rechten und Pflichten sowie gesellschaftlichen Ansehen innerhalb eines Unternehmens. An ihrer Spitze standen die Complementarii als Generalhandlungsbevollmächtigte bzw. Prokuristen. Es folgten Factores, die als selbstständige auswärtige Vertreter angestellt waren und Reisediener, deren Hauptaufgaben das Aufsuchen und die Kommunikation mit Geschäftspartnern eines Unternehmens darstellten, Buchhalter und Kontoristen, deren Position sich häufig nochmals in Kassierer und auszubildender Handlungsdiener aufteilte.[19] Die niedrigste Form des kaufmännischen Angestellten bildeten die Ladendiener. Diese wurden zumeist mit Lager – und Reinigungsaufgaben betraut und besaßen weder innerhalb eines Unternehmens noch in weiten gesellschaftlichen Schichten besonderes Ansehen. Aufgrund dieser Tatsache rekrutierten sich die Ladendiener häufig aus unteren, unqualifizierten Bevölkerungsschichten, obgleich auch diese durchaus die Möglichkeit auf berufliche und finanzielle Verbesserung erhielten.[20] Daraus resultierend schätzten sich die Ladendiener durchaus höher als Handwerker oder einfache Arbeiter ein und machten dies auch durch Kleidung und Auftreten deutlich – etwa die weiße Kragenlinie als Unterscheidungsmerkmal zu der blauen der Arbeiter und Symbol der Verrichtung sauberer Tätigkeiten.[21]

[...]


[1] Vgl. bes. Kadritzke, U.: Angestellte – Die geduldigen Arbeiter. Zur Soziologie und sozialen Bewegung der Angestellten. Frankfurt am Main/Köln 1975; Schulz, G.: Die Angestellten seit dem 19. Jahrhundert. München 2000; Berger, U.; Offe, C.: Das Rationalisierungsdilemma der Angestelltenarbeit. Arbeitssoziologische Überlegungen zur Erklärung des Status von kaufmännischen Angestellten aus der Eigenschaft ihrer Arbeit als ,Dienstleistungsarbeit`. In: Kocka, J. (Hrsg.): Angestellte im europäischen Vergleich. Die Herausbildung angestellter Mittelschichten seit dem späten 19. Jahrhundert. Göttingen 1981, S. 39 – 58.

[2] Vgl. bes. Fehrmann, E.; Metzner, U.: Angestellte und Gewerkschaften. Ein historischer Abriß. Köln 1981.

[3] Gründe hierfür sind vor allem die unzureichende statistische Erfassung der Daten des 18. und frühen 19. Jahrhunderts sowie die schwache Quellenbasis und der daraus resultierende allgemein schwer erforschbare Gegenstand der vorindustriellen Angestelltenschaft.

[4] Vgl. Schulz, S. 7

[5] Bücher, K.: Die Arbeiterfrage im Kaufmannsstande. In: v. Holtzendorff, F. (Hrsg.): Deutsche Zeit- und Streitfragen. Flugschriften zur Kenntnis der Gegenwart. Heft 181, Berlin 1883.

[6] Adler, G.: Die Sozialreform und der Kaufmannsstand. In: Hirth, G.; Seydel, M. (Hrsg.): Annalen des Deutschen Reiches. München 1891, S. 1 – 60.

[7] Vgl. Kapitel 2.1 „Vom Privatbeamten zum Angestellten“; Abbildung 1: Verteilung der wesentlichen Berufsgruppen mit Angestelltentitel (1925).

[8] Vgl. Kapitel 2.3 „Die Metamorphose der Angestelltenschaft seit der Industriellen Revolution“.

[9] Vgl. Kapitel 3.2 „Das Angestelltenversicherungsgesetz“.

[10] Dittrich, M.: Die Entstehung der Angestelltenschaft in Deutschland von den Anfängen bis zum Jahre 1933. Ein sozialstatistischer Versuch, Diss. Phil. Stuttgart/ Berlin 1939.

[11] Vgl. Kapitel 2.2 „Herausbildung eines Ethos und Chancen der frühen Angestellten“.

[12] Engelsing, R.: Zur Sozialgeschichte deutscher Mittel- und Unterschichten. Kritische Studien zur Geschichtswissenschaft 4. Göttingen 1978; Engelsing, R.: Die wirtschaftliche und soziale Differenzierung der deutschen kaufmännischen Angestellten 1690 – 1900. In: Zeitschrift für die gesamte Staatswissenschaft 123 (1967), S. 347 – 380; S. 482 – 514.

[13] Zit. Schulz, Vorwort des Verfassers.

[14] Ebd., S. 9.

[15] Im Folgenden werden die unselbstständigen Erwerbstätigen sine ira als Angestellte bzw. in ihrer Schicht als Angestelltenschaft bezeichnet, um ein homogenes Textbild schaffen zu können.

[16] Vgl. Fehrmann, S. 24ff.

[17] Tatsächlich bildeten die kaufmännischen Angestellten bis nach dem Zweiten Weltkrieg und den wirtschaftlichen Aufschwung der 1950er Jahre die größte berufliche Gruppierung innerhalb der Angestelltenschaft. Vgl. bes. Abbildung 1: Verteilung der wesentlichen Berufsgruppen mit Angestelltentitel.

[18] Die vorliegende Abbildung bezieht sich nicht auf die tatsächliche Zahl der unselbstständigen Erwerbstätigen in der vorindustriellen Zeit, jedoch verdeutlicht die Tabelle die stark abweichende Dimensionierung und Ausprägung der Angestelltenberufe sowie die überproportionale Beschäftigung kaufmännischer Angestellter und Bürotätigkeiten in der privaten Wirtschaft. Eine Bilanz aus dem 18. Jahrhundert konnte aufgrund der unsicheren statistischen Quellenlage nicht herangezogen werden. Vgl. hier Kapitel 2.3 „Die Metamorphose der Angestelltenschaft seit der Industriellen Revolution“.

[19] Vgl. Schulz, S. 9.

[20] Vgl. bes. Kapitel 2.2 „Herausbildung eines Ethos und Chancen der frühen Angestellten“.

[21] Vgl. Kocka, J.: Einleitende Bemerkungen. In: Ders.: Angestellte im europäischen Vergleich. Die Herausbildung angestellter Mittelschichten seit dem späten 19. Jahrhundert. Göttingen 1981, S. 7f.

Ende der Leseprobe aus 22 Seiten

Details

Titel
Die Entstehung der kaufmännischen Angestelltenschaft von der vorindustriellen Zeit bis zum Angestelltenversicherungsgesetz
Untertitel
Ein Überblick
Hochschule
Helmut-Schmidt-Universität - Universität der Bundeswehr Hamburg  (Helmut-Schmidt-Universität)
Veranstaltung
Sozial- und Wirtschaftsgeschichte: Die Geschichte der Angestellten und Beamten vom 18. bis zum 20. Jahrhundert
Note
2,0
Autor
Jahr
2007
Seiten
22
Katalognummer
V82443
ISBN (eBook)
9783638874588
ISBN (Buch)
9783638892438
Dateigröße
480 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Entstehung, Angestelltenschaft, Zeit, Angestelltenversicherungsgesetz, Sozial-, Wirtschaftsgeschichte, Geschichte, Angestellten, Beamten, Jahrhundert
Arbeit zitieren
Holger Skorupa (Autor:in), 2007, Die Entstehung der kaufmännischen Angestelltenschaft von der vorindustriellen Zeit bis zum Angestelltenversicherungsgesetz, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/82443

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