Ein Literaturthesaurus kann nicht das Ergebnis einer wissenschaftlichen Klärung der in ihm enthaltenen Begriffe sein, sondern er muss dieser vorangehen. Es erscheint praktischer, Explikationen literarischer Begriffe in einer Datenbank zu speichern, die etwa einer Universitätsbibliothek angeschlossen wäre und von der dortigen literaturwissenschaftlichen Abteilung "verwaltet" würde. Von dort aus wäre die Information jederzeit abrufbar, entweder postalisch übermittelt, oder von Computer zu Computer. Die Grundlage einer solchen Sammlung von ständig revidierten Definitionen mit periodisch ergänzten Literaturangaben könnte ein Literaturthesaurus (der auch in Buchform erhältlich wäre) sein. Er würde sozusagen das (selbst immer wieder revidierte und vervollständigte) "Gerüst" abgeben, dessen "slots" je nach vorhandenen Experten nach einem festgelegten Format allmählich mit Explikationen "gefüllt" würden. Der Experte, der für die jeweilige Definition des Begriffs verantwortlich zeichnet, könnte auch dazu verpflichtet werden, die Literaturangaben auf dem neuesten Stand zu halten. Nach und nach würde es sich einbürgern, dass literaturwissenschaftliche Arbeiten, die sich nicht ausdrücklich von der Sprachfestlegung in der Datenbank absetzen und diese durch eine neue ersetzen, in ihrer Begriffsverwendung auf die Definition der Datenbank bezogen würden. Auf diese Weise könnte sich allmählich eine gewisse Einheitlichkeit der Terminologie durchsetzen. Und nur in diesem (mittelbaren) Sinne könnte ein Literaturthesaurus tatsächlich zur "Verwissenschaftlichung“ der literaturwissenschaftlichen Begriffe beitragen.
Ein (digitalisierter) Thesaurus der Literaturwissenschaft?
Wolfgang Ruttkowski
Wie I. A. Richards in seiner Einleitung zu Roget's Pocket Thesaurus [i] gesagt hat, ist ein Thesaurus "das Gegenteil eines Wörterbuchs. Man greift zum Wörterbuch, wenn man ein Wort hat, aber nicht ganz sicher ist, was es bedeutet [...] Man greift zum Thesaurus, wenn man schon die Bedeutung im Sinn hat, jedoch noch nicht das passende Wort. Es mag einem auf der Zungenspitze liegen [...] aber man hat es noch nicht parat. Es ist wie das fehlende Wort eines Kreuzworträtsels. Man spürt genau, dass andere Worte, die man durchprobiert, den Sinn nicht genau treffen [...] Sie sagen zu viel oder zu wenig, sind zu banal oder zu pompös, zu wohlwollend oder zu abwertend. Aber das Wort, das gerade passt, stellt sich nicht ein. Dann greift man zum Thesaurus." - Diese Begründung, die sich auch in dem bekannten Buchtitel "Word Power Made Easy"[ii] andeutet, hat wahrscheinlich vor mehr als 130 Jahren die Zusammenstellung des ersten Thesaurus[iii] motiviert.*
Im Finden des passenden Wortes liegt jedoch nicht sein einziger Sinn. Denn diese Aufgabe erfüllt auch ein Synonymenlexikon[iv]. Vor allem macht ein echter Thesaurus (wie der von Roget in seinen vielen Überarbeitungen und Neuauflagen) den Begriffsschatz einer Sprache erst übersicht1ich. Das gilt noch viel mehr für den Begriffsschatz einer einzelnen Disziplin, besonders der Literaturwissenschaft, die seit langem an der „Unwissenschaftlichkeit“ ihrer Terminologie leidet[v].
Nun gibt es bereits viele Literaturlexika, auch solche, die sich auf die Sachbegriffe spezialisieren[vi], jedoch noch keinen Thesaurus der Literaturwissenschaft[vii]. Der Grund dafür ist wahrscheinlich, dass man meint, man müsse den Wildwuchs literarischer Sachbegriffe aus vielen Jahrhunderten erst logisch-systematisch durchleuchten, vieldeutige Begriffe auf einen Sinn festlegen, unklare klären oder durch bessere ersetzen, sich überschneidende klar voneinander abgrenzen, bevor man den Begriffsschatz geordnet in einem Thesaurus anbieten könne. - Darauf wäre zu erwidern, dass auch das Vokabular eines allgemeinen Thesaurus irgendeiner Sprache nicht systematisch entwickelt worden ist und sich deshalb nicht völlig befriedigend nach logischen Gesichtspunkten anordnen lässt. - Außerdem könnte man dann die Hoffnung auf einen literaturwissenschaftlichen Thesaurus gleich begraben. Denn es ist zweifelhaft, ob sich die vielen konkurrierenden Richtungen und Schulen der Literaturwissenschaft jemals auf eine Terminologie einigen und festlegen lassen werden. - Und selbst wenn das erreichbar wäre, bestünde dann immer noch die überwiegende Mehrzahl aller Konzepte aus sogenannten "historischen"[viii], deren Bedeutungen sich häufig in jahrhundertlanger Entwicklung verschoben und überlagert haben[ix]. Hier helfen selbst Einigkeit und guter Wille nicht. In diesem Synonymendschungel kommt der Literaturwissenschaftler nicht darum herum, die meisten seiner Begriffe jeweils für den Gebrauch festzulegen. - Schließlich könnte man geltend machen, dass gerade ein Thesaurus als Grundlage für eine wenigstens tei1weise Vereinheitlichung unserer Terminologie dienen könnte. Bevor man Ordnung schaffen kann, muss man ein Gebiet überschauen. Und insofern sich die Literaturwissenschaft in ihrem Begriffsschatz spiegelt, ist ein Thesaurus das vorzüglichste Instrument, sie in allen ihren Verzweigungen und Teilaspekten überschaubar zu machen. Denn die existierenden Handbücher bieten ja nur die Begriffe, die in ihr jeweiliges Programm passen. Die Sachwörterbücher hingegen stellen die Begriffe nicht systematisch sondern alphabetisch zusammen.
Die Unterschlagung von bereits existierenden Begriffen, die den Herausgebern unklar oder überflüssig vorkommen, widerspräche geradezu der traditionellen Aufgabe eines Thesaurus. Besonders für ein begrenztes Gebiet wie die Literaturwissenschaft wäre unbedingt Vollständigkeit anzustreben. Am stärksten abzulehnen ist die Übergehung von Begriffen aus politischen oder weltanschaulichen Gründen[x]. Wer wertenden Tendenzen nachgibt, seien sie politisch oder wissenschaftlich motiviert, beraubt einen Thesaurus gerade seiner Möglichkeit, als Grundlage für den Methoden- und Terminologiestreit zwischen den verschiedenen Schulen zu dienen.
Es fragt sich jedoch, ob es sich noch lohnt, einen Thesaurus der Literaturwissenschaft nur in einer Sprache herzustellen. Der eben erwähnte Methodenstreit wird nämlich zunehmend auf internationaler Ebene[xi], zumindest auf europäischer, ausgetragen; wenn es auch nicht zu leugnen ist, dass die Deutschen sich an theoretischen Auseinandersetzungen mit besonderem Eifer beteiligen. Vergleichende Gesichtspunkte setzen sich immer mehr durch. Maßgebende Werke werden sofort übersetzt. Die nationalen Philologien streifen ihre Provinzialität ab, auch wo sie weiterhin regionale Phänomene untersuchen. - Ich habe an anderer Stelle[xii] zu zeigen versucht, mit welchen Schwierigkeiten die Komparatistik rechnen muss, sobald sie über den "westlichen" (europäisch-amerikanischen) Bereich hinausschaut. Innerha1b der europäischen Literaturwissenschaft ist jedoch ein Vergleich und eine allmähliche Angleichung der Terminologien nicht nur wünschenswert, sondern auch im Prinzip möglich.[xiii]
Die praktische Gestaltung eines europäischen Literaturthesaurus ist jedoch eine andere Frage. Es scheint unmöglich zu sein, einen sorgfältig gearbeiteten Thesaurus mehrsprachig in einem Band anzulegen, etwa nach Art unseres Nomenclator Das notwendige Verweisungssystem von jedem Begriff auf die entsprechenden der anderen Sprachen müsste zu kompliziert ausfallen, als dass ein solches Buch noch praktisch wäre. - In ihrer deutschen Fassung von Rogets Thesaurus[xiv] sind Wehrle/Eggers so eng wie möglich dessen Gliederung gefolgt, um u. a. einen Vergleich des Wortschatzes der beiden Sprachen zu ermöglichen. Sie haben damit eine noch bei weitem nicht ausgeschöpfte Fundgrube für die vergleichende Linguistik geschaffen. Denn diese interessiert sich bekanntlich u. a. dafür, für welche Lebensbereiche verschiedene Sprachen ein besonders differenziertes Vokabular entwickelt haben - und wie dieses jeweils im Einzelnen beschaffen ist. - Damit wäre auch für einen Literatur thesaurus eine Möglichkeit internationaler Begriffsverarbeitung angedeutet: jeweils verschiedene nationale Teams bearbeiten getrennte Thesauri, denen jedoch ein einheitliches Eintei1ungsschema zugrundegelegt wird, welches sie vergleichbar macht. Dieses muss deshalb so undogmatisch und flexibel wie möglich sein, damit es von anderen nationalen Literaturthesauri übernommen werden kann. Es ist noch nicht einmal notwendig, dass die Numerierung der Begriffsgruppen nachgeahmt wird, obwohl das die vergleichende Analyse sehr erleichtern würde. Wenn zumindest das System zugrundegelegt würde, könnte der Interessierte leicht die entsprechenden Gruppen finden und damit die Terminologien bis in einzelne Begriffskomplexe hinein vergleichen.
Alle echten Thesauri bestehen aus zwei Teilen: dem systematischen, in dem Begriffe in Wortkomplexen oder -feldern angeordnet werden, und dem Index, in dem sie nochmals in alphabetischer Reihenfolge erscheinen, die mehrsinnigen in ihre Bedeutungsschattierungen (mit entsprechenden Gruppennummern) aufgefächert. Der systematische Teil dient also (in Dornseiffs Worten) der "Bezeichnislehre", der alphabetische der "Bedeutungslehre“.
Definitionen und Erläuterungen kann jedoch ein Thesaurus nicht geben. Dafür ist kein Platz. - Jedoch wäre zu überlegen, ob nicht durch ein abgekürztes Verweisungssystem auf die entsprechenden Artikel in den gängigsten- Literaturlexika (letzte Auflage) hingewiesen werden könnte. Das Mitarbeiterteam müsste also gleich zu Arbeitsbeginn eine Liste der ergiebigsten Nachschlagewerke erstellen und sich auf Abkürzungen einigen (je öfter das Werk zitiert wird, desto kürzer sollte möglichst die Sigle sein), die nach jedem Begriff zusammen mit der Seitenzahl aufgeführt werden. Für häufig gebrauchte Begriffe ("Novelle" oder "Sonett") sind diese Hinweise fast entbehrlich, es sei denn, man wolle mit ihnen auf besonders gute Definitionen aufmerksam machen. Für weniger bekannte aber (wie „Innere Form"oder "Schachzabelbuch") sind sie äußerst nützlich. Sie machen diesen Thesaurus zugleich zu einem "Wörterbuch der Wörterbücher" (Bisher gab es nur eine "Bibliographie der Bibliographien").
Unser Handbuch müsste also folgendes zugleich sein: 1. ein echter Thesaurus, d. h. nicht nur ein Synonymenlexikon, sondern ein Werk, das erstmalig einen vollständigen Überb1ick über den gesamten Begriffsschatz der deutschen Literaturwissenschaft ermöglicht; 2. das bisher umfassendste Literaturwörterbuch[xv], welches in seinem Index zugleich ein Homonymenlexikon der Literaturwissenschaft bietet; 3. das erste "Lexikon der Lexika", dessen Siglen-Verweise nach jedem Begriff auf die besten Definitionen verweisen.
Rogets erster Thesaurus wurde erst dadurch ermöglicht, dass es dem Verfasser gelang, den gesamten englischen Wortschatz seiner Zeit in sechs großen Gruppen unterzubringen und ihn innerhalb dieser in 1000 Untergruppen wiederum so zu verteilen, dass die Benutzer seines Werkes nach kürzester Zeit die gewünschten Begriffsfelder ohne die Hilfe des Index finden konnten. Das bedeutet, dass sein viel bewundertes Schema zugleich logisch und einfach genug war, um von Durchschnittsmenschen verstanden zu werden. Je weniger Schubfächer der Benutzer angeboten bekommt, umso schneller wird er lernen, sofort das richtige zu öffnen. -
Lässt sich ein solches System für die Literaturwissenschaft finden? - Und wo schauen wir nach Vorbildern? - Es ist klar, dass ein Thesaurus, der besonders für Gelehrte und Studenten gedacht ist, zuerst auf seine innere Konsistenz und "Logik" geprüft werden wird. Das Einteilungssystem muss deshalb vom Mitarbeiterstab sorgfältig diskutiert werden. Denn wenn es einmal etabliert worden ist, muss sich jeder daran halten. - Eine vergleichende Prüfung der Inhaltsverzeichnisse von Handbüchern und Einführungen[xvi], aus denen man ein solches Einteilungssystem des Fachgebiets entnehmen möchte, ergibt bald, dass alle Darstellungen jeweils etwas andere Gliederungen entwerfen, ohne dass der Inhalt der einzelnen Abschnitte durch diese zunächst beeinflusst wird. Es ist ebenso denkbar, dass zwei Literaturwissenschaftler mit ganz verschiedener Einstellung und Methode eine ähnliche Stoffanordnung wählen, wie dass zwei andere, die sich im "approach" vollkommen einig sind, ihre Darstellungen verschieden anordnen. Es kommt also mehr auf praktische Gesichtspunkte für das Ordnungsschema an, die uns erlauben, alle vorhandenen Begriffe übersichtlich unterzubringen. Und auf diese wird sich auch jeder Mitarbeiterstab leichter einigen können.
Um allen theoretischen Problemen aus dem Wege zu gehen und ein möglichst flexibles und zugleich einfaches System zu erstellen, schlage ich ein „Koordinatensystem" ergiebiger Einteilungskategorien vor, die zu mannigfachen Gruppen kombiniert werden können. Es bestünde einerseits aus zwei Hauptaspekten allgemeinster Art (I. dem allgemeinen oder theoretischen und II. dem speziellen oder historischen). Diese schneiden sich mit höchstens zwanzig Interessenrichtungen und den ihnen entsprechenden Methoden, etwa A. Literaturtheorie bezw. Poetik, B. Literaturphilosophie, C. Literaturmethodologie bezw. Methodologie literaturwissenschaftlicher Forschung, wozu auch Fachterminologie und Fachrichtungen gehören, D. Literaturdidaktik, E. Literaturgeschichte, wozu auch die Epochenbegriffe, Schulen etc. gehören, F. Literaturproduktion, G. Literaturrezeption, H. Literaturvermittlung, I. Literatursoziologie und Soziologie der Literatur, J. Literaturpsychologie, K. Literatur und Folklore, L. Biographik, M. Philologie im engeren Sinn als Quellenforschung, Textgeschichte etc., N. Gattung, 0. Stil/Rhetorik/Struktur, P. Metrik, Q. Stoff und Motiv, R. Gehalt/Ideen/Probleme/Weltanschauung. Allenfalls könnte noch eine zeitliche Einteilung folgen; am besten schlicht nach Jahrhunderten, um der Problematik der Epochenbegriffe aus dem Wege zu gehen.
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* Zuerst erschienen in Acta Humanistica et Scientifica Universitatis Sangio Kyotiensis XVI/4 Humanities Series No. 14 (March 1987) 326-352.
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[i] Ed. C. 0. S. Mawson, New York: Crowell 1922; Pocket Books 1946, 781 967. Zitat in meiner Übersetzung
[ii] von Norman Lewis. New York: Permabook M 4020. Mehr als eine Million Exemplare wurden davon verkauft.
[iii] Peter Mark Roget. Thesaurus of English Words and Phrases Classified and Arranged so as to Facilitate the Expression of Ideas and Assist in Literary Composition. 1852. jetzt in immer neuen Auflagen als Roget's International Thesaurus (mit mehr als 200,000 Wörtern und Redewendungen) und in abgekürzter Form als Roget's Pocket Thesaurus. Deutsche Bearbeitung von H. Schlessing, Deutscher Wortschatz 1881; seit ca. 1911 herausgegeben von Hugo Wehrle, seit 1961 von Hans Eggers (ca. 120,000 Wörter und Redewendungen). Stuttgart: Ernst Klett 12. Aufl. 1961. - Der bedeutendste Konkurrent für Wehrle-Eggers ist das gleich umfangreiche Buch von Franz Dornseiff, Der Deutsche Wortschatz nach Sachgruppen, Berlin: De Gruyter 1933, 6. Aufl. 1965.
[iv] z. B. Sag' es treffender von A. M. Textor. Überarbeitete Aufl. Berlin: Dt. Buchgemeinschaft 1973.
[v] Über dieses Thema gibt es mittlerweile eine ganze Literatur. Vom 2.-5. Sept. 1986 fand an der Universität Würzburg ein von der Deutschen Forschungsgemeinschaft veranstaltetes Symposium über Probleme der Literaturterminologie statt. Der Berichtsband enthält eine umfassende Bibliographie zu diesem Thema. (Hg. Christian Wagenknecht: Zur Terminologie der Literaturwissenschaft, 1986).
Die Literatur zum Thema "Fachsprachen" ist in den letzten Jahren riesig angewachsen. Zur Einführung mögen die Auswahlbibliographien in R. Fluck: Fachsprachen (München 1976) und W. v. Hahn, Hg.: Fachsprachen (Darmstadt 1981) dienen, sowie die Informationen in der Zeitschrift Fachsprache. Nützlich sind auch die Beiträge in dem von Heinrich P. Kelz herausgegebenen Tagungsbericht Fachsprache Sprachanalyse und Vermittlungsmethoden. (Bonn: Dümmlerbuch 6302, 1983) sowie in der von Theo Bungarten herausgegebenen Anthologie Wissenschaftssprache. Beiträge zur Methodologie, theoretischen Fundierung und Deskription (München 1981).
[vi] In meinem Nomenclator Litterarius (Bern-München: Francke 1980, Sn. 363-371) befindet sich ein internationales Verzeichnis von Sachwörterbüchern der Literaturwissenschaft mit Angaben über die Anzahl der in den aufgeführten Werken enthaltenen Begriffe.
[vii] Claus Friedrich Köpp, der sein umfangreiches Buch, Literaturwissenschaft; Literaturwissenschaftstheorie, Forschungssystematik und Fachsprache (Berlin: Akademie-Verlag 1980) als umfassenden Versuch der Vorbereitung eines verbindlichen literaturwissenschaftlichen Thesaurus versteht, bezeichnete mein kleines Literaturwörterbuch (München-Bern: Francke 1969) als "ersten Thesaurus der Literaturwissenschaft" (S. 371). Ein so hohes Ziel hatte ich mir damals nicht gesteckt. Ich hatte lediglich systematisch angeordnete Listen immer wieder gebrauchter Begriffe in drei Sprachen, die ich ursprünglich für meine amerikanischen Komparatistik-Studenten entworfen hatte, ein wenig erweitert und veröffentlicht, - als praktische Studienhilfe und nichts weiter. Deshalb mussten Köpp und andere auch viele theoretische und methodologische Begriffe vermissen, die man eben in amerikanischen Literaturseminaren damals nicht brauchte, ja tunlichst vermied, wenn man sich nicht mit leeren Stühlen unterhalten wollte. - Es ist charakteristisch für die deutsche Kritik, dass diese Auslassungen sofort als Symptome für meine wissenschaftliche „Rückständigkeit“ interpretiert wurden und nicht einfach als praktische Entscheidung. - In einem ersten Thesaurus mit wissenschaftlichen Ansprüchen müssten jedoch alle Begriffe enthalten sein, also auch die theoretischen.
[viii] im Sinne von T. Todorov (Litterature et signification. Paris 1967).
[ix] Mit dieser Problematik befasst sich eingehender mein Symposiumsbeitrag, "Der Geltungsbereich unserer literarischen Sachbegriffe", der im unter Anm. 5 erwähnten Berichtsband (Sn. 80-104) erschien. Vergl. auch meinen Aufsatz: „Probleme beim Vergleich von Literaturterminologien“ In: Akten des VII. Internat. Germanisten-Kongresses 4 (1991) 412-421.
Wenn die verschiedenen Richtungen - sei es auch nur in einem Land - sich auf einen Sprachgebrauch einigen würden, wären sie eben keine verschiedenen Richtungen mehr. Ihr Sprachgebrauch ist eng mit ihrem jeweiligen weltanschaulichen Hintergrund und ihren politischen Überzeugungen verbunden und lässt sich deshalb nicht von diesen ablösen und vereinheitlichen. Man denke etwa an die ganz verschiedenen Interessen und Maßstäbe, die z. B. die marxistische und die sogen. "bürgerliche" Literaturwissenschaft auf identische Werke der Literatur projizieren. – Vergl. meinen Aufsatz „Nachträgliche Überlegungen zur soziologischen Methode“ in: Acta Humanistica 18/4 Humanities Series No. 16 (1989) 156-182.
[x] Aber auch die Zimperlichkeit, mit der in den allgemeinen Thesauri Ausdrücke der sexuellen Sphäre vermieden werden, mutet uns heute lächerlich an.
[xi] Man denke z. B. an die verschiedenen Schulen des "Strukturalismus" sowohl in der Linguistik wie auch in der Literaturwissenschaft. -
[xii] Siehe Anm. 5.
[xiii] Auf "weltweiter Basis" halte ich einen Thesaurus der Literaturwissenschaft für unmöglich; und zwar nicht in erster Linie wegen des Umfangs des Begriffsmaterials, sondern wegen seiner Beschaffenheit, die in anderen Kulturkreisen grundlegend verschieden ausfallen müsste.
[xiv] Siehe Anm. 3. - Eggers beschreibt im Vorwort (S. IX), wie sein Vorgänger, H. Schlessing, den Fehler beging, auch das englische Vokabu1ar durch künstliche deutsche Neubildungen nachzuahmen. Diese Gefahr liegt in der literaturwissenschaftlichen Terminologie mit ihrer Neigung zum Gebrauch von Fremdworten besonders nahe, sollte aber vermieden werden. Denn gerade das Fehlen bestimmter Begriffe in bestimmten nationalen Literaturwissenschaften ist aufschlussreich.
[xv] Wie würde sich nun der Begriffsschatz des Thesaurus zu dem des Nomenclator verhalten ? - Der letztere enthielt zur Zeit seines Erscheinens die bei weitem umfangreichste Zusammenstellung literarischer Sachbegriffe aus sieben europäischen und vielen außereuropäischen Sprachen. Das war möglich, da er auf Erläuterungen verzichtet, wo immer das möglich schien. - Da er vielsprachig angelegt ist, wird er durch den Thesaurus nicht ersetzt werden. Der letztere sollte nun aber wirklich alles enthalten, was in Deutschland jemals als literaturwissenschaftlicher Begriff gebraucht worden ist; d. h. auch fragwürdige Auffächerungen literarischer Gattungen (wie etwa bei Wilpert "Agentenroman", "Arztroman" etc.) und natürlich alle jetzt kaum mehr gebrauchten Ausdrücke der antiken Metrik und Rhetorik, besonders aber alle Neuschöpfungen (wie "Polit-Thriller" oder "High Camp"). - Denn was jemand für "wesentlich" hält, ist weitgehend Ermessenssache, und deshalb sollte der erste deutsche Literaturthesaurus sich um Vollständigkeit bemühen. Nichts ist ärgerlicher, als wenn man in einem solchen Werk immer gerade jene ausgefallenen Begriffe nicht findet, die auch kein anderes Lexikon verzeichnet, dafür aber all jene, die auch anderwärts mühelos gefunden werden können.
Der Nomenclator enthält ungefähr 3000 deutsche Begriffe. Wenn wir annehmen, dass höchstens noch 1000 dazukommen (ich habe seit seinem Erscheinen noch etwa 500 Begriffe gefunden) und all diese mindestens zweimal im Buch erscheinen (im systematischen Teil und im Index), jedoch nur wenige häufiger als dreimal, und dass die abgekürzten Literaturhinweise nach jedem Begriff durchschnittlich nicht mehr Raum einnehmen als drei weitere Begriffe, so lässt sich abschätzen, dass unser Thesaurus zwischen 20,000 und 24,000 mittlere Wortlängen umfassen würde und sogar noch als preiswert kalkuliertes Taschenbuch erscheinen könnte. Entscheidend ist jedoch, wie die Begriffe drucktechnisch angeordnet werden, in Tabellenform, wie im alten Roget, oder fortlaufend, wie bei Dornseiff und Wehrle/Eggers. Und entscheidend ist auch, wie viele Literaturhinweise nach jedem Begriff aufgenommen werden sollen.
[xvi] Etwa Wolfgang Kaysers Das Sprachliche Kunstwerk (1948 u. ö.), Wellek & Warrens Theory of Literature (1942 u. ö.) bis etwa zu S. J. Schmidts Empirische Literaturwissenschaft (2 Bde., 1980-82). Literaturangaben findet man in jedem Literaturlexikon unter dem Stichwort "Literaturwissenschaft".
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