Die Flucht und Zuwanderung aus der SBZ/DDR vom Kriegsende bis zum Bau der Berliner Mauer 1961


Hausarbeit (Hauptseminar), 2007

26 Seiten, Note: 1,0


Leseprobe


Gliederung

1. Einleitung

2. Umfang und Zusammensetzung der Wanderung
2.1 Umfang der Wanderung
2.2 Zusammensetzung der Migration
2.2.1 Altersstruktur
2.2.2 Geschlechterverhältnis
2.2.3 Berufsstruktur

3. Motive
3.1 Die zeitgenössische Einschätzung der Fluchtmotive
3.2 Politische Fluchtgründe
3.3 Wirtschaftliche Zwangslagen als Fluchtgrund
3.4 Arbeitswanderung
3.5 Familiäre Gründe

4. Verhalten der beteiligten Staaten zur Bevölkerungswanderung
4.1 Verhalten der SBZ/DDR zur Abwanderung
4.2 Die Situation in Westdeutschland
4.3 Verhalten der westlichen Besatzungsmächte
4.4 Verhalten der Bundesrepublik Deutschland

5. Bewertung der Hilfsmaßnahmen der Bundesrepublik

6. Wirkung der Zuwanderung auf die bundesdeutsche Wirtschaft

7. Ausblick

8. Zusammenfassung

9. Literatur

1. Einleitung

Gegenstand der vorliegenden Arbeit ist die Flucht und Abwanderung von Menschen aus der Sowjetischen Besatzungszone bzw. der DDR in die westlichen Besatzungszonen bzw. die Bundesrepublik Deutschland. Die Abwanderung aus der SBZ bzw. DDR bedeutete für die Migranten eine völlige Loslösung von ihren bisherigen Lebensverhältnissen. Sie alle mussten beruflich wie sozial einen Neuanfang wagen, in den meisten Fällen mit nur dem an persönlicher Habe, das sich in einem Koffer verstauen ließ. Zudem war die Übersiedung oft keine völlig frei gewählte Alternative, durch staatliche Maßnahmen oder wirtschaftliche Zwangslagen sahen sich viele geradezu zu diesem Schritt gedrängt.

Diese mehrere Millionen Teilnehmer umfassende Migration begann schon vor Ende des Zweiten Weltkrieges im Mai 1945 und setzte sich im Wesentlichen bis August 1961 fort. Der Bau der Berliner Mauer, der am 13. August dieses Jahres begann, setzte zwar der Massenmigration ein jähes Ende, bedeutete aber kein völliges Erliegen der Fluchtbewegung.

Zunächst gilt es zu klären, wer an dieser Wanderungsbewegung teilnahm. Waren diese Menschen in der Mehrheit unterdrückte Opfer des stalinistischen Terrorregimes, oder, wie die DDR-Propaganda versuchte zu suggerieren, vielmehr ideologisch ungefestigte Opfer eines Menschenhandels im Dienste des kriegerischen westdeutschen Imperialismus? Um diese Frage zu beantworten, wird anschließend die innere Zusammensetzung der Wanderungsbewegung in verschiedene Kategorien analysiert. Dies führt im Weiteren zu den Motiven, die zum Verlassen der SBZ/DDR geführt haben. Bei einer so weitreichenden Entscheidung, wie dem möglicherweise endgültigen Verlassen der Heimat, müssen in der Regel gute Gründe vorgelegen haben. Wie diese Motive und ihre Gewichtung bei den Übersiedlern vorlagen, soll der dritte Abschnitt klären.

Anschließend stellt sich die Frage, wie die betroffenen Territorien bzw. Staaten mit einer massenhaft erfolgenden Abwanderung und, auf der anderen Seite, einer ebensolchen Zuwanderung umgingen. Wie und mit welchen Mitteln versuchte die DDR dem Abstrom von Menschen aus ihrem Gebiet zu begegnen und welche Maßnahmen ergriff seinerseits der Westen, um den Zustrom zu bewältigen; wie erfolgreich waren die jeweiligen Aktionen?

Besonderen Einfluss auf die Eingliederungsmöglichkeiten von Zuwanderern hat in jedem Falle die Fähigkeit der Wirtschaft, Arbeitsplätze zur Verfügung zu stellen. Welche Rolle die Zuwanderer auf dem Arbeitsmarkt der Bundesrepublik gespielt haben, soll demzufolge auch geklärt werden.

Da die Übersiedlung 1961 zwar jäh für einen bestimmten Zeitraum gestoppt, aber nicht dauerhaft unterbrochen wurde, sondern sich, wenn auch in stark vermindertem Umfang, bis zur Aufhebung der staatlichen Teilung Deutschlands fortsetzte, soll der Ausblick auch diesen Zeitraum kurz beleuchten.

2. Umfang und Zusammensetzung der Wanderung

2.1 Umfang der Wanderung

Der genaue Umfang der Wanderungsbewegung gen Westen lässt sich, besonders für die erste Zeit, nur schwer feststellen. Für die unmittelbaren Nachkriegsjahre 1945-1949 ist eine verlässliche Feststellung des Umfangs der Wanderungsströme nicht mehr möglich. Die Flüchtlinge sind in dieser Zeit nicht systematisch registriert worden, im Ergebnis dessen widersprechen sich die zeitgenössisch genannten Zahlen. Unterschiedliche Statusdefinitionen und Stichtage machen ihre Überprüfung nur sehr begrenzt möglich.

Ab dem 1. September 1949 wurden zwar diejenigen, die einen Aufnahmeantrag stellten, von den Aufnahme - Dienststellen erfasst, aber viele der aus dem Osten Eintreffenden durchliefen nicht das vorgesehene Notaufnahmeverfahren, da sie bei Verwandten oder Freunden eine Unterkunft erhielten. Dies traf besonders auf nachziehende Familienangehörige zu. Der Anteil der Zuwanderer, die das Aufnahmeverfahren nicht durchliefen, wird auf etwa 10-15% geschätzt.[1] Allerdings befanden sich unter denen, die das Verfahren durchliefen, auch Personen, die „mit Genehmigung der DDR in die Bundesrepublik Deutschland übergesiedelt und somit nicht als Flüchtlinge anzusehen sind.“[2]

Auch der Sonderstatus von Berlin brachte Schwierigkeiten für die Erfassung des Umfangs der Wanderung mit sich. Es war bis 1961 durch die Betrachtung der Stadt als Ganzes statistisch kaum möglich, zwischen normalem Zuzug aus dem Westteil und der Fluchtbewegung aus dem Osten zu unterschieden. Erst nach dem Mauerbau wurden die Fortzüge aus Berlin offiziell in die Wanderungsstatistik einbezogen.

Auf der anderen Seite gab es Personen, die zwei- oder mehrfach registriert wurden, da sie die sowjetische Zonengrenze mehrere Male überquert haben. Eine weitere Ungenauigkeit der Zahlen ergibt sich aus der Tatsache, dass die Abmeldepflicht bei Fortzug oft unbeachtet blieb, so dass die Rückwanderung in die SBZ bzw. in die DDR nicht in umfassend ermittelt werden konnte. Schätzungen beziffern den Anteil der Rückwanderer auf etwa 10%.[3]

Des Weiteren wurden auch solche Personen in der Statistik erfasst, die sich absehbar nur für einen begrenzten Zeitraum, etwa zu Ausbildung oder Studium, in der Bundesrepublik aufhielten, was die Zahlen ebenfalls nach oben verfälscht haben dürfte.

Aus diesen Unsicherheiten, was die Bestimmung der tatsächlichen Zahl der Übersiedler angeht, ergeben sich in der Literatur teilweise deutlich unterschiedliche Angaben.

Die Anzahl der bereits zwischen Kriegsende und 1949 übergesiedelten Personen wird zwischen 0,6[4] und etwa 0,88 Millionen[5] angegeben. Was die Gesamtzahl aller zwischen 1944/45 und 1961 Geflüchteten angeht, liegen die Werte bei rund 3,3 Millionen Personen.[6]

2.2 Zusammensetzung der Migration

2.2.1 Altersstruktur

An der Altersstruktur der Flüchtlinge ist besonders der sehr hohe Anteil der unter 25 jährigen bemerkenswert. Über den gesamten Zeitraum gehörten immer etwa die Hälfte aller Zuziehenden dieser Altersgruppe an, während ihr Anteil an der Gesamtbevölkerung der DDR 1957 nur 36,5% ausmachte. Innerhalb dieser Gruppe zeigten die 18-24 jährigen die größte Mobilität, ihr Anteil an den Flüchtenden übertraf den an der Gesamteinwohnerschaft teilweise um das Zweieinhalbfache. Erweitert man diese Gruppe auf die zwischen 14 und 44 Jahre alten, machen diese über 70% der Flüchtenden aus, was dem Doppelten ihres Anteils an der Gesamtbevölkerung entspricht. Insgesamt waren deutlich über 60% der Flüchtlinge im erwerbsfähigen Alter, zumeist waren weit weniger als 10% bereits Rentner.[7]

Generell lässt sich sagen, dass alle Altersgruppen an der Wanderungsbewebung gen Westen Anteil hatten, jedoch die Jüngeren aufgrund höherer räumlicher Mobilität und geringeren Bindungen an ihr Herkunftsgebiet in stärkerem Maße daran partizipierten.

2.2.2 Geschlechterverhältnis

Das Verhältnis der Geschlechter im Aufnahmeverfahren der Bundesrepublik war im Laufe der Jahre einigen leichten Schwankungen unterworfen. Trotz kriegsbedingtem Übergewicht, der Frauenanteil an der Gesamtbevölkerung der DDR lag 1950 bei 55,5%, war ihr Anteil an den Flüchtenden anfangs leicht geringer als der der Männer. Ab 1958 machten sie jedoch die Mehrheit der Zuwanderung aus der Sowjetzone aus. Von 1949-1961 pendelte sich der Frauenanteil im Durchschnitt bei 49,6% ein, wobei in den Altersgruppen bis 25 Jahre das Übergewicht der Männer deutlicher war, in allen höheren Altersgruppen dominierten zumeist die weiblichen Antragsteller.[8]

2.2.3 Berufsstruktur

Was die Erwerbsstruktur der Notaufgenommenen angeht, lässt sich feststellen, dass der Anteil derjenigen, die eine Erwerbstätigkeit angaben, sehr hoch war. Im Durchschnitt der Jahre 1952-1961 lag er bei 61,7%. Damit übertraf der Wert deutlich den des Anteils der Erwerbstätigen in der Gesamtbevölkerung der DDR, der 1960 bei 46,7% lag. Die Gruppe der Nicht-Erwerbstätigen setzte sich aus Kindern und Schülern (20% aller Übersiedler), Hausfrauen (11%) sowie Rentnern und Pensionären (6%) zusammen.[9]

Der Anteil der Studenten, zu Beginn nur 0,1% (1953), lag ab 1958 bei durchschnittlich einem Prozent, was angesichts ihres Anteils von nur 0,4% an der damaligen Bevölkerung der DDR bemerkenswert hoch ist. Rechnete man auch die Abiturienten und die abgelehnten Studienbewerber hinzu, wäre eine nahezu Verdreifachung des Anteils dieser Gruppe zu verzeichnen.[10]

Allgemein ließ sich unter den akademischen Berufen eine starke Fluchtbewegung verzeichnen, der Rest der `alten Intelligenz` schrumpfte weiter zusammen. Allein für den Zeitraum von 1954 bis zum Mauerbau 1961 wurde die Flucht von fast 4.000 Ärzten und über 17.000 Lehrern (davon rund 750 Hochschullehrer) sowie weiterer Akademiker in nicht unbedeutenden Größenordnungen verzeichnet.[11] Unter den Zuwanderern gab es insgesamt einen recht hohen Anteil von überdurchschnittlich Gebildeten. Der Abiturientenanteil lag bei den Männern mit 7,2% mehr als doppelt so hoch wie im bundesdeutschen Durchschnitt (3,4%), bei den Frauen zeigt sich, wenn auch in anderen Dimensionen, das gleiche Bild.[12]

In den Statistiken der Notaufnahme blieb die Verteilung der Berufsgruppen im Untersuchungszeitraum recht konstant. Den größten Anteil hatten Berufe aus dem Sektor Industrie und Handwerk, gefolgt vom Bereich Handel und Verkehr sowie, mit etwas Abstand, aus der Landwirtschaft.

Die Frage, wer sich wann zum Fortgang entschloss, hing auch stark vom politischen Druck innenpolitischer Entscheidungen der DDR ab. Am deutlichsten war dies bei Beschäftigten aus der Landwirtschaft zu erkennen. Zu Beginn der Kollektivierung 1953 sowie 1960, als die Zwangskollektivierung aller noch selbstständigen Bauern in der DDR angeordnet wurde, stieg die Zahl der Antragsteller sprunghaft an.[13]

[...]


[1] Vgl. Heidemeyer, Helge: Flucht und Zuwanderung aus der SBZ/DDR 1945/1949-1961 Die Flüchtlingspolitik der Bundesrepublik Deutschland bis zum Bau der Mauer. Düsseldorf 1994. S. 41.

[2] Bundesministerium für innerdeutsche Beziehungen (Hrsg.): DDR Handbuch Bd. I. Köln 1985. S. 419.

[3] Vgl. Ebd. S. 419.

[4] Vgl. Ackermann, Volker: Der „echte“ Flüchtling Deutsche Vertriebene und Flüchtlinge aus der DDR 1945-1961. Osnabrück 1995. S. 127.

[5] Vgl. Koch, H. R.: Flucht und Ausreise aus der DDR Ein Beitrag zum „Wohlbekannten“. In: Deutschland – Archiv Köln 1/1986. S. 49.

[6] Vgl. Lochen, Hans-Hermann; Meyer-Seitz, Christian (Hrsg.): Die geheimen Anweisungen zur Diskriminierung Ausreisewilliger Dokumente der Stasi und des Ministeriums des Innern. Köln 1992. S. 7.

[7] Vgl. Heidemeyer, Helge: Flucht und Zuwanderung aus der SBZ/DDR 1945/1949- 1961. S. 48f.

[8] Vgl. Heidemeyer, Helge: Flucht und Zuwanderung aus der SBZ/DDR 1945/1949-1961. S. 50.

[9] Vgl. Ebd. S. 50.

[10] Vgl. Bundesministerium für Gesamtdeutsche Fragen (Hrsg.): Die Flucht aus der Sowjetzone und die Sperrmaßnahmen des kommunistischen Regimes vom 13. August 1961 in Berlin. Bonn und Berlin 1961. S. 18.

[11] Vgl. Ebd. S. 17.

[12] Der Abiturientinnenanteil unter Zuwanderern betrug 2,1%, im Bundesdurchschnitt 1,0%. Siehe: Heidemeyer, Helge: Flucht und Zuwanderung aus der SBZ/DDR 1945/1949-1961. S. 51.

[13] Vgl. Heidemeyer, Helge: Flucht und Zuwanderung aus der SBZ/DDR 1945/1949-1961. S. 52.

Ende der Leseprobe aus 26 Seiten

Details

Titel
Die Flucht und Zuwanderung aus der SBZ/DDR vom Kriegsende bis zum Bau der Berliner Mauer 1961
Hochschule
Universität Rostock  (Historisches Institut)
Veranstaltung
Migration in Deutschland nach 1945
Note
1,0
Autor
Jahr
2007
Seiten
26
Katalognummer
V82462
ISBN (eBook)
9783638878388
Dateigröße
473 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Flucht, Zuwanderung, SBZ/DDR, Kriegsende, Berliner, Mauer, Migration, Deutschland
Arbeit zitieren
B.A. Christian Pauer (Autor:in), 2007, Die Flucht und Zuwanderung aus der SBZ/DDR vom Kriegsende bis zum Bau der Berliner Mauer 1961 , München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/82462

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