Auf dem Gebiet der Zeitgeschichte kann immer eine Durchdringung von Geschichte und Gedächtnis stattfinden. Auf der einen Seite steht dabei die wissenschaftliche Geschichtsschreibung, auf der anderen die lebendigen Erinnerungen der Zeitzeugen. So könnte man sich die Frage stellen, ob diese nicht für bestimmte gesellschaftlich bedeutsame Ereignisse identische Inhalte haben müssten. Erinnert nicht der Zeitzeuge, der persönlich bei der Maueröffnung im Jahr 1989 anwesend war, das Gleiche wie der Historiker, der ein Buch darüber verfasst hat? Die Antwort fällt eindeutig aus: Nein. Der Inhalt des individuellen Gedächtnisses des Zeitzeugen kann mit der wissenschaftlichen Geschichtsschreibung sogar in markanten Punkten differieren. Doch welche Seite hat eine größere Relevanz für die Erinnerung an ein gesellschaftlich bedeutsames Ereignis? Dies soll in der vorliegenden Arbeit am Beispiel des „Nationalsozialismus“ untersucht werden. Da jedoch die Zahl der Zeitzeugen dieses bedeutenden historischen Abschnitts immer weiter abnimmt, soll ein Hauptaugenmerk auf das historische Gedächtnis des zeitgenössischen Lesers geworfen werden, d.h. auf das der Kinder- und Enkelgeneration. Es soll dabei herausgefunden werden, woraus sich unser historisches Gedächtnis speist und wie groß die Einflüsse der wissenschaftlichen Geschichtsschreibung einerseits und der persönlichen Erinnerungen unserer Eltern und Großeltern andererseits darauf sind.
Inhaltsverzeichnis
- Einleitung
- I. Die Theorie des Gedächtnisses
- 1. Kulturwissenschaftliche Aspekte und Befunde
- 1.1 Die Entwicklung der Theorie eines sozialen Gedächtnisses
- 1.2 Das soziale Gedächtnis der Familie
- 2. Gedächtnistheoretische Aspekte aus Neuro-, Kognitions- und Sozialpsychologie
- 2.1 Die Gedächtnissysteme und die Funktionsweise der Erinnerung
- 2.2 Die Rekonstruktion der Erinnerung
- 1. Kulturwissenschaftliche Aspekte und Befunde
- II. Der Nationalsozialismus im sozialen Gedächtnis der Familie
- 1. Der Nationalsozialismus als Störfaktor der Identität
- 2. Die intergenerationelle Tradierung nationalsozialistischer Erinnerungen
- Schlussbetrachtung
Zielsetzung und Themenschwerpunkte
Die vorliegende Arbeit zielt darauf ab, die Bedeutung des sozialen Gedächtnisses für die Erinnerung an den Nationalsozialismus zu untersuchen. Sie fokussiert dabei auf die Frage, wie das historische Gedächtnis der Kinder- und Enkelgeneration durch Einflüsse der wissenschaftlichen Geschichtsschreibung und der persönlichen Erinnerungen von Eltern und Großeltern geprägt ist.
- Die Entwicklung des sozialen Gedächtnisses und seine Bedeutung für die Familie
- Der Einfluss von Neuro-, Kognitions- und Sozialpsychologie auf das menschliche Gedächtnis
- Die Rolle des Nationalsozialismus als Störfaktor der Identität von Zeitzeugen
- Die intergenerationelle Tradierung nationalsozialistischer Erinnerungen in Familien
- Die Herausforderungen und Spannungen im Zusammenhang mit der Erinnerung an den Nationalsozialismus in Familien
Zusammenfassung der Kapitel
Die Arbeit beginnt mit einer Auseinandersetzung mit verschiedenen Gedächtniskonzepten aus Soziologie und Psychologie, um einen theoretischen Rahmen für die Untersuchung des sozialen Gedächtnisses der Familie zu schaffen. Dabei wird insbesondere auf die Konzepte des sozialen Gedächtnisses nach Maurice Halbwachs sowie auf die Forschungsergebnisse von Frederic C. Bartlett und Endel Tulving eingegangen. Diese theoretischen Grundlagen dienen als Ausgangspunkt für die Analyse des Nationalsozialismus im sozialen Gedächtnis der Familie, die im zweiten Teil der Arbeit im Vordergrund steht.
In diesem zweiten Teil werden die Herausforderungen und Besonderheiten der Erinnerung an den Nationalsozialismus im Kontext der Familiengeschichte beleuchtet. Es wird untersucht, wie der Nationalsozialismus die Identität der Zeitzeugen beeinflusst hat und welche Spannungen und Konflikte in der familiären Erinnerungskultur entstehen können. Die Arbeit beleuchtet auch die Mechanismen der intergenerationellen Tradierung von Erinnerungen und deren Auswirkungen auf das historische Gedächtnis der Kinder- und Enkelgeneration.
Schlüsselwörter
Die zentralen Schlüsselwörter der Arbeit umfassen: soziales Gedächtnis, Familiengedächtnis, Nationalsozialismus, Zeitgeschichte, intergenerationelle Tradierung, Erinnerungskultur, Identität, historische Bewusstseinsbildung.
- Quote paper
- Susanne Schake (Author), 2007, Die Erträge der historischen Familienforschung für eine Theorie des historischen Gedächtnisses, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/82823