Vulgärlatein

Ein kurzer Überblick


Seminararbeit, 1995

15 Seiten, Note: 2,0


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Vorbemerkungen

2. Definition
2.1 Beschreibung des Vulgärlateins
2.2 Phonetik
2.3 Morphologie
2.4 Syntax
2.5 Lexik des Vulgärlateins

3. Quellen des Vulgärlateins

4. Schaubilder

5. Bibliographie

1.0 Vorbemerkungen

Im Umgang mit den romanischen Sprachen stößt der Interessierte immer wieder auf die Frage nach deren Ursprung. Man weiß von den Texten Ciceros in klassischem Latein und begreift die Ähnlichkeiten des klassischen Lateins mit den romanischen Sprachen, die, wie ich meine, beim Italienischen besonders deutlich ist. Und doch scheint die Kluft zwischen beiden zu groß, als daß die Existenz des klassischen Lateins die Frage nach dem Ursprung der romanischen Sprachen ausreichend beantworten könnte. Beim weiteren Forschen begegnet einem schließlich der Begriff Vulgärlatein als ihr Urmaterial, als "langue mère" der romanischen Sprachen.

Mein Vorhaben wird es sein, mich in dem Rahmen einer Hausarbeit mit dem Begriff des Vulgärlateins auseinanderzusetzen, um den fremden Begriff mit einer möglichst genauen Vorstellung zu besetzen. Dazu werde ich zunächst versuchen, den Terminus Vulgärlatein zu definieren, wobei die Definition seitens der klassischen Autoren, zu deren Zeiten dieses Phänomen sehr wohl schon wahrgenommen wurde, genauso beschrieben wird wie die Sicht der modernen Sprachwissenschaft. Abschließend wird auf die Quellen des Vulgärlateins eingegangen werden, die uns erst die Kenntnis dieser Sprache erschließt.

2.0 Definition

Die Sprachdiskussion um das Vulgärlatein ist schon sehr alt. So finden sich schon bei Cicero Stellen, in denen er den Niveau-Unterschied zwischen geschriebener und gesprochener Sprache aufzeigt. Die zur Beschreibung der gesprochenen Sprache von ihm gewählten Begriffe können als erste Definitionen begriffen werden. Cicero spricht in einem Privatbrief von dem familiaris sermo (Sprache, besser: Sprachregister in der Familie)[1], an anderer Stelle heißt es: plebeius sermo oder auch vulgaris sermo[2] . Wie die Begriffe oppidanum genus dicendi (die Art des Sprechens auf dem Lande)und rusticus sermo (Hieronymus), rustica vox, rusticum vocabulum, sonus subagrestis[3] andeuten, wurde der Niveau-Unterschied der Sprache auf den Gegensatz Stadt-Land zurückgeführt: daher die Begriffe rusticitas und (als deren Gegenüber) urbanitas[4]. Dieses Gegensatzpaar führte jedoch oft zu dem Fehlschluß, das Latein der gebildeten Städter stehe dem der Landbevölkerung und unteren Volksschichten entgegen, wodurch heute oft Vulgärlatein als "Pöbelsprache" mißverstanden wird. Dagegen beschreiben die Begriffe quotidianus (alltäglich) und usualis sermo (gewöhnlich)[5] das Phänomen viel besser. Vulgärlatein ist nicht das Latein nur des einfachen Volks, vielmehr ist es auch Sprache der Vertreter des "reinen" Lateins wie Cicero, wie sie im Alltag, in gewöhnlichen Situationen (keine offiziellen Anlässe, z.B. in seinen Epistulae ad Familiares) Ausdruck findet.

In der modernen Sprachwissenschaft stießen sich die Autoren, die sich mit Vulgärlatein beschäftigen, an dem Attribut Vulgär- und suchten deshalb nach einer neuen, weniger mißverständlichen Definition: so "das gesprochene Latein", das "sogenannte Vulgärlatein" (z.B. bei Tagliavini, Coseriu), "Umgangslatein"(G. Reichenkron) oder "Sprechlatein (Spontansprache)" (H. Lüdtke)[6]. Auch die synchrone Sprachwissenschaft hat sich um Definitionen bemüht: sie spricht vom "gemeinsamen Romanisch (roman commun)" oder vom "Protoromanischen"[7].

An der Vielfalt der Definitionsversuche erkennen wir die Schwierigkeit, den Begriff Vulgärlatein genau zu fassen. Einar Löfstedt, den Väänänen in seiner Introduction zitiert bringt die Problematik auf den Punkt: "En réalité, on ne viendra jamais à bout de définir le latin vulgaire de facon logique, incontestable et adéquate"[8].

Entgültig tritt der Abwertung des Vulgärlatein als Abglanz des Lateins Väänänen selbst entgegen, indem er das Latein unter einem ganz neuen Aspekt betrachtet und somit dessen Ideal völlig relativiert: "En effet, le latin, sous tous ses aspects, n'est qu'une t r a n s i t i o n [v. Verf. hervorgehoben] entre deux états de langue, l'indo-européen et le roman"[9].

Betrachten wir das Latein als im Wandel begriffene Übergangstufe, so ergibt sich auch für das Vulgärlatein eine entwicklungsbedingte Wandelbarkeit. Geckeler und Kattenbusch schreiben in ihrer Einführung in die romanischen Sprachen bezüglich der Frage der Einheitlichkeit des Vulgärlateins: "In der älteren Forschung (so z.B. von E. Bourciez, H.F. Miller, z.T. auch von A. Meillet) wurde häufig die Behauptung vertreten, das Vulgärlatein sei eine einheitliche Sprache gewesen. In der neueren Literatur wird dagegen der nichteinheitliche Charakter des Vulgärlateins hervorgehoben, so z.B. von G. Rohlfs, G. Straka, C. Tagliavini, B.E. Vidos ..."[10]

Die Uneinheitlichkeit wird an mehreren Faktoren festgemacht:

Zum einen trugen dazu diatopische (d.h. regionale) Faktoren bei: Die breite geographische Verbreitung des Vulgärlateins im Imperium Romanum schuf natürlich Differenzierungsunterschiede, z.B. zwischen dem gesprochenen Latein in Mittel- und Süditalien und dem in Gallien. Man berücksichtige hierbei Substrat-, Superstrat- und Adstratwirkung.

Außerdem spielten diastratische (d.h. soziokulturelle) Faktoren eine Rolle: "Die Kolonisierung der verschiedenen Provinzen erfolgte durch unterschiedliche soziale Gruppen mit unterschiedlichem Bildungsstand"[11], was natürlich nicht ohne Einfluß auf die Sprache bleibt.

Schließlich die diaphasischen (d.h. stilistischen) Faktoren: Die Wortwahl richtete sich nach Redeabsicht, Redesituation und Adressat, wobei auch soziokulturelle Faktoren mit hineinspielen konnten. Schaubild 1 demonstriert das Zusammenspiel diastratischer/ diaphasischer und diatopischer Faktoren in der Entwicklung des Vulgärlateins, die schließlich zur Ausdifferenzierung in 10 romanische Sprachen führte.

Da mit fortschreitender Zeit sich das gesprochene Latein wandelte, sind auch chronologische Faktoren nicht zu vernachlässigen: Sizilien z.B. wurde schon 241 v.Chr. zur römischen Provinz, somit setzte die Romanisierung hier sehr früh ein. Dagegen wurde z.B. Dakien erst 300 Jahre später, nämlich 107 n.Chr.[12] zur römischen Provinz, so daß nicht nur die Phase der Romanisierung beider Gebiete zeitlich verschieden lang war, sondern auch das gesprochene Latein 200 v.Chr. in einem anderen Entwicklungszustand war als 100 n.Chr. (zu chronologischem Aspekt siehe Schaubild 2).

Trotz aller genannten Faktoren und der dadurch bedingten Unterschiedlichkeit des gesprochenen Lateins, so sagt B. E. Vidos, mußte das Vulgärlatein, "um die Funktion der Umgangssprache des römischen Reiches erfüllen zu können", eine "gewisse Homogenität"[13] aufweisen.

[...]


[1] CICERO, Fam. IX 21 aus Tagliavini, C.: Einführung in die romanische Philologie. München 1973, S. 159 Fußnote 3.

[2] CIC. Brut. LXIX, 242 und Epp. ad famm. IX aus Schuchhardt, H.: Der Vokalismus des Vulgärlateins Band I, Leipzig 1866, S. 102.

[3] ibid., S. 102 .

[4] Väänänen, V.: Introduction au Latin Vulgaire, Paris 1967, S.5.

[5] Schuchhardt, S. 102f.

[6] Geckeler/ Kattenbusch: Einführung in die italienische Sprachwissenschaft, Tübingen 1987, S. 110.

[7] Väänänen, Introduction S. 5.

[8] ibid., S. 3.

[9] ibid., S. 4.

[10] Geckeler/ Kattenbusch, S. 112.

[11] Geckeler/ Kattenbusch, S.112.

[12] ibid., S. 108.

[13] Vidos,B.E.: Handbuch der romanischen Sprachwissenschaft, München 1975, S. 229.

Ende der Leseprobe aus 15 Seiten

Details

Titel
Vulgärlatein
Untertitel
Ein kurzer Überblick
Hochschule
Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg  (Romanisches Seminar)
Veranstaltung
Einführung ins Altitalienische
Note
2,0
Autor
Jahr
1995
Seiten
15
Katalognummer
V82973
ISBN (eBook)
9783638896863
ISBN (Buch)
9783638904995
Dateigröße
670 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Vulgärlatein, Einführung, Altitalienische
Arbeit zitieren
Kai-Uwe Heinz (Autor:in), 1995, Vulgärlatein, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/82973

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