Die erste Frage ist, ob man überhaupt den Charakter von "Kunst" als übergreifendem Konzept von dem der einzelnen "Künste“ abstrahieren kann.
Schließlich wäre zu fragen, ob unser Kunstbegriff falls es ihn schon geben soll, als feststehenden oder immer wieder zu modifizierenden - "objektiv" oder "subjektiv" zu begründen ist, d. h. vom ästhetischen Objekt (zumeist vom Kunstwerk) her, oder vom ästhetischen Erleben. Ob die "Kunst" von unserer Einstellung zu ihr definiert wird und hauptsächlich als einen Begriff der Bewertung. Seit 1964 kam das Schlagwort von der "Kunst als Institution" auf, womit man auf die soziale Determiniertheit der Kunstwelt, werte und moden hinweisen wollte.
Inhaltsverzeichnis
Vorbemerkung: Fragen zum Kunstbegriff
Die Schichtenästhetik
Die Abweichungsästhetik
Die Tendenz zur Beliebigkeit
Die Wertfrage
Zusammenfassung
ANMERKUNGEN
Vorbemerkung: Fragen zum Kunstbegriff
„Kunst ist eine so komplexe Erscheinung hinsichtlich der Bestandteile ihrer Wahrnehmung und Einschätzung, dass eine Minimaldefinition fast mit Sicherheit so allgemein ausfallen wird, dass sie den Kern des Begriffes - als den Kern und nicht nur als einen von mehreren wichtigen Faktorenkomplexen - nicht identifizieren können wird."(1) Dies schrieb John Clammer 1970 und meinte sicherlich, damit Pauschaldefinitionen (wie "Kunst ist objektiviertes Vergnügen, imaginierte Wunscherfüllung, Erfahrung, soziale Kommunikation, Harmonie, Einheit in der Vielheit, Organismus" etc.) zu diskreditieren.
Die erste Frage ist, ob man überhaupt den Charakter von "Kunst" ‑ als übergreifendem Konzept - von dem der einzelnen "Künste“ abstrahieren kann. Auch dazu äußerte sich Clammer kritisch: "Die Unterschiede in der Erfahrung von Formen der Musik, Skulptur (plastic forms) und Literatur müssen gesehen werden. Die angebliche Ähnlichkeit zwischen ihnen ist eine Vermutung... Die Einheit von ästhetischen Objekten ist noch immer eine zweifelhafte Annahme."(2) Ist damit aber wirklich ein für alle Mal verneint, dass die Kunstarten nicht doch etwas gemeinsam haben, das sie von anderen menschlichen Erzeugnissen abhebt, ebenso wie die Kunst erfahrung sich von der praktischen und wissenschaftlichen abgrenzen lässt?(3)
Wer letzteres bejaht, muss sich immer noch fragen, ob "Kunst" ein feststehender Begriff ist oder, wie Morris Weitz schon 1956 meinte(4), ein sogen. „offener", der, jeweils von der letzten Kunstentwicklung ausgehend, immer wieder neu definiert werden muss.
Schließlich wäre zu fragen, ob unser Kunstbegriff - falls es ihn schon geben soll, als feststehenden oder immer wieder zu modifizierenden - "objektiv" oder "subjektiv" zu begründen ist, d. h. vom ästhetischen Objekt (zumeist vom Kunstwerk) her, oder vom ästhetischen Erleben. Stanley Cavell(5) behauptete bereits 1969, dass die "Kunst" von unserer Einstellung zu ihr definiert wird und Cyril Barett(6) sah 1973 den Kunstbegriff hauptsächlich als einen der Bewertung. Seit 1964 kam das Schlagwort von der "Kunst als Institution"(7) auf, womit man auf die soziale Determiniertheit der Kunstwelt, -werte und -moden hinweisen wollte.
Identitätskriterien (das "Wesen" der Kunst betreffend) dürfen nicht mit Wertkriterien verwechselt werden, selbst wenn wir schlechte Kunst nicht als solche zu bezeichnen geneigt sind. Man könnte also zu der Auffassung kommen, dass sich zwar das Wesen der Kunst objektiv beschreiben lässt (z.B. ihre Funktion als besonders geartete Kommunikation, oder auch ihre Schichtenstruktur), nicht aber ihre Werthaltigkeit. Man könnte etwa der Ansicht sein, dass die Werte, die in den Augen der meisten Rezipienten Gebilde mit künstlerischem Anspruch überhaupt erst zu "wahrer Kunst" machen, kulturbedingt sind.
Wenn wir mit dieser (vierfachen) Fragestellung die entsprechende Literatur der deutsch- und englischsprachigen Ästhetik nur der letzten 50 Jahre überschauen(8), fällt uns auf, dass - wenn man von apercu-haften Bemerkungen wie den oben genannten absieht - unter den ernstzunehmenden Richtungen der Ästhetik vor allem die "Schichtentheorie"(9) und die „Abweichungspoetik"(10) versucht haben, Systematisches über Kunst auszusagen. Beide Richtungen können sich auf die alten Griechen berufen(11), wurden aber erst in unserem Jahrhundert voll entwickelt.
Die Schichtenästhetik
Die Schichtensysteme von Nicolai Hartmann und Roman Ingarden lassen sich, wie ich an anderer Stelle zu zeigen versuchte(12), in einem "synthetischen Modell" zusammenfassen. Beide wenden die gleichen ontologischen Schichten-Gesetze an, die auch in der übrigen Welt zu beobachten sind: Grob vereinfacht, lassen sich Kunstwerke als geschichtete Gebilde in einem doppelten Integrationszusammenhang sehen. Wie viele Schichten in jeder Kunstart unterschieden werden, ist zunächst nicht entscheidend. Unverzichtbar ist, dass jeweils die konkretere Schicht die nächst abstraktere existentiell ermöglicht ("trägt"). Zugleich wird die konkretere Schicht von der abstrakteren geformt ("geprägt"). Da die Schichtenästhetik sich notgedrungen - zur Veranschaulichung der von ihr diskutierten, letztlich abstrakten, Abhängigkeitsverhältnisse - räumlicher Metaphern bedienen muss, werden die jeweils konkreteren Schichten manchmal als die "tiefer liegenden" oder "unteren", manchmal auch als die "äußeren" bezeichnet, die abstrakteren als die "höheren" bzw. "inneren". Gelegentlich werden auch noch die "Mittel-" oder "mittleren Schichten" unterschieden. Welche Konsequenzen dieses grundlegende ontologische Schichtenverhältnis des "Ermöglichens" (von unten) und "Prägens" (von oben) etwa für gegenstandlose Kunst hat, haben beide Philosophen nicht ins Einzelne verfolgt, wahrscheinlich aus gutem Grund. -
Die zweite entscheidende Einsicht der Schichtenästhetik ist die, dass uns Kunstwerke als "schematische Gebilde" mit "Unbestimmtheitsstellen" gegeben sind, die wir bei der Rezeption ergänzen ("konkretisieren") müssen. Diese (ursprünglich ebenfalls ontologische) Einsicht hat nicht nur Konsequenzen für den Rezeptionsvorgang; m. E. ist sie es, die das Besondere am Kunsterleben definiert. Ob wir den schematischen Charakter auf allen Schichten des Kunstwerks ansiedeln (wie m. E. korrekterweise Hartmann) oder hauptsächlich auf einer besonderen "Schicht der schematisierten Ansichten" (wie m. E. irrtümlicherweise Ingarden), ist ebenfalls nicht entscheidend. Auffallen muss, dass zwar auch Gegenstände der praktischen und theoretischen Welt geschichtet sind und Unbestimmtheitsstellen aufweisen, jedoch nicht im gleichen Maße wie Kunstwerke. Daraus ergibt sich, dass die Rezeption von Kunst als ein Ergänzen ("Ausfüllen", "Durchgehen") einer besonders reichen Schichtenstruktur gesehen werden kann, in dem der Rezipient selbst quasi-schöpferisch werden muss. Wie dies auf allen Schichten geschieht, soll hier so kurz wie möglich an meiner modifizierten Kombination von Hartmanns und Ingardens Schichtensystemen(13) gezeigt werden:
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- Arbeit zitieren
- Dr. Wolfgang Ruttkowski (Autor:in), 1998, Noch einmal: Ästhetik, Kunstbegriff und Wertfrage, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/82645
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