„...I‘ll eat the rest of th‘anatomy“

Kannibalische Phantasien in Shakespeares "Twelfth Night"


Hausarbeit, 2007

12 Seiten, Note: 1,0


Leseprobe


Für Thomas Kleinspehn hat die europäische Gesellschaft seit der frühen Neuzeit einen „oralen Wandel“ durchlaufen: Die Bedeutung des Essens hat sich verändert, vor allem der Bezug zur tierischen Nahrung ist indirekter geworden, etwa das Schlachten aus dem Blickfeld des Konsumenten geraten. Damit wurden auch Übertragungen von Hunger nach Tierfleisch auf Menschenfleisch an den Rand gedrängt. Kannibalische Neigungen verlagern sich in die Innenwelt, ihre kollektiven Besetzungen verlieren die realen Bezüge und werden zunehmend sexualisiert. Es liegt in diesem Sinne nahe, Tobys Andeutungen oraler Übergriffe als sexuelle Anspielungen zu verstehen. Wenn er Andrew die Annäherung an Maria unter dem Stichwort „accost“ ans Herz legt und sie später mit einem zu enternden Schiff vergleicht (vgl. I, iii, 52 f.) geht es natürlich um ein sexuelles Eindringen.[1] Doch legt der lateinische Stamm „costa“ (= Rippe) auch ein Öffnen ihres Körpers nahe, um an ihr Fleisch zu gelangen. Wie ausgeprägt seine kannibalischen Phantasien sind, scheint ihm längst nicht klar zu sein: Viola/Cesario schlägt er gar einen autophagischen Akt vor: „Taste your legs, sir“ (III, i, 75), und fügt, fast wie nach einer Fehlleistung, präzisierend hinzu: „put them to motion“. Auch Andrews Bein hat es ihm angetan, kulinarisches Interesse nicht ausgeschlossen: „I did think, by the excellent constitution of thy leg, it was form‘d under the star of galliard.“ (I, iii, 123 f.). Wie viel ihm am Essen liegt, hat er ein paar Verse zuvor in einem Wortspiel dargelegt. Als Aguecheek ihn von seiner Grazilität überzeugen will („Faith, I can cut a caper“, I, iii, 113, wobei „caper“ einen Tanzschritt meint), dreht er ihm das Wort im Munde herum (eine Technik, die uns später noch mehr beschäftigen soll), versteht „caper“ als „Kaper“ und empfiehlt dazu Hammelfleisch: „And I can cut the mutton to‘t“ (I, iii, 114). Man mag all diesen Beobachtungen interpretatorischen Übermut vorwerfen, kommt dann jedoch über folgende Stelle nicht hinweg. Als Toby Aguecheek nach der elisabethanischen Anatomielehre als Phlegmatiker darstellen will, scheint er um die Vorstellung nicht umhin zu kommen, seinen Kumpanen zu obduzieren und, wenn er nur ein Tröpfchen Blut in seiner Leber fände, komplett zu verspeisen: „For Andrew, if he were open‘d and you find so much blood in his liver as will clog the foot of a flea, I‘ll eat the rest of th‘ anatomy.“ (III, ii, 57 f.). Noch mehr Trinkbares wünscht er sich von Sebastian: „What, what? Nay, then I must have an ounce or two of this malapert blood from you.“ (IV, i, 43 f.). Im psychoanalytischen Sinne einer Identifikation wäre das Verzehren Andrews ein eindeutiger Fall: Er hat seine Eigenschaften nach der gängigen Auffassung, in der Leber sitze das Temperament, für positiv befunden und eignet sie sich im Akt der Einverleibung an. Gleichwohl hält er dies bei einem Phlegmatiker von Andrews Kaliber für unmöglich.

[...]


[1] Vgl. Labriola, Albert C.: „‘Twelfth Night‘ and the Comedy of Festive Abuse“, in: Modern Language Studies, Vol. 5, No. 2 (Autumn, 1975), S. 8.

Ende der Leseprobe aus 12 Seiten

Details

Titel
„...I‘ll eat the rest of th‘anatomy“
Untertitel
Kannibalische Phantasien in Shakespeares "Twelfth Night"
Hochschule
Freie Universität Berlin  (Institut für Allgemeine und Vergleichende Literaturwissenschaft)
Veranstaltung
Shakespeare – alle Dramen
Note
1,0
Autor
Jahr
2007
Seiten
12
Katalognummer
V82778
ISBN (eBook)
9783638906418
Dateigröße
423 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
I‘ll, Shakespeare, Dramen
Arbeit zitieren
Peter Troll (Autor:in), 2007, „...I‘ll eat the rest of th‘anatomy“, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/82778

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