Zu: Titus Maccius Plautus - Rudens

Verse 185 - 289


Hausarbeit (Hauptseminar), 2001

37 Seiten, Note: 1,5


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1 Einleitung
1.1 Zu Plautus' Leben und Werk
1.2 Exkurs: Zum römischen Verständnis von Individualität und Stil

2. Das Theater zur Zeit des Plautus
2.1 Die griechische Komödie
2.2 Die italische Lustspieltradition
a) Die griechische Komödie in der Magna Graecia
b) Die dorische Volksposse
c) Der sizilische Mimus
d) Die italische Phlyakenposse
e) Die Fabula Atellana
2.3 Rom und die italische Bühnentradition
2.4 Der plautinische Spagat zwischen griechischer und italischer Lustspieltradition

3. Die Textstelle
3.1 Die Personen
3.2 Die Textstelle und ihre Situierung

4. Übersetzung
4.1 Szene 1, Aufzug 3
4.2 Szene 1, Aufzug 4
4.3 Szene 1, Aufzug 5

5. Interpretation
5.1 Der Monolog Palaestras
5.2 Eine untypische Wiedererkennungsszene
5.3 Zuflucht bei der Priesterin

6. Sprachliche Phänomene der Textstelle
6.1 Graphie
6.2 Phonologie
6.3 Morphologie
6.4 Syntax
6.5 Lexik
a) 192 „me impiavi“
b) 266 „longule“

7. Schluss

8. Auswahlbibliographie

1. Einleitung

„Homo linguae atque elegantiae in verbis latinae princeps“[1]

Mit diesen Worten rühmt der Buntschriftsteller des zweiten nachchristlichen Jahrhunderts, A. Gellius, in seinen Noctes atticae den begnadeteten Komödienautor Titus Maccius Plautus. Doch dieses Lob blieb von vielen, vor allem der Nachwelt, ungeteilt. Viele verschmähten seine derbe Sprache, im Mittelalter stieß man sich an dem Obszönen,[2] das vielen seiner Stücke anhaftete, und in der Moderne war man dem römischen Lustspielschreiber zunächst auch nicht wohler gesonnen.

Plagiat und dazu noch schlechten warf man ihm von wissenschaftlicher Seite vor, die sich vor allem für die nur noch spärlich erhaltenen Vorlagen interessierte und den römischen Dichter nur noch als Überträger der griechischen Stücke sah, die seinen Komödien Modell standen. So konnte H. Diller über den Rudens- Ausleger G. Jachmann sagen:[3] „Er begnügte sich bei der Besprechung dieser Partieen [sic] damit, das plautinische Unkraut aus dem kunstvoll angelegten Gärtlein des Diphilos auszujäten.“ Man ging soweit, Plautus eigenes künstlerisches Schaffen abzusprechen und seine Stücke nur noch als Flickwerk aus Teilen griechischer Originale zu sehen, bis 1922 E. Fraenkel die entscheidende Abhandlung „Plautinisches im Plautus“[4] verfaßte, die dem römischen Komödienschreiber mit Nachweis seiner Originalität und seines Verdienstes als eigenständiger Dichter wieder zu seinem Recht verhalf. Dadurch wurde die Diskussion um die Originalität des „bedeutendsten römischen Lustspielschreibers“ neu entfacht.[5]

1.1 Zu Plautus' Leben und Werk

Obwohl sich Plautus schon zu Lebzeiten großer Beliebtheit erfreute, ist nur wenig Sicheres über sein Leben bekannt. Das Geburtsdatum hat man rekonstruiert,[6] das Sterbejahr scheint verläßlicher – Titus Maccius Plautus lebte von ca. 250 bis 184 v.Chr. und stammt aus dem umbrischen Sarsina. Seine Stücke sind die ältesten vollständig erhaltenen Komödien der lateinischen Literatur. Seinen Lebensunterhalt soll er sich als Bühnenarbeiter verdient haben. Sowohl Maccius (Asin. 11)[7] als auch Plautus scheinen Spitznamen gewesen zu sein und weisen auf seine Verbindung zur Atellane hin, einem Stegreifspiel mit volkstümlich-derber Komik,[8] das sich seinerzeit großer Beliebtheit erfreute: Maccus ist dort die stehende Figur des Dummkopfs[9] bzw. Hanswursts[10] und Plautus bedeutet „Plattfuß“.[11] Doch dazu später (Kap. 2.2).

Nach dem Verlust seines Vermögens durch Handelsgeschäfte mußte der Umbrer in einer Stampfmühle arbeiten, was ihn jedoch nicht davon abhielt, in dieser Zeit drei Komödien zu verfassen.[12]

Von seinen Komödien sind nur (bis auf eine) 21 nahezu vollständig erhalten (u.a. Aulularia, Menaechmi, Miles gloriosus, Mostellaria, Poenulus, Trinummus und eben der unserer Betrachtung zugrundeliegende Rudens), von 30 weiteren kennen wir den Titel und einige Verse.[13] Fast alle Stücke gehen mehr oder weniger direkt auf griechische Komödien der sogenannten Neuen Komödie, auch Nea bezeichnet, zurück. Wie Plautus im „Vorwort“ zum Rudens, das er den Arcturus – ein Gestirn des Sternbildes Bootes – sprechen läßt, selbst erklärt (V. 32), geht diese Komödie auf ein Stück des Griechen Diphilos zurück. Als Quelle für Rudens vermutet man daher die diphileische 'EpitropÆ.[14]

Der modern Denkende mag sich da die Frage nach Originalität und Plagiat stellen. Wie verhielt es sich mit der römischen Vorstellung von Genialität und Originalität? Auf diesen Sachverhalt sei im folgenden Exkurs kurz eingegangen.

1.2 Exkurs: Zum römischen Verständnis von Individualität und Stil

War die tradierte Form nicht ein aufgezwungenes Schema, das zu konformer Strukturierung des eigenen Werkes zwang? Wenn Plautus sich an antike Vorbilder anlehnt, ist dies dann nicht Plagiat?

Hier prallen zwei Konzepte aufeinander: die moderne Vorstellung von persönlichem Stil und individueller Note, des Genies, und die antike Auffassung.

Die Berufung auf den mos maiorum in Krieg und Politik als Rechtfertigung für gegenwärtiges Handeln ist bekanntlich eines der Hauptmerkmale der römischen Kultur. Man spricht von einem „Anlehnungsbedürfnis“ der Römer.[15] Das Verhältnis zur Tradition war ein ganz anderes als heute. Der Begriff des Génie, von dem wir heute sprechen, das Neues, nie Dagewesenes schafft, kommt erst im 18. Jahrhundert auf.

Die Antike sah sich weniger als eigenständige Kultur und suchte daher nicht Abgrenzung von der früheren Zeit, sondern sah sich als Fortsetzung derselben. Diese Traditionsgebundenheit manifestierte sich in allen Lebensbereichen, so auch in der Literatur. Dementsprechend steht auch Plautus mit seinen Komödien in einer Tradition. Sie entsprang dem römischen „Lebensgefühl“.[16]

Selbstverständlich kannte die Antike bei dieser Geisteshaltung nicht den Begriff des Plagiats“,[17] im Gegenteil, man empfand es als Ehre, sich auf berühmte Vorgänger berufen zu können, was gleichzeitig ebenso Legitimation bedeutete. Vor dem Hintergrund eben dieses Lebensgefühls der Römer müssen wir die plautinische Leistung sehen.

„Der Schluß kann also lauten, daß zwar der antike Autor in viel stärkerem Maße als der des 19. oder 20. Jahrhunderts an etwas gebunden war, was wir nicht so sehr die „Gesetze des Genres“ nennen möchten als vielmehr den Respekt gegenüber einem oder mehreren großen Vorgängern in diesem Genre, daß aber andererseits der Autor in der Wahl und in der Anpassung seines Vorbildes an eigene künstlerische Vorlieben und Fähigkeiten völlige Freiheit behielt.“[18]

Genau in dieser Spannung zwischen Eigenem und Fremden, zwischen literarisierter griechischer Komödie, mündlicher Stegreifspieltradition und der individuellen Realisierung eigener Vorstellungen innerhalb des Gegebenen oder sogar über das Gegebene hinaus müssen wir auch die plautinische Komödie Rudens betrachten. Daher sei im Folgenden ein kurzer Blick auf die Rahmenbedingungen für das plautinische Schaffen geworfen.

2. Das Theater zur Zeit des Plautus

Wenn unmittelbar nach dem Ersten Punischen Krieg in Rom das Literaturtheater angesiedelt wurde, so ist dies nicht ohne den Hintergrund des „regen und vielfältigen italischen Bühnenlebens“[19] zu denken, das seit Jahrhunderten die Griechenstädte in Süditalien und auf Sizilien belebte.

2.1 Die griechische Komödie

Die Überlieferung der wohl mehr als 2300 griechischen Stücke der 256 namentlich bekannten Dichtern, die zwischen 286 und 120 v.Chr. aufgeführt wurden, ist mehr als spärlich: elf Komödien des Aristophanes und nur ein Stück Menanders (Dyskolos) sind vollständig erhalten.[20] Von den übrigen Lustspielen zeugen nur Fragmente.

Wenn wir in der Einleitung von der neuen attischen Komödie sprachen, so vermutet man richtig, daß es auch eine alte gab und auch eine mittlere. Diese Einteilung geht schon auf die Antike zurück, wo alexandrinische Philologen die noch heute übliche Einteilung in drei Phasen vornahmen:[21]

Alte Kömödie Archaea 5. Jhr. v.Chr.

Mittlere Komödie Mese 400-320 v.Chr.

Neue Komödie Nea 320-120 v.Chr.

Die Dreigliederung erfolgte aufgrund von formalen und inhaltlichen Kriterien. Die alte Komödie verarbeitete die Themenbereiche: Krieg und Frieden (Peloponnesischer Krieg), öffentliches Leben (Politik, Erziehung, Dichtung, Musik und Wissenschaft);[22] dies geschah in einem utopischen Gegenentwurf oder durch völlige Umkehrung der normalen Umstände. Vertreter der attischen Archaea sind Aristophanes (450 - ca. 370, z.B. Acharner, Frieden, Wespen, Wolken, Vögel, Frösche), Epicharm, Kratinos, Eupolis, Platon u.a. An die Stelle der Polis treten in der Neuen Komödie Liebe, Haß, Argwohn, Eifersucht (amare, odisse, suspicari – Terenz, Eunuchus v.40).[23] Damit stehen allgemeine und allgemeinmenschliche Themen im Vordergrund als Reflex der politischen Veränderung vom demokratischen Stadtstaat zum monarchischen Flächenstaat.[24] Die Nea übernimmt dabei das Handlungsmuster der Anagnorisis (Wiedererkennungs-)Struktur aus der Euripideischen Tragödie.[25]

Die dramatis personae und deren Verhalten sind in der Nea im Gegensatz zur alten Komödie stereotyp. Sie lassen sich drei sozialen Gruppierungen zuordnen: erstens ist da die Familie (der oft harte und erzürnte senex, der meistens verliebte adulescens, die matrona und eventuell ein paedagogus). Diesen stehen Außenseiter der Gesellschaft als zweite Gruppierung gegenüber (Hetären, Kuppler, Söldneroffiziere); zwischen diesen Polen „pendelt eine dritte Gruppe hin und her“,[26] die Sklaven, die einmal den Bösen, einmal den Guten dient.

Die Stereotype der Handlung und des Personals zwingen den Dichter der Nea zu einem Spiel mit dem Vorgegebenen. Vertreter der Neuen Komödie waren u.a. Menander (342-291), Philemon (ca. 360-260), Diphilos (ca. 360-300) und Apollodor von Karystos (3. Jahrhundert).

Durch die Ausweitung der Handlung der Neuen Komödie ins allgemeinmenschliche unter weitgehender Ausblendung der zeitgenössischen politischen Hintergründe wird die Nea zu einem leicht übertragbaren Muster, „konnten die Stücke der griechischen Dichter dieser Epoche ohne größere Schwierigkeiten von den römischen Komödienautoren des ausgehenden dritten und zweiten Jahrhunderts [...] ins Lateinische übertragen und vor einem römischen Publikum aufgeführt werden.“[27]

2.2 Die italische Lustspieltradition

a) Die griechische Komödie in der Magna Graecia

Im Gegensatz zu der zeitgebundenen, auf die athenische Tagespolitik hin konzipierte Archaea „ließen sich Mese und Nea aufgrund ihrer allgemeinen Haltung leicht auf fremden Boden übertragen.“[28] Und so verwundert es nicht, daß die importierte attische Komödie „einen festen Platz im Rahmen des italischen Lustspiels“ hatte,[29] wobei aus der Archaea wohl nur einzelne Motive, die Stücke der Mese und Nea als solche Eingang fanden. Als die attische Komödie jedoch in das griechische Kolonialgebiet Sizilien und Süd- und Mittelitalien gelangte, traf sie dort auf eine schon jahrhundertealte Bühnentradition.

b) Die dorische Volksposse

Die „vor- und subliterarische, aber auch literarische“[30] komische Tradition der Magna Graecia nahm im 6. Jh. v.Chr. ihren Anfang mit der dorischen Volksposse, die im Zuge der griechischen Kolonisation dorthin gelangt war. Man hat sich die dorische Volksposse als „lustig-schlichtes Stegreifspiel“[31] vorzustellen, das von Imitationen bestimmter Typen aus dem Volksleben, Mythentravestien und Götterburlesken geprägt war und als dessen Spielart bzw. Weiterentwicklung der sizilische Mimus angesehen werden muß.

c) Der sizilische Mimus

Der Mimus war die realistische Darstellung von Alltagssituationen mit einem Hauch von Karikierung, dessen Ziel es war, „ein vitales possenhaftes Lachen, den risus mimicus[32] beim Publikum hervorzurufen. Im 5. Jh., verdrängt durch die Konkurrenz des attischen Theaters, verbreitete sich der Mimus im Osten und Orient aber auch nach Süd- und Mittelitalien und entwickelte sich vom „Zwei- und Mehrpersonen­sketch“[33] zum mimischen Theaterstück – diametral zum allmählichen Niedergang des attischen Dramas.

d) Die italische Phlyakenposse

Im 4. und 3. Jh. kam die Phlyakenposse als „italische Spielart der dorischen Volksposse“[34] hinzu. Vieles der hier abgebildeten Mythentravestien, Götterburlesken und Alltagsszenen ging auch auf die attische Mese zurück. Zu ihrer Literarisierung trug um 300 v.Chr. der Syrakusaner Rhinthon bei.

e) Die Fabula Atellana

Aus Kampanien stammte die „derb-witzige Lokalposse“[35] der Atellane, deren Bezeichnung auf die oskische Landstadt Atella zurückgeht. Nach der Eroberung Kampaniens (Mitte 4. Jh.; Atella 313 v.Chr.) kam die fabula Atellana nach Rom und wurde dort als Stegreifspiel übernommen, erhielt jedoch nach den ersten Palliatenaufführungen um 240 v.Chr. die Funktion eines Exodiums nach Tragödien und Komödien.[36] Im Gegensatz zum Mimus und der Phlyakenposse war die Atellane eine „Typenfarce“.[37] Ihren Charakter als „heiter-ausgelassene Stegreifburleske ohne höheren Anspruch“ legen die Oscae personae nahe:[38] am häufigsten ist der Maccus, der Dummkopf oder Possenreißer, ferner Bucco, der dickbäuchige Vielfraß oder Maulheld, der „bucklige Schlaukopf Dorsennus“- Manducus[39] und schließlich Pappus-Casnar, der einfältige Alte. An die Zeit der ersten Atellanendarbietungen in Rom durch Osker erinnerten noch im 1. Jh. v.Chr. die in oskischer Sprache abgehaltenen ludi Osci.[40] Da die römischen iuvenes – lauter Laienspieler – maskiert spielten und auch nach der Aufführung die Maske aufbehielten, „verloren sie ihre bürgerlichen Ehrenrechte nicht (Paul. Fest. 238L).“[41]

2.3 Rom und die italische Bühnentradition

Durch Siedler der unteritalischen Kolonien, Soldaten, die vom Dienst in Mittel- und Süditalien zurückkehrten, sowie Händler, die Sizilien und Kampanien bereisten, wurde die reiche italische Bühnentradition auch in Rom bekannt und heimisch.[42] Dazu trugen auch die fahrenden Dionysostechniten, „fest organisierte Theaterkünstler“,[43] bei. Es ist leicht verständlich, daß beim Blick auf die reiche Theaterkultur der Nachbarn der „Wunsch nach einer vergleichbaren eigenen Kunst“[44] groß war. So kommt es 240 v.Chr. zur Beauftragung[45] des Tarentiners Livius Andronicus, zu den ludi Romani nach griechischem Vorbild eine Tragödie und eine Komödie aufzuführen, bei deren Bearbeitung er sich stark an die attische Nea anlehnt.[46] An ihr orientiert sich die sog. fabula palliata, die ihren Namen der Kleidung der Griechen in Rom (pallium) verdankt. Hat die Handlung des Theaterstücks einen römischen Hintergrund, spricht man von einer fabula togata.[47] So führte seit 235 v.Chr. Cn. Naevius aus Kampanien Komödien mit Anspielung auf römische Verhältnisse.[48] Die Komödien des Kalabresen Q. Ennius (239-169 v.Chr.) waren eher unbedeutend. Statius Caecilius (Kelte, 220-168) hielt sich in seinen Komödien eng an die griechischen Originale, v.a. Menander. Noch enger an der griechischen Vorlage orientierte sich der Libyer Terenz (ab 160). 103 stirbt mit Turpilius der letzte Lustspielschreiber, der als „namhafter lateinischer Nachdichter griechischer Komödien“ in Erscheinung getreten ist.

Parallel hierzu muß immer auch an einen Einfluß durch Mimus und Atellana gedacht werden, denn durch den Bau der Via Appia setzte ein direkter „Zustrom mimischer Darsteller aus dem hellenisierten Osten und Orient“ ein.[49] Durch die Begegnung mit dem politisch und wirtschaftlich aufstrebenden Rom erhielten diese ihrerseits wieder einen neuen, „für ihre weitere Geschichte entscheidenden Impuls“.[50]

Die Aufführungen fanden zumeist – wie schon die des Livius Andronicus – im Rahmen des Götterkultes statt. Zu Plautus' Zeiten gab es vier große Feste, an denen Lustspiele aufgeführt wurden: die bereits erwähnten ludi Romani (September), die ludi plebei (November), die ludi Apollinares (Juli), die Megalensia (April), außerdem die nichtregelmäßigen ludi triumphales, die ludi votivi (bei Tempeleinweihungen) und die ludi funebres.

2.4 Der plautinische Spagat zwischen griechischer und italischer Lustspieltradition

Das Nebeneinander von mündlicher italischer Stegreiftradition (Mimus und Atellana) und aus dem Griechischen importiertem Literaturtheater war gegenseitig befruchtend, aber durchaus nicht unproblematisch. Terenz' Hecyra fiel gleich zweimal beim Publikum durch, welches sich lieber den derben Jahrmarktsvorstellungen zuwandte, die es unterhaltsamer fand, und Terenz' Stück noch während der Aufführung verließ.[51] Zwar war es hier nicht gerade ein Stegreifspiel an der nächsten Straßenkreuzung, die dem um möglichst große Nähe am griechischen Original bemühten Terenz den Rang ablief, aber eine Konkurrenzsituation beider Theaterformen läßt sich leicht vorstellen. Das römische Volk hatte nun einmal kein „über die Jahrhunderte hin geschultes Kunstverständnis“[52] wie die Griechen und konnte den subtilen literarischen Kunstgriffen der attischen Komödie keinen Unterhaltungswert abgewinnen.

Daher war für eine publikumswirksame Umsetzung der griechischen Vorlagen viel Fingerspitzengefühl gefragt: es ging darum, die richtige Mischung zwischen anspruchsvoller griechischer Handlungsführung und dem gewissen Etwas an Show-Effekt, das die Römer so liebten, im Werk zu finden. Daß Plautus dazu bei der Bearbeitung des attischen Literaturtheaters auch auf Elemente des beliebten subliterarischen Stegreifspiels zurückgreift, ist denkbar. G. Vogt-Spira jedenfalls stellt folgende These auf: „Plautus stellt eine spezifische Synthese einer schriftlichen griechischen und einer mündlichen italischen Theatertradition dar.“[53] Da zahlreiche Formen des Stegreifspiels weiterexistierten, weist Vogt-Spira auf das „Nebeneinander von Mündlichkeit und Schriftlichkeit“ hin,[54] das zu einer bewußten Differenzierung zwischen schriftlichem Drama und schriftloser Theatertradition führte. Dies zeige sich, wie der Forscher überzeugend darlegt, in der Thematisierung von Schrift (Scherze über Gestalt und Anordnung von Buchstaben),[55] von dem Erwerb der Lesefähigkeit und in Buchstabenwitzen[56] als Reflex jenes kulturellen Umbruchsprozesses.

[...]


[1] Gellius VI, 17,4 – zitiert aus: K. von Reinhardstoettner, Plautus. Spätere Bearbeitungen plautinischer Lustspiele. Ein Beitrag zur vergleichenden Literaturgeschichte. Leipzig 1886:14.

[2] E. Lefèvre, Römische und europäische Komödie. in: Ders. Die römische Komödie: Plautus und Terenz:5ff.

[3] H. Diller, Die Komposition von Terenz' Adelphen und Plautus' Rudens. Leipzig 1934 (Philologus. Suppl. Bd. 26, H. 2), S. 41.

[4] E. Fraenkel, „Plautinisches im Plautus“ in: Philologische Studien 28, 1922, Berlin, zitiert nach: P. Riemer, Das Spiel im Spiel. Studien zum Plautinischen Agon in Trimummus und Rudens. Stuttgart, Leipzig 1996 (Beiträge zur Altertumskunde 75) Zugl.: Köln, Univ., Habil.-Schr., 1993):12.

[5] W. Buchwald, Tusculum-Lexikon griechischer und römischer Autoren der Antike und des Mittelalters. München 1963, s.v. Plautus.

[6] Anhand der Angabe Ciceros (Cato 50), Plautus habe den 191 v.Chr. aufgeführten Pseudolus und den Truculentus als senex geschrieben (E. Lefèvre, „Plautus“ in: Cancik, H. /Schneider, H. (Hrsg.), Der Neue Pauly, Bd. 9, Stuttgart, Weimar 2000, Bd. 9:1120ff.).

[7] A. Thierfelder (T. Maccius Plautus, Rudens, Textbearbeitung, Einleitung und Eigennamenverzeichnis von, Heidelberg 21962:6).

[8] L. Benz, „Die römisch-italische Stegreifspieltradition zur Zeit der Palliata“ in: Benz, l./ Stärk, E./ Vogt-Spira, G. (Hrsg.), Plautus und die Tradition des Stegreifspiels. Tübingen 1995 (ScriptOralia: 75. Reihe A, Altertumswissenschaftliche Reihe. Bd. 19), 144.

[9] E. Lefèvre, „Plautus“ in: Cancik, H. /Schneider, H. (Hrsg.), Der Neue Pauly, Bd. 9, Stuttgart, Weimar 2000, Bd. 9:1118.

[10] Thierfelder, op.cit.:7

[11] Lefèvre, Plautus:1118.

[12] Thierfelder, op.cit.:7. Varro muß seine Aussagen in seinem nicht oder nur fragmentarisch überlieferten Werk De poetis (Gellius 3,3,14) getroffen haben. Die genaue Stelle, auf die er sich bezog, ließ sich jedoch in den spärlich erhaltenen Fragmenten nicht finden.

[13] Buchwald, op.cit., s.v. Plautus.

[14] Thierfelder, op.cit.:8.

[15] B. Harms, Catilinae Coniuratio. Lehrerkommentar. Mainz 21965:4.

[16] Ders.:2.

[17] Ders.:4.

[18] E. Norden, „Die antike Kunstprosa vom 6. Jahrhundert bis in die Zeit der Renaissance“ in: McGushin, A. D., Form und Sinn – Studien zur römischen Literatur (1954-1984). Frankfurt a.M. 1985:14 (Ersterscheinung als Monographie in Leipzig u.a. 1898 (21909).

[19] Benz, op.cit.:139.

[20] Zimmermann, B.: Die griechische Komödie. Düsseldorf, Zürich 1998:9f.. Auf ihn gehen auch die folgenden Ausführungen zurück.

[21] Ders.:12.

[22] Ders.:62.

[23] Ders.:63.

[24] Ders.:63.

[25] Ders.:64.

[26] Zimmermann, op.cit.:65.

[27] ders.:67.

[28] Benz, op.cit.:139f. Die nun folgenden Gedanken gehen v.a. auf diesen Aufsatz zurück.

[29] dies.:139.

[30] dies.:140.

[31] Ebd.

[32] Ebd.

[33] dies.:141.

[34] dies.:142.

[35] dies.:143.

[36] J. Blänsdorf, „Atellana fabula“ in: Cancik, H. /Schneider, H. (Hrsg.), Der Neue Pauly, Stuttgart, Weimar 2000, Bd. 1:152.

[37] Benz, op.cit.:145.

[38] Benz, op.cit.:143.

[39] Blänsdorf, op.cit.:152 und Benz, op.cit.:148.

[40] Benz, op.cit.:149.

[41] Blänsdorf, op.cit.:152.

[42] Benz, op.cit.:146f.

[43] Benz, op.cit.:146.

[44] H.-D. Blume, Einführung in das antike Theaterwesen, Darmstadt 21984:108, zit. in: Benz, op.cit.:146.

[45] Lefèvre, „Komödie“ in: Cancik, H. /Schneider, H. (Hrsg.), Der Neue Pauly, Bd. 6, Stuttgart, Weimar 2000:701.

[46] Blänsdorf, op.cit.:151.

[47] Thierfelder, op.cit.:7.

[48] Ders.:7. Hierauf gehen die anschließenden Informationen zu den römischen Komödienautoren zurück.

[49] Benz, op.cit.:148f.

[50] Benz, op.cit.:147.

[51] G. Vogt-Spira, „Plautus und die Überwindung des Stegreifspiels“ in: Benz, l./ Stärk, E./ Vogt-Spira, G. (Hrsg.), Plautus und die Tradition des Stegreifspiels. Tübingen 1995 (ScriptOralia: Reihe A, Altertumswissenschaftliche Reihe; 75), S. 236.

[52] Benz, op.cit.:152.

[53] Vogt-Spira, op.cit.: 229.

[54] Ebd.

[55] Ders. führt hierzu (S. 231) Bacchides 935f. u. 941f.:

Nam ego has tabellas opsigantas, consignatas quas fero

non sunt tabellae, sed equos quem misere Achiui ligneum.

[...]

tum quae hic sunt scriptae litterae, hoc in equo insunt milites

armati atque animati probe, ita res successit mi usque adhuc.

[56] Als Beispiel führt Vogt-Spira, op.cit., Rudens 1304-1306 an: auf die Frage des Sklaven, ob er ein medicus sei, antwortet Labrax, er sei „ein Buchstabe mehr als ein medicus“, worauf der Sklave „messerscharf“ (Ders., op.cit.:232) schließt, dann sei er ein mendicus.

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Details

Titel
Zu: Titus Maccius Plautus - Rudens
Untertitel
Verse 185 - 289
Hochschule
Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg  (Seminar für Klassische Philologie)
Veranstaltung
Plautus - Rudens
Note
1,5
Autor
Jahr
2001
Seiten
37
Katalognummer
V82969
ISBN (eBook)
9783638896788
ISBN (Buch)
9783638904940
Dateigröße
740 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Titus, Maccius, Plautus, Rudens, Plautus, Rudens
Arbeit zitieren
Kai-Uwe Heinz (Autor:in), 2001, Zu: Titus Maccius Plautus - Rudens, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/82969

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